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Journal Sonntag, 15. September 2024 – Familien-Filmshow

Montag, 16. September 2024

Eher unruhige Nacht, diese mit einem Loch um zwei Uhr. Nicht ganz munter aufgestanden.

Der Morgen war durchgeplant, denn ich würde vormittags mit Herrn Kaltmamsell nach Ingolstadt fahren: Einladung zum Mittagessen bei meinen Eltern, und für den Nachmittag hatte Neffe 1 einen Raum besorgt, um den Film zu zeigen, den er über die Kastilienreise mit seinen Geschwistern im August gemacht hatte. (Zu Erinnerung: Die drei Nifften, Kinder meines Bruders, um die 20 Jahre alt, waren im Auto zur spanischen Familie gefahren, die wir 2023 zu neunt besucht hatten.) Davor hatte ich eine Laufrunde eingeplant.

Sonnenbeschienenes Baumlaub aus der Perspektive eines oberen Stockwerks, angeschnitten ein ebenso beschienenes modernes Gebäude

Der Regen hatte aufgehört (wie sich herausstellte vorübergehend), zwar war es mit 7 Grad weiterhin kalt, doch ich freute mich auf einen Isarlauf in schönem Licht. Nach kurzer Hose vor einer Woche also gefütterte lange Laufhose unter Überspringen der Caprihosenlänge.

Nur dass mir bis dahin eine Stunde verloren ging: Als ich mich von Herrn Kaltmamsell verabschiedete, sah er kurz auf sein Handy – und mir wurde klar, dass es eine Stunde später war, als ich angenommen hatte.

Ich war zur berechneten Zeit aufgestanden, hatte Wäsche aufgehängt, Morgenkaffee getrunken und gebloggt, ein Blick auf die Uhr hatte mich gefreut, weil ich noch über eine halbe Stunde bis zur berechneten Zeit fürs Fertigmachen zum Loslaufen hatte. Das muss der Moment des Irrtums gewesen sein. Jetzt stand ich ein paar Augenblicke ratlos in voller Laufkleidung herum – dann zog ich mich halt wieder aus und ging ich gleich unter die Dusche, bedauerte den verlorenen Isarlauf.

Auch auf dem Weg zum Bahnhof war es ganz schön frisch. Da ich nicht beurteilen konnte, wie heizbar und beheizt der Filmvorführraum in einem historischen Gemäuer sein würde, hatte ich reichlich Zusatzpullis und Wollsocken dabei.

Regengraue Landschaft mit einem leeren und einem bewachsenen Hopfengarten

Unterwegs Hopfencheck: Der meiste war bereits abgeerntet, doch einige Hopfengärten noch nicht (diesjährige Ernte gut, aber Nachfrage sinkend).

Aber erstmal gab es bei meinen Eltern Mittagessen mit dem Großteil der Bruderfamilie, meine Mutter hatte eine Zarzuela de mariscos gekocht:

Große Pfanne mit Fischstücken, roten Garnelen, Miesmuscheln

Unter Fisch und Meerestieren Gemüse inklusive Kartoffeln: Köstlich. Dazu erzählte die Nichte von ihrem Einstieg ins Jahr Bundesfreiwilligendienst (Bufdi genannt, hihi).

Nächster Programmpunkt: Filmvorführung in der Harderbastei, einem Teil der Ingolstädter Festungsanlagen. Ich finde ja weiterhin, dass Ingolstadt viel zu wenig aus dieser einzigartigen Stadtstruktur macht, die durch die omnipräsenten und oft architektonisch interessanten Militärbauten aus vielen Jahrhunderten erzeugt wird.

Frau von hinten, die in den dunklen Torbogen eines alten, weißen Gebäudes geht, über dem EIngang die Schrift "Städtische Galerie Harderbastei"

Unter einem Gewölbebogen aus rohen, gelblichen flachen Steinen bunte Pappmache-Köpfe, das Modell einer alten Kirche

Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert, offensichtlich Jurasteine.

Der vorführende Neffe hatte für spanische Speisen (Tortilla, Papatitas, Pimientos de padrón, Oliven, Pipas, Maíz) und Getränke gesorgt, einen Hinterraum der Harderbastei bestuhlt und mit Leinwand ausgestattet – und muckelig warm geheizt. Hier kam auch der Rest der Bruderfamilie dazu, außerdem zahlreiche Freunde der Nifften oder eh der Familie.

Reichlich Gespräche, auch Kennenlernen, einige der Anwesenden hatten die Reise der Nifften durch Berichte und Fotos in einer eigens dafür eingerichteten WhatsApp-Gruppe mitverfolgt. Anderthalb Stunden liebevollst geschnitteter, vertonter und beschrifteter Film: Ich freute mich arg, die vertrauten Orte und die spanische Familie zu sehen.

Auf der Zugfahrt zurück nach München regnete es immer heftiger, wie schon in den Tagen zuvor prognostiziert trafen jetzt immer schlimmere Meldungen über Hochwasser und Überschwemmungen aus Niederösterreich, Polen, Tschechien, Rumänien ein.

Daheim schnippelte ich mir ein Abendessen aus oberbayerischen Pfirsichen (ein Freund meiner Eltern hat dieses Jahr reiche Ernte, wir hatten ein Kistlein mitbekommen) und Joghurt, danach aß ich viel Schokolade. Dazu holte ich die 20-Uhr-Tagesschau nach mit bedrückenden Überschwemmungsbildern. “Klimawandel” wird schon gar nicht mehr dazugesagt, ich weiß nicht, ob das nützt.

Im Zug zurück nach München hatte ich Jenny Erpenbecks Kairos ausgelesen, darüber werde ich noch schreiben (meiner Ansicht nach hervorragend, aber wirklich kein Lesevergnügen – Literatur darf auch Zumutung sein). Jetzt stellte ich Urlaubslektüre auf meinem E-Book-Reader zusammen, davon begann ich im Bett (unbedingt mit Wärmflasche) die Geschichtensammlung von Ted Chiang: Exhalation.

§

Maximilian Buddenbohm war an der See und beobachtete andere Urlaubende:
“Zusammengefegte Reste”.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es ihm ums Festhalten zeittypischer Erscheinungen geht – und wer das nicht als stimmungserzeugende Kolumne an Zeitungen verkaufen muss, kann sich dabei sogar Neutralität leisten, denn

Es gibt keinen Grund, darüber zu spotten, ich schreibe es nur so mit. Es verwirrt etwas durch das Unweigerliche – wie gleich und ungemein berechenbar wir alle sind.

Journal Samstag, 14. September 2024 – Kalter Regen in Strömen, Forellengefühle im Olympiabad

Sonntag, 15. September 2024

Schön lang geschlafen, zu Regenprasseln aufgewacht. Eine Woche nach Sommerkleidchen die Heizung im Wohnzimmer aufgedreht, Bloggen und Morgenkaffee in Sweatshirt, Strickjacke, Wollsocken.

Meine Schwimmpläne sollten mich zum Saison-Abschied trotz Regen ein letztes Mal ins Dantebad führen. Zum Glück checkte ich kurz vor Aufbruch aktuelle Meldungen: Es war bis Montag geschlossen, wohl wegen Aufräumen und Umbauten für den Winterbetrieb. Also nahm ich die U-Bahn zum Olympiapark und ins Olympiabad.

Auf einem gepflasterten Boden stehen ganz viele aufgespannte Schirme zum Trocknen, im Hintergrund sieht man eine Halle, einen Mann, der gerade einen weiteren Schirm auf den Boden stellt

Als ich mich ins Becken gleiten ließ, merkte ich gleich zu meiner Erleichterung, dass die Wassertemperatur bereits für den Winterbetrieb ein wenig erhöht worden war: Kein Frieren oder auch nur Frösteln.

Ich fühlte mich von der ersten Bahn an nixenhaft, glitt kraftvoll und Forellen-gleich durchs Wasser. Allerdings kassierte ich Tritte von unachtsamen Brustschwimmerinnen, die mich überholten, einen Hieb in den Unterleib von einer Rückenschwimmerin auf der Nebenbahn. Ich wunderte mich. Und schwamm trotzdem problemlos 3.300 Meter.

In einem großen  Raum mit hellgrünen Umkleiden und weiß gekacheltem Boden steht eine Frau mit weißen Haaren vorm Spiegel und föhnt sich die Haare, macht mit ihrem Handy im Spiegel ein Selfie

Es regnete immer noch strömend, zumindest fror ich auf dem Heimweg nicht sehr, weil ich vom Schwimmen noch aufgewärmt war. Ausstieg schon am Marienplatz, um unterwegs Semmeln zu besorgen.

Frühstück kurz nach halb drei: Semmeln mit Butter und Tomate, Brot mit Haselnussmus, Kerne des ersten kleinen Granatapfels der Saison (Vollcorner hatte italienische angeboten, an denen ich nicht vorbeigehen konnte – schmeckte aber nach nicht viel).

Nachmittag mit Internet- und Zeitunglesen. Ich griff bald zu einem zweiten Paar Socken gegen die Kälte.

Yoga-Gymnastik: Eine Folge mit langenen Dehnungen und Entspannung, das passte mir gestern gut. Ausführliche Fußpflege/Pediküre, ich machte meine Füße Wander-fit.

Den Staudensellerie im Ernteanteil nahm Herr Kaltmamsell zum Anlass, als Aperitif Bloody Mary zu reichen, mein erster überhaupt.

Vollgestellte Küchen-Arbeitsfläche, links zwei Longdrink-Gläser mit Tomatensaft, Eiswürfel, Selleriestange, rechts Wodkaflasche, Tabasco, Worcestersauce

Ähm. Kalte, überwürzte Tomatensuppe, im Ernst? Ich trank nur zwei Schlücke, kenne jetzt Bloody Mary und möchte künftig nichts mehr damit zu tun haben. Aber die Stange Sellerie schmeckte mir. Als Gegenmittel öffnete ich eine Flasche Pouilly Fumé.

Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch Rindfleisch für die Pfanne besorgt, briet es wie immer fachkundig, servierte mit gebratenen und als Antipasti eingelegten Zucchini aus Ernteanteil. Großer Genuss. Nachtisch Schokolade.

Im Fernsehen ließen wir einen deutschen Film von 1962 laufen: Muß i denn zum Städtele hinaus. Ziemlich wahwitzig in der Rahmenhandlung (mit offensichtlichem Original-Dokumaterial ergänzt), randvoller sexistischer Klischees, aber überraschend aufwändig gedreht. Damals hielten zum Beispiel unverheiratete Frauen in fortgeschrittenem Alter noch standardmäßig als Witzfiguren her: Wer wissen will, woher Donald Trump seine Stereotypen hat, bekommt im westdeutschen Film der 1960er rechlich Material. Aber interessant: Damals kam der Fremde (Ausländer) im Dorf, in diesem Fall der Italiener (Vico Torriani, eh klar), noch mit dem Zirkus, war typisch lustig und sang Lieder -> prä-Gastarbeiter.

Im Kopf bin ich hauptsächlich bei Reise-Details, fast Panik-frei, Mittwochmorgen breche ich auf. Mittlerweile neigen meine Entscheidungen zu Minimalismus in Kleidungsmitnahme, die wird dann zweimal gewaschen.

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“Österreicher wählen Klimaleugner, auch wenn sie dabei untergehen”.

Verdacht: Diese Menschen haben wirklich andere Prioritäten als ich. Etwas gegen den Klimawandel zu tun, hieße ja, den Feinden recht zu gaben. Lieber verlassen sie sich darauf, dass ihnen bei weggespülten Straßen geholfen wird – und fordern das ein.

Ich schließe mich diesem Verdacht an:

Und spüre starke Brexit-Vibes: Das illusionäre Ziel lautet “take back control”, dann dürfen die Folgen ruhig auch weh tun. Hauptsache gewonnen.

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Ein entzückendes Schwalbenfoto.

Journal Freitag, 13. September 2024 – Abend im Zauberberg, komplett Thomas-Mann-frei

Samstag, 14. September 2024

Eine meiner selteneren Schlafstörungen: Ich konnte nicht einschlafen, sank einfach nicht in den Schlaf, das wird wohl die Mischung aus Erschöpfung und hohem Adrenlin-Pegel gewesen sein.

Der Wecker klingelte mich in Müdigkeit.

Draußen war es düster, kalt und regnerisch, ich griff zum Kaschmir-Pullover. Fenster in der Wohnung alle gegen die Kälte geschlossen, nicht mal das vom Klo mochte ich länger gekippt lassen.

Im Büro ein anstrengender Vormittag, denn ich war müde, und es gab noch reichlich zu tun.

Kurz vor Mittag begann es auch noch heftig zu regnen. Egal, ich hatte die ganze Woche noch keinen Lieblinscappuccino im Westend gehabt, also stemmt ich einen Schirm gegen Wind und Tropfen und marschierte hin. Außerdem hatte ich einen Abzug eines besonders schönen Fotos von meinem Mittagscappuccino dort machen lassen, den ich den Café-Betreibern schenken wollte (mit denen ich bis dahin nie mehr als Grüße und Bestellvorgangswörter gewechselt hatte). Das tat ich dann auch – und merkte mal wieder, dass ich und meine freundlich gemeinten Impulse die Konsequenzen nicht zu Ende denken. Ja, es wurde sich gefreut. Aber jetzt mussten sie ja irgendwas mit dem Foto tun. Ich hatte erwartet, dass sie den Abzug irgendwohin legen würden, aber er kam in den Bilderrahmen, in dem sonst scherzhaft “Mitarbeiter*in des Monats” ausgestellt wurden. Jetzt befürchte ich, dass sie sich verpflichtet fühlen, das Bild auf alle Zeit darin zu lassen, um mich nicht zu beleidigen. (Kann ich nie wieder hingehen.)

Auf dem Rückweg ins Büro hielt der Regen an, es war kalt: Gestern acht Grad Höchsttemperatur, 20 Grad weniger als noch vor einer Woche. ABER!! Die Heizung im Büro wurde nach Aufdrehen warm!

Als ich aufs Betriebsgelände zurückkam, standen drei Menschen am Durchgang und fotografierten das Gitter. Ich scherzte “Doppelspaltversuch?”1, doch das Motiv war ein riesiger Falter. Ein Windenschwärmer, wie wir mit Google Lens herausfanden – und wie er kürzlich auch Vanessa Giese besuchte.

Auf einem Metallgitter sitzt ein großer dunkelgrauer Nachtfalter mit geschlossenen Flügeln

Ich holte das Foto nach Arbeitsende beim Verlassen des Hauses nach.

Nachmittags letztes Abarbeiten, Schreibtisch aufräumen (vielleicht erreicht mich ja ausgerechnet in diesem Urlaub das überraschende Millionenerbe und ich kehre nie zurück, die Nachfolgerin soll sich nicht vor meinen Schubladen ekeln müssen), letztes Übergabe-Gespräch. Das Büro war angenehm warm, zur Sicherheit wärmte auch die Kapuze des Strickpullis.

Fast pünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg ein paar Lebensmitteleinkäufe, es regnete kräftig. Der Regen sollte dann auch nicht mehr aufhören.

Daheim war noch Zeit für eine Runde Yoga-Gymnastik, bevor Herr Kaltmamsell und ich uns fein machten für unsere Abend-Verabredung: Essen im Zauberberg in Neuhausen – die hart erkämpfte Tischreservierung mit Hinterlassung von Kreditkartendaten, Bestätigungsanforderung eine Woche vor Termin, am Donnerstag war eine weitere Aufforderung eingegangen, die Reservierung zu bestätigen. Vielleicht hilft es, wenn ich künftig für Tischreservierungen persönlich ins Lokal gehe und den Wirtsleuten dabei fest in die Augen schaue: “Sie haben mein Wort.”

Hinfahrt mit U-Bahn, Fußweg in strömendem Regen. Wir aßen wunderbar, lernten dabei auch etwas, wurden aufmerksam bedient. Da ich mich auf Weinbegleitung gefreut hatte, bat ich um einen alkoholfreien Aperitif:

Gastraum eines feinen Lokals, im Vordergrund ein gedeckter Tisch  mit grauer Tischdecke, weißen Servietten, silbernem Besteck und zwei rosa gefüllten Sektgläsern, im Hintergrund wenige besetzte Tische

Der war schonmal was ganz Besonderes, L’Antidote aus dem Beaujolais, nur leicht süßer Gamay-Traubensaft schaumig mit Kräutern, schmeckte mir sehr gut.

Auch der Gruß aus der Küche war ein Knaller:

Auf einem gedeckten Restauranttisch Schüsselchen mit weißem und orangem Inhalt

Weißer Tomatenschaum, darunter Croûtons und Pfifferlinge, darauf Pulver aus Tomatenschale – vor allem der cremige helle Schaum war großartig.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter geschriebenen Inhalt, außerdem ein langer Holzteller mit Brot

Sellerieterrine mit Birne und Bündnerfleisch, dazu Vogerlsalat und Essigzwetschge. Im Glas ein mineralischer Weißwein aus dem Priorat.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Tortellono mit Heilbutt-Estragon-Füllung, dazu Rote Bete mit Kokos. Der Wein dazu war ein weißer aus Österreich, wie er vor 20 Jahren besonders gern gemacht wurde: Chardonnay mit viel Holz.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt. Dahinter sichtbar der Gastraum mit anderen Gästen an Tischen

Topfen-Spätzle-Bratling mit Belper Knolle und Flusskrebsen. Dazu ein Weißwein aus der Loire mit überraschend wenig Säure.

Nach einem Basilikumsorbet (immer willkommen) mit Sauerrahm kam der Hauptgang.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Kalb mit dreierlei Pilzen: rohe gehobelte Egerlinge auf dem Fleisch (super Kombi), Kräuterseitling gebraten, ein weitere Pilz als Schaum. Neben dem Amuse-Gueule mein Lieblingsgang. Der Rotwein dazu kam aus der Toskana.

Gedeckter Restauranttisch mit einem rechteckigen Teller, auf dem vier kleine Käsestücke aufgereiht sind, rechts daneben zwei winzige Schüsselchen mit gelber und oranger Füllung

Käsegang mit ausgezeichnetem Früchtebrot, Wein dazu ein typischer französischer süßer.

Was Wein angeht, kam der (für mich) aufregendste zum Schluss als Begleitung des Desserts:

Dunkelglasige Weinflasche mit einem Etikett, auf dem eine gezeichnete Wachtel abgebildet ist

Bricco Quaglia Moscato D’Asti, ich bin immer wieder fasziniert, welche Aromen nicht trockener Schaumwein mitbringt.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Auch der Dessertteller brachte Aufregendes: Zwischen Himbeereis auf Brioche (sehr gut!) und Pistazien-Crème Brûlée war das süßes Fenchel-Chutney mit roten Johannisbeeren.

Herr Kaltmamsell kämpfte schon seit einer Weile brutal mit dem Schlaf, erst kurz vor Mitternacht waren wir nach einem weiteren Marsch durch strömenden Regen und Kälte (einfach supergreisliches Wetter) und einer U-Bahn-Fahrt daheim.

  1. Das ist superlustig, wenn man weiß, wo ich arbeite! ECHT! []

Journal Donnerstag, 12. September 2024 – Arbeitswirbeln, Durchhalten

Freitag, 13. September 2024

Wieder endetet der eigentlich gute Nachtschlaf zu früh und im Angstkarussell. Draußen rauschte der Regen wie schon beim Einschlafen. Doch pünktlich zum Arbeitsweg blieb der düstere Himmel trocken, es war lediglich sehr kalt: Erste Atemwölkchen vor Radler*innenlippen an roten Ampeln.

Im Büro wartete eine lange Jobliste, die wegen drohenden Urlaubs sehr unbedingt erledigt werden musste (und die aus Rahmen-Gründen auch nicht vorher angepackt werden konnte). Doch noch bevor auch nur der Rechner hochgefahren war, begannen die Querschüsse. Zum Glück bin ich in vielen der Jobs routiniert und sehr schnell (ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich dreimal so lange dafür brauchte), fürchtete aber die Gefahr, dass die Routine mich unachtsam machte.

Mittags war die Versuchung groß, wegen der hohen Schlagzahl Cappuccino- und Marktpläne fahren zu lassen, doch mein Bockigkeits-Ich siegte über mein Panik-Ich: Cappuccino bei Nachbars, Äpfelkauf auf dem Markt, dabei Bekanntschaft mit einem sehr jungen Nachwuchs-Standler (höchstens 50 cm hoch), der meinen Geldschein annehmen und mir Rückgeld reichen durfte.

Sehr spätes Mittagessen und das auch nur mit strenger Selbtsermahnung, weil komplett appetitlos: Eben gekaufte Äpfel, Körnerbrot.

Arbeitsnachmittag mit höchster Intensität, ich bekam Zeug für drei Arbeitstage weggeschafft. Bei dieser Schlagzahl musste ich mich vor Absenden von E-Mails aktiv daran erinnern, ein paar Blümchen einzuflechten. (“Vielen Dank für die Rückmeldung!” / “Gute Reise!” et al.)

Außerdem hatte ich Zeitdruck im Nacken, weil ich für die Abholung des Ernteanteils zuständig war. Der Arbeitstag endete in gleichzeitigem Rechner-Runterfahren, in Mantel schlüpfen, Tasche packen, Abschiedsgruß an Kollegin (deren Arbeitstag meinem sehr glich, wenn auch mit ganz anderen Inhalten).

In strammem Schritt zum Ernteanteil-Abholen, in strammem Schritt heim. Beim Begrüßen von Herrn Kaltmamsell gestand ich mir einen angedeuteten Zusammenbruch zu, aber dann Zusammenreißen und Weitermachen. Ich hatte auch noch einen späten Friseurtermin, den ich tagsüber fast vergessen hätte. Davor war noch Zeit für Yoga-Gymnastik, mich erfreute eine Einheit Bauch.

In strammem Schritt zum Haareschneiden. Ich bat um sportliche Kürze, wies auf Eignung fürs Wandern, auf Eignung fürs Schwimmen ohne Badehaube hin. Als Herr Friseur allerdings “praktisch” anbot, zuckte ich: “Bitte nicht so nennen. Bei ‘praktischer Kurzhaarschnitt’ fühle ich mich alt, außerdem wachsen mir dann eine Steppweste und ein Reihenhaus.”1

Erste Male:
Irgendwann im letzten Viertel des angenehm gesprächsarmen Schnippelns guckte er mich im Spiegel an: “Viel Haare!”
Und grinste dann: “Macht Spaß!”

Selfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren nd Brille vor schwarzer Wand in Kunstlicht

Ich war zufrieden. Selfie im U-Bahnhof Sendlinger Tor.

Daheim hatte Herr Kaltmamsell bereits den Salat aus Erntanteil gewaschen. Ich machte ihn mit Haselnussmusdressing an, mischte aus Ernteanteil ein Bündelchen Ruccola, eine kleine Gurke, ein paar Tomaten unter. Hervorragend. Die Tagesschau hatte ich da schon verpasst, auch keine Energie, sie nachzuholen.

Nachtisch Warschauer Brot (eine alte Münchner Gebäck-Spezialität, mit der sich Herr Kaltmamsell vor literarischem Hintergrund beschäftigt hatte, aus Brot- und Kuchenresten hergestellt, auf einen Tipp hin gefunden bei der Brotmanufaktur (oh mei) Schmidt), sehr gut. Und ein bisschen Schokolade.

Tagesabschluss zwischen komplettem Erledigtsein und Adrenalin-Hoch, schließlich war ja noch der Freitag zu bewältigen. Ins Bett mit der ersten Wärmflasche der Saison.

  1. Gegen die, wieder zur Sicherheit, grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden ist. Nur ganz weit weg von mir. []

Journal Sonntag, 8. September 2024 – Ferienausflug in den Botanischen Garten

Montag, 9. September 2024

Gute Nacht, doch unter meinem Bettüberzug als Decke wurde mir erstmals ein wenig zu frisch (er ist bei 23 Grad Schlafzimmertemperatur genau richtig) – da er 2×2 Meter groß ist, nahm ich ihn einfach doppelt.

Silhouette eines modernen Kirchturms über Park mit allerersten Morgensonne

An diesem Sommerabschiedswochenende genoss ich das Balkonsitzen (MIETE ABWOHNEN!) nochmal besonders: Die Wasserschale auf dem Sims wurde immer wieder besucht, mindestens eine Kohlmeise traute sich auch dann zu trinken, wenn ich am Tisch saß. An den Bäumen klopften prächtige Buntspechte, einmal einer am Nebenast beobachtet von einer besonders bräsig breit dasitzenden Türkentaube (ich denke bei deren Anblick immer an Menschen, die den exakt selben Habitus zeigen). Gestern sah ich dann auch endlich mal eine Mönchsgrasmücke, all die Monate davor hatte ich sie immer nur gehört.

Für das letzte Wochenende der Sommerferien hatten wir einen Ausflug geplant: Botanischer Garten, nach den Gewächshäusern vergangenen November jetzt die Außenanlagen. Am späteren Vormittag radelte ich mit Herrn Kaltmamsell über die Nymphenburger Straße hinaus.

Gleich am Eingang fing Herr Kaltmamsell eine besonders brenzlige Situation ein. Solange wir guckten, war die Libelle noch nicht gefressen.

Rechts ein großer Porzellan-Kakadu, links eine gepflegte Außen-Gartenanlage mit Kieswegen

Prächtiges Nymphenburger PorzellanMajolika ziert die Treppen.

Wir nahmen uns zunächst den Abschnitt “System” vor: Hier wird die botanische Systematik an 1.600 Pflanzenarten gezeigt.

Lila Blütenkelche vor sonnenbeschienenem Stein und Büschen

Unter anderem trafen wir auf besonders stattliche Herbstzeitlose.

Weiter zum Bereich mit Nutzpflanzen.

Drei gelbe Kürbisse un Kürbisblätter auf Erde

es ist herbts

auf dem feld

DIE KÜRBEN

Ich lernte, wie Buchweizen wächst, wie Linsen wachsen.

Halb weggefressene Kohlköpfe auf der Erde, zwischen zwei Blättern ein großes Schneckengehäuse

Und dass sich auch hier die Schnecken sattfressen, eine in flagranti!

Selfie eines Mannes und einer Frau vor riesigen grünen Blättern

Pärchen-Selfie für das Schweizer Freundespaar – die riesigen Blätter sind Mirbel, Gunnera tinctoria aus Chile. Nämlich.

Ansicht von halb oben eines Ausschnitts eines botanischen Gartens mit Teich, gegenüber ein Häuschen, im Vorergrund alpine Landschaft

Nahaufnahme einer komplexen, weinroten Blüte vor grünen Blättern

Blümchen im Alpinum.

Zum Abschluss hatten wir uns auf Kaffee auf der Terrasse des Cafés im Botanischen Garten gefreut. Doch zum einen war diese besonders schöne Terrasse mit Blick auf Blumen nicht in Betrieb, zum anderen das restliche Lokal sehr voll. Also ließen wir das bleiben und sahen uns noch unter den Blumen um.

Prächtiges Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, davor Gartenanlage mit Blumen, Kiesflächen, Bänken

Auf einem Baum vor einem roten Dach sitzt ein Reiher

Reiher-Besuch auf Magnolie.

Beete mit Dahlien in verschiedenen Formen und Farben vor einem alten Gebäude

Im Dahlienarium.

Gemütliches Heimradeln mit kurzem Stopp am Rotkreuzplatz: Es war ein italienischer Markt aufgebaut. Doch von den angebotenen Produkten machte uns nichts an, wir holten nur ein frisches Brot beim Bäcker Rischart.

Zum Frühstück um zwei setzte ich mich auf den Balkon. Es gab zwei Scheiben frisches Brot mit Geräuchertem, eine mit Butter und Honig, außerdem Pfirsiche mit Joghurt. Bisschen zu viel. Und die Luft wurde bereits frisch.

Ein Stündchen Bügeln mit Musik, dann Romanlesen auf dem Sofa, Yoga-Gymnastik vorm Fernseh-Bildschirm, Bruder-Telefonat. Wie angekündigt schlug das Wetter jetzt wirklich um: Es regnete, ich schloss die Fenster gegen die Kühle.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch Lasagne gemacht: Die klassische Sorte, nur halt mit Soja-Bröckerln statt Hackfleisch. Schmeckte sehr gut (nur einen Tick zu trocken), Lasagne gehört weiterhin zu meinen Lieblinsspeisen. Als Nachtisch aßen wir den restlichen Apfelkuchen.

§

Apropos Bloggen in anderer Form: Maximilian Buddenbohm hat mich auf den wöchentlichen Newsletter von Nils Minkmar gebracht, den ich hiermit weiterempfehle. Der aktuelle heißt
“No News”.

Unter anderem beobachtet Nils Minkmar in einer Berliner Klinik:

Docs und Pflegekräfte sind mal biodeutsch, mal nicht – genau wie ihre PatientInnen. Die ermüdende Frage, wer woher kommt, spielt in der Klinik keine Rolle. Ich nahm einige Mahlzeiten zwischen den Beschäftigten ein und hörte normale Arbeitsplatzwitze, aber nichts von dem dauernden Untergangsgeheule rechter oder auch betont linker Medien. Mein Eindruck war, dass die Leute ihren Job gut und gerne machen und mit ihrem Leben zufrieden sind. Vielleicht ist es an vielen Stellen im Land so – aber als Journalist kann man das nicht abbilden. Man würde sofort der naiven Affirmation bezichtigt und verdächtigt, die wahren Probleme der Menschen zu ignorieren. Oder die Sorgen, die noch kommen. Oder die Nöte der anderen. Dabei sind dauernde Angst und die Verkennung dessen, was in Europa gut ist, wirksame Treibstoffe für die Höckes und Wagenknechts dieser Republik.

Und er kommt zu der Einsicht:

Junge Frauen und Männer, die erst Menschen heilen und dann in den Feierabend ziehen, Skateboard unter dem Arm – das ist viel eher Deutschland heute als die Studios der Talkrunden mit ihren enervierenden und extremen Gästen.

§

Charmant: Der Grabstein von Hans-Christian Ströbele.

Journal Samstag, 7. September 2024 – Abschied-vom-Sommer-Lauf an der Isar

Sonntag, 8. September 2024

Unruhige Nacht, als ich dann endlich einschlief, träumte ich Trauriges, wachte tieftraurig auf.

Draußen schien die Sonne, es war aber sehr frisch, dennoch setzte ich mich für meinen Morgenkaffee auf den Balkon.

Blick über Kaffeetasse und Wasserglas hinweg über Balkonbrüstung auf sonnenbeschienenen Baum und blauen Himmel

In den Bäumen davor pöbelte ausdauernd ein Eichelhäher, manchmal unterbrochen von einer Krähe.

Nach dem Bloggen buk ich das geplante Apfelschlangerl aus Katharina Seisers Österreich vegetarisch, derzeit mein liebster Apfelkuchen (hier Bilder vom Backen vergangenes Jahr). Beim Zerteilen des Butterblocks in Würfel schaffte ich es irgendwie, mir mit der Spitze des großen Messers den linken Unterarm anzuritzen, gerade genug, dass blutige Sauerei drohte: Ich rief Herrn Kaltmamsell mit Bitte um ein großes Pflaster herbei.

Eigentlich war seit Wochen für dieses Wochenende eine Wanderung geplant gewesen, doch die dazugehörige Freundin hatte sich dem vor ein paar Tagen durch einen gebrochenen Fuß entzogen. Ersatzplan war Schwimmen im Dantebad, ein letzter echter Sommerschwumm mit anschließendem Sonnenbaden, doch ich verspürte keine rechte Freude darauf. Mir ging’s ohnehin nicht so gut, und die Aussicht auf viele Menschen vor allem im Schwimmbecken trübte die Aussicht auf Gleiten durch Wasser. Also überlegte ich, was mir gut tun könnte. Gar kein Sport, statt dessen Rumgammeln? Nein, zu hohe Trübegefahr. Laufen? Ja, Laufen, also Bewegung ohne Menscheninteraktion, dafür in schönem Licht und mit Aussicht auf Seelenfrieden.

Ich machte mich fertig für einen Sommerlauf, erst ein drittes Mal dieses Jahr in kurzer Hose. Das Radeln zum Friedensengel wurde überraschend kompliziert: Schon vor dem Deutschen Museum waren Straße und Radweg gesperrt, ich kam nicht weiter an der Isar entlang und jenseits die Ludwigsbrücke. Eine Umleitung übers Deutsche Museum endete im Nirgends, ich radelte zurück und suchte mir selbst durchs Lehel einen Weg zum Friedensengel. Auf der Fahrt sah ich dann auch den Grund für die Sperrung: Isarinselfest.

Das Wetter war herrlich, in der Sonne nur einen Tick zu warm für ideales Laufwetter. Doch ich suchte den Schatten, immer wieder kühlte mich eine Brise. Der Körper spielt gut mit, an der gesperrten Föhringer Brücke lief ich der Umleitung für den Fahrradverkehr nach und entdeckte so ums Gebäude des Bayerischen Rundfunks ein weiteren schönen Teil des nördlichen Englischen Gartens, unter anderem den Oberjägermeisterbach.

Uferweg mit Bäumen über eine Kiesbank am Fluss, darauf eine Sonnenbadende

Dicker, kahler Baumstamm im Gegenlicht, daran ein großer, mehrlagiger gelber Pilz

Im Vordergrund Parkbank von hinten, davor zwischen Bäumen Blick auf FLuss un Wehr in Hintergrund, am Ufer, zwei-E-Roller, man erahnt zwei sitzende Menschen

Lichter Laubwald, links ein Bach, rechts daneben ein breiter Weg

Neu entdeckt: Oberjägermeisterbach.

Graffiti unter einer niedrigen Brücke, fast verwittert

Markanter Graffiti-Kopf auf einem grünen Metallkasten im Park

Ein alter Bekannter, dessen Graffiti ich auch an den Bahnstrecken um Köln und Essen gesehen hatte.

Kleinteiliger, bunter Streifen Graffiti unter einer Brücke, von rechts fährt gerade ein Radler ins Bild

Bach, der unter einen niedrigen Brücke durchfließt, von der Brücke hängen Efeu-Stränge

Bäume vor knallblauem Himmel an Teich, links angeschnitten ein Wehr

Helllila Blumen, Herbstzeitlose, auf Wiese vor sonnigem Park

Blick von Brücke auf Fluss in Sonne, darin ein paar Badende, im Hintergrund Brückenbaustelle

Blick von der Emmeramsbrücke nach Norden.

Eckiger weißer Kirchturm zwischen Bäumen vor blauem Himmel

Der Lauf hatte tatsächlich so gut getan wie erhofft. War mit ein dreiviertel Stunden ein bisschen zu lang ausgefallen (Körper war fertig, bevor Seelchen genug hatte), ich dehnte sorgfältig Beine, Hüfte, Po, Schultern, bevor ich heimradelte (wieder übers Lehel).

Frühstück kurz nach zwei: Fladenbrot mit Tomate, Apfelschlangerl. Das machte mich müde genug für eine kleine Siesta bei ohnehin gegen die Sonne herabgelassenem Rollladen.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich auf dem Markise-beschatteten Balkon in perfekter Sommertemperatur ohne Hitze, las Zeitung und Internet.

Ich hatte große Lust auf Yoga-Gymnastik, begann nochmal das diesjährige 30-Tage-Programm “Flow” von Adriene.

Nachtmahl: Als Vorspeise servierte ich Tomaten, Pfirsich, Basilikum. Als Hauptgericht hatte Herr Kaltmamsell Udon-Suppe mit viel Gemüse gekocht. Nachtisch Apfelschlangerl.

§

In der Wochenend-Süddeutschen fand ich zwei große Artikel besonders informativ und gut, vielleich haben Sie ja Zugriff:

Einmal das Interview mit Katalin Karikó, die mit Drew Weissman den Nobelpreis für Medizin für ihre mRNA-Forschung bekommen hat, die letztendlich zu den Covid-19-Impfstoffen führte. In der gedruckten Süddeutschen lauteten das Thema und die Überschrift (€):
“Durchhalten”.

Das hatte bei mir die Befürchtung hervorgerufen, dass das framing mal wieder das irreführende “Du musst nur an deinen Träumen/Zielen festhalten, dann kannst du alles schaffen, hier ist der Beweis” sein würde. Irreführend, weil survivorship bias: Wir erzählen einander nur die Geschichten der Leute, die es tatsächlich geschafft haben. Und obwohl das Durchhalten oft Bedingung für den Erfolg war, taugt es halt nicht zum umgekehrten Beweis, dass es Erfolg garantiert (und wer es nicht schafft, halt nicht genug daran geglaubt hat): Die viel häufigeren Geschichten der Leute, die trotz allem follow your dream gescheitert sind, taugen lediglich nicht so zum Weitererzählen.

Doch Karikós Antworten sperren sich herrlich gegen das framing:

Ich wollte immer nur verstehen, wie etwas funktioniert und ob man es besser machen kann. Und es scheint, als sei mir das gelungen.

(…)

Während Ihrer Karriere haben Sie mehrmals den Job verloren, mussten Ihr Labor räumen, viele Ihrer Forschungsanträge wurden abgelehnt. Ihr Ehemann sagte einmal, Kati, du verdienst nicht mal einen Dollar pro Tag. Wenn es nicht Ehrgeiz ist: Was ist dann Ihre herausragende Eigenschaft als Wissenschaftlerin? Hartnäckigkeit?

Es stimmt, eine Weile ging es nur bergab. Ich habe unendlich viel gearbeitet, befördert wurden hingegen andere. Wäre es mir damals um Erfolg gegangen, hätte ich wahrscheinlich irgendwann aufgegeben. Aber ich habe Rückschritte nie ernst genommen oder versucht, jemandem die Schuld dafür zu geben, dass es nicht gut läuft. Ich habe mich einfach auf meine Arbeit konzentriert.

Inhaltliche Wissbegier also als Motivation und gerade nicht Glaube an Erfolg oder ähnlich Hollywood-taugliches.

§

Den andere Artikel las ich im Wirtschaftsteil, und er erinnerte mich an eine spannende Geschichte, die ich vor Jahren im Guardian gefunden hatte und die anhand der Einwanderer-Gastronomie in UK den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss von Einwanderung nachgezeichnet hatte. Autorin Lisa Nguyen recherchiert dieses für das deutscheste aller Einwanderungsgerichte, den Döner (€):
“Einmal mit alles”.

Wie viele Dönerläden es in Deutschland gibt, dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Ein Vertreter der Düzgün-Gruppe, einer der größten Dönerfleischproduzenten Deutschlands, schätzt die Zahl auf rund 18 000 Läden. Viele Besitzer kamen aus der Türkei nach Deutschland und betreiben ihre Buden hier bis heute, einige werden inzwischen von den Kindern oder Enkelkindern geführt. Und ihre Überzeugungen könnten unterschiedlicher nicht sein.

Der Artikel berichtet auch, warum die Dönerläden in Deutschland gerade Anfang der 1980 so schlagartig aufkamen:

Mit dem Einbruch der Weltwirtschaft erfolgte 1973 auch der Anwerbestopp, doch zu diesem Zeitpunkt waren viele Familien aus der Türkei bereits nachgekommen und hatten sich hier niedergelassen.

Verschärft wurde die Lage der Gastarbeiter durch den sogenannten „Lummer-Erlass“ in Westberlin, den Seidel in seiner jüngsten Dönerabhandlung beschreibt. Berlins früherer Innensenator Heinrich Lummer kündigte 1981 an, dass Ausländer, die weniger als fünf Jahre in Deutschland lebten und weder eine Ausbildung noch eine Arbeit hatten, ausgewiesen werden sollten.

Der Druck auf Tausende Familien stieg, die Selbstständigkeit war für viele der einzige Ausweg, um im Land zu bleiben. Der Dönerstand, der Gemüseladen oder die Änderungsschneiderei sicherten nun das Familieneinkommen – und den Aufenthaltsstatus.

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Viele Bloggerinnen müssen einfach bloggen – auch nach Aufgeben ihres ursprünglichen Blogs. Manche sprechen ihre Texte inzwischen als Reel in die Kamera, andere schreiben Newsletter, wieder andere nutzen die Textmöglichkeiten unter ihren Fotos auf instagram – wie Gedankenträger, die acht Jahren nach dem plötzlichen Tod ihres Sohns John an seinem 24. Geburtstag darüber schreibt, was das Mutterwerden mit ihr gemacht hat und wie sie diesen nicht gefeierten Geburtstag erlebte.

Journal Freitag, 6. September 2024 – Von der Anstrengung, mein Geld loszuwerden

Samstag, 7. September 2024

Dank Ohrstöpseln tief und gut geschlafen. Draußen brach der angekündigte Regentag an, die geplante weiße Jeans ließ ich lieber im Schrank (aufspritzender Straßendreck beim Gehen erzeugt unauswaschbare Flecken). Aber: Guter Sommer, ich habe alle meine Sommerkleidung mindestens einmal getragen.

Für meinen Weg in die Arbeit blieb der Regenschirm dann doch geschlossen, aus dem düstergrauen Himmel fiel kein Regen mehr.

Verregnete Straße mit Altbauten, im Hintergrund ein Backstein-Kirchturm

Emsiger Arbeitsvormittag, die Vollzughindernisse des Vortags waren über Nacht verschwunden. Die Glücksgefühle nach erfolgreicher Erfüllung dieses Auftrags führten aber dazu, dass ich mir ein wenig vorkam wie Wauzi, der einen Ball apportiert hat, JÄPP JÄPP, *schwanzwedel*.

Für meinen Mittagscappuccino ging ich raus ins Westend, mit kurzen Ärmeln war mir fast zu frisch. Zurück am Schreibtisch noch eine Runde berufliche Reise-Orga, dann gab’s Mango mit Sojajoghurt. (Einmerker: Mangos künftig nicht bis zur Marmeladigkeit reifen lassen, mit etwas Säure mag ich sie lieber.)

Anstrengender Nachmittag, während es draußen sonnig wurde. Pünktlicher Feierabend, weil ich Besorgungen vorhatte und dafür ins Stadtzentrum spazierte. In der Sonne war es bereits wieder einen Tick zu warm.

Unter anderem wollte ich Herrn Kaltmamsells Geburtstagsgeschenk in einem Fachgeschäft in der Innenstadt kaufen. Recherchiert hatte ich das Ding im Web, aber Sie wissen ja, dass ich als Innenstadt-Bewohnerin gerne die kleinen (und großen) Geschäfte durch Einkauf vor Ort am Leben erhalten möchte.

Nur dass vor diesem Geschäft eine Schlange stand, obwohl der Laden eher leer aussah. Und der Security-Mensch (!!! wir reden hier von einem Fachgeschäft für Alltagsgegenstände, keineswegs von einem Juwelier oder Louis Vuitton) mir auf entgeisterte Nachfrage erklärte, dass nur so viele Menschen reingelassen würden, wie beraten werden könnten, das mache die Beratung besser. Mittlerweile fassungslos fragte ich nach, dass ich mir die Produkte also auch nicht einfach ansehen dürfe? Nein.

Also vereinbarte ich innerlich mit dem Laden: Wenn ich kürzer in der Schlange warten müsste als ich brauchte, um den Artikel auf meinem Smartphone nochmal gründlich online zu recherchieren und zu kaufen, würde ich in den Laden gehen, sonst nicht. Ergebnis: Ich kaufte online, der Laden zog den Kürzeren und kann meinetwegen eingehen. Schaun wir mal, was danach reinkommt. Noch ein Burger-Laden? (Eine Frau in der Schlange erzählte, dass sie nur etwas umtauschen wolle und trotzdem nicht reingelassen werde.)

Obstkauf beim Eataly. Einen Schurwollpulli fürs Winterbüro gekauft, den ich online entdeckt hatte, in einem Laden, an dem ich dafür nicht Schlange stehen musste. (Ich komme weiterhin nicht darüber hinweg.) Und dann noch als Extra-Belohnung an einem Standl zwei Bund Dahlien.

Zu Hause traf ich dann doch recht verschwitzt ein. Blumen versorgt – und dabei überrascht nach draußen gehorcht: Im Nußbaumpark gab’s Alphornmusik der nicht-traditionellen Art. Herr Kaltmamsell recherchierte: Das war Marcel Engler, der “Loisach Marci”.

Endlich wieder Yoga-Gymnastik, wenn auch eine eher ungeliebte Schlussfolge von Adriennes 30-Tage-Programmen, zu denen sie nichts ansagt, sondern nur turnt. Ging aber gut, tat gut.

Fürs Abendessen hatte Herr Kaltmamsell schon am Donnerstag Rillettes hergestellt, wollte er schon lang mal machen. Aus Ernteanteil-Salätchen, -Gurke, -Tomaten machte ich Salat, verwendete dafür das Öl eines Glases eingelegter Antipasti-Artischocken (leider zu viel davon). Weiters gab es Fladenbrot vom Balkanbäcker und allgäuer Käse vom Markt. Als Aperitif rührte uns Herr Kaltmamsell Martini-Cocktail, zum Essen tranken wir den Chardonnay weg, den er für die Rillettes (Kalb übrigens) verwendet hatte.

Gedeckter Tisch mit den vorher beschriebenen Speisen und Getränken

Beschallung weiterhin von draußen interessanter Alphorn-Techno. Nachtisch Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Jenny Erpenbeck, Kairos. Ich hatte ihr Geschichte vom alten Kind sehr gemocht, auch hier ging es sprachlich eigenwillig los.

Vor zwei Wochen hatte ich in einem Fine-Dining-Restaurant reserviert, das ich gerne mal ausprobieren wollte und das bei vorherigen Versuchen immer schon ausgebucht war. Ein Lokal aus der Ohne-Sterne-Welt, deshalb war ich überrascht, dass ich mein Erstgeborenes verpfänden sowie mit Kreditkarten-Daten garantieren musste, dass ich echt, echt ehrlich kommen würde. Als also gestern, eine Woche vor Termin, eine Drängel-Mail kam, KÖNNEN WIR NOCH IRGENDWAS FÜR SIE TUN HABEN SIE SONDERWÜNSCHE KOMMEN SIE WIRKLICH????, musste ich pampig werden:
“Wir freuen uns auf den Abend bei Ihnen – und sind gespannt, welche weiteren Hürden wird überwinden müssen für die Reservierung und ihre tatsächlich Einlösung. Vielleicht dürfen wir nur über Ihre Türschwelle, wenn wir ein Rätsel lösen? Es wird so spannend!”

Die Gastro-Entwicklung in München, die uns schon Reservierungs-Druck für einfaches Kaffeetrinken und Zwei-Stunden-Slots für Abendessen eingebrockt hat, treibt weitere groteske Blüten.

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Hanna Schygulla gehört zu den Menschen, die beim Altern immer mehr aussehen wie sie selbst, gestern ein Porträt im SZ-Magazin (€):
“Audienz bei einer Diva”.