Journal Donnerstag, 18. März 2021 – Schreiner-Überstürzung

Freitag, 19. März 2021 um 6:52

Die Nacht mit erfreulich gutem Schlaf endete um fünf, ich ruhte noch ein wenig.

Morgenkaffee und Bloggen, während draußen wieder Schnee einsetzte, erst als Leiserieseltder, dann ernsthaft. Die Wettervorhersage verspricht nicht etwa Frühling, sondern sinkende Temperaturen in München, für Sonntag zweistellig unter Null. Kann ich die Option mit Winterschlaf nochmal sehen?

Küchenausblick – ich glaube, der wird mich noch oft entzücken.

Spaziergang in die Arbeit zwischen Schneeflocken.

Bewegung bekam ich im Büro unter anderem durch regelmäßiges Herablassen oder Hochziehen von Rollos, denn mal war das Büro superduster (Wolken, Schneefall), oder mich blendete Sonne. Mittagessen Reisnudeln vom Vorabend mit einer Avocado, sehr erfreulich.

Am Nachmittag stürzte ich in Panik: Zum einen wegen einer Aufgabe, die mich überraschte und die ich ohne Ahnung einer Lösung sehr schnell erledigen muss. Zum anderen wegen Dummheit: Ich hatte mich nachmittags mit dem Schreiner verabredet zu einer Besprechung von Details des Einbauschranls – ich ging aus irgendeinem Grund von einem Telefonat aus. Bis er mich anrief, weil er vor meiner Haustür stand und ihm niemand öffnete. Ich ließ alles liegen, warf mir den Janker über und stürzte in die U-Bahn, angestrengt nach dem schnellsten Weg nach Haus überlegend, denn das letzte Stück der gewohnten Öffi-Strecke wird derzeit wegen Gleiserneuerung nicht bedient. Ich stieg an der Theresienwiese aus und eilte zu Fuß heim. Das ging mit dem Adrenalin im Blut überraschend gut, vielleicht werde ich ja doch wieder joggen können.

Zum Glück besitzt der Schreiner ein völlig anderes Temperament als ich, er hatte freundlich und gelassen gewartet. Er sah sich in der Wohnung um, maß aus, dann setzten wir uns für Details über seiner Skizze und Materialbeispielen zusammen, er begleitete mich durch die Entscheidungen. (Alles mit FFP2-Maske, das ging gut.)

Zwei Stunden nach überstürztem Aufbruch war ich wieder im Büro (selber Rückweg wie Hin-), erledigte letzte Dinge, räumte zusammen. Auf dem Heimweg Einkäufe beim Vollcorner, halb acht ist eine deutlich leerere Zeit als sonst kurz vor sechs.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell mexikanische Tortilla mit Omelette gefüllt zum Asiasalat aus Ernteanteil, Nachtisch viel Schokolade.

Es hatte wieder Nifften-TV auf instagram gegeben, das ich hinterhergucken musste, da ich bei der Sendung am Mittwoch nicht in der Nähe eines Empfangsgeräts gewesen war. Große Rührung über die Bruderfamilie.

§

In der neuen Wohnung haben wir ein weiteres Einrichtungsproblem: Wohin mit dem Wäschetrockner? Er stand in der alten Wohnung unauffällig im Wintergarten, dazu gibt es jetzt kein Pendant (siehe Crosstrainer). Derzeit ist er provisorisch in meinem Schlafzimmer geparkt, wird dort aber in den nächsten Monaten vom Einbauschrank verdrängt. Gestern fand ich zumindest schon mal eine mögliche Lösung auf instagram – das mir ja regelmäßig von Einrichtungsfreundinnen und -freunden als Inspiration empfohlen wird, jetzt weiß ich auch warum.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 17. März 2021 – Waschmaschinen- und Pflanzensorgen

Donnerstag, 18. März 2021 um 6:33

Aufgeweckt vom Lärm eines Schneeräumfahrzeugs, weitergeschlafen. Bei Weckerklingeln zeigte das erste Licht der Dämmerung nassen Schnee auf den Bäumen.

Unangehme Entdeckung: Die am Vorabend für morgens programmierte Waschmaschine hatte nicht gewaschen, trotz aufgedrehtem Zulauf war kein Wasser geflossen. Ein paar Versuche mit Aus- und Einschalten, Auf- und Zudrehen brachten nichts, wir verschoben Weiteres auf den Abend.

Arbeitsweg mit tropfend nassem Schnee.

Ich hatte zu einem meiner dicksten Wollpullis gegriffen, da ich am Dienstag im Büro gefroren hatte. Nur dass mein Temperaturempfinden wohl derzeit wieder vom Kasperl am Regler abhängt: Ich schwanke lustig zwischen zu warm und Frieren (nein, nicht so wie bei Fieber oder Migräne). (Apropos Migräne: Ich bin kurz vor der Halb-Jahres-Marke ohne. Überlegen Sie sich das als Migränikerin nochmal mit dem Hüft-Implantat aus Titanium: Es hilft wirklich.)

Mittagessen war Hering in Currysoße aus dem Supermarkt-Kühlregal und ein Laugenzöpferl plus Orange.

Angebot der Schreinerei für den Einbauschrank angenommen. Wofür habe ich Ersparnisse, wenn nicht für etwas, womit ich die nächsten 30 Jahre zu leben gedenke?

Nach Feierabend ging ich mit kleinem Umweg heim, ich hatte das Bedürfnis nach Spaziergang. Zu Hause befassten wir uns gleich mit der Waschmaschine. Es lief einfach kein Wasser zu (einmal war die Waschmaschine vor einer Woche problemlos durchgelaufen). Alle möglichen Untersuchungen ergaben: Aus diesem Wasserhahn, an dem der Zulauf angeschraubt wird, kommt derzeit wirklich kein Wasser.

Herr Kaltmamsell bat Twitter um Rat (und erntete einen ganzen Strauß möglicher Fehlerquellen), ich telefonierte mit meinem Vater – ohne Lösung. Um wenigstens eine Maschine waschen zu können, wechselten wir den Waschmaschinenzulauf auf den Hahn der Geschirrspülmaschine – die Schnittstelle genauso aus, aber wenn man aufdreht, fließt Wasser. Es wird wohl ein Handwerker kommen müssen.

Das Abendessen holte ich wieder beim Vietnamesen und freute mich an gebratenem Zitronengras-Tofu, viel frischem Gemüse und Kräutern. Die Reisnudeln stellte ich zur Seite als Brotzeit für Donnerstag.

Dann sah ich meiner Lieblingszimmerpflanze wieder beim Beleidigtsein zu.

Sie ist mein Liebling, weil ich sie schön finde – und weil sie meine älteste ist: Die Urform hatte ich beim Auszug aus dem Elternhaus vor 35 Jahren mitgenommen. Doch sie hasst Veränderungen. Das stellte ich zum ersten Mal schmerzlich fest, als ich die damals noch kleinere Pflanze zu Studienzeiten für eine längere Abwesenheit bei einer Freundin unterstellte: Obwohl die Freundin mir versicherte, dass sie die Pflanze umsorgt und umhegt habe, Gießvolumen immer mit vorherigem Daumentest abgestimmt, warf sie alle Blätter bis auf drei von sich. Diesmal quittiert sie den Umzug mit Blattabwurf, erst werden die Blätter gelb, dann fallen sie ab.

Nach Schulbuch (und Meinung meiner gründaumigen Mutter) müsste sie umgetopft werden, doch auch auf Umtopfen hat sie bislang noch jedesmal mit Blätterabwurf reagiert. Mehr als eine grundlegende Veränderung wollte ich ihr nicht gleichzeitig zumuten. (Ja mei, andere haben Hunde und sorgen sich um jede deren Regungen.)

Aber: Herr Kaltmamsell hatte Tulpen gekauft! In zwei Vasen signalisierten sie den Frühling, den der wiederholte Schneefall vorm Fenster bestritt.

§

Wie war es wohl, als Teenager den Zusammenbruch der Sowjetunion zu erleben? Auf Twitter beantwortet @SlavaMalamud diese Frage in einem sehr aufschlussreichen Thread für sich als Beispiel.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 16. März 2021 – Baumarktbesuch

Mittwoch, 17. März 2021 um 6:44

Dann doch nochmal den dicken Wintermantel aktiviert, weil ich am Montag gefroren hatte. Fußweg in die Arbeit in erst sehr leichtem, dann starkem Schneefall, nasse Flocken.

Den Tag über schneite es immer wieder, es kam aber auch manchmal die Sonne heraus.

Kopfweh und Schwindel, wurde nachmittags zum Glück besser.

Mittagessen Hüttenkäse und Joghurt mit Orange, nachmittags eine Hand voll Nüsse und ein paar Trockenaprikosen.

Über den Tag las ich immer weitere Informationen zu den wissenschaftlichen Hintergründen des Impfstopps mit AstraZeneca – sie erklärten die Entscheidung zumindest, ließen mich allerdings weiter verwundert über die Prioritäten zurück und machten die Mutlosigkeit wenig geringer. Abends erfuhr ich von der Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA), hier ein Überblick inklusive Hintergrund auf tagesschau.de:
“‘Nutzen von AstraZeneca größer als Risiken'”.
So oder so ist die Impfaktion in Deutschland zusätzlich zu all den organisatorischen Pannen weiter verlangsamt, ich nähme übrigens auch Sputnik, hat eh den besten Namen von allen bisherigen Impfstoffen.

Nach Feierabend ging ich zum nächstgelegenen Baumarkt (Google Maps schlug mir einen genialen Schleichpfad an einem Bahngleis entlang und über ein Betriebsgelände vor, auf den ich im Leben nicht selbst gekommen wäre), um ein paar Dinge für die Wohnung zu besorgen: Seifenablagenlösung an der Dusche; anständigen Putzeimer (der den leeren Farbeimer ersetzen soll, mit dem die Putzmänner seit 21 Jahren hantieren), Klobürste fürs zweite Klo; Vorhangschiene und Gleithaken, Dotzschutz gegen Türklinke für die Klowand. Bis auf den Dotzgummi fand ich alles selbst, und zu dem wurde ich von einem hilfsbereiten Angestellten geleitet.

Herr Kaltmamsell hatte Guacamole aus den nächsten drei reifen Avocados gemacht, mit denen ich meinen ersten Hunger beim Heimkommen stillte. Als eigentliches Abendessen bereitete er den Lauch aus Ernteanteil mit Tofu und schwarzen Bohnen zu einem chinesischen Pfannengericht zu, auch dieses sehr gut.

Die Infektionszahlen steigen weiter, die Schulen bleiben offen, Landkreise beschießen, die Inzidenzgrenzen für Schließungen zu ignorieren, Margarete Stokowksis Hinweis in ihrer Spiegel-Kolumne, bitte nicht auf die vielen Flugbucher nach Mallorca wütend zu sein, sondern auf den Kapitalismus, verlangt geradezu Übermenschliches.

§

Mek, Blogger der ersten Stunde, tagebuchbloggt derzeit, das freut mich sehr.
Ein Nebenprodukt ist diese viel-verlinkte Abhandlung, aus der ich eine Menge über Drogen gelernt habe und nach deren Lektüre ich mich frage, warum ich Mek eigentlich so lange nicht mehr getroffen habe (also bereits vor Corona).
“[die Muskatnuss (und andere Drogen im Südtirol der Neunzigerjahre)]”.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 15. März 2021 – Neue Pandemie-Bedrückung

Dienstag, 16. März 2021 um 6:35

Unruhige Nacht, zumindest ohne Pausen.

Ein Tag mit supergreislichem Wetter (Regen/Schneeregen), zum Glück kam ich trocken in die Arbeit.

Mittags Avocado, rote Paprika, ein Stück Käse.

Stand der Corona-Frise.

Ratlosigkeit, wann ich Urlaub nehmen soll. Pause brauche ich, und Urlaub bedeutet für mich keineswegs automatisch Reisen. Aber ohne Aussicht auf wenigstens Ausflüge, Begegnungen mit Freunden und Familie oder auch nur Erledigungen mit gutem Gewissen – wusste ich wirklich nicht. Da ich mich zudem mit Urlaubsvertretung abstimmen muss, wird es wohl auf eine Woche vor den Pfingstferien rauslaufen und vage zwei Wochen irgendwann in den Sommerferien.

Nachmittags der Schlag, dass der AstraZeneca-Impfstoff auch in Deutschland vorläufig nicht verwendet werden soll. Auch wenn ich davon ausgehen muss, dass diese Entscheidung wohlüberlegt war, konnte ich leider die Kriterien nicht nachvollziehen, die das Risiko einer Thrombose, das nicht in entfernte Sichtweite des Thrombose-Risikos etablierter Medikamente kommt (Novalgin, Anti-Baby-Pille), höher werten als die Risiken einer Corona-Erkrankung mit all ihren Folgen. Ich verlor jegliche Hoffnung auf einen Lichtblick in Form von Impfung oder Pandemie-Eindämmung in den nächsten Monaten.

Wahrscheinlich sollte ich mich für dieses Jahr gezielt auf Urlaube daheim und mit Pandemie-Einschränkungen vorbereiten: Fahrrad überholen lassen für Ausflüge, eine Liste mit daheim erreichbaren Filmen machen, die ich gerne sehen möchte, Museen auf Online-Ausstellungen abklappern, Theater auf Online-Vorstellungen, Rezepte raussuchen, kurz: für jeden Urlaubstag Programm aufstellen. Halt ohne Menschen.

Bedrückter Heimweg, zum Glück wieder trocken, Abstecher in einen Supermarkt für Brotzeiten und Süßigkeiten.

Kirche St. Paul.

Daheim eine Runde Yoga, die auch nicht half. Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Linsen mit Roten Beten aus Ernteanteil, zum Nachtisch hatten wir noch Schokoladenspeise vom Vorabend übrig.

Vom angefragten Schreiner trafen Skizze und Kostenvoranschlag für meinen Einbauschrank ein. Ersteres war sehr erfreulich, weil er meine Ideen verstanden hatte, Zweiteres muss ich erst noch verarbeiten.

§

Was passieren kann, wenn man einen Cartoonisten als Nachbarn hat.

§

Nachhaltig impfen mit der Impfmanufaktur. (Schweizer Humor.)

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 14. März 2021 – Pop-up-Kunst im Schlafzimmer

Montag, 15. März 2021 um 6:24

Nach genügend Schlaf zu Schneeregen/Schnee aufgewacht, von kräftigem Wind schräg geblasen.

Nach gemütlichem Morgenkaffee und Bloggen zog ich Sportkleidung an. Plan war, das Bücherregal im Flur zu befüllen und dann endlich mal wieder ausgiebig Reha-Gymnastik zu treiben.

Nach gut zwei Stunden Kistenheben, leere Kisten Falten und Stapeln, Büchereinräumen und -umräumen, Leiter Hoch- und Runtersteigen, volle Kisten Neustapeln, freigewordene Fläche mit Teppich und Sesseln Ausstatten, Stapel leerer Kisten in den Keller Räumen – war das dann doch genug Workout für den Tag und die Sportkleidung verschwitzt. Der Lohn: Aus einem bestimmten Blickwinkel sieht man im Wohnzimmer keine Umzugskisten mehr.

Das Wetter war weiterhin unwirtlich, beim Semmelholen geriet ich in einen Graupelschauer. Den ganzen Tag über wechselten sich Sonne, Schnee, Graupel, Wind und Regen ab – der März übte April.

Blick aus dem Schlafzimmerfenster in einer Sonnenphase.

Zum Frühstück gab es eine der Samstag gelieferten Avocados gleich mal auf Semmel. Dann machte ich es mir im Sessel wirklich gemütlich und las liegengebliebene SZ-Magazine.

Doch noch eine Runde geräumt: Weitere leere Kartons flachgefaltet und in den Keller gebracht (nur vorübergehend, bis alle leeren Umzugskarton über ebay Kleinanzeigen o.Ä. weitergegeben werden können).

Mein Schlafzimmer wird noch eine ganze Weile auf seinen Einbauschrank für ALLES warten müssen. Gestern nutzte ich die bis auf Weiteres leere Wand dahinter, um nach vielen Jahren Besitz diesen großformatigen Druck (180cmx114cm) aufzuhängen.

“Blauer Himmel” von Sandra Anzer. Er ist ein Resultat der Zusammenarbeit des Lehrstuhls für Kunstpädagogik der Uni Augsburg mit (damals noch) MAN B&W Diesel – wo ich zu dieser Zeit arbeitete. Ein Kollege organisierte immer wieder ein Malen in der Fabrik: Studierende des Lehrstuhls kamen in die schönen alten Werkshallen, in denen riesige Schiffsdieselmotoren gebaut wurden, und malten oder zeichneten dort. Damals gehörte auch MAN Roland noch zum MAN-Konzern, auf deren Druckmaschinen wurden von einer Auswahl der Werke Drucke angefertigt – und diesen hier hatte ich für mich erbeten. Bis gestern stand er zusammengerollt in einem Eck und überstand jede meiner Wegwerf-Aktionen; ich mochte das Bild wirklich gern (wer mal in einer der Werkshallen war, erkennt das Orange der riesigen Krane sofort wieder), außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass der Druck unersetzlich ist.

Zum Befestigen verwendete ich englisches Blue-Tack, ich hatte noch den Rest einer uralten Packung. Selbst wenn die Knetklebemasse Flecken auf der Wand hinterlässt: Verschwinden ja hinter dem Einbauschrank. Das Alter des Blue-Tack macht es allerdings wahrscheinlicher, dass der Druck recht bald runterfällt.

Zeit, Muße und Platz (!) für eine Einheit Yoga, ziemlich anstrengend.

Zum Nachtmahl gab es Sauerkraut und Salzkartoffeln aus Ernteanteil, dazu Leber- und Blutwurst (gibt’s die überhaupt noch mit Speckwürfeln? habe ich möglicherweise zuletzt vor Jahrzehnten gegessen). Nachtisch Schokoladenspeise.

§

Ich fange an, Artikel über den aktuellen Streit zu “Identitätspoltik” (wann hat er diesen Titel bekommen?) zu überblättern, weil mir von allen Seiten nur noch unsachliche Zuspitzungen ins Auge stechen, auf den ersten Blick vor allem extreme Einzel-Auswüchse der Gegenseite als Argumente aufgeführt werden und nicht über die unterschiedlichen Prämissen gesprochen wird, die meiner Ansicht nach zu den unterschiedlichen Betrachtungen desselben Sachverhalts führen.

Sibylle Bergs Essay ist ebenfalls anekdotisch, doch sie fasst die derzeitige Lage zusammen, wie auch ich sie sehe:
“Debatte über Identitätspolitik
Lesen hilft!”

Viele fliegen aus der Kurve und verkehren nur noch mit Menschen, die ihnen sehr ähnlich sind. Wie alle gesellschaftlichen Veränderungen braucht auch der aktuelle Kampf für Gerechtigkeit für alle eine Aggressivität, denn viele sind es leid, die gleichen Auseinandersetzungen immer und immer wieder zu führen.

Die Wut, die Lautstärke sind verständlich, denn es ist immer ein Kampf, anderen klarzumachen, dass sie außer Gewohnheiten nichts verlieren, wenn wir teilen. Und zwar alle dasselbe: die Abhängigkeit von Arbeitgebern und die absolute Ohnmacht. Und wenn wir Kleinbürger uns die Augen ausstechen, wird es natürlich nichts mit einem gemeinsamen Gefühl dafür, was eigentlich die Macht der Massen wäre.

(…)

Bernd Stegemann hat aus der Sicht eines weißen Mannes über Wutkultur geschrieben und liefert viele gute Positionen. Die Wichtigste ist: dass hinter all den Forderungen, die im Moment scheinbar zu laut vorgetragen werden, nur eines steht: Alle sollten die gleichen Rechte haben. Gleich im Ansehen, in der Wertung, die gleichen Chancen, sich ausbeuten und unterdrücken zu lassen.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 13. März 2021 – Wiedersehen mit Schwiegers und Crosstrainer-Quietschprobleme

Sonntag, 14. März 2021 um 8:08

Gemischte Nacht, am schönsten war die Stunde vor dem Aufwachen kurz vor sieben.

Weiterhin zwischen Kisten und Zeugs, das noch seinen Platz sucht, aber endlich mal wieder möglich: Ein Stündchen Cardiotraining auf dem Crosstrainer. Er soll einmal in meinem Schlafzimmer stehen, doch dort ist vor Einbau des Wandschranks kein Platz, also haben wir ihn erst mal im Arbeitszimmer aufgestellt. Das Problem: Das Viech, ein Kettler Axos CrossM, quietscht, knackt und knarzt zum Gottserbarmen, immer schon. Gestern zog ich alle vielen Schrauben nochmal an, nach dem Transport eh eine gute Idee, doch auch diesmal blieb beim Aufsteigen das QuietschKlackerKnarz. Ich kann mittlerweile für jedes der Geräusche eine Quelle benennen: Das Quietschen kommt aus den Gelenken, das Klackern entsteht durch zu viel Spiel zwischen der Querverbindung der Griffstangen zum Mittelteil – nicht behebbar – und das Knarzen durch die Verwindung der Plastikteile bei Bewegung.

In der alten Wohnung lagen zwischen Crosstrainer und Schreibtisch Herr Kaltmamsell zwei Türen und die größtmögliche Entfernung, jetzt knarzquietsche ich anderthalb Meter davon entfernt – so kann der Mann unmöglich arbeiten. Doch solange die Schwimmbäder geschlossen bleiben und ich nicht wieder joggen kann (Letzteres zeichnet derzeit überhaupt nicht wieder ab), bleibt nur der Crosstrainer zum Auspowern. Wir haben ein Problem.

Eine Art Heimkommen: Ich sah ein Eichhörnchen in den Bäumen vorm Fenster herumklettern.

Beim Strampeln hörte ich Filmmusik, dazu gehörte auch “Delilah” von Tom Jones. Ich hörte zum ersten Mal auf den Text und bemerkte, dass hier der klassische Femizid beschrieben wird, und zwar vom Täter: “She stood there laughing, I felt the knife in my hand and she laughed no more.” Wie war das? Männer haben Angst, von Frauen ausgelacht zu werden. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen. Qed.

Wir waren zum Geburtstagskaffee bei den Schwiegers eingeladen und machten zur Sicherheit (denn ohnehin beide Symptom-frei und ohne Positiv-Fall in der Umgebung) vorher Corona-Schnelltests.

Ein Strich heißt negativ.

Ich ging noch schnell zum Basitsch für Obst und Milchprodukte, außerdem kaufte ich einen Happen Frühstück (Breze für ihn, Hanfkeks für mich). Ereignislose Bahnfahrt nach Ausgburg, dann sah ich nach über einem halben Jahr endlich wieder die lieben Schwiegers, Herrn Schwieger nach dreimonatigem Krankenhausaufenthalt. Das war sehr schön.

Es gab Sekt, Schokoladensahnetorte satt, vergnügte Stimmung, Corona-Frisuren-Vergleich: Den Herrn Schwieger hatte ich noch nie zuvor anders als mit ratzekurzen Haaren gesehen.

Daheim wartete ein Kistlein Avocados aus Málaga auf uns: Das gewünschte Ablegen vor der Wohnungstür hatte geklappt. Herr Kaltmamsell muss ab nächsten Montag wieder jeden Tag in die Schule zum Arbeiten (bei einem Inzidenzwert um die 60 im Schul-Landkreis, das sei nur der Chronik wegen festgehalten), Lieferungen wollen nun wieder gut geplant und meist an die Packstation gerichtet werden.

Die weichsten legte ich fürs Sonntagsfrühstück beiseite, die fünf zweitweichsten in eine Papiertüte mit Äpfeln zum schnelleren Reifen, die härtesten in den Kühlschrank für in zwei Wochen, knapp die Hälfte der Avocados blieb in der Kiste für dazwischen.

Vor dem Abendessen packte ich Bücherkisten aus, bestückte die Regalwand im Flur; mein Wochenendziel ist das Freiräumen einer Hälfte des Wohnzimmers, um zumindest dort angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Außerdem gehörten zu diesen Büchern unsere Kochbücher, in denen ich tatsächlich oft nachschlage und die ich entsprechend vermisst hatte.

Das Abendessen stammte aus der Hand von Frau Schwieger: Sie hatte Ochsenbackerl geschmort und uns zwei mit Soße mitgegeben. Herr Kaltmamsell schabte dazu Späzle vom Brett. Köstlich.

§

Der schottische Astrophysik-Professor Dalcash Dvinsky erzählt, wie sich sein Alltagsrhythmus im vergangenen Jahr verändert hat – durch Hund und Pandemie.
“A day in my life”.

§

kid37 gibt den Kunsthistoriker:
“1000 Meisterwerke”.

§

Es hagelt Corona-Jahrestage, das ZDF Magazin Royale hat sich den Jahrestag Ischgl vorgenommen.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/89ww_8P-26s

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 12. März 2021 – Corona-Regel-Resignation

Samstag, 13. März 2021 um 8:02

Ausreichend und ausreichend tiefer Schlaf.

Das Wetter begann mit ein paar Regentropfen, wurde dann aber eher sonnig, weiterhin windig. Arbeitstag ohne Hektik, mittags Birne mit einem Stück Käse, Orange und Mandarinen.

Nach der Arbeit nahm ich eine U-Bahn (genug Platz, alle Münder und Nasen FFP2-bedeckt) zum Odeonsplatz, ging in goldener Sonne und angemessen frischen März-Temperaturen zum Viktualienmarkt. Ich besorgte fürs Wochenende Blut- und Leberwurst, weil der Ernteanteil endlich Sauerkraut enthalten hatte (plus Kartoffeln), fürs Freitagabendessen ein Porterhouse-Steak (nicht so dick geschnitten, wie ich es gern gehabt hätte, der Metzger scheint mir das “NOCH dicker” nicht geglaubt zu haben), dazu für Freitagabend grünen Spargel (überraschend schwer zu finden, ich hatte angenommen, dass der italienische grüne Spargel bereits Saison hat) und Kirschtomaten. Und da ich bereits Hunger hatte, kaufte ich für den Aperitif ein wenig eingelegte Oliven.

Viele Läden in der Innenstadt waren erleuchtet und in Betrieb – aber man konnte wohl nicht einfach reingehen, sondern musste sich vorher einen Einkaufstermin holen. Ist mir egal, ich habe nicht vor Läden zu besuchen; was die offiziellen Corona-Regeln angeht, habe ich inzwischen resigniert: Die Infektionszahlen entwickeln sich exakt wie es die Warnungen von Expertinnen und Experten vor Lockerungen prognostiziert hatten, ich folge lieber deren Empfehlungen. Alles Weitere nach der dritten Welle oder meiner Impfung, je nachdem, was früher eintritt. Wobei mir klar ist, welches Zeichen von Privilegien es ist, mir diese Resignation leisten zu können. (Allerdings wäre ich ein bisschen entspannter, wenn meine Eltern geimpft wären.)

Anke Gröner ist wohl an einen ähnlichen Punkt angekommen:

Ich will nicht mehr auf gute Nachrichten hoffen, ich lese jetzt einfach ein halbes Jahr keine Nachrichten mehr, warte ergeben darauf, dass mein Handy pingt und mir einen Impftermin nennt, von mir aus mit Sägespänen, ich kann dieses Gefühl nicht mehr ertragen, dass unser aller Gesundheit an Bürokratie, Dokumentationswahn und Logistik hängt.

Daheim ein wenig Werkeln: Duschkopf ausgewechselt, ich hatte den aus der alten Wohnung, vor ein paar Jahren in Berlin gekauft, entkalkt und gereinigt, konnte ihn jetzt gegen den eigenartig dünnstrahligen in der neuen Wohnung austauschen. (Herr Kaltmamsell hatte gestern Vormittag die Übergabe der alten Wohnung an die Hausverwaltung übernommen, keine Beanstandungen.) Dann gab’s Negroni und Oliven.

Die Beilage zum Abendessen bereitete ich zu: Grünen Spargel mit Kirschtomaten in Alufolie aus dem Ofen. Herr Kaltmamsell briet dazu das Porterhouse-Steak. Gestern war die erste Weinlieferung an die neue Wohnung eingetroffen, es gab ein Glas Rioja (Conde de Valdemar Reserva 2012).

§

Zu #NotAllMen und warum es für das Bedrohungsgefühl vieler (zu vieler) Frauen irrelevant ist, dass ja nIcHt AlLE mäNnER Belästiger oder gar Vergewaltiger sind, schreibt Julien Cohen in einem Thread ein ganz normales Erlebnis auf, wie sie eines Abends in London von Fremden bedrängt wurde.

Die zentrale Aussage:

We can’t tell which men are safe because even the ones who are supposedly safe feel enabled to humiliate us for fun. No men are safe. Normal men aren’t safe. We are never safe because our society believes that the safety of women is not as important as the entitlement of men.

Das bedeutet nicht, dass jeder Mann sich schuldig fühlen muss. Sondern dass er die Situation der betroffenen Frauen ernst nehmen sollte und dieses Bedrohungsgefühl nicht durch “aber ich bin ja ganz anders” unberechtigt wird.

§

Zum internationalen Tag der Frau, 8. März, ließ die Zeit “22 Frauen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport erzählen, wie sie Widerstände überwunden haben”.
“Erfolgreiche Frauen:’Mich treibt das Unterschätztwerden an'”.

Doch ich merkte, dass mich auch solche Artikel inzwischen müde machen.
Zwar freue ich mich sehr an erfolgreichen Frauen, und in der Reihe sind einige, die mich begeistern – doch ich weiß nicht so recht, ob sie sich für Erfolgstipps eignen. Die Ratschläge lesen sich mal wieder wie Rezepte, denen Frauen einfach nur folgen müssen, dann haben auch sie Erfolg. Die Gefahr ist groß, dass Entscheidungen oder Verhalten nachträglich zu Gründen für Erfolg definiert werden, wo es doch Persönlichkeitsaspekte waren, die dieses Verhalten erst ermöglichten. Eine Persönlichkeit kann man sich nicht einfach draufschaffen.

Am ehesten übertragbar auf alle Persönlichkeiten ist wohl der Appell, Verbündete zu suchen, eine Verbündete zu sein. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, wie wichtig Vor-Bilder sind: “If she can see it, she can be it” heißt das Motto des Geena Davis Institute on Gender in the Media.

Als Gegenbeispiel fällt mir immer die epochale Schriftstellerin Marieluise Fleißer ein, die eben keine Erfolgsgeschichte aufweisen konnte. Zwar von klein auf durch und durch Künstlerin und mit einer unkonventionellen Persönlichkeit ausgestattet, biss sie sich halt nicht durch, sondern gab auf. Keine Erfolgsstory hier, nachdem sie von Bertolt Brecht ihren eigenen Berichten zufolge praktisch zum Erfolg gepeitscht werden musste – und zwar überhaupt nicht zu ihren Konditionen. Nach einem guten Jahrzehnt Künstlerinnenleben gab Fleißer auf: Zweckheirat in Ingolstadt, Jahrzehnte im Tabakladen ihres Ehemanns. Es war Zufall, dass Faßbinder und Kroetz sie wiederentdeckten und sie spät noch anerkannt wurde. Was der Einzelgängerin vor allem in frühen Jahren auffallend fehlte: Verbündete. Fleißers Biografie erschien mir immer ein viel nachvollziehbares Künstlerinnenleben als die Erfolgsbeispiele zum Internationalen Tag der Frau.

die Kaltmamsell