Journal Mittwoch, 18. September 2019 – Herr Kaltmamsell hat Geburtstag

Donnerstag, 19. September 2019 um 7:02

Dann doch vor dem Weckerklingeln sechs Stunden am Stück geschlafen. Das war wundervoll, reichte aber nicht: Sonst bin ich ja unerträglich morgenmunter, gestern hätte ich beim Anziehen viel darum gegeben, ins Bett zurück zu dürfen.

Aber erst mal musste Herr Kaltmamsell geherzt, geküsst und beglückwünscht werden: Er hatte Geburtstag.

Draußen wieder Sonne, ich kleidete mich noch mal in sommerliches Weiß. Beim Parken des Fahrrads fragte mich eine andere Radlerin durchaus entgeistert, ob mir nicht kalt sei. Da ich eine zugeknöpfte Jeansjacke über langärmligem Shirt, eine über-knie-lange Hose und Halbschuhe trug und wir noch weit von Frost entfernt sind, konnte nur der sommerliche Stil Auslöser ihrer Frage gewesen sein.

Umtriebiger Arbeitstag, mittags Brotreste und Käse, ein paar Trauben. Eine meiner kleinen Internetfreundinnen hatte entdeckt, dass auf der Plattform der VG Wort die Ausschüttungsbriefe für 2018 bereit standen: Ich werde mein Blogheinzelmännchen wieder zu einem sehr großzügigen Essen einladen können.

Nach Feierabend war ich mit Herr Kaltmamsell vorm Dallmayr verabredet: Wir wollten ein Gutscheingeschenk für ein Geburtstagsfestmahl aus Feinkost einlösen.

Aber erst mal Abenteuer: Ich parkte mein Fahrrad hinterm Rathaus erstmals im einzigen zweigeschoßigen Fahrradständer, den ich in München kenne – oben! Das ging erstaunlich leicht, brauchte nur ein wenig Überwindung (man muss die Halterung erst mal zwei Meter rausziehen und runterklappen, allerdings ohne Kraftaufwand, dann das Fahrrad einstellen und samt Halterung wieder ein- und hochschieben).

Da ein Dallmayr-Einkauf bislang immer eine Plastikschalen und -dosen-Schlacht gewesen war, hatte Herr Kaltmamsell zumindest für die Teilchen unter Aspik unsere eigene Plastikdose dabei, die gerne akzeptiert wurde. Für die Feinkostsalätchen nahmen wir die des Hauses, doch uns wurde ausführlich erkärt, dieser Kunststoff bestehe aus Milchsäure und sei wirklich echt ehrlich kompostierbar (es wird sich wohl um diesen Biokunststoff handeln). Die Dallmayr-Papiertüten wurden uns an jeder Station angeboten (wenn ich mir das Straßenbild ansehe, sind sie wohl in München immer noch begehrt), doch wir hatten ja unsere Rucksäcke dabei.

In erster Linie ging es aber auch gestern um Leckereien. Wir sahen uns erst mal gründlich um, nach abgeschlossenem Umbau hatte ich noch nicht ausführlich beim Dallmayr eingekauft. Alles sehr schön, auch wenn ich das Wasserbassin vermisste. Erst kauften wir Häppchen und Feinkost, dann Prager Schinken (frisch vom Bein geschnitten), Lachstartar und Foie gras (letzteres für eine spätere Mahlzeit), italienisches Brot.

Damit spazierten wir durch die sinkende Sonne nach Hause – und feierten Herrn Kaltmamsell.

(Hier die Tafel von der anderen Seite.)

Früh ins Bett, wir waren beide sehr müde.

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Die grausame Vergangenheit Europas im 20. Jahrhundert ist nicht nur in den regelmäßigen Bombenfunden bei Bauarbeiten gegenwärtig.

“Joachim Kozlowski birgt die Toten des Zweiten Weltkrieges”.

via @claudine

Besonders interessant fand ich die Details, die die Auswirkung der neuzeitlichen Kriegsführung auf den Umgang mit Gefallenen beleuchten – auch das änderte sich durch den industriellen Krieg:

(In Brandenburg) fanden die größten Schlachten auf deutschem Boden statt. Als endlich Frieden war, hatte die DDR kein Interesse an den Toten dieses Krieges, insbesondere, wenn sie der Wehrmacht angehörten. Oft blieben sie, wo sie gefallen waren. Anders als im Westen, wo die meisten Toten inzwischen geborgen und auf zentralen Grabanlagen umgebettet wurden.

Die ersten dieser Anlagen wurden bald nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtet. Damals war der Ruf der Hinterbliebenen immer lauter geworden, die toten Väter, Söhne, Brüder mögen endlich heimgeholt werden. Aber angesichts von etwa zwei Millionen Gefallenen sah sich das ruinierte Deutsche Reich 1919 außer Stande, diese Aufgabe zu leisten. Und selbst wenn, von Granaten zerrissene Körper sollten zu Hause niemandem zugemutet werden.

Also wurde beschlossen, Kriegsopfer bleiben in den Ländern, in denen sie zu Tode kamen. Internationale Abkommen sichern ihnen ein dauerndes Ruherecht. Die Pflege der Soldatenfriedhöfe im Ausland übernahm der Volksbund in Zusammenarbeit mit örtlichen Helfern. Heute, 100 Jahre und einen weiteren Weltkrieg später, pflegt er die Gräber von 2,8 Millionen Menschen in 46 Staaten.

Leider muss der Artikel auch darauf eingehen, wie dieses Gedenken von Rechtsextremen verdreht und missbraucht wird.

§

Viel gelernt aus dem Twitterthread, der so beginnt:

Sometimes other white folks ask me the best way to be less of a Clueless White Person without demanding people of color expend effort teaching them, and I have a suggestion that will absolutely work. You won’t wanna do it, but I’m going to tell you anyway.

Besonders ertappt fühlte ich mich bei

In theory, being a woman should make it hard for me to speak up, but I was lucky; I missed that conditioning. My upbringing was largely free of sexism. So I have a very “white dude” tendency to talk over people, and it takes effort to just listen. But it’s so, so worth it.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 17. September 2019 – Aufs Rad umgestiegen

Mittwoch, 18. September 2019 um 7:02

Schlechte Nacht.

Wie geplant mit dem Fahrrad in die Arbeit – ging gut, auch wenn ich rechts wegen Hüftschmerzen nicht so kräftig in die Pedale treten kann.

Nach einem bewölkten Tagesbeginn wurde das Wetter nochmal schön, es hatte allerdings abgekühlt.

Den ganzen Tag fühlte ich mich knochenmüde und benommen – aber hey: Das hatte ich auch schon ohne Qualnächte. Obwohl es draußen abgekühlt hatte, war es im Büro ungewohnt warm (nein, nix mit Wechseljahren, die 19-Jährige gegenüber glänzte und ächzte wie ich).

In manchen Bereichen der Arbeit werde ich richtig gut im Klappehalten. Am besten gelingt mir das in Besprechungen, am wenigsten in Fachgesprächen zu zweit.

Mittags Brot, Käse, Zwetschgen, nachmittags ein Eiweißriegel.

Den Donnerstags-Rehatermin hatte ich auf gestern vorverlegt, weil am Donnerstagabend ein lange vereinbarter Friseurtermin liegt. Die Gymnasikrunde in der Gruppe enthielt wenigstens angemessene Übungen, doch Detailerklärungen, Beobachtung, individuelle Korrektur scheinen nicht zum Programm zu gehören. Wenigstens wirkte die gestrige Vorturnerin nicht so schmerzhaft gelangweilt wie die meisten ihrer Kolleginnen.

An die Geräte im Maschinenraum ließ mich das System erst mal nicht: Der Bildschirm forderte mich auf, meine Gewichte neu einstellen zu lassen. Ein Trainer erledigte das in Rücksprache mit mir auf seinem Trainerrechner, ich ließ natürlich überall etwas drauflegen (an der Beinpresse, die nicht computergesteuert ist, hatte ich das bereits beim dritten Training selbst gemacht). Jetzt absolvierte ich meine Runde, weiterhin sehr müde.

Wenigstens war ich mit dem Rad schnell daheim. Herr Kaltmamsell hatte aus Ernteanteil Fenchel-Zucchini-Suppe gemacht, nach zwei Tellern davon gab es den am Vorabend vergessenen Zwetschgenröster mit Schlagsahne.

Ich verabschiedete mich früh ins Bett (dann doch mal wieder Ibu) und hoffte auf eine bessere Nacht.

§

Julia Felicitas Allmann geht die Frage systematisch an und achtet darauf, den Bias der eigenen Seite zu berücksichtigen.
“Sind Rechte wirklich dümmer als Linke?”

Wahrscheinlich kennt jeder Mensch mit tiefen politischen Überzeugungen dieses Gefühl: Das können “die anderen” unmöglich ernst meinen! Verstehen die nicht, was sie da sagen? Sind sie vielleicht einfach zu dumm, um es zu checken?

Das linksgerichtete Lager gibt sich gern intellektuell, das konservative hält sich dagegen für “realistisch” und “bodenständig”.
Das sind die Vorurteile gegenüber Rechten und Linken.

Sind das nur arrogante Thesen – oder ist da wirklich etwas dran?

§

Juan Moreno, der die Relotius-Lügen aufgedeckt hat, hat jetzt ein Buch darüber veröffentlicht. Im Spiegel gibt es einen Auszug daraus:
“‘Claas Relotius war nie Reporter'”.

Würde man mich fragen, welche Farbe der Reporterberuf hat, meine Antwort wäre: grau. Mattes, kaum polierbares Grau. Ein Reporterleben besteht zum großen Teil darin, Leid, Schmerz und Problemen nachzureisen, sich danebenzustellen, einen Stift und Block zu zücken und das aufzuschreiben, was man sieht. Der Schmerz der anderen, das ist Reporter-Rohstoff. Das ist nicht sonderlich glamourös. Manchmal besuche ich auch Menschen, denen es besonders gutgeht, oder die Glück gehabt haben, aber Leser mögen solche Geschichten nicht. Viele behaupten zwar, dass sie das gern lesen, es stimmt aber nicht. Zweifler mögen einen beliebigen Online-Redakteur fragen, worauf Nutzer “klicken”. Jeder Online-Redakteur kann zu seinen Klickzahlen einen Vortrag halten. So wie jeder Fernsehredakteur einen über Einschaltquoten halten kann. Denn was passiert regelmäßig in Nachrichtensendungen, wenn auf einen erschütternden ein positiver Beitrag folgt? Die Zuschauer schalten ab. Brennende Häuser, ertrinkende Flüchtlinge, keifende Diktatoren, alles kein Problem. Aber zwei gute Nachrichten hintereinander, und der Zuschauer ist weg.

§

Eine Folge meiner Überzeugung nach: Ende Mai war die Aufmachergeschichte des SZ-Magazins eine über Frauengesundheit (leider immer noch 1,99€, deshalb hatte ich das damals nicht sofort gepostet):
“Was Frauen krank macht”.

Der auffallende Einstieg von Mareike Nieberding:

Hier könnte die Leidensgeschichte einer Kranken stehen. Zum Beispiel die Geschichte einer der Frauen, die an den Nebenwirkungen von Digoxin starben – einem Wirkstoff, der Männern helfen und Frauen schaden kann, was Ärzte nicht wussten, da Digoxin wie viele Medikamente lange nicht an Frauen getestet worden war, weshalb es jahrelang beiden Geschlechtern verabreicht wurde. Ein Einzelfall, an dem im Kleinen das große Ganze erzählt werden kann.

Berichte über Kranke sind oft Berichte über Schicksale. Aber dass Frauen zwar länger leben als Männer, jedoch öfter an Herzkrankheiten sterben, dass sie mit akuten Schmerzen in der Notaufnahme durchschnittlich 16 Minuten länger auf schmerzstillende Mittel warten müssen als Männer und dass Ärzte sie laut einer Studie der Universität Harvard von 2016 schlechter behandeln, als Ärztinnen das tun – das alles hat nichts mit Glück oder Pech, Schicksal oder Zufall zu tun. Es ist keine Frage des individuellen Leidens, sondern des strukturellen Versagens.

Nieberding verweigert sich der klassischem Rutsche in einen Sachartikel, die jeder Journalistin beigebracht wird: Was konkret Menschliches, Emotionales, um die Leserinnen und Leser in den Text zu ziehen. Und macht transparent, warum das dem Thema unangemessen wäre. Ein echter Gegen-Spiegel.

§

Thema Haustiere: Ich habe da einen neuen Wunsch. (Allerdings bin ich immer noch unentschieden, auf welcher Seite der Leine ich am liebsten stünde.)

die Kaltmamsell

Journal Montag, 16. September 2019 – Ursachenausschlusstour und Stephen King, The body

Dienstag, 17. September 2019 um 7:01

Schlechte Nacht. Langsam leidet meine Aufmerksamkeit tagsüber.

Morgens hatte ich erst mal einen Gynäkologinnen-Termin, ich bin auf Ursachenausschlusstour. Ergebnis: Gynäkologisches kann ich schon mal ausschließen. Auf die Praxis war ich beim Vorbeigehen aufmerksam geworden (mein langjähriger Gyn in Augsburg ist mittlerweile in Rente), und auf deren Website hatte ich erfahren, dass sie erst im Juli von einer erfahrenen Klinik-Gynäkologin übernommen worden war. Außerdem war die Website völlig frei von allen “alternativen” Angeboten – das sah mir kompetent aus. Im Behandlungszimmer wünschte ich Dr. Gyn alles Gute für den Start, sie gestand, dass Vieles noch ungewohnt für sie sei. Im weiteren Gespräch führte sie ein Beispiel auf: Verkaufsgespräche. Die Ultraschall-Untersuchung müsse ich nämlich, wenn gewünscht, selbst zahlen – darüber war ich aber schon an der Empfangstheke informiert worden.

Mühsamer Fußweg in die Arbeit durch einen sonnigen Sommermorgen. Ich beschloss, für den Arbeitsweg künftig erst mal aufs Fahrrad zu wechseln, bis ich die Mitgliedschaft im Ministry of silly walks aufgeben kann. (Neues Feature längerer Fußmärsche: Seitenstechen vom völlig verkrampften Gehen.)

Highlight des Nachmittags: Eine der angefragten Anfasserinnen rief zurück – und nächsten Montagnachmittag habe ich einen Termin! Da man mich hier in der Arbeit seit Wochen immer schlimmer humpeln sieht, hat sicher jeder und jede Verständnis, wenn ich mitten in der Kernzeit für zwei Stunden ausstemple.

Nach der Arbeit war es schwül geworden, der Himmel zog zu. Ich machte einen Umweg über den Vollcorner-Laden, um noch ein paar Dinge für den Abend zu besorgen: Die Leserunde traf sich bei uns.

Herr Kaltmamsell hatte aus Ernteanteil Kartoffelsuppe gekocht, außerdem gab es Käse, Trauben, selbst gebackenes Brot – den Zwetschgenröster mit Sahne zum Nachtisch vergaßen wir beide.

Die Runde unterhielt sich über Stephen King, The Body, ursprünglich veröffentlicht mit drei weiteren Kurzromanen/Novellen im Band Different Seasons. Doch wir waren uns einig, dass er durchaus als Roman bestehen konnte, allen hatten die Geschichte um die vier zwölfjährigen, vernachlässigten Buben im ärmlichen Neuengland 1960 sehr gut gefallen. Ich hatte sie vorher schon mindestens einmal gelesen, diesmal war mir der rote Faden aufgefallen, den King um die Lesererwartung spinnt, wie viele der vier das Abenteuer wohl überleben werden. Foreshadowing ist ja fast ein Markenzeichen von King, hier streut er geschickt Ausblicke auf die Erzählgegenwart, die mit der Lesererwartung spielen, bis er endlich explizit auflöst: Alle werden diese Geschichte überleben – aber halt nicht lange.

Wie jeder wirklich große Roman ist The Body nicht perfekt: Die erste Binnengeschichte kommt unvermittelt und unerklärt, ist zudem ziemlich schlecht – der Erzähler rezensiert sie im Anschluss auch gleich recht ungnädig. Dafür ist die zweite Binnengeschichte (der pie eating contest) umso besser eingebunden (der Erzähler erzählt sie in der Vergangenheitshandlung am Lagerfeuer), großartig geschrieben – und gibt gleich im Anschluss eine Lektion in reader response: Zuhörer Vern ist wütend, weil der Erzähler ihm die Auskunft verweigert, wie sie nach dem Ende weitergeht, das sei Sache des Zuhörers.

Zudem brillant: Die Schilderung der Kinder und ihrer familiären Hintergründe, das gesellschaftliche Umfeld, in dem auf keinen Erwachsenen Verlass ist, die Dynamik von Kinderfreundschaften, die Macht der Fantasie.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 15. September 2019 – Sonnentag mit Augsburger Familie

Montag, 16. September 2019 um 6:53

Gut geschlafen! Ich musste zwar wieder eine Stufe einrichten, doch ich schlief auf zweimal und tief.

Nach dem Bloggen Sportprogramm vor Familienbesuch in Augsburg: Faszienrolle, 45 Minuten auf dem Crosstrainer, 30 Minuten Rundum-Kräftigung. Letzteres wieder deutlich eingeschränkt, einst einfache Übungen gehen durch Hüftbehinderung nur noch langsam und mit wenig ROM.

Als ich gerade geduscht war, klingelten meine Eltern: Sie hatten angekündigt, dass sie Zwetschgen vom Baum vor ihrem Haus vorbeibringen würden – die besten, die ich kenne. Es war nur Zeit für eine Umarmung und ein wenig Informationsaustausch, dann machten ich mich mit Herrn Kaltmamsell auf den Weg zum Bahnhof. Pünktliche Abfahrt, pünktliche Ankunft, angenehmer Zug.

Diesmal holte uns Frau Schwieger am Bahnhof Haunstetter Straße ab: Herr Schwieger liegt verletzt im Krankenhaus. Wir fuhren zu einem italienischen Restaurant im Gewerbegebiet Haunstetten, aßen auf der sonnig-warmen Terrasse verschiedene Pastagerichte (ich hatte Canneloni mit Spinat und Ricotta gefüllt) und ließen uns von einer Donau-Schifffahrt erzählen – die eben in einem Krankenhaus in Krems geendet hatte. Mittlerweile liegt Herr Schwieger aber in einer Klinik in der Nähe, und dort besuchten wir ihn. Es geht ihm gut, er zeigte uns begeistert, wie er das Fernsehprogramm von seinem heimischen Fernseher auf seinem Handy und Tablet angucken kann (82-jähriger absoluter Technik-Fex: Man erzähle mir nichts von Alter als Zugangshindernis für neue Technik, das Hindernis besteht in mangelnder Offenheit).

Zuhause bei Schwiegers gab es noch frischen Zwetschgendatschi und wir wurden mit verschiedenen Marmeladen und Fruchtgelees versorgt. Durch den prächtigen Sonnentag spazierten wir zur Tram, die und zum Zug zurück nach München brachte. Ich las Kings The body aus und freute mich auf das Gespräch in meiner Leserunde über diesen vielschichtigen Kurzroman.

In unserer Wohnung wartete ja der Korb voll elterlicher Zwetschgen: Während Herr Kaltmamsell sie für Zwetschgenröster nach Schuhbeck entsteinte, machte ich wie geplant mal wieder BaNuSchoko-Granola.

Abendessen aus Herrn Kaltmamsells Hand: Nudeln mit Vulkanspargel (die Bezeichnung gefällt mir besser als Puntarelle) aus Ernteanteil.

Gehen und Treppensteigen war den ganzen Tag über sehr schlecht gegangen, ich präparierte mein Bett gleich mal für Stufenlage.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 14. September 2019 – Ausgebremster Sonnentag

Sonntag, 15. September 2019 um 8:25

Zu den wachhaltenden Hüft-Bein-Schmerzen gesellte sich in der Nacht Kopfweh. Als es sich morgens auch mit Ibu nicht bekämpfen ließ, mir zudem übel wurde und ich ständig gähnte (erst seit dem BR-Artikel nehme ich letzteres als Symptom ernst, was ich mir sonst immer nur dachte), war klar: Migräne. Also Triptan-Spray, im Bett nochmal die Unterschenkelstufe an die beste Stelle geschoben und Schlaf gesucht.

Um elf war das Schlimmste vorbei, ich konnte aufstehen und traurig darüber werden, dass an diesem herrlichen Sonnentag halt kein letztes Freibadschwimmen stattfinden würde. Dafür war es nach elf auf dem Balkon warm genug für Morgenkaffee draußen.

Der Tag ging weiter ohne die Schwimmrunde (deren Ausfallen mich wirklich arg schmerzte): Erst mal Wäschewaschen.

Ich duschte mich und machte mich fertig für Einkäufe in der Stadt, suchte mit Freude nochmal sommerliche Kleidung aus (das dünne, gestrickte Leinenoberteil ist löchrig und schon mehrfach geflickt, nach diesem Einsatz muss ich es wegwerfen).

In der Sonne schlenderte ich durch die Sendlinger Straße (das Thermometer am Juwelier Fridrich zeigte im Schatten 23 Grad an), bog zum Rindermarkt ab.

An der Kasse vom Alten Peter stand eine lange Schlange (den alten Mann hinter mir, der “Scheiß Touristen!” knurrte, versuchte ich durch Blicke und “Ach, genga’S…” zu beschwichtigen), bei Zöttl gegenüber holte ich Laugenzöpferl zum Frühstück. Am Viktualienmarkt schaute ich bei einer Café-Bude vorbei, ob dort vielleicht noch ein Freund mit seiner Schwester beim allwöchentlichen Treffen stand (tat er nicht), und ging dann rüber ins Eataly, um Wein zu kaufen. Das alles wirklich langsam und bedächtig, da mich die Migräne noch benommen machte.

Rückweg übers Glockenbachviertel, wo ich beim Wimmer zusätzliche Semmeln (“Kernige”) fürs Frühstück kaufte. In den Auslagen aller Geschäfte hatte sich sich das drohende Oktoberfest niedergeschlagen, möglicherweise sind Skaterläden die einzigen Bekleidungsgeschäfte, deren Ware im Schaufenster nie angetrachtelt ist.
Ich mag Skaterläden.

Wieder war meine Zeitung nicht geliefert worden. Beim Frühstück las ich meine Twitter-Timeline der vorhergehenden 22 Stunden (es war mittlerweile nach drei Uhr), setzte mich dann zum Lesen auf den Balkon. Immer wieder wehte ein wenig Brise vorbei, ich steckte meine Nase hinein und atmete tief ein. Die Migräne-Benommenheit war durch eine post-migränale lyrische Milde abgelöst worden, die mich Licht und Anblicke besonders tief genießen ließ.

Die Kastanien leiden heuer so wenig unter der Miniermotte wie seit Jahren nicht.

Ich las für meine Leserunde Stephen Kings The Body, genau im passenden Moment die Passage:

September days always seemed to end much too soon, catching me by surprise – as if it was something inside my heart expected it to always be June, with daylight lingering in the sky until almost nine-thirty.

Gegen halb acht reichte das Licht wirklich nicht mehr zum Draußenlesen. Ich sah noch ein wenig den Fledermäusen zu.

Herr Kaltmamsell sorgte wieder für Abendessen: Es gab Orecchiette mit Broccoli und frischer roter Chilli (beides aus Ernteanteil), köstlich. Und viel Schokolade.

§

Kluges von Jutta Allmendinger über den notwendigen Wandel der Arbeitswelt:
“Sozialstaat 2.0”.

Kindheit und Jugend bereiten auf die Erwerbsarbeit vor, im Alter erholt man sich. Dieses männerorientierte Arbeitssystem ist überholt.

(…)

Ist unsere sozialstaatliche Ordnung wirklich zu feiern? Wird sie nicht seit vielen Jahrzehnten künstlich am Leben erhalten, da wir uns scheuen, die Fundamente des bismarckschen Sozialstaats neu aufzustellen, zeitgemäße Leitplanken einzuziehen? Mindestens drei moderne Entwicklungen sprechen für eine solche Neuausrichtung: die Erwerbstätigkeit von Frauen, der technologische Wandel und die längere Lebenserwartung bei guter Gesundheit.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 13. September 2019 – Radeln unter Vollmond

Samstag, 14. September 2019 um 12:40

Die Nacht wieder auf der Seite Höllenritt, Erleichterung und zerstückelten Schlaf brachte die wieder aus Handtüchern und Kissen gebaute Stufe unter die Unterschenkel. Ich bin jetzt auf der Jagd nach einer der empfohlenen Anfasserinnen und arbeite die Liste ab (man ruft in der Branche vielleicht nicht gern zurück?).

Schon am Vorabend hatte ich mit Herrn Kaltmamsell nachgedacht, wie sich der angekündigte Spätsommerabend am Freitag würde nutzen lassen: Mir waren als Möglichkeiten eingefallen Schnitzelgarten, Grieche mit lauschigem Innenhof in Untersendling (beim Vorbeigehen entdeckt und gemerkt), Romans in Neuhausen mit seinem bezaubernden Außenbereich. Gestern Morgen wusste ich, was ich mir wünschte: Romans. Vormittags sicherte ich mir telefonisch einen Tisch.

Wie schon am Morgen zuvor war keine Zeitung geliefert worden, ich lieh mir für meine Mittagslektüre das Abteilungsexemplar aus.

Aus Logistikgründen trug ich ein ärmelloses Kleid: Ich hatte es vor Wochen schon einmal getragen, wollte es so nicht einwintern (Körperabrieb vergrößert angeblich die Mottengefahr). Nur so angetragen wollte ich es aber nicht bereits waschen und bügeln (Faulheit). Also war ich sehr dankbar, dass die Temperaturen eine letzte Möglichkeit boten. Danach kann das Kleid in die Wäsche, alle reinen Sommersachen sind dannn frisch gewaschen und können in ein paar Wochen in die Winterkiste verräumt werden.

Von draußen kam sonniger Sommergeruch durchs Bürofenster und machte mich regelrecht ekstatisch. Mittags stellte sich die kleine der beiden grünen Paprikas aus Ernteanteil als Chilli heraus – zum Glück nicht allzu scharf. Dazu Brot, Joghurt mit Latwerge.

Auf dem Heimweg ging ich bei der Bank vorbei. (Übrigens hat sich die Steuergeschichte mit der angeforderten “Einnahmenüberschussrechnung” geklärt: Herr Kaltmamsell hatte sich am Montag im Servicecenter des Finanzamts – jahaha, das gibt es – beraten lassen und weiß jetzt Bescheid. Auch ohne Verbiegen hätten wir dieses Jahr eigentlich weniger Steuern zahlen müssen. Dieses Jahr gehen noch ein paar zusätzliche Euros staatlicher Fördergelder auf uns, nächstes Jahr machen wir dann alles korrekt.)

In der Schillerstraße holte ich das Paket mit den in England bestellten Stiefeln ab. In diesem Computerschrauberladen (für diese Sorte Laden war die Gegend einst berühmt) und auf der Schillerstraße selbst hatte ich mein Wohnviertel wieder arg lieb: So viele verschiedene Menschen unterschiedlichster Herkünfte, im Laden versuchte mir der eindeutig nicht hiesige Ansprechpartner (hallo? das war ein osnabrücker Zungenschlag!) gleich noch seine Computerdienste anzutragen (“Wenn’Se mal irgendwelche Probleme haben…!”), an der einen Ecke wurde salaamt, an der nächsten merhabat, die vergangenen Jahre haben die Menschenmischung nochmal deutlich verändert. Ich muss mich anstrengen nachzuvollziehen, dass der Geschäftsführer eines anrainenden Hotels berichtet, so manche seiner Gäste (selbst von ganz woanders) fühlten sich dadurch verunsichert und bedroht – wenn ich ihnen nicht unterstellen will, dass sie bereits eine andere als ihre eigene weiße Hautfarbe als Bedrohung empfinden.

Daheim schnell ein wenig frisch gemacht, mit Herrn Kaltmamsell aufs Fahrrad gesetzt und Richtung Neuhausen aufgebrochen. Überall sahen wir, wie die Eichkätzchen gerade sehr wichtig unterwegs sind und Wintervorräte sammeln. Die Hackerbrücke war voll besetzt.

Ein wundervoller Abend im Romans. Wir saßen so lauschig wie erhofft im schön möblierten Außengarten unter Kastanien und Schirmen. Ich hatte eigens eine frühe Uhrzeit gewählt, damit wir auch jetzt Mitte September noch das Abendlicht erlebten (das wären im Juli anderthalb Stunden später gewesen).

Als Vorspeise aß Herr Kaltmamsell Makrelentartar, ich eine Erbsen-Fenchel-Suppe.

Als Hauptgericht sieht man (mit etwas Anstrengung) auf meinem Teller eine Wolfsbarsch-Roulade in Salatblatt gegart, rechts einen gefüllten Artischockenboden, darüber Tomaten und Vongole, auf dem Teller oben Kaninchenkeule auf gegrillter Polenta mit Pfifferlingen und Kartoffel-Erbsenpüree. Schmeckte alles sehr gut, wenn uns auch die Teller zu unitalienisch überladen waren (das wären in Italien jeweils mehrere Gänge gewesen) – mindestens zwei Bestandteile hätte man in beiden Fällen weglassen können. Dazu hatte ich uns eine Flasche schlichten sardischen Vermentino bestellt.

Zum wiederholten Mal schaffte ich meine Portion nicht, ich fand auch keinen Dessertmagen sondern bestellte zum Abschluss nur Cynar. Auf meine Bitte ließ sich Herr Kaltmamsell einen Espresso kommen, damit ich daran riechen konnte.

Wundervolles Heimradeln unter klarem Nachthimmel mit Vollmond.

§

1. Es gibt einen Facebook-Kanal “Savage Paramedics” – das finde ich bereits großartig.

2. Sie haben eine “Tetris Challenge” ausgerufen. Hier gibt’s Bilder vom ausgepackten und sortierten Inhalt von Rettungs-, Polizei- und Feuerwehrwagen, inklusive Personal. Noch großartiger!

via Techniktagebuch-Redaktionschat

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 12. September 2019 – Fragwürdiger Reha-Sport

Freitag, 13. September 2019 um 7:03

In drei Blöcken dann doch ganz gut geschlafen – was nicht absehbar war, als ich zunächst vor Schmerzen nicht einschlafen konnte und vor Wut um mein Bett sprang in der Hoffnung auf Lockerung der schmerzhaften Verklemmungen.

Nebenwirkung meines Humpelns, Watschelns, Eierns: mehr Schritte. Die Zahl auf dem Schrittzähler meines Telefons ist allein schon für den Weg zur Arbeit und zurück etwa 20 Prozent höher als bei unbelastetem Gehen. (Um den doofen Spruch meiner Freundin Gisi zu wiederholen, die ich fürs große Rosenfest leider nicht wiedergefunden habe: Jedes Ding hat zwei Schattenseiten.)

Mittags ein Zöttl-Laugenzöpferl und Dickmilch mit Latwerge (nur noch anderthalb Gläser bis zur nächsten Zwetschgenlieferung), Nachmittagssnack ein Eiweißriegel.

Pünktlicher Feierabend, um zur Nach-Reha zu gehen. Die Gymnastikrunde wieder verheerend: I’m not an expert, but1 – zum Aufwärmen für eine Gruppe Bandscheiben-Geschädigter und Hüftoperierter Jumping Jacks? Aber das war nur ein Blödsinn, zudem wurde weder hingeschaut noch korrigiert. Jajaja, ich gebe es an die Leitung weiter.

Die Maschinenrunde absolvierte ich wieder ein wenig schneller, indem ich die Pause zwischen den Sätzen etwas abkürzte. Aber insgesamt bezweifle ich weiter die Sinnhaftigkeit der Maßnahme bei einer Patientin (mir), die eine gut trainierte Muskulatur hat. Ich nehme sie halt als die eine Krafttrainingseinheit, die ich schon immer als Basis-Sportprogramm für die Woche einplane. Das einzige Gerät, das mir wirklich Neues bringt, ist ein Gestänge mit Wackelboden, in das ich mich mit den Füßen auf einer Linie voreinander stelle, um so einen Ball von der einen Hand in die anderen zu übergeben und wieder zurück: Das fällt mir so schwer, dass ich leicht vom Nutzen zu überzeugen bin.

Heimweg in wundervollem Abendlicht mit noch wundervollerer Spätsommerluft, angereichert durch die eine oder andere Herbstnote. Auf der Theresienwiese ist die Spannung vor dem Oktoberfest immer stärker spürbar, seit ein paar Tagen werden auch die Fahrgeschäfte aufgebaut. Noch acht Tage bis Armageddon.

Daheim gab es Ernteanteilsalat (bereits von Herrn Kaltmamsell gewaschen) mit Tahinidressing (von mir – auch wenn Herr Kaltmamsell der eindeutig bessere Koch ist: Salat kann ich besser). Danach große Mengen Schokolade (derzeit haben mich die Tüten mit Miniversionen von Schokoriegeln von Mars über Twix bis Bounty).

In der Post war die nächste Ladung als Schöffin zu einer Amtsgerichtsverhandlung im Oktober, ich freute mich.

Fürs Techniktagebuch schrieb ich noch ein modernes Büroabenteuer auf:
“Mein Schreibtisch hat Bluetooth”.

§

Gestern viel verlinkt in meinem Internet: Ein Aufsatz im Spiegel.
“Sohn eines NS-Verbrechers über AfD-Rhetorik
Da spricht ja mein Vater!”

Wir Deutschen wurden durch unsere Massenverbrechen während des “Dritten Reiches” zu einem auserwählten Volk: Wir wissen genau, dass mangelnde Zivilcourage, fehlendes Mitgefühl und verabscheute Toleranz zu Diktatur und Vernichtungslagern führen. Dennoch berauschen sich bestimmt so manche AfD-Sympathisanten – auch dank Gaulands Verkürzung der zwölfjährigen Massenmordorgie zum “Vogelschiss” – wieder an Tiraden, die mein Vater vorformulierte. Der schrieb ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs: “Ich glaube an den Deutschen Geist. Er wird uns emporheben aus diesem Elend, in das uns der verrohte, sinnlos aufgehetzte Pöbel stürzen wird. Bei Gott, dieser Mob wird einmal leicht zur Ordnung gebracht werden. Nur durch die Diktatur wird Deutschland gerettet werden.”

(…)

Nur Demokratie kann Menschlichkeit garantieren.

§

Ein Hintergrundartikel des Bayerischen Rundfunks zum Forschungsstand und zu Mythen:
“Nein, Migräne sind nicht nur starke Kopfschmerzen”.

via @Holgi

§

Die (inzwischen ehemalige) Notaufnahmeschwester besucht eine greise Bekannte im Krankenhaus und macht sich so ihre Gedanken über den letzten Abschnitt eines langen Lebens:
“Der Rest ist Gnade”.

  1. Eigentlich wird geraten, Sätze nicht zu beenden, die man so anfängt, gell. []
die Kaltmamsell