Auf dem Weg in die Arbeit blauer Himmel und davor ein großer Möwenschwarm über der Theresienwiese. Der Tag blieb sonnig.

Ich hatte meinen Turnbeutel dabei, um nach pünktlich abgeschlossener Arbeit zumindest zu meiner wöchentlichen Dosis Krafttraining zu kommen. Doch ich hatte zu viel Arbeit und zudem Dezember, ich kam erst spät raus.
Aber: Zum Abendbrot endlich heimischer Christkindlmarkt am Sendlinger Tor (dieses Jahr durch die U-Bahnhof-Baustelle beschnitten) mit Regensburger spezial und einer Portion Pommes.

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Mittags sah ich diesen Tweet via @DonnerBella und beantwortete ihn:

Mich erwischte, wie wenig Heroik und Geschichten dahinter stecken (im Gegensatz zu manch anderen Antworten auf die Frage): Meine Großeltern kämpften einfach bloß darum, irgendwie über die Runden zu kommen. Keine Heldentaten, kein gesellschaftliches Engagement. Deshalb hier ein wenig ausführlicher, weil doch gerade diese erbärmlichen, kleinen Leben nie zu Romanen werden.
Polnischer Großvater: Ich habe mich für den Mann entschieden, bei dem meine Mutter groß wurde, den sie “Onkel Hans” nannte, der unverheiratet mit meiner Großmutter zusammenlebte. Er war nicht ihr biologischer Vater, der hatte die Familie sitzen lassen, als meine Mutter und ihre jüngere Schwester noch ganz klein waren. Ich nannte diesen Onkel Hans Opa; er starb, als ich noch ein Kleinkind war. Mit den wenigen Erinnerungen an ihn verbinde ich positive Gefühle: Opa kaufte mir Süßigkeiten (“Nini, gehma zum Kreidl?” hat er mich laut meiner Mutter gefragt) und hatte einen Hund, einen weißen Spitz-Mischling namens Lulu (viel mehr deutsche 50er geht vermutlich nicht vong Hund her).
Laut den Erzählungen meiner Mutter war er nach dem Krieg Schwarzmarkthändler; mindestens einmal wurde er wohl erwischt, und die Polizei stand vor der Tür. Dass meine Oma für ihn vor Gericht lügen musste, warf sie ihm laut meiner Mutter regelmäßig bei Streiten vor. Weil er einen Arm im Krieg gelassen hatte als polnischer Soldat, bekam er Behindertenrente – davon lebte er wohl nach Ende der Schwarzmärkte.
Polnische Großmutter: Bevor die Deutschen sie aus dem südpolnischen Klimontów zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppten, hatte sie eine Schneiderinnenlehre begonnen. Nach dem Krieg lebte sie von der Unterstützung der US-Besatzer, dann von Gelegenheitsarbeiten. Wovon sie am öftesten und mit am meisten Liebe erzählte: Ein Jahr war sie in Ingolstadt in der städtischen Gärtnerei angestellt, das scheint ihr sehr gefallen zu haben. Alle anderen Arbeiten machte sie halt, um Geld zu verdienen. Die Fertigkeiten als Schneiderin nutzte für eigene und die Kleidung ihrer Kinder; meiner Mutter gab sie zudem einiges Schneiderwissen weiter. Die längste Zeit als meine Oma arbeitete sie in der Fabrik, nämlich bei Telefunken an der Stanze. Sie arbeitete Akkord (“Akkord de is de Mord!”) und klagte über den Lärm, den Kapo und wies immer wieder darauf hin, ihre Arbeit mache sie “kaputt”.
Spanischer Großvater: An ihn habe ich kaum Erinnerungen von wenigen Spanienurlauben, er starb, als ich acht war. Aus den Erzählungen meines Vaters weiß ich, dass er sich als Tagelöhner in Madrid über Wasser hielt, mal als Beifahrer im Lastwagen, wo er dem Fahrer beim Be- und Entladen half, mal auf dem Bau. Jedes Mal, wenn ich morgens die wartenden Tagelöhner im südlichen Bahnhofsviertel sehe, denke ich an ihn. (Und stelle fest, dass ich sehr wenige Details über seinen Alltag weiß, ich muss meinen Vater nach mehr fragen.)
Spanische Großmutter: Weil der Verdienst ihres Mannes auch im Madrid der 40er und 50er keine Familie ernährte (mein Vater hat einen Bruder und eine Schwester), ging sie Putzen. Wie ihre Schwester war meine Yaya ums Ende des Bürgerkrieges als junges Mädchen ohne jegliche Schulbildung aus der kargen Sierra nördlich von Madrid in die Stadt gekommen, um als Dienstmädchen zu arbeiten. Sie war sehr sparsam (bis knickert, was sich im Alter absurd verstärkte), und dadurch und durch die finanzielle Unterstützung ihrer Kinder (sprich: meines Gastarbeiter-Vaters) konnte sie sich als Rentnerin sogar eine eigene kleine Wohnung in einer der Madrider Trabantenstädte leisten. (Auch hier muss ich meinen Vater mal nach Details fragen.)
Uiuiui, beim Aufschreiben schnürt es mir die Kehle zu vor schlechtem Gewissen und vor Scham. Ich hatte es so viel einfacher als diese Vorfahren, mir wurden Begabung und im Grunde jede Möglichkeit und Chance hinterher getragen, im Gegensatz zu ihnen lebe ich in Freiheit und Wohlstand – doch ich habe nichts daraus gemacht. (Gibt es survivor guilt auch bei Armutsabkömmlingen?)
Mögen Sie mir (in Ihren Blogs oder hier in den Kommentaren) erzählen, wovon Ihre Großeltern gelebt haben? 
die Kaltmamsell