Journal Sonntag, 6. August 2017 – Spaziergang statt Film

Montag, 7. August 2017 um 6:16

Nach unruhiger Nacht (Armschmerzen) lang geschlafen, Frühstückstisch gedeckt. Herr Kaltmamsell holte Semmeln, ich machte die erste Runde Milchkaffee. Übernachtungsbesuch schlief noch viel länger, wachte erquickt auf, bereit für Frühstück und Gespräch. Draußen war über Nacht mit dem Regen die Temperatur so rapide gefallen, dass sich die Rotkehlchen unterm Meisenknödel fluffig aufplusterten.

Mittags ging der Besuch zu einer Verabredung, ich duschte und gammelte anschließend mit Internet und Buch. Am späten Nachtmittag war ich mit Herrn Kaltmamsell zu einem Kinobesuch verabredet, wir spazierten in einer Regenpause zu den Museumslichtspielen. Wo unser Wunschfilm Spiderman aber bereits ausverkauft war. Nun, dann erklärten wir das halt zu einem Sonntagsspaziergang und nahmen einige Umwege zurück, unter anderem über den alten Südfriedhof, wo wir einen PokékonGo-Raid verloren, aber ein Kangama und ein Incognito fingen. Und besonders hübsche Schnecken sahen.

Herr Kaltmamsell machte zum Abendbrot Libanesische Pizza mit Zucchini, schmeckte ausgezeichnet. Zum Nachtisch holte er uns noch große Eisbecher aus der nächstgelegenen Eisdiele. Nicht zu spät kam der Übernachtungsbesuch wieder, ich las im Bett weiter Terry Pratchett und amüsierte mich.

Ich stellte fest, dass noch viele andere die instagram-Kommentarfunktion unter Werbung nutzen, zum Beispiel um ihre schlechten Erfahrungen mit den beworbenen Produkten oder Herstellern zu teilen. Mal sehe, wie lange es dauert, bis instagram die Kommentarfunktion unter Werbung ausschaltet.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 5. August 2017 – WMDEDGT

Sonntag, 6. August 2017 um 9:36

An jedem fünften des Monats fragt Frau Brüllen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Die Antworten auf ihr WMDEDGT für August sammelt sie hier.

Spät aufgewacht, weil ich eine nächtliche Migräne und das sie stoppende Triptan ausschlief.

Morgenkaffee gekocht, damit auf den Balkon gesetzt, es war bereits um neun unerwartet warm. Blogpost zu Ende geschrieben (das meiste schreibe ich schon am Vorabend). Schlafzimmer und Wohnung stückchenweise für Übernachtungsbesuch vorbereitet. Mich gefreut, dass der Arm deutlich weniger schmerzte als am Tag zuvor.

Ich überlegte hin und her, wie ich den weiteren Tag gestalten sollte: Laufen oder nicht? Was wäre gut für den Nackennerv? Was ließ sich überhaupt unterbringen? Ich entschied mich gegen Sport und für Entspannung (nicht dass mir nicht sofort Erledigungen einfielen, die ich in der Zeit abhaken konnte, die ich durch den Sportverzicht gewann).

Also las ich erst mal die Twittertimeline der Nacht hinterher, blickte immer wieder auf und genoss den Ausblick vom Balkon. Die alten Kastanien bergen einen ganzen Kosmos:
– Meisen, die raschelnd an den Miniermottenlarven der Blätter knurpseln.
– Eichhörnchen, die einander den Stamm rauf und runter jagen, in einer Astgabel sitzen bleiben und Körperpflege treiben.
– Möglicherweise eine Spechtschmiede (nur gehört, noch nicht gesehen)
– Der Kleiber, der auf den Stamm einklopft (erschreckend, wie morsch und hohl manche dicken Äste klingen).
Dazu die Vögel am und unterm Meisenknödel. Kann jemand hier Singvogelsprache? Hat es Bedeutung, wenn eine Meise oder ein Buchfink die Kopffedern aufstellt?

Wohnung jetzt systematisch auf Übernachtungsbesuch vorbereitet: Wäscheständer abgeräumt und verräumt, Bügelwäsche versteckt, Esstisch abgeräumt (ohne Besuch räume ich Sets und Servietten nur einmal die Woche weg, Sonntagabend für Putzmannputzen am nächsten Tag) und entkrümelt, Gästebettzeug rausgesucht und bezogen, Nacht- und Morgendinge aus meinem Schlafzimmer in das von Herrn Kaltmamsell getragen, Küche von den Spuren des gestrigen Kochens befreit. Beim Küchenputzen mal wieder den Messerblock gründlicher gereinigt. Wieder wütend geworden bei der Erinnerung an den Kauf seinerzeit: Wie wir viel Geld für einen Messerblock ohne Messer hingelegt hatte, mehr als ein Block inklusive Messern gekostet hätte – weil wir bereits gute Messer besaßen und das Wegwerfen eines Satzes neuer Messer als unanständige Verschwendung ansahen. Die Perversität unseres Konsumsystems in a nutshell: Dass man so reich sein muss wie wir, um sich diese Sparsamkeit leisten zu können.

Geduscht, getrocknet, gecremt, geschminkt, Haare geföhnt (bei dieser Hitze würde sogar ich sie an der Luft trocknen lassen – sonst fürchte ich ja immer umgehend Lungenentzündung -, doch dann sehen sie so ausgefranst aus), angezogen, unter anderem die Sandalen, die ich nie trage, weil sie unbequem sind.

Einkaufsrunde in praller Sonne und bei großer Hitze in der Fußgängerzone: Laugenzöpferl beim Zöttl am Alten Peter, Obst am Standl Rosenstraße (am Sendlinger Tor gab’s heute keinen). In einem Blumenladen ein Alpenveilchentöpfchen als Mitbringsel für die abendliche Einladung zu einer Geburtstagsparty gekauft. (Wie sehr es mich irritiert, wenn Verkaufspersonal beim Bedienen eigentlich gerade in persönlichem Gespräch mit besuchenden Freunden ist und ich nie weiß, ob eine Bemerkung oder Frage nun an mich gerichtet ist oder zum Gespräch gehört.)

Völlig verschwitzt heimgekommen, die Sandalen endgültig aussortiert, weil selbst diese kleine Runde zu Blasen geführt hatte. Zum Frühstück Laugenzopf mit Tomatenscheiben (und dick Butter) sowie Nektarine, Aprikose, Feige mit Joghurt.

Übernachtungsbesuch kündigte sich für abends an, also hatte ich noch Zeit. Ich knetete Teig für Aprikosentarte, stellte diesen kühl. Dann ein Stündchen Siesta (im Bett von Herrn Kaltmamsell, weil meins ja schon besuchsfein war) mit einem interessanten Zeichentricktraum.

Aprikosentarte fertig gestellt und gebacken. Am Tisch im Wohnzimmer las ich Internet und die Wochenend-Süddeutsche, bis der Besuch klingelte. Mit der alten Freundin war ich wie schon bei den vergangenen Begegnungen innerhalb von Sekunden in tiefem Gespräch, fast hätten wir die Zeit vergessen – was schlecht gewesen wäre, denn wir waren spät abends auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Also zogen wir uns schnell um und machten uns fein, die Tarte nahm ich als Mitbringsel mit (und sprengte damit, wie mir später erklärt wurde, das gewohnte Konzept der Gastgeberin, die immer für eine so späte Zeit einlädt, dass die Gäste schon zu Abend gegessen haben, und nur Getränke anbietet).

Zur Feier konnten wir in nachlassender Hitze zu Fuß gehen, schon kurz nach unserer Ankunft ging ein Gewitterregen nieder. Angenehme Gespräche mit mir unbekannten Münchnerinnen und Münchnern, leider waren aber die Armschmerzen trotz Ibu mit Macht zurückgekehrt. Kurz vor Mitternacht spazierte ich durch feierndes Volk über nasse Straßen nach Hause.

Abschminken, Zähneputzen, dann versuchte ich neben Herrn Kaltmamsell eine Position zu finden, in der die Schmerzen mich schlafen ließen.

§

Dass die Geschichte hinter der Bezeichnung Eisdiele interessant ist, wusste ich.
Neu war mir, dass auch Ice cream parlor solche eine hat:
“The Silent History of ‘Parlor'”.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 4. August 2017 – Keine Wunder bei der Anfasserin

Samstag, 5. August 2017 um 9:45

Vor dem Physio-Termin noch in die Arbeit. Ich musste trotz Schmerzen radeln, denn öffentliche Verkehrsmittel oder Gehen hätte für die Wege an diesem Tag zu lange gedauert. Morgens und vormittags war es sonnig heiß, ich erreichte mein Ziel jeweils tropfend.

Physiotermin: Die Stunde führte mir vor, wie verschieden der Schmerz sein kann, zudem bekam ich Muskeln gelockert und Nervenbahnenübungen gezeigt. Allerdings tat sich kein Wunder: Auch Expertinnen für manuelle Therapie kennen keinen Schalter im Körper, der diese Schmerzen einfach ausknipst. Mache ich also weiter mit Ibu-Bomben, bis sich der Nerv im Nacken wieder beruhigt hat.

Als ich am späten Nachmittag ins Wochenende ging, hatte es etwas abgekühlt. Auf dem Heimweg hielt ich für ein paar Erledigungen am Drogeriemarkt an, zu Hause gab es Schmerztablette und Cosmopolitan. Herr Kaltmamsell kochte zum Nachtmahl weiße Bohnen mit Mangold (aus Ernteanteil), Jamón-Würfelchen und Sepia, schmeckte ausgezeichnet.

Seit zwei Tagen habe ich keine Mauersegler mehr gesehen noch gehört, jetzt sind sie wohl wirklich weg.

Mehr Körperlichkeiten: Seit zwei Wochen habe ich abends im rechten Ohr ein pulsierendes Wummern, seit zwei Tagen wummert’s im Ohr auch tagsüber. Da es sich wie ein Muskelzucken anfühlt, kippe ich noch mehr Magnesium ein als eh schon vor Sport und bei viel Schwitzen. Ist nicht allzu nervig, aber ohne wäre mir lieber.

Abends wieder eine Runde instagram-Werbung kommentiert (Sie war unvorsichtig genug, mir Baby-Artikel in die Timeline zu schieben. Und Eso-Quatsch.)

§

“Konsumverhalten im Westen’
Sie sitzen in ihren kleinen Panzern und zerstören Natur'”.

Große grundsätzliche Zustimmung.

Unser Konsum geht zu Lasten anderer. Der Begriff “imperiale Lebensweise” weist darauf hin, dass die Herrschaftsförmigkeit, die in den internationalen Beziehungen angelegt ist, in den Alltag eingeht. So wird sie normalisiert und zum Verschwinden gebracht.

(…)

Sie verwenden auch den Begriff vom “Food from nowhere”. Was ist dieses Essen, das aus dem Nichts zu stammen scheint?

Der Agrarsoziologe Philip McMichael umschreibt so die Art, wie Lebensmittel etwa im Supermarkt präsentiert werden. Das Positive wird betont, das Negative verdunkelt: Die CO₂-Emissionen, die bei Produktion und Transport entstehen, werden auf den Preisschildern nicht ausgewiesen. Auch die Umstände bei der Ernte werden ignoriert: Neben der Natur werden ebenso Menschen ausgebeutet. Auf den Containerschiffen herrschen schreckliche Arbeitsbedingungen.

(…)

Sport Utility Vehicles sind das ideale Symbol für die imperiale Lebensweise. Man zerstört Natur im Herstellungsprozess der Autos und auch in der Art, wie man sie nutzt, weil sie eben mehr Sprit brauchen. Zugleich empfindet man es als normal und auch als Anpassung an die zunehmenden Unsicherheiten. Das ist zumindest unsere These. Der Boom der Geländewagen findet ja parallel statt zum wachsenden Bewusstsein über Risiken des Klimawandels. Wie passt diese Sensibilität zur Nutzung eines Autos, das dies konterkariert? Viele denken wohl: Mit einem SUV komme ich überall durch, ich trotze Starkregen und kann meine Kinder trotzdem noch sicher zur Schule bringen. Dieses Verhalten ist faszinierend zu beobachten, aber zugleich sehr erschreckend.

Es ist hoffentlich klar, dass ich mich da nicht ausnehme. Ich arbeite gerade mal beim Gemüse gegen, indem ich im Kartoffelkombinat Verantwortung für die gesamte Produktionskette übernehme, von Land und Samen über Anbau, Personal bis Verteilung. Doch die drei Kleidungsstücke, die ich mir neu für diesen Sommer gekauft habe, tragen das übliche Etikett “Made in China”, mein Sommerobst kommt aus den bekannt entsetzlichen Anbaubedingungen in Spanien, mein Großverbrauch an Schokolade hat ebenfalls durch und durch ausbeuterischen Hintergrund. Nur als Beispiele.

§

Ja, mein Blick auf Mozilla ist definitiv parteiisch, noch viel mehr, seit eine Bloggerin der ersten Stunde dort Chief Innovation Officer ist. Aber in letzter Zeit kamen von da schon schöne Nachrichten.

Zum Beispiel das Projekt Common Voice:

We’re fascinated with creating usable voice technology for our machines. But most of that technology is locked up in a few big corporations and isn’t available to the majority of developers. We think that stifles innovation so we’re launching Project Common Voice, a project to help make voice recognition open to everyone.

Jeder kann seine oder ihre Stimme spenden. So gehört seit zwei Wochen zu meinen Abendvergnügen, englische Sätze vorzulesen und anderer Leut’ vorgelesene Sätze abzuhören und zu sortieren – die Guten ins…

Gestern las ich vom Pilotprojekt “Send”:

Senden Sie Dateien über einen sicheren, privaten und verschlüsselten Link, der automatisch abläuft, damit Ihre Daten nicht für immer im Internet bleiben.

Ich neige halt schon dazu, der Non-Profit-Stiftung Mozilla mehr zu vertrauen als börsennotierten Großkonzernen.

Für den Herbst ist eine fundamental neue Version des Browsers Firefox angekündigt. In Cnet nimmt das Stephen Shankland zum Anlass, Mozillas Gegenwart und jüngste Vergangenheit zu beleuchten (und die derzeitige Browserlandschaft allgemein):
“Firefox fights back”.

Ich bin sehr gespannt (kapiere das mit der bezahlten Mitgliedschaft allerdings nicht).

§

“Jemand hat rassistische Tweets vor die deutsche Twitter-Zentrale gesprüht”.

Hihihi…

§

Dass das Leid von Überlebenden der Entsetzlichkeiten des 20. Jahrhunderts in ihren Nachfahren durchschlug, weiß man heute, und dass Traumata über Generationen weitergegeben werden.
In bösen Minuten denke ich, dass wir das nur herausfinden konnten, weil es in unserem langen Frieden zum ersten Mal eine Nachfahren-Generation gibt, die nicht selbst in Entsetzliches geworfen wurde. Und dann fragt man sich halt verwundert, warum die kluge, geförderte und anerkannte Frau todunglücklich ist, wo ihr doch keiner etwas angetan hat.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 3. August 2017 – Morgentlicher Isarlauf und antike Charakterköpfe

Freitag, 4. August 2017 um 6:54

Den Wecker hatte ich wieder auf halb sechs gestellt, diesmal aber, um im ersten Morgenlicht an der Isar Laufen zu gehen.
Es war wunderschön.

An vielen Stellen sah ich Reste des Hochwassers in Form von angeschwemmten Baumstämmen und Ästen. Und es waren erstaunlich viele Läuferinnen und Läufer unterwegs.

Aber: Meine Schmerzen im Arm wurden beim Radeln in die Arbeit unerträglich, ich konnte kaum atmen. Es gab eine direkte Verbindung zur Kopfhaltung, ich radelte lieber mit Blick nach unten. Am Schreibtisch probierte ich millimeterweise Haltungen, die die Stiche und das Toben im Arm verringerten. Der linke Trapezmuskel war durch die (vermutlich ausgleichenden) Verspannungen seit Tagen fast doppelt so dick wie der rechte. Ich rief dann doch bei der Anfasserin an, also der Physio- und sonstigen manuellen Therapeutin, die mir vor drei Jahren andere Schmerzen am Rücken gelindert hatte – ich will nicht dauerhaft wie jüngst jeden Tag 600 Milligramm Ibuprofen einwerfen müssen. Kennen Sie das: Wenn der Kopf für den Nacken zu schwer scheint? Dass die Anfasserin gleich am nächsten Vormittag Zeit für mich hat, erleichterte mich ungeheuer.

Nach Feierabend war ich mit Herrn Kaltmamsell verabredet: Die Glyptothek bietet donnerstags Kuratorenführungen zur Sonderausstellung “Charakterköpfe” an. Gestern stand “Von echtem Schrot und Korn – Republikanische Bildnisse” auf dem Programm, das wollte ich hören.

Es erklärte und zeigte Dr. Christian Gliwitzky im Saal 11 viel vor allem zur römische Geschichte am Ende der Republik und legte unter anderem seine Sicht dar, warum das republikanische System zusammenbrach (die Gracchischen Reformen hätten und die Einführung der Berufsarmee hatte Einzelnen zu viel Macht durch parteiische Wählerstimmen verschafft). Ich merkte, wie lange ich schon niemanden mehr auf Deutsch zur Antike gehört hatte; die deutsche Forschung hat dann doch eine andere Tradition und Perspektive (Mommsen!) als die britische, die ich die vergangenen Jahre gelesen und gehört hatte. Die Erläuterungen waren sehr interessant, zu den Zuschreibungen der besprochenen Köpfe hätte ich allerdings noch Detailfragen gehabt (zu viele Leute um Herrn Gliwitzky, als dass ich sie nach dem Vortrag angebracht hätte).

Ich war überrascht, wie viele Leute gekommen waren (ca. 50), wir gehörten zu den jüngsten.

§

Schon am Vorabend hatte ich beim Scrollen durch instagram ein neues Vergnügen entdeckt: Auf Werbung antworten. Sonst schimpfe ich ja vom Absender ungehört in die Zeitungsseite oder an den an den Fernseher hin. Aber auf instagram hat die unerwünschte und bescheuerte Werbung eine Kommentarfunktion!

Ich kann also unter dem “must have”-Modeschmuck darauf hinweisen, dass das überhaupt niemand “must”, auf launige rhetorische Fragen “Nein.” antworten (das passt ohnehin am häufigsten), unter den in Alltags-untauglichem Werbesprech angepriesenen Produktneuheiten “Na und?” kommentieren. Social Media ist super!

Und dann der Volltreffer: VW-Werbung! Irgendwas mit einem blinden Fotografen, der Bilder von VW-Autos macht. Da passte dann natürlich: “Schützt Blindheit vor Schadstoff-Ausstoß?”
Später am Tage Werbung für Reisen nach Dubai: Konnte ich gleich mal auf die täglichen Menschenrechtsverletzungen dortselbst hinweisen, die mir Urlaubsentspannung unmöglich machen würden.

Das fühlt sich derart herrlich nach Krückstockgefuchtel an! Jetzt freue ich mich richtig über Werbung!

§

Altphilologin Mary Beard ist im Internet in eine Streitwelle geraten, als sie die Aussage unterstützte, die Alten Römer auf den britischen Inseln seien sehr divers gewesen (was ich für hinreichend belegten Stand der Forschung gehalten hatte). Denn anscheinend gibt es Kräfte, für die die Vorstellung beängstigend ist, Alte Römer könnte es in mehr Hautfarben als Weiß gegeben haben. Beards Zusammenfassung:
“Roman Britain in Black and White”.

Wichtig finde ich ihre Haltung:

So why not just block them, as many kind voices suggested? Well I see the point, but have always felt ambivalent about blocking. It doesn’t stop them tweeting, it only means that you don’t see it, and it feels to me like leaving the bullies in charge of the playground. And it’s rather too much like what women have been advised to do for centuries. Don’t answer back, and just turn away. Besides, although one will probably make no difference to the hardcore, one might change the minds of some of the penumbra, as well as showing everyone that it is possible to stand your ground.

Dafür braucht es eine Menge Kraft. Ich würde die nicht aufbringen, umso höher ist mein Respekt für sie.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 2. August 2017 – Besserung

Donnerstag, 3. August 2017 um 5:56

Das mit der Krankmeldung war eine gute Idee: Nach gutem Nachtschlaf wachte ich erfrischt auf und war definitiv wieder arbeitsfähig. Es hatte schon am Vorabend und dann in der Nacht immer wieder gewittert und geregnet, ich packte Schwimmzeug ein und radelte über nasse Straßen in die Arbeit.

Tatsächlich war es mir aber nachmittags zu schwül-heiß und mein Arm schmerzte zu sehr (eingeklemmter Nerv im Nacken, Sie erinnern sich), ich hatte doch keine Lust zum Schwimmen. Also verbrachte ich den Feierabend in der kühlen Wohnung und ließ mir von Herrn Kaltmamsell Schperripps (Spare Ribs auf Bayerisch) servieren.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 1. August 2017 – Krankgemeldet

Mittwoch, 2. August 2017 um 6:43

So. Einmal zu oft auf dem Zahnfleisch in die Arbeit geschleppt, gestern ließ ich das einfach mal bleiben und meldete mich krank. Denn wem will ich damit eigentlich etwas beweisen? (Nicht antworten, ich habe selbst ziemlich konkrete Verdachte.) Als ich im Morgengrauen merkte, dass ich mich wieder komplett durch den Fleischwolf gedreht fühlte, stellte ich den Wecker vor (der auf halb sechs stand, damit ich vor der Arbeit Zeit für Langhanteltraining haben würde) und meldete mich morgens im Büro für den Tag ab. Denn eigentlich hatte ich mir irgendwann als Grenze fürs Durchhalten gesetzt: Wenn es mir so schlecht geht, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, mich unter den Schreibtisch zu legen (nur für ein paar Minuten, wenn ich die Bürotür schließe, merkt es doch keiner), bin ich krank, aus. Und über diesen Grad des Schlechtgehens hatte ich mich jetzt einmal zu oft hinweg gesetzt.
Diesmal blieb ich zu Hause und ruhte mich aus.

Erkenntnisse auf dem Balkon:
– Ich hatte vergessen, wie laut es unter der Woche ist (Großbaustelle schräg gegenüber, Kleinbaustelle an Nebengebäude).
– Es gibt wieder eine Meisengeneration mit der Fertigkeit, auf dem Markisenführungsdraht sitzend den Meisenknödel mit der Kralle heranzuziehen und so bequem und ohne Herumgeschaukel zu picken.
– Während die Herren von der Müllabfuhr vorbei rumpelten: Selbst frisch geleerte Tonnen haben einen typischen Sommergeruch.

Es wurde ein sehr heißer Hochsommertag, schon vormittags schloss ich alle Fenster und zog mich ins kühle Drinnen zurück.

Als palate cleanser nach dem heftigen Kennedy-Roman ließ ich mir von Herrn Kaltmamsell einen Terry Pratchett mit Schwerpunkt City Watch geben (Thud!) und amüsierte mich über Handlung und weise Pointen.

Erst jetzt beim Bloggen fällt mir ein, dass man als Krankgeschriebene den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und fernsehen muss, schlechte Sendungen und Serien schauen. Die Gelegenheit habe ich also mal wieder verpasst.

§

Jeanne Moreau war am Montag gestorben – eine sehr interessante und faszinierende Figur, eine große Künstlerin (man mag sich nicht vorstellen, wie vergessenswert sie durch chirurgische Angleichung ans Schönheitsideal ausgesehen hätte). Und offensichtlich ein gutes Mittel, schreibende Männer ihrer Geschlechtertypen und ihres Frauenideals zu überführen, die der Gleichberechtigung im Weg stehen. So zum Beispiel die von Alexander Gorkow und Tobias Kniebe, die in ihrem Nachruf (Seite 3 der gestrigen Süddeutschen) von Moreaus Catherine in Jules et Jim schreiben, sie sei

die Inkarnation der vollendeten Frau – fragil, verhängnisvoll, schlau und übermütig, frei und unabhängig ihrem Begehren folgend.

Soso: “vollendete Frau”. Kein Wunder, wenn man so jemandem keinen Vorstandsposten zutraut.

§

Johnny Häusler hatte ein sehr unangenehmes Erlebnis beim Gassigehen:
“Zwei Hunde kämpfen und ein Handy wird zur Waffe”.

§

Ein bisschen gefernseht habe ich ja doch, allerdings in der ZDF-Mediathek und eine ausgezeichnete Doku:
“Hacker, Freaks und Funktionäre
Der Chaos Computer Club”
.

Beim Gucken gedacht: So eine unabhängige Institution bräuchte man auch für die Automobilindustrie. Als Herr Kaltmamsell vorschlug: “ADAC?”, lachten wir beide erst mal Tränen, dann formulierte ich meinen Gedanken um: Nicht einfach für die Automobilindustrie, sondern fürs Verkehrs- und Transportwesen.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 31. Juli 2017 – A. L. Kennedy, Paradise

Dienstag, 1. August 2017 um 7:29

Nachts um zwei aufgewacht. Irgendwann war klar: Ich würde nicht wieder einschlafen. Also schlüpfte ich in meinen Bademantel und setzte mich mit A. L. Kennedys Paradise ins Wohnzimmer. 30 Seiten vor Ende des Buchs war ich immer noch nicht sehr müde; dann war’s eh schon wurscht, ich las das Buch aus.

A.L. Kennedy schätze ich, seit ich über ein Granta Best of Young British Novelists auf eine Kurzgeschichte von ihr stieß. Bislang scheiterte ich nur an einem ihrer Romane: In Day von 2007 kam ich nicht über die ersten Seiten hinaus, weil ich überhaupt nichts mit dem inneren Monolog dieses Soldaten im zweiten Weltkrieg anfangen konnte.

Paradise erschien 2004; der Klappentext verheißt eine launige Frauengeschichte.

Hannah Luckraft knows the taste of paradise. It’s hidden in the peace of open country, it’s sweet on her lover’s skin, it flavours every drink she’s ever taken, but it never seems to stay.

Almost forty and with nothing to show for it, even Hannah is starting to notice that her lifestyle is not entirely sustainable: her subconscious is turning against her and it may be that her soul is a little unwell. Her family is wounded, her friends are frankly odd, her body is not as reliable as it once was. Robert, an equally dissolute dentist, appears to offer a love she can understand, but he may only be one more symptom of the problem she must cure.

From the North East of Scotland to Dublin, from London to Montreal, to Budapest and onwards, Hannah travels beyond her limits, beyond herself, in search of the ultimate altered state – the one where she can be happy, her paradise.

Tatsächlich könnte der Roman nicht weiter von dieser Zusammenfassung entfernt sein (mal wieder Verdacht, dass die Klappentextschreiberin das Buch nicht gelesen hat – andererseits ist die Gattung “Klappentext” sehr wahrscheinlich in der Marketingabteilung angesiedelt und nicht im Lektorat eines Verlags; soll also einen bestimmten Markt ansprechen, nicht etwa das Buch charakterisieren).

Wir haben eine Ich-Erzählerin, deren Name sich eher später als Hannah herausstellt. Der Einstieg der Geschichte wirft uns in genau die Konfusion, in der sich die Hauptfigur wiederfindet: Sie steht vor dem Frühstücksbuffet eines Hotels, wegen des Filmrisses einer vorhergehenden Volltrunkenheit weiß sie nicht, in welcher Stadt sie ist, wie sie hierher gekommen ist und wer der Familienvater neben ihr ist, mit dem sie möglicherweise die Nacht verbracht hat. Nichts daran ist komisch, auch wenn Hannah die Situation verhältnismäßig gelassen nimmt – wir lernen schnell, dass sie diese Alkohol-induzierten Filmrisse gewohnt ist.

Im Folgenden blicken wir ein wenig in ihre jüngere Vergangenheit zurück, lernen ihren Liebhaber Robert kennen, Zahnarzt und alkoholabhängig wie sie, Hannahs unerquickliche berufliche Situation, ihren Alltag. Sie ist sich immer wieder der Groteske und Absurdität ihrer Situation bewusst – und versucht doch im nächsten Atemzug wieder, sich in die eigene Tasche zu lügen (Aussetzer hat doch jeder mal, nicht wahr?).

Hannahs Betrachtung ihrer Trunksucht hat durchaus Charme. Mit ihrem Liebhaber systematisiert sie die verschiedenen Formen von Betrunkenheit, je nach auslösendem Getränk und Tagesform. Oder sie beschreibt typisches Säuferverhalten, z.B. the drinker’s smile. Ihr ist auch bewusst, dass ihre Art zu trinken (im Pub, in Gesellschaft) zutiefst unweiblich ist:

This is how a man drinks and, therefore, inappropriate for me. I should have been at home behind my curtains with the methylated gin.

Es folgen interessante und schmerzlich scharf beobachtete Details des typisch weiblichen Trinkens.

A. L. Kennedy konstatiert in diesem Roman, ohne zu urteilen oder zu psychologisieren. Es wird kein äußerer Anlass für Hannahs Alkoholismus seit Jugendtagen angeführt. Im Gegenteil: Immer wieder erzählt sie von ihrem liebevollen Elternhaus, von ihrem wundervollen Bruder, der ihr bis in die Gegenwart die Stange hält. Es gibt keine dunklen Geheimnisse, die sich im Lauf der Geschichte herausstellen könnten – die dunkle Seite der Familie ist Hannahs Trinksucht. Sie denkt durchaus darüber nach, dass sie halt nicht so war, wie sie sein sollte – doch das wird keineswegs als Ursache für ihren Alkoholismus angeführt; eher bringt ihr Trinken sie dazu, dass sie sich unpassend benimmt.

Gleichzeitig ist Hannah bewusst, welche Zerstörung ihre Krankheit in ihrer Familie anrichtet – sie weiß, dass das Leben ihrer Eltern und das der Familie ihres Bruders davon dominiert ist. Und sie hat ein brüllend schlechtes Gewissen deshalb. Die Tragik der Geschichte liegt darin, dass diese Erkenntnis zu keiner Veränderung führt. Immer wieder sieht Hannah ganz klar, was sie sich und anderen antut. Um gleich wieder ihre Ausfälle klein zu reden.

Das Ende der Geschichte ist offen, Hannahs Phantasien (oder Delirium) sind nicht mehr unterscheidbar von der realen Handlung. Aber es sieht nicht gut aus.

In meinem derzeitigen Tief nahm mich das beschriebene Gefangensein besonders mit. (Was ja auch bedeutet, dass ich noch in der Schmerzphase der großen Schwärze bin, vor der totalen Taubheit.) Auch wenn die Lektüre fast eine Qual war, geht von der Meisterschaft des Romans ein Sog aus; ich bin nicht die einzige, die Elfriede Jelineks Klavierspielerin assoziiert.

Mir fällt es schwer, ihn zu empfehlen: Seien Sie sich darüber im Klaren, was Sie sich damit antun. Wenn Sie noch nichts von Kennedy gelesen haben, fangen Sie besser mit Everything you need an.

Interessant fand ich die seinerzeitige Rezension im Guardian:
“Life seen through a glass darkly”.

Like all drinkers, Hannah is a collage of contradictions. She is often self-loathing, but also self-justifying; self-knowing and self-deceiving; she is both loving and energetically selfish, remorseful at the pain she causes her tirelessly patient parents, yet unwilling to change.

Ein schöner Überblick über A. L. Kennedys Werk in der London Review of Books (Vorsicht: mit Spoilern über Paradise):
“Intimate Strangers”.

I’ve never been entirely persuaded by the notion that severe psychic pain is worse than the physical kind, that souls can be hurt worse than soles (they’re not easy to compare, for a start), but you have to allow it to Kennedy, not least because she describes the physical kind so unpleasantly well.

Und für die Freundinnen des biografischen Interpretationsansatzes: Ein Autorinnenporträt aus dem Veröffentlichungsjahr von Paradise:
“A writer’s life: AL Kennedy”.

§

Wohl wegen des wenigen Schlafs ging’s mit körperlich gar nicht gut. Ich hätte mich wahrscheinlich krank gemeldet, wäre es nicht Montag und damit Putzmanntag gewesen. Also schleppte ich mich in die Arbeit, bis in die Knochen erschöpft, und hangelte mich von halber Stunde zu halber Stunde. (Möglicherweise kämpft mein System gerade mit einem grippalen Infekt, der in meiner Umgebung umgeht, ohne dass er ausbricht.) Wie ich es erwartet hatte, ging es mir ab frühem Nachmittag besser, ich konnte endlich systematisch Dinge abarbeiten.

Auf dem Heimweg setzte mir allerdings die schwüle Hitze zu, zum Glück war die Wohnung kühl. Herr Kaltmamsell kochte uns zum Nachtmahl aus dem Brathähnchensaft des Vortags und Ernteanteil-Mangold ein Risotto.

§

Morgens wieder Mauersegler gesehen.

Sam Shepard ist gestorben. Als Homo Faber hat er für mich Rollkragenpullis zu einem erotischen Kleidungsstück gemacht.

die Kaltmamsell