Journal Dienstag, 28. März 2017 – BH-Unfall sowie Edmund de Waal, The Hare with the Amber Eyes
Mittwoch, 29. März 2017 um 6:02Ich habe das Gefühl, zwei Tage in einen gepackt zu haben.
Früh aufgestanden, weil ich zum Langhanteltraining ging.
Beim Anziehen nach dem Duschen im Sportstudio ein BH-Unfall: die Plastiköse, an der der rechte BH-Träger hinten befestigt war, zerbrach, der BH-Träger schnalzte nach vorne. Ich hatte keine Zeit, daheim einen anderen zu holen, schlüpfte also schnell in den schweißigen, müffelnden Sport-BH. Im Büro hatte eine Kollegin, der ich das Malheur erzählte, die rettende Idee: Sicherheitsnadel. Endlich zahlte sich aus, dass ich immer eine im Geldbeutel habe.
Tagsüber viel Hektik, aber zur Mittagspause die erste selbst gemachte Pastete des Herrn Kaltmamsell, edel und köstlich.
Pünktlich gegangen, weil ich einen Friseurtermin hatte. Durch einen warmen, sonnigen Frühlingstag spaziert, alle Spielplätze, Wiesen, Straßencafés, Draußensitzplätze voller Menschen. Mit dem Haarschnitt war ich wieder sehr zufrieden.
Abends Leserunde zu Edmund de Waal, The Hare with the Amber Eyes. Das Buch hatte allgemein gut gefallen, auch wenn wir uns einig waren, dass sich die erste Hälfte manchmal zieht. (Die beiden Mitlesenden, die nur die erste Hälfte geschafft hatten, waren entsprechend weit weniger angetan.)
Anhand einer Sammlung antiker japanischer Handschmeichler, Netsuke, erzählt der Autor hundert Jahre seiner Familiengeschichte, die der jüdischen Familie Ephrussi. Mir gefiel besonders, wie er seine Motivation der zweijährigen Recherche und des Aufschreibens begründet: Wie damals im dritten Reich das Hausmädchen Anne in Wien diese Sammlung rettete, indem sie Stück für Stück in ihrer Schürzentasche schmuggelte, ist eine Standard-Familienanekdote. Als Edmund de Waal sie mal wieder erzählt, schämt er sich seiner Oberflächlichkeit: Die Geschichte ist zu ernst, zu groß und wichtig, als dass sie zur unreflektierten Anekdote verkommen dürfte. Und so beginnt er zu recherchieren, zunächst anhand der Schriftstücke, die sein Vater hervor kramt. Er reist nach Odessa, nach Paris, nach Wien, nach Japan schildert die Pracht des Lebens einer Familie, die mit den Rothschilds auf Augenhöhe verkehrte, die als Kunstmäzene Werke von Renoir und Monet besaßen, heute Weltkultur. In Wien (dorthin kommt die Netsuke-Sammlung als Hochzeitsgeschenk) befindet sich die Familie auf dem Höhepunkt ihres Wohlstands und Einflusses, bevor die Nazis Hab und Gut und Leben rauben.
De Waal schildert all das sehr persönlich, eng verbunden mit seinem Erleben der Recherche, dennoch immer mit der Distanz des Forschers. Die Erzählung ist reich an historischen und beschreibenden Details (das mag die erste Hälfte ein wenig langatmig machen), mit dem roten Faden von Antisemitismus zu jeder Zeit und Kunstsinn. Der eigene unreflektierte Kolonialismus und Standesdünkel der Familie wird dabei ebenso nüchtern geschildert wie der Lichteinfall im Schlafzimmer des Charles Ephrussi, der Einfluss des Japonisme auf den Jugendstil, das Verhalten österreichischer Behörden nach dem Krieg beim Thema Restitution. Ich habe eine Menge gelernt, bekam so manches Fragment meiner Viertelbildung in größere Zusammenhänge gestellt (z.B. die Dreyfus-Affäre oder Japan nach dem 2. Weltkrieg). Empfehlung!














