Archiv für Dezember 2005

Tagebuchartiges ungeordnet

Mittwoch, 14. Dezember 2005

Ich liebe die diesjährige Stiefelmode! Nicht nur dauerte der grausame Irrtum mit den Ugg-Boots tatsächlich nur einen Winter (ich habe diese Saison nur drei Paare an Frauenfüßen gesehen, und die waren sichtlich durchgelaufen, also Überbleibsel von letztem Jahr). Auch bin ich freudig überrascht, wie viele Frauen schlanke Beine haben, die in den hochschaftigen Lederstiefeln dieses Winters und unter Röcken ganz hinreißend aussehen.

Der Mensch ist nicht logisch gestrickt, ich weiß. Deshalb muss ich noch lange nicht verstehen, warum eine Dienstleisterin mir erst klar macht, dass ich ihr das telefonische Briefing für den Eilauftrag noch in der nächsten halben Stunde in eine E-Mail schreiben muss, weil sie dann einen Termin habe. Mich dann aber fast 20 Minuten damit aufhält, dass sie mir ihre Arbeitsphilosophie erklärt und warum sie das schriftliche Briefing ganzganzganz schnell braucht.

Ist es sehr bescheuert, dass ich mich am Tag eines Friseurbesuchs immer besonders sorgfältig und schick kleide, um dem Friseur zu signalisieren, dass es sich lohnt, mir einen sorgfältigen und schicken Haarschnitt zu schneiden?

Mögliche Themaverfehlung

Dienstag, 13. Dezember 2005

Sowas, jetzt ist mir doch noch was zum Thema “erotische Tischgeschichten” eingefallen, aber etwas Anderes. Hiermit nehme ich also erstmals an einem Textwettbewerb teil, wer hätte das gedacht. Mein Beitrag zu Dons DADA:

Agenturweihnacht

Agenturweihnachtsfeier, das braucht sie gerade so dringend wie einen Kropf. Vor lauter Arbeit sieht sie sich eh nicht mehr raus, dann bedeutet Dezemberende auch noch Monatsabschluss und Quartalsende – als Etatchefin muss sie also Rechnungen schreiben, Stundenzettel auswerten, Rentabilität belegen, Quartalsberichte für die Vertragskunden formulieren, so manchen Posten noch schnell nachträglich absolvieren, um nicht zu lügen. Dazu die Weihnachtsdepression, die sicher wie das Amen in der Kirche spätestens zwei Wochen vor der Wintersonnwend einsetzt. Doch es hilft alles nichts, es ist früher Nachmittag und damit Feierbeginn, sie muss mit. Rechner aus, Winterjacke überziehen, in der ausgelassenen Unruhe der Kollegen verschwinden.

In Kleinbussen zu einem Münchener Nobelitaliener. Verzeihung, hätte sie nicht so sagen sollen. „Zu DEM Münchener Nobelitaliener!“ Ah, die beiden Agenturchefs werden vom Wirt lauthals und mit Umarmung begrüßt; hierher kommen vermutlich die vierstelligen Rechnungen über „Arbeitsessen zur Strategieplanung“, von denen die Buchhalterin hinter vorgehaltener Hand spricht.

Allesamt werden sie in ein düsteres Hinterzimmer geführt, eingerichtet in einer Mischung aus bayerischem Jagdschloss und Südtiroler Skihütte. Unauffällig im Hintergrund halten, besser mal auf einen Platz am Katzentisch in der Nähe des Ausgangs hoffen, um später unbemerkt verschwinden zu können. Mist, der Chef war noch nicht im Raum. Er kommt nach, legt ihr den Arm um die Mitte: „Komm, setz dich doch zu mir.“ Anstatt am Katzentisch landet sie mitten drin, neben dem Ehrenplatz, im Zentrum eines Treibens, das in solchen Situationen gerne als „fröhlich“ bezeichnet wird.

Sie versucht, sich in das rustikale Muster der Tischdecke zu vertiefen: Grün und Rot auf Leinenweiß, ist das gestickt, gewebt oder gedruckt? Aber es wird Geselligkeit von ihr verlangt. „Lieber den Roten, gerne.“ Sie blickt endlich auf und weiß, dass dieser Nachmittag ihr endgültig das Herz brechen wird. Denn er sitzt ausgerechnet mitten in ihrem Blickfeld, am anderen Ende des Raums und ohne dass die Sicht von jemandem oder etwas verdeckt wird. Alle schießen sie ihr gleichzeitig ins Gedächtnis, die brustzerreißenden Momente, in denen sie vergessen hatte, ihre Schilde hochzunehmen, und in denen ein Anblick, ein Wort, ein Lachen von ihm einen Sturm maßloser Verliebtheit ausgelöst hatten. Wie sie auf einer Geschäftsreise bei einer gemeinsamen Zigarette im Zugrestaurant seine endlosen honigblonden Wimpern betrachtet hatte, als er unvermutet erzählte, dass seine langjährige Freundin ihn nun doch verlassen habe, sie ihrem Hirn zusah, wie es „Scheiße, oh nein“ machte, und sie erst dadurch merkte, dass da eine Barriere gefallen war, die ihr geholfen hatte, sich gegen die Anziehung zu wappnen.

Hätte sie überhaupt Appetit gehabt – jetzt wäre er weg. Zumindest sitzt er seitlich zu ihr, und sie muss sich nicht wie eine Dreizehnjährige beim Guckt-er-guckt-er-nicht-huch-er-hat-gesehen-dass-ich-gucke fühlen.

Sie lässt sich die Antipasti servieren, obwohl sie weiß, dass sie sie kaum anrühren wird. Eingelegtes Gemüse, ein bisschen Meeresfrüchte, ein bisschen buntes Irgendwas. Als der Chef neben ihr aufsteht, es kurz still wird und er einen Trinkspruch ausbringt, merkt sie, dass ihr Weinglas bereits leer ist. Sie schenkt sich nach, mit leerem Magen rutscht der Alkohol besser. Wo sie doch weiß, dass sie davon doch auch noch rührselig wird und nicht etwa vergnügt. Dann soll es halt so sein, mit Anlauf in den Moorsee sentimentaler Erinnerungen. Die Fahrt zum Seminar mit ihm am Steuer, auf der sie fast eine Stunde lang vom Rücksitz aus die sanfte Haut seines Nackens unter dem stoppelkurz rasierten Haar betrachtete: War die Haut selbst golden gebräunt oder entstand der Schimmer durch einen goldenen Hauch von Härchen? Ach, wenn er statt des Herrenhemdes nur ein T-Shirt getragen hätte: Der steife Kragen verdeckte den Anblick eines sicher hinreißenden Trapezmuskels.

„Ja hallo Beate! Ja, super, auf dein Wohl!“ Beate erinnert daran, wie der andere Chef bei einer vorhergehenden Weihnachtsfeier darauf bestanden hatte, dass jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin ein Lied singt oder ein Gedicht aufsagt. Wegen Weihnachten. „Hoffentlich kommen wir heute drum rum. Wir sind ja auch so viele geworden.“ Sie lachen zusammen, alle lachen.

Sie hat die Antipasti geschickt auf ihrem Teller herumgeschoben, und niemandem fällt auf, dass sie nur einen Bissen davon genommen hat. Die Küche ist mit den vierzig Weihnachtsfeiergästen ohnehin überfordert; als ihr Teller endlich abgeräumt wird, sind die Vorspeisen jenseits jeder Appetitlichkeit. „Pasta?“ Klar, irgendeine Pasta, nur her damit. Und noch ein Glas Wein: „Danke, ich bleibe bei dem.“

Sie sieht wieder hinüber zu ihm. Er raucht, sie betrachtet seine großen Hände mit kurzen breiten Nägeln, wie sie beim Halten der Zigarette weniger Kraft als Bedachtheit ausstrahlen. Die zufälligen Berührungen im Gespräch, zu denen sie in impulsiven Stimmungen neigt, ein Stupser in den Oberarm, ein kurzes Tappen mit der flachen Hand aufs Knie. Die ihr nur bei ihm bewusst wurden und sie sofort befangen machten. Zumal sie bemerkt hatte, dass er selbst überhaupt kein Anfasser ist. Wie sie sich immer wieder ganz fest vorgenommen hatte, konsequent die Finger von ihm zu lassen. Und wie anstrengend das war, wenn er in einer Besprechung direkt neben ihr saß. Er ist ein guter Mensch, warmherzig, humorvoll, hat schon als Teenager Snowboardkurse für Kinder gegeben, ist so gar nichts für eine Affäre. Sie wiederum hat es überhaupt nicht mit festen Beziehungen, gemeinsamer Zukunft etc., Familie gründen, Baum pflanzen, Haus bauen – seinen Lebenszielen. Außerdem ist sie seine Chefin.

Zwei Gabeln Pasta sind genug, um zumindest festzustellen, dass dieser Italiener, mag er noch so DER und Nobel- sein, Gewürze für überschätzt hält. „Ja, können Sie abräumen, vielen Dank.“ Ihr Chef macht Konversation, der Wein, die Gegend, aus der er kommt: „Wirklich schön da, habe mir gerade noch zwei Kisten des 1980ers sichern können.“ Sie macht Zuhörlaute, erst als er über Literatur spricht, nimmt sie tatsächlich am Gespräch teil. Doch auch dann gehört ein Teil ihrer Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der anderen Seite des Raums. Sie hört ihn laut mit den Kollegen albern. Da sein Auftreten ruhig ist, kommen seine Bonmots, meist im tiefsten Bayrisch, umso überraschender. Und umso näher geht es ihr, wie er vom Lachen nach hinten gerissen den Kopf zurückwirft, die Ansätze der Schlüsselbeine werden kurz sichtbar, wie er sich Tränen aus den Augen wischt, schlagartig scheinbar ernst wird, um die nächste Pointe zu setzen.

Der Fisch ist mehr als passabel, vielleicht ist sie aber inzwischen einfach betrunken genug, dass ihr Körper seine Appetitlosigkeit vergessen hat. Die lahmen Rosmarinkartoffeln lässt sie dennoch stehen. Sie bittet ihre Tischnachbarn, sie mal schnell rauszulassen. Irgendwie wenigstens kurz weg aus Rauch und Lärm. Auf der Straße ist es dunkel, außerdem nasskalt. Bleibt das Klo, hell und kühl. „Ah, hallo Petra, ham’s uns nicht mal zu Weihnachten das Schlangestehen erlassen? Ja mei.“

Ihr Mund ist unangenehm trocken, zurück an ihrem Platz bittet sie um ein Glas Wasser. Oh je, inzwischen hat er seinen Pulli ausgezogen und sitzt im T-Shirt da, kurzärmlig. Der Anblick schnürt ihr kurz die Kehle zu. Er ist durch und durch sportlich, hat sogar einen Lauftreff gegründet. Laufen hatte sie immer todeslangweilig gefunden, doch sie wollte ihm imponieren. Also trainierte sie erst mal heimlich für sich, um dann ganz beiläufig und gut in Form beim Lauftreff aufzutauchen. Fit genug, mit ihm zumindest eine Weile Schritt zu halten und aus den Augenwinkeln die Bewegung seiner Muskeln unter der engen Laufhose zu beobachten. Gibt es überhaupt breithüftige Läufer, gute breithüftige Läufer? Als sie an die Grenzen ihrer Ausdauer kam, lenkte sie sich mit der Vorstellung ab, wie sie ihre Handfläche in sein Hohlkreuz schmiegte, erst auf der Laufjacke, dann darunter auf dem Shirt, dann auf seiner noch vom Sport schweißkühlen Haut.

Sie ist nicht die einzige, die auf den Fleischgang verzichtet. Ihr Appetit ist wieder weg, Kalb reizt sie ohnehin nicht besonders. Die vielen Gläser Wein bereiten ihr Kopfweh, benebelt wendet sie sich wieder zu ihm hinüber. Und blickt ihm mitten in die hellen Augen. Ihr wird vor Schreck übel, dann überflutet sie Trauer. Sie schafft es nicht zu lächeln, wie man es automatisch beim Blickkontakt tut. Auch sein Gesicht ist ernst, und sie ist sich sicher, dass sie Distanz, Verstimmtheit und Abwehr in seinem Blick ausmacht. Vielleicht sogar Verachtung? „Wie? Nein, kein Dessert, danke.“ Nein, auch kein Espresso. Als sie wieder hinüberschaut, hat er sich seiner Tischrunde zugewendet.

Jetzt wäre sie sehr gerne nüchtern und klar, der Alkohol nimmt ihr jeden Schutz vor dem Gefühlssturm. Sie drückt sich wieder an ihren Tischnachbarn vorbei, nimmt ihre Tasche mit. An der Garderobe wühlt sie aus den Mantelbergen ihre Jacke, schlüpft hinein, tritt vor das Lokal. Es regnet ein wenig, aber sie weiß, dass sie davon nicht schneller nüchtern wird. Weinen wäre jetzt schön. Da vorne ist schon die Straßenbahnhaltestelle.

Die gute Tat

Samstag, 10. Dezember 2005

Na gut, sie hat ja Recht, deswegen haben ich Tanjas Appelle heute in die Tat umgesetzt: Ich bin drei Straßenbahnhaltestellen zum unabhängigen und beratungsfreudigen Buchladen Moths gefahren, um zwei Bücher zu kaufen, die ich an Weihnachten verschenken möchte: Bernsteins Die Näherin und Schrobsdorffs “Du bist nicht so wie andre Mütter”. Hatten sie nicht da. Und obwohl ich diese Bücher vermutlich beim Büchergiganten Hugendubel sofort bekommen hätte, über Amazon bis Dienstag geliefert, habe ich brav bei Moths bestellt. Auch wenn meine Arbeitszeiten mir erst nächsten Samstag erlauben werden, sie abzuholen.

Denn die Entdeckung von Amazon vor vielen Jahren war für mich eine Offenbarung. Ich kaufte fast ausschließlich englischsprachige Bücher, die ich entweder kofferweise von Englandbesuchen anschleppte oder mit wochenlanger Lieferzeit über Provinzbuchläden (geöffnet bis 18 Uhr) mit unwilligen Verkäuferinnen bestellte. Jetzt musste ich nur klicken und bekam alles frei Haus. Da musste mir leider egal sein, dass ich mich am Untergang des deutschen Buchhandels beteiligte.

Jetzt ist mein geheimer Plan: Mich bei Moths als gute und vertrauenswürdige Kundin etablieren, damit ich meine Bücher zwar dort kaufen, aber bei deren Online-Bestellservice anfordern und dann auf Rechnung liefern lassen kann.

Recent Visitors

Donnerstag, 8. Dezember 2005

Huhu! Lila, ich kann dich sehen!
(Boah, fühl ich mich global.)

Jobtitel

Mittwoch, 7. Dezember 2005

„Propaganda-Wurzn“ hat er mich gerade zur Begrüßung genannt, der liebe pensionierte Kollege auf Besuch.
Ich hefte das zur „Provinz-Schreibsn“ aus meiner Vergangenheit als Lokalredakteurin.

(Hätte ich auf Ingenieurin gelernt, würde mir das nicht passieren.)

Eine persönliche Hüsch-Geschichte

Dienstag, 6. Dezember 2005

Bei mir war es nämlich der hessische Woidler* Frank, der mir Hüsch beibrachte. Schon die erste der vielen Audiokassetten, die er mir im Lauf unserer Freundschaft zusammenstellte, enthielt ein Stück Hüsch: „Kino“. Er fütterte mich regelmäßig mit Hüsch-Schnippseln (“Als seine Bewusstlosigkeit, der Herzog von Braunschweig…”, “Hagenbuch hat jetzt zugegeben…”), bis ich anfing, selbst zu suchen und zu kaufen.

Einmal nahm mich der Frank mit in seinen hessischen Heimatort. Ich musste zu einer Tagung nach Bonn, da fuhr ich einfach einen Tag früher und mit Frank, damit ich die Gegend besichtigen konnte, in der das R angeblich englisch ausgesprochen wurde (es stellte sich heraus: Die tun das da wirklich.). Auf dem Weg dorthin füllte Frank mich mit Hüschs „Schwarzem Schaf vom Niederrhein“, rauf und runter, als Einstimmung. Ich lachte sehr, zumal bei der Beschreibung des typischen Niederrheiners, der nach Jahrzehnte langer Abwesenheit im Ausland zurück kommt, die Wohnungstür öffnet, und dem als erstes von der Verwandtschaft die Frage entgegen schallt: „Weißt du, wer gestorben ist? Das rätst du nie!“

Am Ende der Fahrt machte Frank erstmal am örtlichen Krankenhaus Halt: Franks Oma war nämlich gefallen und hatte sich verletzt, weswegen sie dort drin lag. Wir öffneten die Tür zum Krankenzimmer und blickten auf eine schöne und stattliche alte Frau, Franks Oma. Ohne auch nur „Hallo“ zu sagen, fragte sie ihn: „Weißt du wer gestorben ist? Das rätst du nie!“ Den schlechten ersten Eindruck, den sie von mir bekommen haben muss, als ich lachend zusammenbrach, hatte ich nie Gelegenheit, wieder grade zu biegen.

*Ein bayrischer Woidler kommt aus dem Bayrischen Wald, ein hessischer also – aus dem Westerwald.

“Große Kunst muss man auswendig lernen, kleine darf man ablesen.”

Dienstag, 6. Dezember 2005

Hanns Dieter Hüsch ist tot. Nun hat er doch nicht mehr den Lear gespielt, wie furchtbar schade.

Der Titel ist nur eines von den zahllosen Hüsch-Bonmonts, die ich alltäglich verwende und für die ich oft schräg angeschaut werde, weil sie niemand zuordnen kann.

Selbst wenn Sie nicht wissen, wer das ist: Wenn Sie alt genug sind, sich an die Sendung “Väter der Klamotte” zu erinnern – Hüsch war der Off-Sprecher.

ITW hat heimlich sein “Abendlied” abgetippt, werde ich mir daheim zum Gedenken von Platte anhören.