Romantik und Aufklärung
Dienstag, 6. Dezember 2005
Ich würde mich nie ohne meinen Glücksring an einen Pokertisch setzten, den Ring, den ich von meinem spanischen Großvater geerbt habe. (Und der mich immer noch sehr rührt: Mein abuelo war so arm, dass er sich nur hohles Gold leisten konnte, besetzt mit einem blauen Glasstein. Aber Schmuck musste sein.) Nicht dass ich dank diesem Ring ein Vermögen erkartelt hätte, doch ohne ihn – so bin ich mir sicher – nähme ich mir jegliche Chance auf Pokerreichtümer.
Dies als Beweis, dass ich keineswegs nur aus Ratio bestehe. (Allerdings war früher mein Glückbringer beim Pokern die aquamarinblaue Anzugweste, die mein Vater in den 70ern getragen hatte. Als ich nicht mehr reinpasste, musste das Glückbringertum eben auf etwas anderes wechseln. Ich fürchte, mein Aberglaube ist nicht sehr gefestigt.)
Und doch gehöre ich eindeutig auf die Seite der Aufklärung, nicht der Romantik.
Die Aufklärung entwickelt Erkenntnis aus der Abstraktion, der vernünftigen Suche nach Gesetzmäßigkeit entlang den Regeln für Wissenschaftlichkeit. Die Romantik basiert Erkenntnis auf persönlichem Erleben, der subjektiven emotionalen Perzeption.
Und dann steht der juristisch wasserdichte Vertragsvorschlag der Anwältin gegen „Ich hab da kein gutes Bauchgefühl“ der Mandantin. Das mit großem Aufwand errungene Budget für WLAN im Schulneubau gegen Elternwiderstand aus Strahlenangst. Oder der Hinweis, dass selbst das Münchener Leitungswasser es an Wirkstoffgehalt mit homöopathischen Flüssigkeiten aufnehmen kann, gegen die Erfahrung, dass Schmerzlinderung und Einnahme der Flüssigkeit koinzidierten.
Wenn in Afrika in abgelegenen Gegenden erneut Ebola ausbricht, kommen die Helfer nicht mehr an die Kranken ran. Diese haben beobachtet, dass immer nach dem Besuch der weiß vermummten Männer viele Menschen elend sterben und verstecken sich vor diesen weißen Gestalten – weil sie deren Erscheinen für die Ursache der Krankheit halten.
Dann die (ausgesprochen kompetente) Arbeitskollegin, die unter Kopfschmerzen litt und überzeugt war, die Ursache sei die Strahlung ihres Computerbildschirms. Sie besorgte sich einen großen Rosenquarz und stellte ihn auf den Bildschirm, damit der Stein die Strahlen von ihr weg und in sein Inneres lenke. Ihre Kopfschmerzen verschwanden fast völlig, aus der zeitlichen Korrelation leitete sie Kausalität ab. Und nicht nur das sah sie als Beweis der Wirksamkeit ihrer Methode an: Der Rosenquarz wurde sehr schmutzig, nach ihrer Interpretation von den Spuren der eingesammelten Strahlen.
Klar, das ist Empirie (eine durchaus aufklärerische Methode) in ihrer einfachsten Form. Um aus dem Einzelfall („wenn ich diesen konkreten Stein auf diesen konkreten Bildschirm stelle, wird mein Kopfweh besser“) ein allgemein gültiges Gesetz abzuleiten (Rosenquarze auf Computerbildschirmen helfen gegen Kopfweh des Users), braucht es für die zeitgenössische Romantik nichts weiter als das persönliche Erlebnis. Doch die Aufklärung von heute fordert erst mal eine systematische Versuchsreihe unter klar definierten und begründeten Bedingungen, mit dokumentierten und nachvollziebaren Beweisen.
Das ist sehr aufwendig und anstrengend und wird zudem von der Romantik (die seinerzeit ja als Gegenbewegung zur Aufklärung entstand) als kalt und unmenschlich wahrgenommen. Vielen Romantikern gilt der Konflikt einer Erkenntnis mit naturwissenschaftlichen Grundlagen sogar als Beweis der Validität. Und nicht umsonst bezieht sich die Romantik auf eine ferne und idealisierte Vergangenheit: Auf eine Zeit, die mit derselben Argumentation Hexen verbrannte („die Nachbarin ist an meinem Stall vorbeigegangen, und dann ist die Kuh gestorben, also war die Nachbarin daran schuld, ich hab’s doch selbst gesehen“) und von der sich Europa durch die Aufklärung zumindest zum Teil befreite.




