Toledo und Reste
Sonntag, 10. Juni 2007In Toledo ist immer alles zu, wenn ich dort bin. Diesmal habe ich unseren Besuch aus Versehen ausgerechnet auf die größte örtliche Fiesta im Jahr gelegt, Corpus Christi. Glücklicherweise waren diese Fronleichnamsprozessionen begrenzt (anders als in Cádiz vor ein paar Jahren während der Karwoche, als wir uns buchstäblich keine 20 Meter bewegen konnten, ohne durch maskierte Menschen mit hohen spitzen Hüten am Weitergehen gehindert zu werden). Wir mussten lediglich die Prediger- und Beterei des Pfarrers über uns ergehen lassen, die über Lautsprecher in jeden Winkel der ausgesprochen verwinkelten Toledaner Altstadt überragen wurden. (Gibt es eigentlich ein eigenes katholisches Bullshit-Bingo? Und dann nochmal eine Mariamuttergottes-Sonderversion?) Wirklich nett: Die an der Prozession beteiligten Cofradías, sowas entfernt Ähnliches wie Trachtenvereine hier in Bayern, waren schon in der Nacht zuvor in vollem Kostüm in den festlich geschmückten Straßen unterwegs und spielten und tanzten mal hier, mal da eine Jota.
Ich stellte mir vor, so wäre das in München in der Nacht vor dem großen Festumzug zum Oktoberfest. Würde mir gefallen.
Sehr praktisch: Über den gesamten Prozessionsweg sind Tücher als Sonnenschutz gespannt.
Auffallend an den erklärenden Schildern an Sehenswürdigkeiten, in Palästen und Kirchen, in allen Städten, die wir besuchten: Die Rolle der früheren muslimischen und der jüdischen Bewohner Spaniens wird erheblich breiter und respektvoller gewürdigt als noch vor zehn, 15 Jahren. In Toledo gibt es ein eigenes sephardisches Museum in einer ehemaligen Synagoge. Kurz vor unserer Abfahrt erwischten wir dann doch noch eine Öffnungszeit und sahen uns um: Eine ausführliche und liebevolle Aufbereitung der jüdischen Besiedlung von und Vertreibung aus Spanien.
Dann doch eine selbst entdeckte Bar, die ich in Toledo sehr empfehle: El Botero, Calle de la Ciudad 5. Mitten im Gassengewirr der Altstadt („Gewirr“ bitte wörtlich nehmen; in Toledo ließ mich mein sonst so verlässlicher Orientierungssinn völlig im Stich), an den Wänden uralte Stierkämpferfotos, exzellente Weine im Ausschank. Der junge Mann hinter der Theke war jederzeit zu Empfehlungen bereit, und als Tapas gab es unter anderem Stockfisch mit Orange und Minze. Vielleicht wird da ein Muster sichtbar: Wo man Wein ernst nimmt, werden auch die Speisen ernst genommen?
Anlässlich von Corpus Christi gab es einen Patio-Schönheitswettbewerb („Unser Patio soll schöner werden“?), überall sah man Einheimische mit der Liste der Teilnehmer herumlaufen und über die besichtigten Patios debattieren.
Das Abgefahrenste in Toledo allerdings: Rolltreppen vom neueren Teil der Stadt auf Höhe des Flusses Tajo zur oben gelegenen Altstadt.
Im Parador von Ávila sehr froh gewesen über das zusätzliche Nebenzimmer samt Sofa und Zwischentür, weil es mir ein paar Nächte Schlaf ohne drückende Ohrstöpsel ermöglichte. Der schnarchende Mitbewohner wird jetzt einen HNO-Arzt aufsuchen um herauszufinden, was an meinen Ohren nicht stimmt, dass ich nicht schlafen kann, wenn jemand im selben Zimmer schnarcht.
Wieder daheim in München nachgeschlagen: Dohlen, die graukragigen Krähenvögel da in Kastilien waren also Dohlen. Und das war dann doch ein Roter Milan mit dem eckigen Schwanz (Bussarde, Schwarzmilane, Geier ebenfalls in großen Mengen gesehen).