Archiv für November 2016

Journal Sonntag, 13. November 2016 – Wir kaufen wirklich eine Gärtnerei

Montag, 14. November 2016

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Wir, das Kartoffelkombinat, kaufen also tatsächlich eine Baumschule in Spielberg und machen daraus unsere Gärtnerei. Das beschlossen wir gestern in einer außerordentlichen Generalversammlung. Hurra!

Aufsichtsrat und Vorstand präsentierten den Antrag in Einzelschritten (Immobilienkauf – Finanzierung des Kaufs – Konzept des Betriebs – Finanzierung des Betriebs). Nach jedem Schritt bat der Aufsichtsratvorsitzende um ein Stimmungsbild, mit den Farbkarten grün (dafür), weiß (na ja), rot (dagegen). So zeichnete sich auch Schritt für Schritt ab, dass der Gesamtantrag, der aus all den Schitten bestand, angenommen werden würde.

Tatsächlich hatten mich die politischen Ergebnisse der vergangenen Monate verunsichert. Als es hieß, dass sich unerwartet viele Menschen zur Generalversammlung angemeldet hätten (es waren 250, ein Viertel aller Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler), reagierte ich nicht sofort mit Freude – ich fürchtete, dass sich jetzt, kurz vor knapp, die Gegner und Gegnerinnen zeigen würden (und nicht schon auf den 20 Infoveranstaltungen und Besichtigungen der Baumschule in den vergangenen Monaten). Zumal nicht mal die Hälfte der Mitglieder weitere Genossenschaftsanteile (à 150 Euro) für eben diesen Kauf gezeichnet hatten – und das, wo doch die eigene Gärtnerei das erklärte Ziel des Kartoffelkombinats war und ist.

Doch dann stimmten 100 Prozent dem Kauf zu, alle. (Hier ein paar Fotos von der Generalversammlung.)

Was mir aber beim Blick auf unsere Genossenschaft mal wieder auffiel: Das ist schon eine sehr akademisch geprägte und homogene Gruppe. Gehöre ich damit schon wieder zu Ausgrenzerinnen und Elite und erzeuge Wut? Kann man sauer werden, wenn Leute wie ich auf die Folgen des Kaufs von Supermarktgemüse hinweisen? “Jetzt soll ich mir wegen politischer Korrektheit darüber AUCH noch Gedanken machen?!” Wenn Leute wie ich sich für Alternativen engagieren? “Die hält sich wohl für besonders gescheit?! Wahrscheinlich sogar für etwas Besseres!”

Und schließlich: Sind vielleicht genau diese Sorgen von uns Liberalen am End’ herablassend und arrogant?

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Nachmittags erste Weihnachtsstollen gebacken, die Charge zur Versendung an die italienische Verwandtschaft.

Journal Samstag, 12. November 2016 – #12von12

Sonntag, 13. November 2016

Das Fotoprojekt #12von12: Am 12. eines Monats über den Tag Fotos machen, mit 12 davon im Blog den Tag dokumentieren. Hier werden die Teilnahmen gesammelt.

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Ausgeschlafen. Da ich in der Nacht zuvor lediglich den Tisch abgedeckt und in Standardform gebracht hatte (von oval zu rund) sowie die Geschirrspülmaschine befüllt und angeschaltet, sah die Küche noch sehr nach Gästen aus. Mit diesem Rest befasste sich Herr Kaltmamsell (u.a. sind die Goldrandteller nicht Spülmaschinen-tauglich).

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Mein Frühstückskaffee. (Herr Kaltmamsell nimmt seinen an seinem Schreibtisch.)

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Wir hatten den Verdacht, dass die für die Amseln am Balkon ausgelegten Rosinen in den vergangenen Tagen in Krähenmägen verschwunden waren. Den beiden, die auf den Kastanien vorm Balkon saßen, legte ich Erdnüsse aus. Die ersten schnappten sie sich erst, wenn ich nicht mehr im Wohnzimmer war (im Gegensatz zu den anderen Vögeln begreifen die Krähen nämlich das Konzept Fenster und glauben mich nicht verschwunden, wenn ich die Balkontür schließe). Doch schon bei der dritten Runde Erdnüsse auf Balkonsims fürchtete sich zumindest eine der beiden nicht mehr vor mir.

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Buch zwei der Wochenend-SZ. Ich habe den Eindruck, dass die Medien sich in den vergangenen Monaten hauptsächlich mit denen befasst haben, die sie als “vergessen”, “ausgegrenzt”, “abgehängt” bezeichnen – mit bösen weißen Männern. Die faktisch diskriminierten Bevölkerungsgruppen am Rand der Gesellschaft (in USA z.B. schwarze alleinerziehende Mütter, illegal Eingewanderte aus Mexiko) schienen nicht so berichtenswert. Da dies aber ein unbelegter, persönlicher Eindruck ist, misstraue ich ihm (Entscheidungen auf der Basis von Resentiments und Gefühlen sind eben genau keine gute Idee). Kennt irgendjemand Zahlen zur Berichterstattung in den deutschen Medien? Wie oft in welcher Kaufmedienart über welche US-Bevölkerungsgruppe berichtet wurde? Sie würden mich sehr interessieren.

Denn: Mussten diese weißen Männer wirklich Angst haben? Die FAZ beobachtet:
“Die Angst vor der weißen Wut”.

Auch als Präsident Obama gewählt wurde, hatten seine Gegner keine Angst. Ärger, Verachtung und eine Riesenwut, das ja. Aber niemand musste realistischerweise fürchten, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Niemand musste fürchten, seine Art zu leben hätte in den Vereinigten Staaten keinen Platz mehr und dürfte mit keinem Schutz mehr rechnen. Kein mühsam erkämpftes, inzwischen verbürgtes Recht war in Gefahr, wieder entzogen zu werden. Niemand brauchte Angst davor zu haben, wegen seiner Rasse, seiner Herkunft, seiner Religionszugehörigkeit, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung respektlos behandelt, ausgegrenzt, bedroht zu werden.

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Raus an die Isar zum Laufen. Das Wetter war kalt und düster, doch fürs Gemüt brauchte ich dringend mal wieder entspanntes Traben in schöner Umgebung. Das immer noch leuchtende Restlaub hielt gut gegen den düsteren Himmel an. Leider habe ich davon nur ein Foto, denn mein 100% geladenes Smartphone ging bereits nach 20 Minuten, in denen ich es lediglich zweimal zum Fotografieren aktiviert hatte, wegen Akku leer aus. Ich habe ein Problem.

Auf dem Heimweg lief ich gleich mal beim Apple-Schrauber ums Eck vorbei – und stellte fest, dass er mittlerweile durch einen Friseur ersetzt wurde. Kann ich also erst nächste Woche anpacken.

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Ich hatte Lust auf ein seltenes Vollbad. Bitte beachten Sie: Es handelt sich lediglich um eine perspektivische Täuschung, die das Buch mit Schaum bedroht.

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Auch Frühstück hatte ich mir auf dem Heimweg geholt. Mit der knusprigen Kruste der Ciabatta-Semmel riss ich mir gehörig den Gaumen auf.

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Die Bügelwäsche der vergangenen drei Wochen abgearbeitet (seine Hemden bringt Herr Kaltmamsell in die Reinigung – vier Hemden für acht Euro, selbst käme ich damit nicht mal auf Mindestlohn).

Ich hörte dabei das WDR-Radiofeature
“Spaniens geraubte Kinder”.

Dass im Spanien der Francozeit Regimegegnerinnen systematisch die Kinder weggenommen wurden, meist direkt nach der Geburt, ist ja eh ein immer noch unaufgearbeiteter Skandal. Doch dieses lukrative Geschäft wurde auch nach Ende der Diktatur weitergeführt, die katholische Kirche sorgte dafür. Man schätzt, dass insgesamt 300.000 Kinder betroffen sind. Margot Litten hat recherchiert, warum das bis heute keine rechtlichen Konsequenzen hatte, sprach mit Müttern auf der Suche nach ihren Kindern, mit Kindern, die ihre biologischen Eltern nicht kennen, mit Juristen, die vergeblich versucht haben, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Und wir sprechen hier von einem EU-Staat im 21. Jahrhundert. Als erzählt wurde, wie eine 99-jährige und eine 100-jährige baten, dass ihre DNA archiviert werde, für den Abgleich mit künftigen Funden in Massengräbern, und wie sie abgewiesen wurden, fing ich fast zu weinen an. (Unter anderem weil ich buchstäblich keine Ahnung habe, wie viele Leichen meine eigene spanische Familie im Keller hat. Ich weiß ja nicht mal, auf welcher Seite welche Angehörige meiner Großelterngeneration im Bürgerkrieg gekämpft haben.)

Das Feature weist auch darauf hin, dass die Rolle der katholischen Kirche im spanischen Faschismus bis heute nicht aufgearbeitet ist (war eines meiner Magister-Prüfungsthemen, in den 21 Jahren seither scheint nichts vorangegangen zu sein). Fast nichts ist in Spanien aufgearbeitet: Das Amnestiegesetz, das seinerzeit eine ungehinderte transición in die Demokratie ermöglichen sollte, verhindert das bis heute.

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Wir läuteten den Abend mit Manhattans ein.

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Zum Nachtmahl gab es die Cocido-Reste vom Vorabend.

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Und die Nachtisch-Reste.

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Es gibt Schlafwandler. Und es gibt Zahnputzwandler.

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“Trump confirms that he just googled Obamacare”.

“I Googled it, and, I must say, I was surprised,” he said. “There was a lot in it that really made sense, to be honest.”

Wann tritt er sein Amt an? 20. Januar? Dann hat er noch gut zwei Monate, sich in die Themen einzulesen, die er für seinen Wahlkampf zerfetzt hat. Prima.

Journal Freitag, 11. November 2016 – Cocido fürs Kollegium

Samstag, 12. November 2016

Im prasselnden Regen in die Arbeit gegangen. Auf dem Rückweg war es so düster wie den ganzen Tag über, aber ich brauchte nur für das letzte Stück meinen Schirm. Über den Tag möglichst vielen Menschen begeistert von meiner ersten Bürgerversammlung erzählt, zu mehr politischem Aktivismus bin ich leider nicht fähig.

Abends hatte Herr Kaltmamsell Kolleginnen und Kollegen zum Cocido-Essen eingeladen: Die vor Monaten eingefrorene Brühe aus Jamón-Knochen sollte endlich weg. (Und er wollte diese Gäste gerne einladen.) Mein Beitrag waren lediglich Weinkauf, Tischdecken und Flan zum Nachtisch. Sehr interessante Gespräche mit ausgesprochen angenehmen Menschen.

Bis in die Knochen erschöpft ins Bett.

Journal Donnerstag, 10. November 2016 – Meine erste Bürgerversammlung

Freitag, 11. November 2016

Schon mal Restaurantempfehlungen für Mallorca Ende des Jahres recherchiert. Auf die Speisekarte eines kleinen Lokals in Sollér gestoßen, die auch Jamones anbietet und dabei unterscheidet zwischen
“Jamón del bueno, bueno”1
und
“Jamón del bueno pero no tan bueno, pero sigue siendo bueno”.2
Dieser Humor gefällt mir, da will ich dringend essen und trinken.

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Abends zum ersten Mal an einer Bürgerversammlung teilgenommen. In Bayern finden sie auf kommunaler Ebene einmal im Jahr statt, in München nach Stadtbezirken aufgeteilt und vom in der Kommunalwahl gewählten Bezirksausschuss geleitet. Gerade jetzt, wo immer mehr davon Profitierende die Vorteile unserer Demokratie bestreiten, möchte ich mehr ihrer Möglichkeiten wahrnehmen. Wenn ich mich schon nicht aktiv engagiere.

Und es war ganz großartig. Die Turnhalle in einem Hinterhof der Corneliusstraße war gut voll, auch wenn ich nach der Begrüßung der Funktionsträger den Eindruck hatte, dass die Hälfte der Menschen vom Amts wegen da war. Ich erlebte endlich mal Alexander Miklosy von der Rosa Liste, den ich seit meinem Zuzug nach München in unseren Bezirksausschuss wähle – ein richtiger Vorzeigemünchner. Die Ausführungen über Finanzen der Stadt und aktuelle Projekte im Bezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt waren hochinteressant; ich notierte mir zum Dranbleiben:
– Forschungsprojekt City2Share
Ausstellung Südliches Bahnhofsviertel, die jetzt in der Blumenstraße 31 zu sehen sein soll
Aufführung der Mozartoper Zaide mit Geflüchteten im Januar in der Alten Kongresshalle

Der Leiter der Polizeidienststelle in der Beethovenstraße, das ist die, an der ich regelmäßig vorbeilaufe, gab den Sicherheitsbericht. Neben Hintergründen und Zahlen (u.a. Körperverletzungsdelikte angestiegen, Diebstahl und Einbrüche deutlich gesunken) vermittelte er, wie sehr er den Bezirk mag. Und forderte eindringlich auf, die Informationskanäle der Münchner Polizei auf Facebook und Twitter zu nutzen.

Das Eigentliche der Bürgerversammlung aber waren Anfragen und Anträge der Bürgerinnen und Bürger, die bis noch in die laufende Versammlung schriftlich eingereicht werden konnten. Zum Teil lasen die Einreichenden selbst vor, zum Teil ließen sie vorlesen. Die Themen gingen unter anderem von Lärmbelästigung (viel, vor allem am Gärtnerplatz und an der Müllerstraße) und Spielplätze über Parkbänke, Radwege, zu schnelle Autofahrer bis Taubenfütterung und Sperrung der Theresienwiese während des Oktoberfestaufbaus (nicht von mir – aber jetzt weiß ich, dass ich mit solchem Ärger in die Bürgerversammlung gehen kann). Fast alle Einreichungen waren gut nachzuvollziehen.

Nahezu alle Anträge wurden von der Versammlung angenommen, einige wenige auch abgelehnt – zumindest einer, weil er ungeschickt konkret formuliert war, statt eine allgemeine Lösung für das beschriebene Problem zu fordern.

Das möchte ich wieder machen.

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Im New Yorker ein langer Artikel über einen Restaurantkritiker der New York Times:
“Pete Wells has his knives out”.

Sehr interessant, weil unter anderem beschrieben wird, wie Lokale auf den Besuch eines Kritikers reagieren, von dem ihr Erfolg abhängt.

“I’m very reluctant to break the fourth wall,” Wells had said to me earlier, speaking of restaurant staff. “But I wish there were some subtle way to say, ‘Don’t worry!’” He sighed—he often sighs—and added, “I can’t honestly say that. Because sometimes they should worry.”

via Anne Schüsslers Blog

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Michael Seemann schließt pessimistische Schlüsse aus dem Ergebnis der US-Wahl:
“Desillusionierung und Selbstdiagnose in Trumpistan”.

Ich denke, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem ich einsehen muss, dass das System nicht mehr zu retten ist. Und zwar weil Establishment-Kandidat/innen und (vorsichtig) progressive Reformer/innen dem anscheinend tiefen Wunsch nach radikalem Umsturz und grundlegender Erneuerung nicht gerecht werden können. Und sie werden deswegen immer gegen eine sich radikal gerierende Rechte verlieren. Und dann passieren Dinge wie Brexit und Trump. Und das ist die schlimmste aller Welten.

Verbittert folgert er:

Nur ein linker Populismus kann den rechten Populismus schlagen.

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Dieses Jahr für den Seelenfrieden nötiger als je zuvor:
Der Weihnachtsspot von John Lewis.

via @londonleben

  1. So richtig guter Schinken. []
  2. Guter Schinken, aber nicht derart gut, aber wirklich immer noch gut. []

Journal Mittwoch, 9. November 2016 – Schlechte Nachrichten und Erinnerungen

Donnerstag, 10. November 2016

Aufgewacht zur Nachricht, dass jemand US-Präsident wird, den ich am Anfang seiner Kampagne, als alle noch über den absurden Gedanken seiner Kandidatur schmunzelten, mit Berlusconi verglich. Ich muss jetzt neu darüber nachdenken: Berlusconi hatte mehr gefährliche Medienmacht, wurde von seinen Wählerinnen und Wählern ebenso als echter Kerl verehrt, der sie auch alle gerne wären, und er ist in puncto Rassismus sowie Sexismus durchaus Trumps geistiger Bruder, doch er hatte zumindest politische Erfahrung. An ihm konnte die internationale Politik schon mal üben, wie man mit einem Menschen ohne Anstand und Benehmen öffentlich umgeht.

Aufgewacht auch zu Winterlandschaft.

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Die Theresienwiese war nach vier Monaten wieder passierbar (schon am Montag hatte ich gesehen, dass die Umzäunung beseitigt war).

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Abends bereitete ich schon mal den Nachtisch für die freitäglichen Gäste zu, am Donnerstagabend würde ich keine Zeit dazu haben.

Nach dem Abendessen (Salat aus Ernteanteil, kroatischer Pressack) verbrachte ich fast zwei Stunden mit ausführlichem Pokémon-Aufräumen: Mit Glücksei-Verstärkung den Fang der vergangenen zweieinhalb Wochen entwickeln, dann von jedem nur zwei bis drei behalten. Das dauerte vor allem deshalb so lange, weil die App immer wieder hängen blieb, entweder ganz oder mit Fehlermeldung, dass aus unbekannten Gründen dieses Pokémon nicht entwickelt werden oder verschickt werden konnte. Ich musste mehrfach neu starten, das betroffene Pokémon war anschließend verschwunden.

§

Der gestrige 9. November war ja auch der 9. November. An dem vor 78 Jahren der Antisemitismus in Deutschland organisiert gewalttätig wurde. Read on my dear erzählt ihre Familiengeschichte dieses Datums:
“Der 9. November”.

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“30 Painfully Hilarious Comics About Periods That Only Women Will Understand”.

Mein Favorit ist Nr. 22. Und ich freue mich sehr über die lustigen Cartoon-Uteri.

via @anneschuessler

Journal Dienstag, 8. November 2016 – Sich angreifbar machen

Mittwoch, 9. November 2016

Dadurch, dass ich hier als Mensch auftrete, verletzlich und angreifbar, habe ich unglaublich viele wundervolle Menschen kennengelernt. Einige davon sind Freundinnen und Freunde geworden sind. Weil ich hier nur wenig vorgebe, ist man mir immer wieder zu Hilfe geeilt, hat mich aufgefangen auf die anrührendste menschliche Art. Das wäre nicht so gewesen, wäre mein Ziel Unangreifbarkeit. Dass ich in diesem Blog nicht nur meine besten Seiten zeige, halte ich für einen entscheidenen Grund, dass es gelesen wird.

Für mich ist es befreiend, gerade dadurch nicht erpressbar zu sein. Erpressbar wird man durch Geheimnisse, durch etwas, was niemand wissen darf. Wenn auch nicht in jedem Detail und in jeder Tiefe steht hier aber, wie es mir geht, was mich beschäftigt, was ich entdecke und was das mit mir tut. Dadurch, dass ich mich angreifbar mache, mache ich mich überprüfbar und im Idealfall berechenbar – das Gegenteil von geheimnisvoll und mysteriös.

Ich will auch weiterhin nicht von Böswilligkeit von Leserinnen und Lesern ausgehen. Nicht dass mir die Existenz von Böswilligkeit verborgen wäre, aber ich mache sie nicht zur Basis meines Handelns. Ebenso wenig lebe ich ja mein Leben auf der Basis, dass mich jemand betrügen oder überfallen könnte, jemand bei mir einbrechen könnte, jemand mir etwas wegnehmen könnte oder mir Gewalt antun. Ich bevorzuge die Grundannahme, dass die allermeisten Menschen genau das nicht tun werden.

Bestürzenderweise ist das heute noch ungewöhnlicher als vor 15 Jahren. Jetzt ist die Lehrmeinung über das Leben im Internet, dass man – wenn überhaupt – die eigene Präsenz dort zur Selbstvermarktung nutzen sollte. Es gibt unzählige Karriereratgeber, die von der Wiege bis zur Bahre Tipps anbieten, wie man sich am besten online verkauft und gleichzeitig möglichst unangreifbar bleibt. Meist enthalten diese Ratgeber paradoxerweise auch die Empfehlung, möglichst „authentisch“ zu bleiben, und spätestens an diesem Punkt muss ich dann sehr lachen: Authentizität ist dann am erfolgreichsten, wenn sie ein komplettes Kunstprodukt ist.

„We are what we pretend to be.“ Und dazu gehört bei mir Angreifbarkeit.

Ja, vermutlich schließt sich gerade das Zeitfenster, in dem das Mitmachweb “Everybody has a voice” bedeutete und damit Einblicke in Lebenswirklichkeiten ermöglichte, mit denen man auf anderem Weg nie in Berührung gekommen wäre.

Ich kann gut nachvollziehen, wenn jemand es einfach nicht versteht, wie man sich so angreifbar machen kann. Menschen sind verschieden.

Doch wenn es bis zur nächsten existenziell bedrohlichen Lesart meines Befindens, meines Lebens und meiner Impulse wieder 13 Jahre dauert, halte ich das für eine erfolgreiche Quote.

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“Nackt im Netz
Was es heißt, sich zu entblößen”.

Journal Montag, 7. November 2016 – Wer ist hier ahnungslos?

Dienstag, 8. November 2016

Gnagnagnagnagna – das war dann gestern Vormittag ernsthaftes Schneien. Aber noch ohne Liegenbleiben.

Beim PokémonGo-Spielen hat mein Akku Schluckauf (möglicherweise auch sonst, aber da habe ich es bislang nicht mitbekommen). Nach 25 Minuten und bei 50 bis 60 Prozent Akkustand bildet er sich ohne Warnung ein, komplett leer zu sein. Und schaltet das Smartphone ab. Zum einen ein weiterer Grund, sich nicht auf Smartphone-basierte Bewegungstracker zu verlassen. Zum anderen: Zefix, wie soll ich so bitteschön Pokémon fangen?

Zu den Wahlen in den USA wird ja immer wieder als Argument für die Sachfremde der wütenden Trump-Wähler angeführt, die meisten kennten nicht mal den Namen des Senators ihres Bundeslands im Kongress. Ha. HA!
Bei dieser Gelegenheit fiel mir auf, dass ich, die ich mich für informiert halte, genauso wenig den Namen der Abgeordneten meines Wahlkreises im Bundestag nennen kann. Also habe ich mal nachgeschaut: Es sind sogar zwei, von denen ich mich nur an die Plakate des Herrn Uhl erinnere. Und dann sehe ich, dass der andere, Dieter Janacek, offenbar sogar auf ein mir besonders wichtiges Thema spezialisiert ist: Digitale Agenda. (Dr. Uhl hat’s eher mit Rüstung, auch ein wichtiges Thema.) Was ich mit diesem Wissen jetzt mache? Keine Ahnung. Ich sehe mich in erster Linie in der nächsten Diskussion mit Vertretern der “das ist doch keine Demokratie, was wir hier haben”-Glaubensrichtung auftrumpfen: “Weißt du auch nur, wer dein Wahlkreisabgeordneter im Bundestag ist?!” Ein gutes Gefühl.

Ich habe den Zweck zwar immer noch nicht kapiert, aber nach tagelanger Präsenz von Tellonym-Links in meiner Twitter-Timeline habe ich mir dann doch auch ein Konto angelegt: Hier können Sie mir anonym schreiben. (Nein, für mehr scheint die Plattform nicht gedacht.)

Abends endlich den Fragebogen zur Moselreise ausgefüllt. Er kam als PDF an einer E-Mail – war aber nicht etwa interaktiv. Klar, wo man Filterkaffee mit Sprühsahne für Cappuccino hält, ist ein als PDF gespeichertes Word-Dokument der neueste heiße Scheiß. (Ich war konstruktiv ehrlich, bezweifle aber jegliche Auswirkung.)

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“Ein autistischer Junge erfüllt sich seinen Traum und wird Drag-Ballerina”.

„Ich will Ballett machen“, sagt er mit vier Jahren, und es ist der allererste Satz, den er überhaupt von sich gibt.

Eine kleine glitzernde Geschichte. Und ein Anlass, sich auf YouTube durch alles zu klicken, was es von Les Ballets Trockadero de Monte Carlo gibt.

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https://youtu.be/6rpqmcXqcNw?list=RD4n-XldYggdA

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Hamburg begrüßt die Neue.