* markiert meine Empfehlungen
() In Klammern gesetzt habe ich aktives Abraten.
Unmarkiert sind Bücher, die mir genug zum freiwilligen Auslesen gefielen.
1 – Salman Rushdie, Two Years Eight Months and Twenty-Eight Nights
2 – Richard Rauch, Katharina Seiser, Die Jahreszeiten Kochschule Winter
3 – Rudyard Kipling, Stalky & Co.*
Ein Kurzgeschichtenzyklus (einzeln erstveröffentlicht Ende der 1890er) aus einem englischen Bubeninternat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erzählt wird ohne Rücksicht auf Verluste im Schuljargon und in dieser Schulwelt, erklärt wird nichts. Die ersten beiden Geschichten verstand ich praktisch überhaupt nicht, es hätte gradsogut Lyrik sein können. Wie zu Zeiten, als mein Englisch noch nicht so flüssig war, las ich einfach mal mit Schwung weiter, bis ich in den Fluss kam. Nach und nach erschlossen sich Handlung und Sprache fast ganz. Mit dem durchs Lesen erworbenen Wissen las ich dann nochmal den Anfang.
Die Geschichten der drei Freunde Stalky, M’Turk und Beetle gefielen mir ganz ausgezeichnet: die Lausbuben mit ihrer alterstypischen Mischung aus Schlitzohrigkeit, Coolness, verquastem Ehrgefühl und echter Wissbegier, die exotische Schulwelt vor historischen Hintergrund. Schnell wurde mir klar, dass diese Schule viel mehr Vorbild für Rowlings Hogwarts ist als alle Internate, die Enid Blyton schilderte: Bewohnt von einer spezielle Bevölkerungsgruppe (Kinder von Militärs in den Kolonien), ein hermetischer Kosmos, die Aufteilung in Häuser und deren Konkurrenz untereinander, die Prefects, alte Gebäude mit geheimen Gängen, ein weiser und pragmatischer Head, die Sonderwelt des Hauspersonals, die Rolle von Sport.
Ich empfehle die Lektüre. Es gibt Übersetzungen ins Deutsche, doch da es in Deutschland nicht entfernt ein historisches Pendant zu der erzählten Welt gibt, klingen sie arg angestrengt.
4 – Penelope Fitzgerald, The Bookshop
5 – Hillary Mantel, Beyond Black*
Hier ausführlich besprochen.
6 – Granta 138, Journeys
7 – Edmund de Waal, The Hare with the Amber Eyes*
Anhand einer Sammlung antiker japanischer Handschmeichler, Netsuke, erzählt der Autor hundert Jahre seiner Familiengeschichte, die der jüdischen Familie Ephrussi. Mir gefiel besonders, wie er seine Motivation der zweijährigen Recherche und des Aufschreibens begründet: Wie damals im dritten Reich das Hausmädchen Anne in Wien diese Sammlung rettete, indem sie Stück für Stück in ihrer Schürzentasche schmuggelte, ist eine Standard-Familienanekdote. Als Edmund de Waal sie mal wieder erzählt, schämt er sich seiner Oberflächlichkeit: Die Geschichte ist zu ernst, zu groß und wichtig, als dass sie zur unreflektierten Anekdote verkommen dürfte. Und so beginnt er zu recherchieren, zunächst anhand der Schriftstücke, die sein Vater hervor kramt. Er reist nach Odessa, nach Paris, nach Wien, nach Japan, schildert die Pracht des Lebens einer Familie, die mit den Rothschilds auf Augenhöhe verkehrte, die als Kunstmäzene Werke von Renoir und Monet besaßen, heute Weltkultur. In Wien (dorthin kommt die Netsuke-Sammlung als Hochzeitsgeschenk) befindet sich die Familie auf dem Höhepunkt ihres Wohlstands und Einflusses, bevor die Nazis Hab und Gut und Leben rauben.
De Waal schildert all das sehr persönlich, eng verbunden mit seinem Erleben der Recherche, dennoch immer mit der Distanz des Forschers. Die Erzählung ist reich an historischen und beschreibenden Details (das mag die erste Hälfte ein wenig langatmig machen), mit dem roten Faden von Antisemitismus zu jeder Zeit und von Kunstsinn. Der eigene unreflektierte Kolonialismus und Standesdünkel der Familie wird dabei ebenso nüchtern geschildert wie der Lichteinfall im Schlafzimmer des Charles Ephrussi, der Einfluss des Japonisme auf den Jugendstil, das Verhalten österreichischer Behörden nach dem Krieg beim Thema Restitution. Ich habe eine Menge gelernt, bekam so manches Fragment meiner Viertelbildung in größere Zusammenhänge gestellt (z.B. die Dreyfus-Affäre oder Japan nach dem 2. Weltkrieg).
8 – Friedrich Dürrenmatt, Der Verdacht
9 – Fotoarbeitsgemeinschaft der VHS Ingolstadt (Hrsg.), Die Schutter
10 – Ursula Poznanski, Erebos
11 – Philip K. Dick, Do androids dream of electric sheep?*
Bekannt ist ja die sehr freie Verfilmung als Blade Runner, doch der Roman ist ein ganz eigenes Kunstwerk, das eigentlich nur durch die Grundstimmung und das Set-up mit dem Film verbunden ist.
Auf einer postapokalyptischen, verwüsteten Erde sind fast alle Tiere ausgestorben, der Besitz der verbleibenden ist das ultimative Statussymbol. Als Ersatz gibt es künstliche Tiere, auch die sehr teuer. Die Vereinten Nationen propagieren die Auswanderung der Menschen auf andere Planeten; ein Lockmittel ist, dass sie dort durch die Unterstützung von Androiden völlig sorgenfrei leben können. Auf der Erde haben Androiden allerdings nichts verloren, Hauptfigur Deckert’s Job ist es, diejenigen Androiden auszuschalten, die trotzdem auftauchen.
Mir gefielen die ruhige Erzählung, die dichte Handlung, die noir-Elemente und viele Science-fiction-Details wie die mood organ, also eine Stimmungsorgel, auf der man einstellen kann, wie man sich fühlen möchte.
12 – Willy Vlautin, Lean on Pete
13 – Margaret Atwood, The handmaid’s tale*
Hier ausführlich besprochen.
14 – Ursula K. Le Guin, The Left Hand of Darkness*
Das Buch, das mich in diesem Lesejahr am meisten beeindruckt hat – und ausgerechnet darüber habe ich noch nicht geschrieben. Das möchte ich auf keinen Fall hastig nachholen; für ein Blogprojekt werde ich es eh noch ausführlich besprechen, dann auch hier verlinken.
15 – (Christian Kracht, Faserland)
Nach 70 Seiten hatte ich die Hoffnung aufgegeben, dass diese Platzierung von Markennamen im pubertärer Partyleben eines Wohlstandsverwahrlosten irgendwie literarisch gebrochen werden könnte oder ich gar eine Geschichte bekomme. Kracht ist etwa in meinem Alter – dennoch hätten unsere 90er nicht verschiedener sein können, selbst wo ich den Erzähler nicht mit dem Autor gleich setze.
16 – (Eduardo Mendoza, Peter Schwaar (Übers.), Katzenkrieg)
Einerseits seitenweise ermüdende Darlegungen der politischen Lage in Madrid kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs (verbrämt als Unterhaltung zwischen den Beteiligten oder gleich als Reden in politischen Versammlung), andererseits eine Handlung, deren Melodramatik mit Gefühlen nur in Extremen den englischen Romancen des 18. Jahrhunderts Konkurrenz macht.
17 – Philip K. Dick, Time Out of Joint
18 – Granta 139, The best of young American novelists 3*
Spektakulär, welches Stil- und Themenspektrum die Geschichten umfassen, und alle ganz ausgezeichnet. Das ging von einer phantastischen Geschichte, die mit Typografie spielte, über dunkelgrauen Selbstbetrug (von einer Autorin, deren erster Roman „was called the ‚feeld-bad book of the year‘ by the Chicago Tribune˝) oder manieriertes Englisch wie aus dem 19. Jahrhundert (passte zur zentralen Hochstapler-Figur) bis zum Gedankenstrom über den Tod des Ex-Freunds, den die Erzählerin auf Myspace erfährt. Manche gefielen mir besser als andere, manche strengten mehr an als andere, doch alle waren sie sehr, sehr gut ausgedacht und geschrieben. Zumindest in der englischsprachigen Welt mache ich mir überhaupt keine Sorgen um die Zukunft der erzählenden Literatur.
19 – Angela Carter, The Magic Toyshop*
Ich hatte etwas ganz Anderes erwartet – wahrscheinlich mehr klassisches zeitgenössisches Märchen. Doch schon der erste Teil der Geschichte, in der das junge Mädchen Melanie nachts im Hochzeitskleid ihrer Mutter im Garten tanzt, das Kleid beim Zurückklettern in ihr Zimmer an Hecken zerreißt, ist von unheilvoller und böser Erotik. Als Waise kommt Melanie kurz darauf mit ihren beiden kleinen Geschwistern bei seltsamen Verwandten in London unter: Ein tyrannischer Onkel, eine schweigende Tante und deren beiden erwachsene Brüder. Alles bleibt düster, die sexuelle Komponente vieler Grenzüberschreitungen trägt zur unheilvollen Stimmung bei.
20 – Thomas Pynchon, The crying of lot 49
21 – (MargaretAtwood, The Heart Goes Last)
Planlose Handlung, platte und uninteressante Charaktere, unbeholfene Sprache, dilettantische Brüche in der Erzählstimme.
22 – A.L. Kennedy, Paradise*
Hier ausführlich besprochen.
23 – Terry Pratchett, Thud!
24 – Granta 140, State of Mind
25 – Oliver Sacks, On the move
26 – (Thomas Lehr, 42)
Hier unten ausführlich verrissen.
27 – Per Petterson, Ina Kronenberger (Übers.), Nicht mit mir
28 – Karen Russell, Vampires in the Lemon Grove
29 – Naomi Alderman, The Power*
Hier ausführlich besprochen.
30 – Jaqueline Susann, Valley of the dolls
Hatte ich davor mehrfach auf Deutsch gelesen, immer als meinen Lieblingsschund bezeichnet. Jetzt nach vielen Jahren mal auf Englisch, kann man immer noch gut machen.
(Jürgen Roth, Thomas Roth, Kritik der Vögel – abgebrochen nach 50 Seiten. Die Grundidee finde ich charmant, doch sie reicht nicht, mein Interesse ein paar hundert Seiten zu halten.)
31 – Stephen King, It*
Ausgezeichnet konstruierter und vielschichtig erzählter Roman. Es geht um sehr viel mehr als Grusel: Außenseiter, Kindheit, Gruppendynamik, freier Wille. Mir war auf den 1100 Seiten nie langweilig geworden; zwar hätte man die eine oder andere Detailausschmückung streichen können, doch vielleicht hätte das Gesamtwerk darunter gelitten. Leider gibt es typischerweise nur eine weibliche Figur, Beverly, die in der Kindergruppe der sieben „Losers“ halt „the girl“ ist.
32 – Kazuo Ishiguro, The Remains of the Day*
Bei diesem zweiten Lesen war ich noch mehr angetan von Ishiguros Meisterwerk als beim ersten Lesen vor über 20 Jahren: Paradebeispiel für unreliable narrator, der Ich-Erzähler ist ein ohnehin reichhaltiger Vordergrund, der dahinter ganz Anderes verrät.
33 – Mary Beard, Women & Power. A manifesto*
Die Altphilologie-Professorin zeichnet in zwei Vorträgen nach, wie Frauen seit Beginn unserer Kultur zum Schweigen gebracht wurden und wie sich das auf die heutige Zeit auswirkt.
34 – Lion Feuchtwanger, Die häßliche Herzogin
35 – Marc-Uwe Kling, Qualityland
36 – Granta 141, Canada
37 – Per Olov Enquist , Wolfgang Butt (Übers.), Der Besuch des Leibarztes
38 – Robert Menasse, Die Hauptstadt*