Journal Freitag, 26. September 2025 – South Downs Way Tag 6: Kingston nach Alfriston
Samstag, 27. September 2025 um 8:06Nicht so lang geschlafen, wie ich hätte können vor der vorletzten, lächerlichen 18-Kilometer-Etappe, ab vier Uhr ging nur noch Dösen – und natürlich Weiterärgern; unter anderem stellte ich mir vor, jemand kommt auch noch regennass von einer Wanderetappe in diesem fensterlosen Winzelzimmer an, ohne Chance, irgendwas zum Trocknen aufzuhängen.
Aber wieder brach der Tag trocken an, blieb auch den ganzen sechsten Tag in Folge trotz mancher wirklich bedrohich dunkler Wolken trocken – wahrscheinlich hat den englischen Regen einfach Frau Brüllen bei ihrer archäologischen Grabung in der Schweiz abbekommen.
Auch ohne Frühstück hatte ich Gelegenheit, mit der Gastgeberin zu plaudern, nämlich wartend an der Haustür: Das Taxi kam diesmal 20 Minuten später als vereinbart, da hatte man sogar meinen Koffer bereits abgeholt. Die Rückfahrt nach Kingston war nur ein Drittel so lang wie die Hinfahrt am Vorabend – als ich mich sehr gewundert hatte, dass der Taxifahrer (Typ alter Depp)1, mich durch halb Lewes kutschiert hatte, durch winzige Gässchen, am Bahnhof vorbei. Die Fahrt zurück zum gestrigen Ausgangspunkt entsprach meinen Recherchen für Fußweg zur Not.
Die Wanderung führte mich gestern vor allem über baumlosen Hügelrücken, meist im Wind, aber nicht so unangenehm wie am Vortag. Es gab nicht Detail-Sehenswürdigkeiten, wohl aber Ausblicke. Im ersten Teil waren um mich zwei Wandergruppen: Eine ca. zwölfköpfige auf charity walk, eine zweiköpfige. Beide traf ich über meinem Mittagscappuccino wieder (Pause wieder früher als geplant, weil Wandercafé!), doch dann ließ ich sie für den Rest des Wegs hinter mir. Insgesamt merkte ich, dass ich langsam durch bin mit Wandern für dieses Mal.
Erstmal ein bisschen Kingston.
Über dem Ort startete gerade ein Paragliding-Tandem (sehr wahrscheinlich mit einem ein ganz anderen Verhältnis zu dem blöden Wind als ich).
Typischer Bauernhof in dieser Gegend (laut meiner langjährigen Wandererfahrung in den South Downs von Brighton aus).
Mittagsmilchkaffee, als Cappuccino verkauft.
Ausblick auf Newhaven.
So sah mein Weg gestern mit wenigen Varianten die meiste Zeit aus.
Auch Mittagspause machte ich eine halbe Stunde früher als eigentlich geplant. Zum einen war ich schon weit auf meiner Tagesetappe, zum anderen kam ich an einem Parkplatz vorbei – und wir haben ja gelernt: Wo Parkplatz, da Bankerl mit Aussicht – schlicht eine andere Bankerlkultur als bei uns. Diese musste ich ein wenig suchen, doch sie stellten sich sogar als nur zwei von vieren heraus. Es gab wieder Äpfelchen, Nüsse, Trockenpflaumen und -feigen. Dazu kalten Wind, ich blieb dennoch eine Weile sitzen, u.a. weil guter Handy-Empfang.
Die Stein-Ernte scheint dieses Jahr gut gewesen zu sein.
An meinen Zielort Alfriston gelangte ich nach fünfeinhalb Stunden und gut 16 Kilometern. Das stellte sich als ganz entzückender alter Ort mit viel touristischer Infrastruktur heraus, ich bekam sogar endlich wieder Schokolade zu kaufen!
Die Entzückung hielt an, als ich an meine Unterkunft kam (ich war misstrauisch gewesen, weil ich wieder ans Ende einer Ausfallstraße geschickt wurde und kein Abendessen angeboten wird): Neben dem Weingut Rathfinny (Schild “Beware harvest in progress”) lag das historische Riverdale B&B.
Der freundliche Gastbeger hieß mich meine Wanderstiefel an der Tür ausziehen (es war sogar für einen Stuhl gesorgt), fragte meine Frühstückswünsche ab (Sandwich bekomme ich hier wohl keines zum Mitnehmen, er bot mir Brot an?) und brachte mich auf dieses wundervolle Zimmer: Wenn ich sofort aus dem Fenster fotografieren möchte, ist alles in Ordnung. Der Herr gab mir ein paar sehr brauchbare Tipps für ein Abendessen unweit.
Im schönen Bad entdeckte ich eine Badewanne: Das war meine große Hoffnung gewesen, der Wind hatte mich am Ende doch ganz schön durchgekühlt. Doof allerdings: Auch hier wird noch nicht geheizt, Ende September ist wahrscheinlich in Europa eine dafür ungünstige Reisezeit, weil vielen Gastgebern noch nicht kalt ist. Also heißes Bad in kaltem Badezimmer, besser als keines.
Zum Abendessen folgte ich der Gastgeberempfehlung ins Nachbardorf Litlington – die Orte heißen hier im Grunde so geradeaus wie im Oberbayerischen, aus dem ich komme (Manching, Gaimersheim, Lippertshofen). Nur halt auf Englisch. In Alfriston hätte es schon auch zahlreiche Lokale gegeben, aber zum Plough & Harrow in Litlington hatte er ergänzt, man brauche auch gestern am Freitagabend keine Reservierung. Und Dorfpub fand ich ohnehin sehr attraktiv.
Die 15 Minuten Fußweg dorthin waren die Entscheidung allein schon wert.
Verwunschener Weg quer durchs Tal.
Bach Cuckmere (tihihi) im Abendlicht – die Farben waren genau so.
Witzelvorlage am Wegesrand.
Im Pub erkundigte ich mich:
“Do you have any local ales on tap?”
“All of them.”
<3
Ich ließ mir eines empfehlen.
Nach nicht mal 15 Minuten hatte die eine Barmaid mich bereits “love” genannt, die andere über meinen blöden Witz gelacht – ich fühlte mich adoptiert. Mit mehr oder anderer sozialer Energie hätte ich einen denkwürdig geselligen Abend verbringen können: Ich bekam mit, dass es gestern ab spätestens acht live Musik gab.
Sehr wahrscheinlich die letzte Gelegenheit heuer für richtiges Pub Food: Ich bestellte, was Herr Kaltmamsell bestellt hätte, also Steak, Onion & Guiness Pie (den ich durchaus auch selber mag).
Kam mit einer ernst zu nehmenden Portion Brokkoli, hatte eine wundervoll blättrige Hülle und enthielt wie erwartet nur wenige Stücke Rindfleisch. Nachtisch:
Dreimal Sticky Toffee Pudding in drei Tagen – was aufs Jahr gerechnet einer alle vier Monate ist – finde ich in Ordnung. Und wenn’s als positive Verstärkung für die Anbieter dient. Dieser war der am wenigsten gute (aber immer noch deutlich besser als kein Sticky Toffee Pudding), dafür mochte ich das Eis dazu besonders.
Rückweg im fast Stockdunklen, jetzt verstand ich die Empfehlung in meinen Wanderunterlagen, fürs Abendessen eine Taschenlampe mitzunehmen. Ging schon, vor allem genoss ich die Nachtdüfte, in Dunkelheit bin ich sonst nie auf dem Land.
Zurück im Zimmer noch ein wenig Schokolade, Bildbearbeitung, Lesen.
VG Wort hat den Ausschüttunngsbrief für 2024 geschickt: Mittlerweile gibt es pro Post (zur Erinnerung: Geld gibt es, wenn eine bestimmte Textlänge und ein Mindestzugriffszahl erreicht ist – hier habe ich das mit der VG Wort genauer erklärt) nur noch 19,73 Euro, vergangenes Jahr waren es noch 25 Euro. Damit werde ich meine Rente also auch nicht wirklich aufbessern können.
- These: Das eher früher geläufige “alter Dep” ist ein heutiger Alter Weißer Mann mit gleichem Anspruchsdenken, nur ohne Machtposition. [↩]
8 Kommentare zu „Journal Freitag, 26. September 2025 – South Downs Way Tag 6: Kingston nach Alfriston“
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27. September 2025 um 8:40
Das vierte Bild oben, da kommt mir der verrostende auseinander fallende Metallcontainer so bekannt vor. Und das ist auch just die Gegend, wo wir von Brighton aus immer wieder wanderten, die auch immer wieder ein Stückchen über den South Downs Way führte. Der Rostcontainer ist nicht der gleiche wie der hier, oder: https://www.vorspeisenplatte.de/speisen/2008/05/brighton-2008-2.htm
27. September 2025 um 9:10
An genau diesen vorherigen Rost-Container musste ich denken, Herr Kaltmamsell, ist aber ein anderer (in Southease kam ich tatsächlich direkt vor dem Café durch den komplizierten Bahnhübergang): Und schon ist es ein Muster und “typisch”.
27. September 2025 um 10:19
Danke für die interessanten Berichte. Wie ist Ihr Fazit, hat sich der Weg so richtig gelohnt oder waren einge Teile vielleicht doch etwas zu eintönig und langwierig?
27. September 2025 um 10:50
Über Ihr heißes Vollbad habe ich mich sehr gefreut. War sicher grandios.
27. September 2025 um 11:30
Kaltes Badezimmer ist so das fieseste, das ich mir vorstellen kann… Und wir heizen unser Hotel schon, heben uns also positiv vom Mittel-und nordeuropäischen Durchschnitt ab. Schöne Grüße von zu Hause, obwohl wir gerade fest in italienischer (wie zu erwarten) und französischer (das ist neu) Hand sind
27. September 2025 um 12:20
Dass wir alle nun einen umfangreichen Coffee-Table-Bildband von Mr und Mrs Kaltmamsell über südenglische Rostcontainer erwarten, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Ihr könntet die Bernd und Hilla Becher der Rostcontainerfotografie werden!
27. September 2025 um 15:11
ach ja, the long man!
@maik maki yes! yes! yes!
27. September 2025 um 15:12
Danke für die schönen Fotos und Berichte über Ihre Wanderung. Beim Betrachten der Landschaft, Wege und Häuser hatte ich plötzlich das Bedürfnis die wunderbare Evelyn Hamann in ihrer Rolle als Fernsehansagerin bei Loriot im Internet zu betrachten. Und es passt einfach herrlich in diese Landschaft!
Weiterhin eine schöne Reise und kommen Sie gesund wieder nach Hause.