Wieder wurde es zu einem wolkenlosem Himmel hell, auf den Autodächern weißer Frost.
Nach dem Bloggen verlängerte ich meinen Stadtbücherei-Ausweis um ein weiteres Jahr, die 20 Euro für 2023 hatte ich ja sehr schnell wiederreingelesen.
Ich trödelte sogar ein wenig, um meinen Isarlauf auf eine Startzeit zu schieben, zu der die Sonne etwas mehr wärmen würde. Kurz nach zehn nahm ich eine Tram zum Tivoli und lief isarabwärts. Ich genoss die Sonne, die gar nicht mal so milde Luft, die Schnee- und Matsch-freien Wege, fühlte mich aber nicht ganz fit, meine Beine liefen schon mal leichter.
Frühstück um zwei: Avocado mit Balsamico, Birne, Banane mit Sojajoghurt – zum Glück hatte ich auch Lust auf all diese Speisen, die weg mussten.
Den Nachmittag über las ich, erst die Wochenend-Süddeutsche, dann gefesselt den Aufsatz zum August-Sander-Bildband, aus dem ich eine Menge lernte.
Fußmarsch in der letzten Abenddämmerung zur 17:30-Uhr-Vorstellung von Poor Things im Cinema.
Ich war begeistert vom Film (außer dass auch dieser mit 2:20 Stunden zu lang war, darf heutzutage wohl nicht mehr anders – dabei fiel mir hier sofort eine Nebenhandlung ein, auf die man verzichten hätte können): Die gelungenste Literaturverfilmung, die ich je gesehen habe.
Drehbuch, Besetzung, Kamera, Ausstattung, Regie, Maske, Kostüme, Musik (atonal!), Emma Stone, Mark Ruffalo – überschüttet den Film mit Oscars! Wie der Film von Leuten rezipiert wird, die den Roman nicht kennen, kann ich mir natürlich nicht vorstellen.
Sehr wahrscheinlich profitierte die Verfilmung davon, dass sie erst jetzt passierte, nicht kurz nach dem Erscheinen des Romans vor 30 Jahren. Der Film löst sich in vielerlei Hinsicht von der Vorlage (die u.a. sehr von ihrer Buchigkeit lebt, siehe Rahmenhandlung, Erzählung durch Briefe, Illustrationen), setzt den eigentlichen Inhalt und die Abgefahrenheit aber mit filmischen Mitteln hervorragend um. Es kommen mehr Frauen vor als im Roman (yay!), die Art der gezeigten Nacktheit, von Sex, seiner klaren, nüchternen Benennung inkusive Geschlechtsteilen wirkt genauso schockierend wie in der Viktorianik der Vorlage. Das längste Kapitel im Buch, das auch so heißt und sich ziemlich zieht, ist sogar ganz anders umgesetzt und dadurch deutlich verbessert.
Emma Stone (auch Co-Produzentin) spielt umwerfend, rein handwerklich bewunderte ich, dass sie auch aus dem 50. Orgasmus nochmal etwas Neues rausholte. Mark Ruffalo habe ich in noch keiner Rolle so schillernd gesehen (und ich sah ihn als Hulk!), als Überraschung taucht auch noch Hanna Schygulla auf.
Eine abgefeimte Rolle spielt die Musik von Jerskin Fendrix: Sie ist fast durchgehend atonal und seltsam, und sie tut nicht, was man von Filmmusik gewohnt ist – mehr wissen als die Zuschauer. Entsprechend brutal fühlen sich manche Schnitte an (der Herr neben mir im Kino zuckte immer wieder sichtlich zusammen, und wenn der Schnitt unvermittelt auf OP-Schnitte in Körper ging, verschwand er sympathischerweise völlig in seinem Sitz), dadurch wurde mir erst bewusst, wie fürsorglich vorbereitend Musik im Film sonst wirken kann.
Selbst der Abspann steckte voller origineller gestalterischer Ideen, Liebe zum Detail Hilfsausdruck.
Interessanterweise scheinen sich auch hier die englischsprachigen Rezensionen mehr mit der politischen Aussage des Films zu befassen (feministisch oder nicht?) als mit Kunst und Machart, eine Entwicklung in der Film- und Literaturrezeption, die an mir immer weiter vorbei geht.
Nach Hause nahm ich die U-Bahn. Herr Kaltmamsell hatte das späte Nachtmahl vorbereitet: Dicke Bohnen aus dem Römertopf mit roter Paprika, Zwiebeln, Tomate, Kartoffeln. Nur dass die Bohnen nach zweieinhalb Stunden noch nicht gar waren, wir brachen nach ein paar Gabeln voll ab und stellten den Topf zurück in den Ofen. Zum Sattwerden gab es Haferflocken und Süßigkeiten.
§
Ein Verdutz-Moment bei der Zeitungslektüre vergangene Woche. Im Interview sagt der Leiter des Münchner Mobilitäts-Referats, Georg Dunkel, und das ist auch die Überschrift des Artikels (€):
“‘Es gibt zwar mehr Autos, aber sie werden seltener benutzt'”.
Will heißen: Ja, die Zulassungszahlen für private Pkw stiegen auch in der Grünenwähler*innen-Hochburg München. Aber die kontinuierliche Zählung und Analyse der Verkehrsteilnehmenden zeigt, dass ihre Zahl im Verkehr sinkt. Bumm.
Seither denke ich an diesem Phänomen herum. Die plausibelste Erklärung, die mir einfällt: Viele Menschen kaufen sich Autos gar nicht in erster Linie zum Fahren, sondern zum Besitzen. Ich weiß ja, dass Menschen große Freude aus Besitz von Dingen ziehen können, erst kürzlich lernte ich, dass manche von ihnen teure Armbanduhren kaufen, ohne sie jemals tragen zu wollen (also: wirklich nie): Sie bewahren sie auf und schauen sie manchmal an, freuen sich daran, sie zu besitzen. Vielleicht ist das mit Autos ähnlich? Dafür müsste man es allerdings nicht zulassen. Wahrscheinlich, so spekuliere ich, kommt das angenehme Gefühl dazu, jederzeit damit losfahren zu können. Was man im konkreten Fall dann doch nicht tut, weil Radeln/Öffis halt praktischer sind. Damit kann ich gut leben, vor allem wenn diese fast reinen Besitz-Autos nicht auf öffentlichen Flächen stehen.