Theater

Journal Sonntag, 22. Dezember 2024 – Laufwetterglück, Eine Zierde für den Verein im Marstall

Montag, 23. Dezember 2024

Aaaaah, endlich das tiefe, lange, gute Ausschlafen, das ich so sehr gebraucht hatte: Es war nach halb acht, als ich richtig aufwachte, selbst das 7-Uhr-Läuten vom Kirchturm hatte ich nur kurz und entfernt wahrgenommen.

Draußen goss es in Strömen, ich konnte nur hoffen, dass sich das bis zu meiner geplanten Laufrunde zumindest zu leichtem Regen beruhigen würde.

Allergemütlichstes Bloggen. Nachlesen nächtlicher Timelines. Erster eindeutiger Spam auf Mastodon, und das nach *checkt Profil* über zweieinhalb Jahren – das ist zum einen dem sehr sorgfältigen Admin zu verdanken, zum anderen aber auch der dezentralen und Non-profit-Kultur des Fediverse.

Der Regen regnete weiter unbeeindruckt, milderte aber zu sanftem Landregen ab. Na gut, dann war das halt die Testgelegenheit für meine neue Laufregenjacke.

Spiegelselfie einer Frau in schwarzen Laufhosen und grellgelber Regenjacke mit übergezogener Kapuze

Ich nahm eine U-Bahn zum Odeonsplatz. Als ich an die verregnete Oberfläche trat, beschloss ich: Es wird ja wohl auch mal ohne Fotos auf der Laufstrecke gehen. 15 Sekunden später: Oh, interessante Pfützen!

Regnerisches Draußen, kahle Bäume auf Schotterfläche mit Pfützen, im Hintergrund eine kahle Hecke, ein barocker Pavillon

Bereits vor dem Monopteros hörte der Regen auf, die Jacke musste sich nicht bewähren. Das freute auch mein Gehör: Kapuze bedeutet halt immer Rascheln an den Ohren, das ich als extrem laut empfinde.

Marmorne Ruhmessäule in einem offenen Pavillon aus Marmorsäulen, im Hintergrund sieht man Parkbäume, Stadtsilhouette

Monopteros ganz für mich – fast, hinter der Säule standen zwei Personen.

Matschiger Fußweg zwischen Wiese und Bäumen, der auf einen Fluss zuläuft, darüber dunkelgrauer Himmel

Aufs Föhringer Wehr zu sah ich sogar ein blaues Wolkenloch. Dann die große Überraschung: An der Brücke St. Emmeram war der Isarweg nicht nur nicht gesperrt, alle Sperrschranken waren sogar weggeräumt: Die neue Brücke Föhringer Ring war bereits fertig, man kann wieder die Isar entlang durchlaufen und -radeln – wie ich auf dem Rückweg feststellte, sogar auf beiden Uferseiten. Es gibt also auch Baustellen, die nicht ewig währen.

Neue, funktionale Betonbrücke von der Seite

Fertig!

Blick in eine überdachte Holzbrücke über einen Fluss

Emmeramsbrücke mal ganz leer.

Im Vordergrund ein Brückengeländer, dahinter Blick auf einen Hügel mit kahlen Bäumen, oben ein weißer Kirchturm mit rotem Spitzdach

St. Lorenz.

Die unerwartet aufgehobene Sperrung und das Regenende verführten mich zu einem längeren Lauf als geplant, doch erst die letzten 10 Minuten meiner 1 Stunde 50 fühlten sich anstrengend an. Ich nahm vom Tivoli einen Bus zur Giselastraße, von dort die U-Bahn nach Hause.

Blick hinunter auf Unterschenkel in schwarzen Laufhosen und hellblaue Laufschuhe, ziemlich Matsch-beschmutzt

Matschig war der Lauf aber dann doch gewesen – eine ganz organische Dämpfung der schreienden Laufschuhfarbe.

Semmel- und Brotkauf beim Rischart im U-Bahnhof.

Frühstück um halb drei zu Gewittergrollen, gleich drauf Hagel, Regen, Schnee. Ich war sehr dankbar für die trockene Laufrunde! Es gab eine Orange, außerdem Körndlbrot mit Butter, Pflaumenmus, Nocilla. Um halb vier schaltete ich bereits wieder die Lichter gegen das Nachtdunkel ein.

Abends war ich zum Theaterbesuch verabredet: Marieluise Fleißers einziger Roman Eine Zierde für den Verein auf die Bühne des Marstall-Theaters gebracht.

Im Marstall war ich noch nie gewesen, kannte nur die imposante Fassade und konnte mir nicht recht vorstellen, wo es da reingehen sollte: Doch, genau durch das riesige Tor in der Mitte. Das Gebäude ist innen völlig hohl, der Theaterraum an einer Stelle eingesetzt, auch Kasse und Garderobe sind lediglich Hütten – allein das fand ich schon spannend.

Die Inszenierung gefiel mir ausgezeichnet. Den Roman kannte ich ja, und die Schauspieler*innen trugen für die Handlung die Ausschnitte vor, die zu ihnen gehörten (also in der dritten Person über sich selbst).

Regisseurin Elsa-Sophie Jach verließ sich zum Glück ganz auf Marieluise Fleißers einzigartige Sprache, auch das klare Bühnenbild und die Kostüme (fast ausschließlich in den Farben Schwimmbadblau und Rot) ließen ihr genug Raum.

Für mich ist das Grundthema des Romans, wie sich Gewalt in einer Gesellschaft ausbreitet, ganz stark in der Sprache angelegt. Einer Sprache, die zwar poetisch und schön ist, aber etwas sehr Wuchtiges hat.

(…)

Ich halte (…) ihre Sprache letzten Endes für eine Kunstsprache, die natürlich stark vom Bayerischen geprägt ist, sich aber schwerlich nurdialektal behandeln lässt. In den Proben hat es uns deshalb geholfen, einen eigenen Gestus zu (er-)finden: als würden die Worte quer im Mund stehen.

Dazwischen aus dem Off vorgelesen an wenigen Stellen: Tagebucheinträge von Marieluise Fleißer zu diesem Stück. Ich bin ja sonst etwas heikel was Eigeninterpretationen von Schriftsteller*innen betrifft, doch diese Ausschnitte lieferten lediglich autobiografischen Hintergrund für eine weitere Wahrnehmungsebene.

Die Themen des Stücks von vor 100 Jahren waren völlig aktuell: Männliche Macht in Liebesbeziehungen, faschistische Mechanismen, keine Spur von Optimismus.

Anschließend kehrte ich mit meiner Begleitung in die Pfälzer Weinstube ein, wie es wohl nach Besuchen in den umliegenden (vielen) Theatern unter Münchner*innen so üblich ist. Ganz direkt durch die Residenz konnten wir nicht gehen: Ein Security-Herr lotste uns um, weil gerade der Christkindlmarkt bereits abgebaut wurde.

In der Pfälzer Weinstube saßen wir im Obergeschoß, wo es sehr laut war, aber zu zweit nebeneinander ging’s. Mein Abendessen war ein (wie immer dort reichlich eingeschenktes) Viertel Grauburgunder sowie Bauernsülze mit Bratkartoffeln – ganz wunderbar.

Austausch von Eindrücken zur Inszenierung, zu Weihnachtsplänen, was bisher geschah. Als ich die Begleitung zur U-Bahn Odeonsplatz begleitete, stürzte vor unseren Augen eine Radlerin in der Kurve. Wir versicherten uns, dass sie sich nichts getan hatte, und ich war froh um die resultierende Erkenntnis, dass Straßen und Wegen eisglatt waren: Statt nach Hause zu spazieren, nahm auch ich die U-Bahn. Beim Aussteigen am Sendlinger Tor erfreute mich noch ein Mäuschen, das unter eine Säule huschte.

Journal Mittwoch, 11. Dezember 2024 – Amerika / Der Verschollene an den Kammerspielen

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Eigentlich gute Nacht, aber einmal weckte mich das Bauchzwicken, das mich bereits am Vortag im Büro geplagt hatte – vermutlich also nicht durch eine konkrete Speise ausgelöst.

Auf einem dunklen, gepflasterten Platz stehen einige geschlossene, aber Lichter-verzierte Christkindlmarkt-Buden, im Hintergrund die Gebäude des Verkehrsmuseums

Der Dezember behielt sein Dunkelgrau gleich an, was ich aber erst im Büro richtig sah, denn erst dort wurde es hell genug für Wettereinblick.

Arbeit gut machbar, Mittagscappuccino in der Nachbar-Cafeteria, Mittagessen Pumpernickel mit Butter sowie ein paar Mandarinen.

Ich machte gestern besonders früh Feierabend, denn ich hatte abends einen Theatertermin: Da ich den ersten meines Abos Anfang Oktober wegen zu viel Arbeit verfallen hatte lassen, stieg ich erst gestern in die aktuelle Saison ein.

Ich verließ das Büro also noch vor vier, draußen hatte der Tag alle Bemühungen um Tageslicht fahren lassen und sich bereits der Abenddämmerung ergeben. Die zusätzliche freie Zeit verwendete ich für Weihnachtsgeschenkeinkäufe, zunächst im Einkaufszentrum Schwanthalerhöhe (wo es die angesteuerten Läden bereits nicht mehr gab, der ständige Wechsel dort ist kein gutes Zeichen), dann in der Sendlinger Straße (Erfolg 1), Kaufhof am Marienplatz, in umliegenden Läden (Erfolg 2).

Daheim hatte ich sogar noch Zeit für etwas Yoga-Gymnastik, bevor Herr Kaltmamsell das vorgezogene Nachtmahl servierte: Krautwickel aus eingefrorenen Ernteanteil-Kohlblättern, Nachtisch Milchreis.

Marsch zu den Kammerspielen unter Umgehung der dichtesten Christinklmarkt-Menschenansammlungen. Gespielt wurde gestern Amerika / Der Verschollene “nach dem Romanfragment von Franz Kafka in einer Fassung von Charlotte Sprenger und Olivia Ebert”, 2 Stunden 40 Minuten mit einer Pause, ich wappnete mich für Durchhalten.

Auf einer dinklen Theaterbühne steht in einem Lichtkegel ein schwarzer Fügel, links daneben ein Schauspieler im Kostüm der Freiheitsstatue

Leider konnte ich mit dem Bühnengeschehen nichts anfangen. Ein wenig wurde die Geschichte von Karl Roßmann erzählt, das halt fragmentarisch expressionistisch, jaja: fremde Umgebung, amerikanischer Erfolgsgedanke, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Doch was war daran Kafka? Inhalte werden schon seit Jahren nicht-realistisch auf die Bühne gebracht, sondern mit grotesken, absurden Erzählmitteln, in grellbunten Schlaglichtern. Kafkas literarische Weltsicht ist längst die Basis aller Inszenierungen.

Wie immer sehenswert: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, allen voran Katharina Marie Schubert in der Hauptrolle, die sensationell wandelbare Jelena Kuljić, Philipp Plessmann als Freiheitsstatue und am Piano, Maren Solty und Johanna Kappauf sehe ich immer gern. Lustige, kreative Kostüme und Perücken gab es auch (Aleksandra Pavlović), aber das reicht nicht für einen so langen Theaterabend. Abschließend trat Maren Solty an die Bühne und las einen Appell gegen die Streichungen im Münchner Kultur-Etat vor, forderte zum Unterzeichnen eines offenen Briefs auf.

Der Zuschauerraum war anfangs nicht mal zur Hälfte gefüllt, nach der Pause nur noch zu einem Drittel – was mir immer ungemein für die Truppe auf der Bühne leid tut (weswegen es sehr viel mehr braucht als eine Inszenierung, die an mir vorbeigeht, um mich zum Aufgeben zu bringen).

Zackiger Marsch durch die dunkle Innenstadt mit überraschend viel Unterwegs-Volk, damit ich nicht allzu spät ins Bett kam.

§

“Umwelthilfe geht wegen Straßenlärm gegen 21 Städte vor”.
Wollen wir raten, wie die Boulevard-Schlagzeilen dazu aussehen? Ich fange an:
MAULKORB FÜR PKW
SCHLUSS MIT ‘JETZT RÖHR I’
MOTORVERBOT FÜR MÜNCHEN

§

Kirsten Fuchs slamt über Hitzewallungen, und es sollte viel mehr wütend über diesen Scheiß geslamt werden.

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https://youtu.be/EB-6ZDVcqq4?si=-wUkQuHGc9DsjrYr

via @maske_katja

Journal Mittwoch, 5. Juni 2024 – Elfriede Jelinek, Asche

Donnerstag, 6. Juni 2024

Das Weckerklingeln war gestern sehr wenig willkommen, ich freute mich aufs Ausschlafen am Samstag. Und erinnerte mich an die nächtliche Krampfattacke: Nach Monaten ohne hatten linker Fuß und linke untere Wade gekrampft, ich hatte mich ein paar Mal in die Vorwärtsbeuge dehnen müssen, um das wegzukriegen (jede Dehnung an Fuß oder Bein hatte lediglich andere Muskeln in Krämpfe gejagt).

Der Tag wurde sonnig hell, ich musste mich aber aktiv daran erinnern, dass ich jetzt die längsten Tage im Jahr genießen sollte. Diese Hochwassersache schlägt mir wirklich aufs Gemüt, irgendwas in mir hat sich noch nicht von der existenziellen Erschütterung durch die Pandemie (ja, wir verdrängen das gesunderweise, aber es war wirklich, wirklich schlimm) erholt und lässt die Flügel hängen.

Für den Weg in die Arbeit ließ ich die Jacke daheim, um sie bei angekündigt warmem Feierabend nicht heimtragen zu müssen. Ich fror nicht mal.

Im Büro geordnete Emsigkeit, der Störfaktor Hochwasser war bereits eingeplant.

Überraschung: Ein richtiger Spam-Anruf auf mein Handy, von Düsseldorfer Festnetz-Nummer aus (bei den extrem seltenen Anrufen auf mein Handy gehe ich immer erstmal von einem Notfall aus – oder verwählt). Der Anrufer erzählte mit Schweizer Akzent irgendwas von einer Schweizer Firma, von der er anrufe, irgendwas mit THC. Erst unterbrach ich ihn und erklärte ihm, er müsse sich verwählt haben, ich sei eine Privatperson und hätte nichts mit diesen Dingen zu tun. Erst als er widersprach, begriff ich den Spam-Charakter des Anrufs, legte auf und sperrte die Nummer. Nun ja: Dafür, dass ich meine aktuelle Mobilnummer seit fast 15 Jahren nutze, ist das Spam-Aufkommen nun wirklich gering.

Mittagscappuccino bei Nachbars, die Außentemperatur perfekt für Wandern, nicht Baden – so gehört sich früher Juni.

Emsiges Wegschaffen, dann spätes Mittagessen: Banane, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Früher Feierabend, weil ich abends den letzten Theater-Termin dieser Spielzeit hatte. Ich fühlte mich ein wenig als Kameradenschwein bei meinem vorzeitigen Abgang, weil eigentlich gerade Hochdruck herrscht – aber meine Aufgaben waren erfüllt, ich fühlte mich lediglich verpflichtet, für Notfälle parat zu stehen (das kriege ich in diesem Arbeitsleben nicht mehr weg).

Daheim nutzte ich die Zeit für offene Fenster in der Wohnung und Pediküre (gna), turnte eine Runde Pilates. Herr Kaltmamsell servierte frühes Abendessen: Spaghetti mit selbst gemachtem Pesto. Dieses schmeckte intensiv nach frischem Basilikum und ganz anders als jedes gekaufte Pesto – zu unserer Überraschung, denn das Resultet der vorhergehenden Versuche war gewesen: Gut, aber auch nicht besser als gutes aus dem Supermarkt.

Im Frühlingskleid spazierte ich ein letztes Mal in dieser Spielzeit zu dem Kammerspielen – um schnell festzustellen, dass ich zu früh dran war: Die 19:30 Uhr, die ich mir als Beginn notiert hatte, galten für die Einführung zum Stück, nicht für die Vorstellung. Das irritierte Verhalten anderer weniger Besucher:innen nahm ich als Beleg: Ich war nicht allein mit diesem Irrtum. Werde aber künftig genauer hinsehen.

Gespielt wurde Asche von Elfriede Jelinek (Uraufführung, inszeniert von Falk Richter). Dem Gespräch der Menschen in der Reihe hinter mir vor Beginn, die wohl die Einführung gehört hatten, entnahm ich, dass das Stück in ihren Augen “ohne Erklärung nicht zu verstehen” war, und die Kernaussage “alles kaputt”. Na ja, “verstehen” ist nicht das, worauf ich bei einem Theaterbesuch aus bin, weil halt Kunstwerk – mit dem ich etwas anfangen kann oder nicht.

In den folgenden knapp zwei Stunden wurde auch nichts zu verstehen angeboten, keine Geschichte. Sondern durchaus plakative Aussagen um die Themen Zerstörung der Erde (vor allem durch Plastikmüll, der bald bergeweise in Weiß, Orange und Blau auf der Bühne lag) sowie Trauer und Elend nach dem Verlust des liebsten Menschen. Der Text dazu bestand aus Fragmenten, meist impressionistischen, und Zitaten. Er griff immer wieder in die antike Kosmogonie zurück, manche Textteile tauchten im Wortlaut immer wieder auf oder wurden mehrfach gesprochen, gleichzeitig von mehreren oder einmal auch versetzt im Kanon wie ein Chorstück. Darin aber auch Schabernack wie “Der einzige Mensch, der für mich zählte, manchmal sogar bis drei.”

Die Schauspieler:innen agierten in oft wechselnden Kostümen und Masken mal explosiv aktionistisch, mal nur Text ins Publikum sprechend, dieses aber immer bis zur Karikatur expressiv spielend – sie stellten ganz klar keine Individuen dar, sondern waren Platzhalter für menschliches Verhalten (Schauspieler:innen dabei großartig). Ausnahme: Ulrike Willenbacher als nachvollziehbare und ganz eigene Autorinnenfigur, die trocken und realistisch spielte und sprach in ihrer Einsamkeit und Verlorenheit.

Eine zentrale Rolle spielten in der Inszenierung Videoprojektionen auf einen Bildschirm und den Bühnenhintergrund: Computer-generierte Bilder der Realität (derzeit KI genannt) mit ihrer ganzen Fehlerhaftigkeit in der Darstellung. Ich habe einige Bekannte, die genau damit spielen und das Neue und Kreative sehen, davon fasziniert sind – das eigentliche Vergnügen daran haben herauszufinden, was an den Resultaten ihrer Prompts eben nicht stimmt, unerwartet ist: Hier war das Bühnenbild (Katrin Hoffmann) einer ganze Theaterinszenierung davon getrieben. Bei mir kam das als Hoffnungsschimmer an: So wie wir Menschheit immer wieder in unserer Kurzsicht Zerstörung und Irrsinn schaffen, entstehen ebenso unbeabsichtigt Neuanfang und Auswege.

„Welche Anzahl von Welten nehmen wir an? Wie viele habe allein ich schon verbraucht?“, heißt es immer wieder im Stück. Die Inszenierung bewies die schiere Unerschöpflichkeit vorstellbarer Welten.

Ein durchaus anstrengender Abend (das hatte aber auch mit den wirklich unbequemen Sitzen in den Kammerspielen zu tun – seit der Wohltat der Volkstheater-Sessel sind sie mir noch bewusster), beim Heimmarsch durch milde Abendluft verschob ich die Verarbeitung auf den nächsten Morgen.

§

Ich merkte, dass ich eigentlich keine Lust hatte, im Blog auf dieses Interview hinzuweisen, weil: Ist ja eh wurscht, hört ja keiner drauf, Hauptsache Autos. Dann erinnerte ich mich an meinen Vorsatz (soweit ich zu Vorsätzen in der Lage bin): “Man muss es doch wenigstens versuchen.” Hier also das Interview von Lena Rauschecker:
“Zukunftsforscher: ‘Keine deutsche Stadt braucht eine Straße mit mehr als einer Spur pro Richtung'”.

Wie müssen deutsche Städte aussehen, um Hitze und Hochwasser trotzen zu können? Wie bewegen wir uns in einer nachhaltigen Stadt der Zukunft? Welche Städte können Vorbild sein und wie fangen wir beim Umbau am besten an? Ein Gespräch mit dem renommierten Stadtgeograf und Zukunftsforscher Stefan Carsten.

via @stadtneurotikr

§

Voll gemein gegen uns arme Bayern.

Journal Pfingstsonntag, 19. Mai 2024 – Voller Feiertag mit Lauf, Zeitungserheiterung, Kochen, Volkstheater

Montag, 20. Mai 2024

Der Nachtschlaf fühlte sich tief und gut an – auch wenn er zweimal durch Draußengeräusche unterbrochen wurde. Das erste Mal war’s ein Gewitter. Als eine störende Unterhaltung vor meinem Schlafzimmerfenster kurz vor drei gar nicht mehr aufhörte, sah ich doch mal nach: Polizeiauto mit Blaulicht, mitten auf der Straße stehendes Auto, im eher unaufgeregten, aber lauten Gespräch zwei Menschen in Uniform, fünf Männer in Freizeitkleidung. Das würde so schnell nicht aufhören: Ich schloss Fenster und Rollladen, konnte weiterschlafen.

Erfrischtes Aufwachen kurz vor sieben, es zeichnete sich der angekündigte weitere sonnige Tag ab. Nach dem Bloggen bereitete ich einen Teil des Abendessens zu: Kartoffelsalat.

Gemütlichkeit bei allen Tätigkeiten, in sonniger Morgenfrische war ich fertig für meinen Isarlauf:

Frau fotografiert sich im Flur in einem großen Spiegel, trägt dabei schwarze, kurze Laufkleidung und eine Sonnenbrille

Mit dem Rad fuhr ich in herrlichstem Frühlingsgrün zum Friedensengel. Vor dort startete ich Richtung Norden.

Ein Ur-Münchner Anblick: Radler mit Surfbrett unterm Arm auf dem Weg zur Eisbachwelle.

Blick durch grüne Bäume auf das Blau eines Flusses

Es ist Bieberl-Zeit, die Wasservögel bringen ihre Küken erstmals ins Wasser. Gleich nach meinem Laufstart beobachtete ich dabei ein Drama: Eine Krähe hatte es offensichtlich auf die noch sehr kleinen Küken eines Gänsesägers abgesehen und flog Angriffe, die Eltern versuchten sie immer wieder mit Geschnatter und Flügeschlagen zu vertreiben.

Flaches Flusswasser über Kieselsteinen, unscharf sieht man von Links eine Krähe anfliegen, unter ihr ein größerer Wasservogel und viele kleine Küken

Ich nahm mir nicht dir Zeit, den Ausgang zu beobachten, schließlich war mein Plan Laufen. Und das ging ganz wunderbar und mit nur wenig Fußschmerzen. Zu meiner freudigen Überraschung war gestern das Durchlaufen der Brückenbaustelle am Föhringer Ring möglich, es bot spannende Einblicke in die Holzkonstruktion zum Brückenbau. Überrascht war ich auch davon, wie ruhig die Wege waren, Müncher*innen verbrachten das Pfingst- und erste Ferienwochenende wohl eher außerhalb.

Sonniger Weg am Fluss mit Bäumen, im Fluss liegt ein großer, kahler gestürzter Baum

Die Befestigung dieses Baumsturzes vom Winter im Fluss mit Steinen hat nicht gehalten.

Blick unter einer Brücke hindurch auf Fußweg und hellgrüne Bäume

Maifarben mit Kennedybrücke als Rahmen.

Park mit Schafen, auf dem Fußweg rechts Passant*innen, die sie ansehen

Ich hatte sie gehört und gerochen, bevor ich sie sah: Die Schafherde des Englischen Gartens.

Brückenbaustelle über Fluss, sichtbar durch einen Zaun fotografiert

Die Brückenbaustelle am Föhringer Ring – ich hätte die Holzkonstruktion gerne von den Verantwortlichen erklärt bekommen.

Blick auf Fluss, umgrünt von Auen

Immer wieder schoben sich dunkle Wolken vor die Sonne.

Graffiti "HUSTLA" auf Mauer

Ansicht der Brückenbaustelle mit Holzkonstruktion von unten

Dazu der Geruch des nassen Bauholzes.

Nachaufnahme lila fedrige Blüten in hohem Gras

Graffiti-Männchen auf einer Mauer voller Tags. rechts ein wenig Blick auf Bäume

Föhringer Wehr.

Ich steuerte die Max-Joseph-Brücke an, um endlich die Früchte der vieljährigen Bauarbeiten zu ernten und drunter durchzulaufen.

Neuer Weg, der zwischen Schildern abwärts auf eine alte Brücke zuführt, links zahlreiche Absperrungen

Stellte aber fest, dass hier immer noch Baustelle ist: Der obere neue Weg endet abrupt an der Brückenmauer und bleibt gesperrt. Auch hier hätte mich die Erklärung der Fachleute sehr interessiert.

Neue Streetart unter der Luitpoldbrücke – hier neben anderer vom Lauf in einem instagram-Album zusammengefasst.

Der Friedensengel hatte wieder gut auf mein Radl aufgepasst. Ich dehnte daran rundum, radelte dann gemütlich heim.

Frühstück um halb zwei:

Tisch mit einer Schüssel, in der man Orangenstücke, dunkle Frlüssigkeit und Joghurt sieht, dahinter ein zugeklappter Laptop, rechts daneben ein Wasserglas

Das Dunkle wurde mir als Hollergelee verkauft, erwies sich aber als Sirup. Unter dem Ganzen Porridge.

Herr Kaltmamsell hatte aus den übrigen Eiweiß von der Crème Brûlée eine Bosnische Torte (die Hälfte davon) gebacken, die wirklich hässlich aussah, aber sehr gut schmeckte. Die gab es auch zum Frühstück.

Kleine Siesta, dann las ich auf dem Balkon Zeitung. Unter anderem das SZ-Magazin von Freitag, das zum 75. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland Prominente fragte, was sie mit Deutschland verbinden (€). Die Antworten fand ich alle interessant, laut lachen musste ich über die von Caren Miosga:

»›Herr Schmaaalstieg, kannste ma eben die Tupper runterholen?‹ Da war es wieder. Als ich neulich bei Karstadt eine Schüssel zum Abtuppern (sagen wir so in Hausfrauenkreisen: ›Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab‹) kaufen wollte, fratzte eine Verkäuferin ihren Kollegen mit dem herrlichen Kassiererinnen-Du an. Herr Schmalstieg, kannst du mal eben? So als sei man auf dem Weg zur formvollendeten Anrede kurz mal gestolpert. Wenn den von mir so heiß geliebten Einzelhandelsfachgeschäften vollends der Garaus gemacht wird, verschwindet auch diese schnatzigste aller deutschen Freundlichkeiten. Auf die Frage, wie ich bezahlen könne, erhielt ich die Antwort: ›Das können Sie halten, wie du willst.‹«

Im Lauf den Nachmittags und beim Kochen schmiss ich mich immer noch weg über den Satz: “Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab.” Bis dahin hätte ich gesagt, dass für mich Deutschland vor allem a g’scheit’s Brot ist (also Sauerteigbrot – eine Wahl, die mich mit Otto Waalkes verbindet, laut dem die deutschen Nationalfarben Schwarz-Brot-Gold sind). Doch in “Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab.” steckt noch mehr Deutschland: Ich kenne kein anderes Land, das diesen Satz produzieren könnte, mit all seinen Facetten (Effizienz, Funktion vor Form, Vorausschau, no nonsens, aber ja auch Genuss, und deutscher Humor vom Feinsten – zumal ich dabei durchaus auch deutsche Frauen mit Einwanderungswurzeln vor Augen habe). Wenn auch nicht unbedingt mein Deutschland (ich neige eher zu Schraubgläsern für Essensreste und Brotzeit).

Von wegen Kochen: Ich bin mittlerweile durchaus stolz darauf, dass ich Gerichte in meinem Koch-Repertoire habe, die sich der deutlich besser kochende Herr Kaltmamsell von mir wünscht. Gestern waren das Fleischpflanzerl mit Feta-Füllung.

Gedeckter Tisch mit großem Glasteller, darauf zwei Fleischpflanzerl und Kartoffelsalat mit Gurke

Ich servierte deutlich früher als sonst, es gab auch noch Crème Brûlée zum Nachtisch, denn abends wollten wir ins Theater: Der Besuch der alten Dame im Volkstheater. Dorthin spazierten wir durch milde, aber nicht wirklich warme Maienluft.

Offener Innenhof eines Backsteinbaus, darin Menschen, über dem Tor steht "Volkstheaer"

Der Dreh der Inszenierung: Nach Güllen kommt nicht die alte Dame, sondern ihre gleichnamige Enkelin, eine erfolgreiche Sängerin. Die Hoffnungen auf Geldsegen der Bevölkerung sind gleich, doch die Bedingung für die große Spende Claras ist jetzt der Tod des Enkels von Alfred. Insgesamt funktionierte das in meinen Augen, und ich mochte sehr, was Anna van Leen mit der Bühne gemacht hatte (im letzten Drittel hob sich die Bühne zu einer split stage mit Handlung oben und unten). Und ich konnte die Regie-Entscheidung nachvollziehen, die Schausspielenden (bis auf Nina Steils als Clair) völlig überzogen und als Karikaturen auftreten zu lassen. Doch unterm Strich fehlte mir die Motivation der Enkelin Claire, dazu hätte ich sie als Person mehr kennenlernen müssen.

Enthusiastischer Beifall aus dem voll besetzten Zuschauerraum.

Seitlich aufgenommen: In schwarzer Wand orange eingelassene Lampen

Beim Rausgehen hielt ich die Baumarktblumentopflampen fest.

§

Fotoreihe im Guardian:
“Protesters, pop stars and pioneers: 38 images that changed the way we see women (for better and for worse)”.

Journal Samstag, 11. Mai 2024 – Wahlhilfegeschult in neuer Rolle

Sonntag, 12. Mai 2024

Früh aufgewacht, aber erfrischt, und überhaupt kam mir das sehr entgegen.

Unter anderem kam ich so kurz nach neun los auf meine Laufrunde durch einen herrlichen Frühlingstag, wundervolle klare Luft, mit leichten Beinen. Ich nahm dieselbe Runde wie schon am Donnerstag: Alter Südfriedhof, Westermühlbach, Flaucher, Maria Einsiedel und zurück.

Spielplatz in einem Park mit alten Bäumen, kleinsieht man darin zwei Kinder und eine Erwachsene

Der Nußbaumpark wurde bereits bespielt.

Park-ähnlicher Friedhof im Sonnenschein mit wenigen alten Grabsteinen

Kleineres viereckiges Graffiti an Brückenpfelier, darauf eine Kloschüssel und die Wörter "Dead" und "shit"

Unter der Braunauer Eisenbahnbrücke.

Blick durch Bäume auf sonnenbeschienenen Fluss

Blick auf FLusslandschaft unter einer Eisenbahnbrücke durch, die mit Graffiti bemalt ist, dahinter am Horizont zwei Türme eine Kirche

Ich bog auf dem Rückweg wieder zum Bäcker ab und stellte fest, dass das Glockenbachviertel wuselte: Tag der Hofflohmärkte, das Angebot bordete über und wurde rege angenommen.

Frühstück schon um zwölf: Apfel, Körnersemmel. Die frühe Uhrzeit war meinem Nachmittagstermin geschuldet: Wahlhilfeschulung für die Europawahl am 6. Juni, ich absolvierte zum ersten Mal die Schulung zur Wahlvorsteherin (werde als stellvertretende solche fungieren). Nachdem mich der letzte Einsatz bei der Landtagswahl sehr gestresst hatte, wollte ich mir das ja eigentlich nicht mehr antun. Doch Europawahl ist wirklich die einfachste Wahlhilfe (mit der war ich seinerzeit auch eingestiegen), das ging nochmal.

Die Schulung fand im Gebäudekomplex des KVR statt, ich mäanderte durch den wundervollen Frühlingstag im Schlachthofviertel hin.

In einem Seminarraum Blick auf Leinwand, auf der steht "Herzlich willkommen zur Schulung für Vorstehende im Wahlraum"

Blick aus einem modernen verglasten Treppenaus auf eine alte Häuserzeile

Die Schulung war spannend (auch wenn ich gerne nochmal Schriftführung übernommen hätte: es gibt neue Wahlkoffer, neue Software), ich lernte einiges auf vielen Ebenen, auch auf der menschlichen. Und ich erfuhr, dass die Landtagswahlhilfe vergangenes Jahr nicht nur mich besonders anstrengend war, aus denselben Gründen.

Auf dem Rückweg schlenderte ich und nahm mir die Zeit für Fotos.

Altmodische Ladenfront in Altbau, darüber ates Schild "Obst Lebensmittel Gemüse", davor steht ein Hollandrad

Altmodische Ladenfront in Altbau mit altem Schild "Waschmittel", rechts neben Laden ein roter Kaugummiautomat

Moderne Kirchentür in schlichter Mauer, Schrift "St. Andreas"

Blick in sonnige Stadtstraßenkreuzung mit Radler und weißem Auto, ganz im Hintergrund einer Straße sieht man die Bavaria

Im Nußbaumpark begegnete ich mehr als einer Sorte… ähm… Hörnchen in Bäumen.

Baumstamm mit Eichhörnchen

Baumkuhle mit Ratte

Das untere war nur eines einer Dreier-Gruppe.

Daheim gleich mal Brotteig geknetet – da der Buttermilchbecher nicht mehr voll war, ergänzte ich mehr Wasser.

Während der Brotteig sein Ding machte, also Gehen, setzte ich mich auf den genau richtig temperierten Balkon. Auf dem Weg zur Schulung hatte ich am Volkstheater Werbung für die aktuelle Inszenierung von Dürrenmatts Besuch der alten Dame gesehen – Check ergab einen sehr spannenden Ansatz. Da Herr Kaltmamsell sich in letzter Zeit etwas offener für Theaterbesuche zeigte, fragte ich ihn, ob er mich begleiten würde – und kaufte uns dann gleich zwei Tickets (die allerletzten für die Vorstellung, läuft für’s Volkstheater, was?).

Und weil mich die Empanada so gefreut hatte, schrieb ich das Rezept auf meine Rezeptseite.

Fürs Nachtmahl sorgte Herr Kaltmamsell: Es gab persisches Rhabarberlamm, Rhabarber aus Ernteanteil.

Gedeckter Tisch mit weißem, gefüllte Teller - Reis und Ragout, darüber große Pfanne mit Ragout, kleiner Topf mit Reis

Rhabarber, Lamm und Minze passten gut zusammen, insgesamt ist das aber nicht mein Lieblingsgeschmack. Nachtisch Schokolade.

Das Brot gelang gut:

Aufsicht auf einen schwarzen, eisernen Topf, darin ein beim Backen aufgerissener Brotlaib

Im Fernsehen stolperte ich in den Disney-Trickfilm Vaiana (englischer Originaltitel Moana. Why.). Er gefiel mir so gut, dass ich den Rechner zuklappte und ihn mit ganzer Aufmerksamkeit ansah: Ein pures Märchen mit einigen wunderschönen Ideen – allein die erzählenden Tatöwierungen! Und was die Animation mit dem Protagonisten Wasser gemacht hat, ist atemberaubend.

§

Margaret Atwood ist einem Alter (84), das mich sofort besorgt macht, wenn ich länger nichts von ihr höre. Zu meiner Beruhigung stellt sie sich in dem Interview mit Lisa Allardice im Guardian als quicklebendig heraus:
“‘I can say things other people are afraid to’: Margaret Atwood on censorship, literary feuds and Trump”.

“I’m a kind of walking opinion poll,” she says. “I can tell by the questions that people ask me what’s on their minds. What is the thing they’re obsessing about at the moment.” The backwards turn of women’s rights, with the ruling just this month that the 1864 total ban on abortion be enforced in Arizona, for example, is high on the list. But as always she is careful to stress that there is no one answer to questions about the future for women. “I have to ask which women? How old? What country? There are many different variations of women.”

§

In der vergangenen Zeit berichten Medien immer wieder über “Trends”, von denen ich vorher nichts wusste – und verstehen darunter Themen, die besonders viel durch Social Media gereicht werden. Fachmann Jens Scholz erklärt den Denkfehler des Mechanismus’ in einem Mastodon-Thread.

Journal Mittwoch, 24. April 2024 – Nora Abdel-Maksoud, Doping

Donnerstag, 25. April 2024

Es wurde wieder nur mühsam hell zu grauem Himmel. Zumindest blieb die Kälte vorerst niederschlagsfrei (noch zwei Tage, hielt ich mir vor Augen, am Freitag sollten die Temperaturen spürbar steigen).

Wieder in Winterkleidung in die Arbeit.

Trotz allem marschierte ich auf einen Mittagscappuccino ins Westend, die Bewegung tat auch bei leichtem Nieseln gut.

Mittagessen Pumpernickel mit Butter, eine Orange. Dazu Schneegestöber vorm Fenster. Die Bürojalousien wollten dennoch ständig runter, regelmäßiges Aufspringen, um sie davon abzuhalten.

Feierabend machte ich schon um halb vier: Ich hatte abends einen Theatertermin. Auf dem Heimweg wurde ich nochmal angegraupelt, jetzt war aber wirklich mal gut.

Straße mit Blick auf nassen Bürgersteig, rechts ein Stromkasten auf dessen Seite eine weiße Figur gesprüht ist

Das Männchen scheint der Westend-Patron zu sein.

Für mein Theaterabo hatte ich gestern Begleitung; wir trafen uns vor der Vorstellung zum Abendessen im Blauen Haus. Dort gab es Salätchen zur Vorspeise, dann ließ ich mir Tomate-Mozzarella-Ravioli mit brauner Butter servieren, die mir wunderbar schmeckten.

Gegeben wurde gestern in den Kammerspielen das frisch geschriebene Theaterstück (!) Doping von Nora Abdel-Maksoud, die auch Regie geführt hatte, angekündigt als “Komödie” – ich konnte mich nicht erinnern, in den Kammerspielen je eine “Komödie” gesehen zu haben und war ausgesprochen gespannt. Begleiterscheinung dieser raren Gattung: Nur gut anderthalb Stunden Spielzeit, das hatte ich ja seit der Intendanz von Johan Simons nicht mehr gehabt. Außerdem rar: Der Zuschauerraum war voll, sogar proppenvoll bis auf den letzten Platz, und das Publikum hörte sich ausgesprochen amüsierwillig an.

Doping startete mit voller und eher platter Breitseite: Dem Monolog eines FDP-Lokalpolitikers auf Sylt, erwartbaren Leistungsgesellschaftsstatements, Komik-Niveau eher Fernsehen. Mit brachialer Komik ging es auch weiter: Politiker scheitert gesundheitlich an seinen eigenen Standards, muss unbedingt für eine zentrale Wahlveranstaltung wieder funktionisfähig gemacht werden, wird in eine Geheimklinik gebracht. Das war gnadenlos immer weiter überdreht und durchgespielt, irgendwann ließ auch ich meine eher angespannten Augenbrauen sinken und mich amüsieren.

Vincent Redetzki als Jung-FDPler zeigte wunderbar die geistigen Verbiegungen, die ein Man-muss-nur-wollen-Idealist bei Kontrollverlust benötigt, um diese Ideologie aufrecht zu erhalten. Seinen Mentor spielte Stefan Merki und stand für die Verwechselbarkeit von Leistungsideal und Egoismus (und durfte die schöne Zusammenfassung des FDP-Wahlprogramms sagen: “Freiheit, Eigenverantwortung und: Wer soll das bezahlen?”). Şafak Şengül stellte seine ständig unterschätzte Tochter dar, die in ihrer Schlauheit unbeabsichtigte Absurditäten aus dem Neoliberalismus ihres Vaters kitzelt. Und dann hatten wir als Krankenhauspersonal Eva Bay als Pflegerin, die die Monologe zur Forderung von equal share für Frauen bekam, Wiebke Puls in der am meisten überdrehten Rolle des Chefarztes mit brutalem Waterkant-Akzent, den ich zuletzt im Ohnsorg-Theater als solch komisches Stilmittel gesehen hatte (ich bin alt). Bühnenbild eher keines, lediglich ein pinkfarbenes Dreivierteilrund als Wand, das hin- und hergefahren wurde.

Insgesamt schon eine Gaudi, die Absurdität und Destruktivität der aktuellen FDP-Ideologie in erwartbare Spitzen getrieben, gepredigt natürlich zum eh schon bekehrten Kammerspiel-Publikum. Der Abend hatte etwas von politischem Kabarett der Lach- und Schieß-Generation (schöne Erinnerung, ich bin – siehe oben – alt) (und dieselbe Erinnerung, sehe ich, hat Wolfgang Höbel im Spiegel, aber der ist halt auch alt).

Der Heimweg begann saukalt, ich gab meinem Frieren und der fehlenden Bewegungslust nach und nahm für die eine Station eine U-Bahn nach Hause.

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“The Evolution of Stupidity (and Octopus Intelligence)”.

via Buddenbohm

Dieser Artikel über Dummheit hat mir zum ersten Mal eine Definition von Intelligenz geboten, die mich (vorerst?) zufrieden stellt. Ich war bislang eher auf “denkt sehr schnell” ausgewichen. Aber hier (meine Umschreibung):
– Ignoranz ist das Fehlen von relevanten Daten/Informationen, die für die Lösung eines Problems erforderlich ist.
– Intelligenz ist das Ableiten einfacher Lösungen für komplexe Probleme. Mit Intelligenz helfen Informationen zur schnelleren Problemlösung. Problemlösung mit Intelligenz ist signifikant schneller als die mit reinem Ausprobieren.
– Dummheit ist die Anwendung einer Regel oder eines Gedankengebäudes, ohne dass Hinzufügen von Daten oder Informationen die Problemlösung verbessert. Extreme Dummheit ist in Problemlösung langsamer als reines Ausprobieren.

Was menschliche Intelligenz in obigem Sinn laut dem Artikel von der unterscheidet, die wir an Tieren beobachten: Durch Aufzeichnung können wir Wissen und Erkenntnisse über viele Generationen kommunizieren, sie immer weiter verbessern. Tiere können immer nur von Lebenden lernen.

Journal Donnerstag, 28. März 2024 – Volkstheater-Besichtigung mit Der Zauberberg

Freitag, 29. März 2024

Die Nacht war ein bisschen unruhig, weil ich nach Klogang um drei lang nicht mehr einschlief. Bei Weckerklingeln freute ich mich sehr auf das Ausschlafen am Karfreitag.

Das Draußen auf dem Weg in die Arbeit zapfig kalt, ich atmete Wölkchen.

Gestern wieder Kreuzschmerzen aus dem gesamten Unterleib (Stichwort Abbrechen in der Leibesmitte), die Auswahl an ärztlich diagnostizierten Ursachen ist ja groß genug.

Vergeblicher Versuch eines Mittagscappuccinos bei Nachbars: Direkt vor mir trat eine zehnköpfige Gruppe an die Theke, alle hatte komplexe Wünsche. Die Umsetzung derselben hätte mir zu lange gedauert, ich ging zurück und verlegte mich auf den traurigen Automaten-Cappuccino aus der Teeküche.

Das Wetter wurde immer greisliger, zum kalten Wind regnete es ab Mittag ergiebig und mit Wind.

Sehr pünktlicher Feierabend, denn ich war erledigt und musste nichts mehr tun. Und ich hatte eine Abendverabredung.

Auf dem saukalten, zumindest aber trockenen Heimweg ein paar Einkäufe für die nächsten Tage, zu Hause ruhte ich mich nur kurz aus, aß Nüsschen und einen Eiweißriegel, dann spazierte ich zum neuen Volkstheater: Ich hatte bislang nur das zugehörige Restaurant Schmock von innen gesehen und nutzt mit einer Freundin den Besuch einer Vorstellung, um den Rest zu erleben.

Unsere Wahl war auf die Inszenierung von Thomas Manns Der Zauberberg gefallen.1

Erstmal sahen wir uns in Foyer, Toiletten, Treppenhaus um:

Das Gebäude gefiel mir sehr gut, und mich erstaunte, dass es auch zweieinhalb Jahre nach Eröffnung niegelnagelneu aussieht: Mittlerweile bin ich gewohnt, dass Neubauten innerhalb kürzester Zeit Abranzungen aufweisen. Die schlichte Gestaltung passt zum Charakter des “Volkstheaters”, die wirtschaftliche und pünktliche Planung und Durchführung des Neubaus glich seinerzeit einer Sensation (Gerhard Matzig schrieb 2021 für die Süddeutsche darüber – leider wieder zu lesen nur gegen €: “Von München lernen heißt bauen lernen”). Im großen Theaterraum selbst, der mich mit schwarzen Wänden und Decke eher an ein Kino erinnerte, entdeckte ich, dass die orangen, in die Wand eingelassenen Leuchten tatsächlich eingemauerte Terracotta-Blumentöpfe waren, wie man sie in der Gartenabteilung eines Baumarkts findet – mit solchen Details lässt sich sicher Geld sparen. (Und meine Begleitung wies mich darauf hin, dass diese Technik bereits in der Antike verbreitet war.)

Der Zuschauerraum war voll, das Publikum überraschend gemischt. Fast vier Stunden Zauberberg erforderten durchaus Kondition (aber kein Sitzfleisch: sehr bequeme Sessel, reichlich Fußraum), die Aufführung hinterließ bei mir einen gemischten Eindruck. Leere Bühne mit wenigen Requisiten, wunderbares Ensemble-Spiel, verhandelt wurden Krankheit (eh), Krieg, Gesellschaftsformen, Menschenbilder, zum Teil in (wie im Roman) ermüdend ausführlichen Dialogen. Ich sah Spielvergnügen, bekam immer wieder komische Überzeichnungen (Luise Deborah Daberkow als Hofrat Behrens und Nina Steils als Dr. Krikowksi hatten eine besondere Gaudi) und lustige Technikeinsätze (nach der Pause bekam eine fahrbare Hebebühne immer wieder Sondergelächter). Im Vergleich zu dem, was ich von den Kammerspielen gewohnt bin, hielt sich die Inszenierung mit Bühnenmitteln zurück: Nur ein Musiker auf der Bühne (Alexander Yannilos), keine Projektionen, eine Hauptrolle spielte ein riesiger horizontaler Ring über dem Bühnenraum, aus dem Nebel waberte, nur einmal wurde mit einem Schneesturm so richtig die Sau rausgelassen – und selbst den erzeugten die Schauspieler mit zwei auf die Bühne geschobenen Ventilatoren und ein paar Eimern Kunstschnee selbst. Dennoch gab es auch hier Szenen, in denen zwei Handlungen übereinander gelegt wurden – sehr anstrengend für die Wahrnehmung, Funktion und Nutzen unklar.

Was für mich gar nicht funktionierte: Die Darstellung des Sanatoriums als Parallelwelt mit anderen Gesetzen. Zwar behaupteten die Figuren das immer wieder, doch die Theaterbühne und dramatische Darstellung sind ohnehin eine so andere Welt, dass dieser Kern des Romans nicht umsetzbar war.

Eigentlich hatte ich mich auf ein anschließendes Glas Wein mit Freundin und Gesprächen gefreut, war dann jedoch zu erledigt dafür und schaute, dass ich zackig heimkam.

Zu Hause aß ich noch schnell ein Schüsselchen Haferflocken, um nicht vom Hunger geweckt zu werden, kam gerade noch vor Mitternacht ins Bett, fror dann aber so sehr, dass ich nochmal aufstand, um eine Wärmflasche zu füllen.

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Im SZ-Magazin interviewt Dorothea Wagner die junge spanische Schriftstellerin Andrea Abreu. Sie ist im Norden Teneriffas aufgewachsen und lebt jetzt wieder dort (€).
“‘Als Kind dachte ich immer, dass alle Touristen aus Deutschland kommen'”.

Darin ein nur auf den ersten Blick überraschendes Detail über die Auswirkungen des sich verändernden Tourismus:

Mich hat das früher wütend gemacht, dass Leute hierherkommen und trotzdem nicht einmal die salzverkrusteten Kartoffeln mit Mojo-Soße kennen, die wir machen. Aber heute weiß ich, dass es viel schlimmer geworden ist, seit mehr Touristen versuchen, sich unserer Kultur anzunähern und alternativen Urlaub zu machen.
Warum?
Es mag schwierig gewesen sein, dass so viele Touristen in den Hotels blieben und Bier tranken. Aber die, die es anders machen wollen, tauchen jetzt an unseren Orten auf. Ich verstehe den Impuls, so zu reisen. Es fühlt sich so an, als wäre das verantwortungsvoller und nachhaltiger. Aber es bedeutet, dass die Menschen plötzlich in unseren Vierteln stehen, in unseren Supermärkten, in unserem Alltag. Dass sich diese Orte dadurch verändern. Restaurants passen ihre Speisekarten an, meine Bekannten finden keine Wohnungen mehr zur Miete. Fast jede Woche liegt in meinem Briefkasten Post von einem deutschen Makler, der das Haus, in dem ich zur Miete wohne, an Deutsche verkaufen möchte. Meine Vermieterin ist eine alte Frau, vielleicht nimmt sie das Angebot irgendwann an.

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Interview des Deutschlandfunks mit Larissa Kikol zu ihrem Buch Signed (meine eine Kritik an ihrem Buch ist ja, dass es keine E-Book-Version gibt):
“So viel Kunst steckt in Graffitis”.

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Der Osterhase stellt sich vor.

via @stedtenhopp

  1. Dank einer Insider-Information weiß ich mittlerweile, warum seit vielen Jahren mehr Romane und Filme auf die Bühne gebracht werden als Dramen: Weil sie den Leuten vertraut sind und die Schwelle für einen Theaterbesuch senken sollen. []