Journal Montag, 26. April 2021 – Alltäglicher Alltag

Dienstag, 27. April 2021 um 6:32

Ich würde ja rumwinseln, dass dieser Corona-April endlos erscheint, aber danach kommt auch bloß ein Corona-Mai, ich müsste also durchwinseln.
(Jede Covid-19-Infektion ist eine Chance für das Virus zu mutieren – unter diesem Aspekt machen mich die Wellen in Brasilien und Indien mutlos. Die PANdemie ist erst rum, wenn sie weltweit rum ist.)

Schon auch traurig über das zweite Jahr ohne Oscarverleihung – diesmal inklusive Trauer darüber, dass ich mangels Kino das vergangene Filmjahr fast komplett verpasst habe.

Nochmal ein sonniger Frühlingstag, beim Weg in die Arbeit sah ich, wie die Bäume immer deutlicher ergrünen.

Der Sonntagssport hatte einen interessanten Muskelkater zwischen den Schulterblättern hinterlassen – ein deutlich anderer Schmerz als das Beengtheitsgefühl, das ich seit Monaten um die Muskeln des Brustkrobs habe.

Premiere Gleitsichtbrille im Büro: Ich musste mich immer wieder davon abhalten, die Brille fürs Papierlesen/Korrekturlesen abzusetzen – war jetzt nicht mehr nötig. Noch wackeln aber obere Teile des Bildschirms.

Mittags gab’s Karottensalat, als Nachmittagssnack Mohnrolle.

Wirklich warm war es weiterhin nicht (14-16 Grad), für mich waren Ledermantel und dicke Strümpfe draußen genau richtig. Ich begegnete aber mehrfach Menschen in Hochsommer-Outfits inklusive Badelatschen – anderes Temperaturempfinden.

Auf dem Heimweg machte ich einen Abstecher in den Vollcorner: Herr Kaltmamsell hatte zum Abendbrot Reiberdatschi vorgeschlagen (statt dem Kaiserschmarrn, den das Apfelkompott im Ernteanteil des Kartoffelkombinats inspiriert hatte), dafür brauchten wir mehr Bratöl.

Zu Hause eine Runde Yoga, dann Häuslichkeiten, bis es die ersten selbst gemachten Reiberdatschi unserer gemeinsamen Jahre gab – selbst habe ich noch nie welche gemacht. Sie waren sehr gut, wenn auch völlig anders als die, mit denen ich aufgewachsen bin, unter anderem wegen der enthaltenen Zwiebel, und das Apfelkompott stellte sich als gewürztes Dessert heraus (köstlich) statt dem erwarteten schlichten Mus. Das angebliche Vier-Personen-Rezept machte uns zu zweit nicht satt (zweieinhalb Reiberdatschi für jede/n), es gab noch Käse und Schokolade.

Meine persönliche Inneneinrichterin hatte vorgeschlagen, den Balkon mit einem Balkonteppich auszustatten und einen Tipp geschickt, wie das aussehen könnte (ich hatte mir mal wieder überhaupt nichts unter ihrem Vorschlag vorstellen können). So wird das vermutlich aussehen, ich bestellte gleich mal.

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@AnaMardoll macht sich auf Twitter auf die Suche nach eindeutigen Kennzeichen für weibliches Geschlecht – bei Cartoon-Figuren. Eindeutiges Ergebnis: Lidschatten.

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Gestern gelernt, auch auf Twitter: Das Spiel Verfang heißt auf Englisch game of chase – oder gibt’s da auch so viele regionale Unterschiede wie im Deutschen?

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 25. April 2021 – Balkonpräparierung

Montag, 26. April 2021 um 6:27

Gut und lang geschlafen.

Mohnrolle gebacken, während Herr Kaltmamsell sich auf den Weg zu seinen Eltern machte. Eine Maschine Wäsche.

Sportprogramm: Eine Runde Crosstrainer, Krafttraining für Oberkörper und Rumpf. Und weil ich dann eh angeschweißelt war, machte ich mich in dieser Sportkleidung an die Reinigung von Balkonmöbeln und Balkon.

Die edlen Teakholz-Möbel von Garpa waren vergangenes Jahr mit einem eigenen Täschchen voller Reinigungsutensilien samt Spielanleitung gekommen. Anweisungsgemäß schrubbte ich also die Möbel mit Seifenwasser (“Grüne Seife”) und Bürste. Zu meiner Überraschung gingen so tatsächlich die Wasserflecken und -ränder sowie sonstige Witterungsspuren weg. Mehr Behandlung braucht es laut Hersteller nicht: Er ermutigt Patina und versichert, die Haltbarkeit der Möbel leide darunter nicht.

Der Balkon war anschließend noch schmutziger, ich reinigte ihn Kachel für Kachel mit Spülschwamm. Das Ganze hatte dann doch länger gedauert als vorhergesehen, nach Duschen und Haarewaschen (Letzteres mittlerweile ein eigener Programmpunkt der Körperpflege, knurr) setzte ich mich erst um zwei zum Frühstück: Letztes Stück Fladenbrot, ein Stück Käse, noch eine Schale Milchkaffee.

Für die Montagsbrotzeit verwandelte ich Ernteanteil-Karotten in Karottensalat.

Das Wetter war wundervoll, ich wollte dringend nochmal raus. Dass die Theresienwiese belebt sein würde, hatte ich erwartet; doch zudem fand darauf am Nordende eine Veranstaltung statt, beschallt mit Bassboxen in Oktoberfest-Lautstärke, die über die gesamte Theresienwiese und Umgebung wummerten – es war nicht mal die Idee von Ruhe möglich.

Daheim testete ich den Balkon zum Lesen der Wochenend-Süddeutschen (Pflanzen und Sitzpolster kommen erst nach den Eisheiligen raus, es ist nachts immer noch frostig).

Eine Runde Bügeln im sonnigen Wohnzimmer, ich glaube, ich habe meinen Lieblingsort dafür gefunden.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell Kartoffel-Triangoli, ich steuerte Kopfsalat bei.

Schmeckte gut, aber aus irgendeinem Grund war die Ruccolasauce bitter geworden. Dazu hatte ich Lust auf ein Glas spanischen Sauvignon Blanc.

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Rätsel des Alltags: Wie kommt jemand zu der Ansicht, er oder sie sei die erste/einzige, die öffentlich Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung übt? Marietta Slomka wundert sich in den Tagesthemen im heute-Journal.

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Tiere, die Selfies aufnehmen. (Doch, das wollen Sie sehen.)

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 24. April 2021 – Spaziergang Kirchseeon-Ebersberg

Sonntag, 25. April 2021 um 8:19

Meine Nächte haben sich vorerst beruhigt, ich bekomme erholsamen Schlaf.

Am Freitag hatte ich eine Mail vom Wahlamt der Stadt München bekommen, ich meldete mich als Wahlhelferin zur Bundetagswahl am 29. 26. September an (das kann man hier). Bei dieser Gelegenheit wieder die Empfehlung: Machen Sie das mal! Es ist ein Erlebnis in Staatsbürgerschaft. Vor allem wenn Sie Zweifel an der ordungsgemäßen Durchführung von Wahlen hierzulande haben: Schauen Sie sich das von hinter der Bühne an, lassen Sie sich schulen, machen Sie sich mit den Vorgaben und konkreter Auslegung vertraut, beteiligen Sie sich! In vielen Wahlbezirken können Sie sich auch gezielt zum Auszählen von Briefwahlzetteln bewerben.

Zu Morgenkaffee und Bloggen setzte ich mich gestern mal in die Küche mit Blick auf den Küchenbalkon, noch suche ich den besten Platz für den Wochenendmorgen.

Nach Duschen und Anziehen ging ich für eine Besorgungsrunde aus dem Haus: Blumeneimer zum Blumenladen zurückbringen, Lebensmitteleinkäufe (weil es einige nur dort gesammelt gibt) in der Feinkostabteilung vom Kaufhof am Marienplatz (Herr Kaltmamsell hatte vor einiger Zeit herausgefunden, dass man derzeit durch den Hintereingang in der Kaufingertor-Passage reinkommt, für den gewohnten Zugang übers Kaufhaus bräuchte man als Corona-Auflage einen “Shopping-Termin”, derzeit inklusive Testergebnis), wöchentlicher Corona-Schnelltest in der Sendlinger Straße (lange Schlange, aber zügige Abfertigung). Daheim lud ich die Einkäufe ab, zweite Runde war Supermarkt für den ganzen Lebensmittelrest auf der Einkaufsliste fürs Wochenende.

Zum mittäglichen Frühstück gab es ein Fleischpflanzerl vom Vorabend und ein Stück eben gekauftes Fladenbrot. Vormittags hatte der Optiker angerufen: Meine neue Brille sei abholbereit. Da ich für den Tag andere Pläne hatte, kündigte ich mein Abholen für Montag an. Nur dass meine alte Brille dann beim Putzen wieder zerbrach, an der geflickten Stelle. Ich ging also gleich zum Optiker und holte für knapp ein halbes Monatsgehalt meine erste Gleitsichtbrille ab (wehe das hat sich nicht gelohnt!). Schon beim angeleiteten Ausprobieren im Brillenladen erkannte ich, dass ich erheblich mehr mit Kopfbewegung werde arbeiten müssen, wenn ich möglichst viel scharf sehen möchte, vor allem werde ich sehr viel öfter mit gesenktem Kopf gucken müssen (kommt am End’ daher das Doppelkinn im Alter?).

Mein Freizeitplan für den Tag war ein ausgedehnter Spaziergang von Kirchseeon nach Ebersberg, eine vertraute Strecke und zuletzt im Juni 2019 gegangen. Herr Kaltmamsell musste arbeiten und konnte mich nicht begleiten.

Das Draußen war noch voller, als ich es befürchtet hatte. An der Kirche St. Michael überm Eggelburger See, die ich schon oft besucht habe, war ich zuvor nur ein oder zweimal überhaupt jemand anderem begegnet. Gestern sah ich schon von unten so viele Menschen oben, dass ich eine Beerdigung für möglich hielt – doch das waren alles Menschen auf Ausflug. Auf jeder Grünfläche, die kein Acker war, saßen und lagen Menschen, Gruppen aus zwei bis drei Familien mit Kindern und Gerät blockierten die Wege nahzu unüberholbar, schon gar mit Abstand. Als Folge marschierte ich die Strecke recht zackig und mit wenigen Blicken links und rechts durch, auch ohne geplante Pause, weil alle Bankerl besetzt waren.

Aber: Schon auf der Hinfahrt in der angenehm leeren S-Bahn hatte ich einen Falken erspäht, auf dem Weg erst noch einen, dann einen Thermik-kreisenden Bussard. Vor allem aber: Über einem Bauernhof in Forstseeon sah ich die ersten Schwalben!

St. Colomann.

Auch in Forstseeon war gelammt worden. Bis hierher hatte ich es auf meinem Weg nur mit Radlerinnen und Radlern auf unterschiedlichsten Geräten zu tun.

St. Michael frisch renoviert.

Da hatte sich jemand zu weit aus dem Egglsee gewagt.

Heimfahrt mit einmal Umsteigen in Grafing.

Daheim hatte ich Hunger und aß eine Orange mit Joghurt.

Herr Kaltmamsell sorgte fürs Abendessen und servierte ein Curry mit Garnelen, ich bereitete als Sonntagskuchen Hefeteig für eine Mohnrolle zu und schob ihn zum Über-Nacht-Gehen in den Kühlschrank.

Im Bett las ich noch eine ganze Weile in Ruth Klüger, weiter leben: Eine Jugend und freute mich am Tonfall dieser klugen Frau.

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Und dann hätten wir hier noch ein paar superpraktische Haushaltstipps, wie man sie gerne im Internet findet.
via @anneschuessler

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 23. April 2021 – Flashbacks zu Griechenland 1984

Samstag, 24. April 2021 um 7:59

Das sonnige Draußen roch gewaltig nach Frühling.

Ich nahm früh das Rad in die Arbeit, erledigte im Büro noch ein paar Sachen und radelte dann zu einem weiteren Einsatz als Schöffin zum Justizzentrum am Stiglmaierplatz. Morgens war es noch kalt, doch gerade die Kombination aus kühler Luft, strahlender Sonne und Frühlingsgerüchen rief – wie fast immer – Erinnerungen an die Studienfahrt nach Griechenland zu Schulzeiten (1984) hervor: Auch nach 37 Jahren gehört das zusammen, war wohl eines der einschneidensten Erlebnisse meines Lebens.

Frühlingslandschaft bei Delphi.

Vor dem Museum in Delphi. Ich bin die dritte von links, 16-jährig – im damals sehr modernen Trenchcoat und mit den lang erbettelten Puma-Lederturnschuhen, die ich Idiotin dann im Athener Hotelzimmer unterm Bett vergaß. Links von mir die beste Fußballerin des Jahrgangs (zugegeben: eine von zweien), der Pulli an der Mitschülerin rechts von mir war sicher selbstgestrickt, der Regenüberwurf der Mitschülerin ganz rechts war ein K-Way (“Kawai” ausgesprochen), damals Synonym für Regenüberwurf (und furchtbar teuer).

Wie wenige Fotos wir damals machten!

Am Gericht ging es eher schnell, schon um halb elf waren wir fertig. Fürs Zurückradeln ins Büro brauchte ich nicht mal mehr Handschuhe.

Mittags gab es ein Laugenzöpferl sowie eine Orange mit Hüttenkäse.

Die Freude über die Freigabe des Impfstoffs AstraZeneca für Verimpfung in Hausarztpraxen hielt nicht lang: Die Praxen wissen von keiner Lieferung.

Die Ärzte werden jede Woche darüber informiert, welchen Impfstoff sie in der kommenden Woche erhalten können. Für nächste Woche wird den Hausärzten gar kein Astrazeneca-Impfstoff angeboten, sondern ein anderes Vakzin.

Nun: Ich stehe sein Januar auf der offiziellen bayernweiten Liste der Impfwilligen, jetzt auch auf der meiner Hausärztin – da ich nicht zur Gruppe besonders Gefährdeter gehöre, würde ich alles Weitere als Drängeln empfinden.

Daheim traf ich Vorbereitungen fürs Abendessen, die Zutaten hatte Herr Kaltmamsell besorgt: Bei offener Tür zum Küchenbalkon und ohne künstliches Licht (immer noch eine Sensation in der Küche) hobelte ich Gurken in den Kartoffelsalat und würzte das Hackfleisch für die Fleischpflanzerl (Ziebel und Knoblauch angebraten, Petersilie gehackt, Eier, Semmelbrösel, etwas Tomatenmark, Salz, Pfeffer).

Nochmal die Yoga-Einheit vom Vortag, diesmal tat sie richtig gut und nahm mir ein wenig von der ekligen Gereiztheit und schlechter Laune, die mich schon wieder plagten.

Fleischpflanzerl gebraten, dazu gab es Gin Tonic. Abendessen in letzter Sonne, die immer noch ungehindert von Laub über fast ihren ganzen Tageslauf ins Wohnzimmer scheint.

Helen Slavin, The Extra Large Medium ausgelesen. Auch wenn der Schluss die Schwachstelle des Romans ist, gefiel er mir insgesamt sehr gut. Erzählt wird die Geschichte von Annie, die tote Menschen sieht (sie tragen immer schokoladenbraune Kleidung), von klein auf. Anfangs war ich irritiert über die Parallele zu Hilary Mantels Roman Beyond Black und brauchte eine Weile, bis diese Geschichte ihren eigenen Charakter entwickeln konnte – und den hat sie.

Annie erzählt rückblickend und mit viel Galgenhumor ihr Leben, aber ohne reflektierende Distanz. Dazwischen gibt es kurze Kapitel aus der Sicht von Verwandten u.a. Mutter, Tante, Onkel, Stiefvater. Annie ergibt sich in ihr Schicksal und versucht sich mit ihrer Gabe nützlich zu machen, also die Botschaften der Toten an die Hinterlassenen zu überbringen – meist völlige Petitessen der Größenordnung, wo der Schlüssel zum Gartenhäuschen liegt. Sie hat ohnehin keine Chance auf ein auch nur halbwegs konventionelles Leben, die Toten lassen sie nicht in Ruhe (hier liegt eine Parallele zu Mantels Roman), sie schlägt sich irgendwie durch. Eingewebt ist dann auch noch eine Kriminalgeschichte, die zu dem etwas ungeschickten Schluss führt.

Vieles ist nicht auserzählt, das mag ich, ich fühlte mich als Leserin ernst genommen. Räume zum Beispiel werden durch den Eindruck vermittelt, den sie auf die Erzählerin erzeugen, nicht durch Möbelbeschreibung. Oder einschneidende Erlebnisse, die uns zunächst durch die traumatischen Auswirkungen erzählt werden, bevor wir Fragmente bekommen, aus denen sich der eigentliche Vorfall zusammensetzen lässt.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 22. April 2021 – Wie viel Spiegel braucht der Mensch

Freitag, 23. April 2021 um 6:31

Gut geschlafen! Nach Ewigkeiten sogar über fünf Stunden am Stück!

Eine seltsame Zeit, in der in meiner Welt rundum mitgefiebert wird, wer eine Impfung bekommt, und in der jede gefeiert wird (jede Impfung bringt uns der Kontrolle über die Pandemie näher – vorerst steigen die Infektionszahlen noch, laut Robert-Koch-Institut liegen wir nur wenig unter dem Tageshöchstwert an täglichen Neuinfektionen der zweiten Welle – und das, wo man von der Gesamtzahl an Bevölkerung ja die mittlerweile 20 Prozent Geimpften abziehen müsste, wo der eigentliche Inzidenzwert also eigentlich deutlich höher liegt).

Morgens fiel mir auf, wie gut das Leben mit wenigen Spiegeln funktioniert. Wir haben derzeit zweieinhalb Spiegel in der ganzen großen Wohnung: Im Flur einen Menschen-großen, einen Gesichts-großen im Klo und einen kleinen Handspiegel im Badregal. Herr Kaltmamsell rasiert sich mit Hilfe des Handspiegels, ich schminke mich im Klo – und in den großen Spiegel gucke ich höchstens zum Einfädeln von Ohrringen; ich überprüfe darin nicht mal mein Aussehen vor Verlassen der Wohnung, meine Kleidung kenne ich ja an mir. (Ich freue mich trotzdem auf einen richtigen Spiegel im Bad.)

Freundliches Wetter mit viel Sonne, die Temperaturen dabei einem April angemessen zwischen 12 und 15 Grad.

Arbeit nochmal mit viel Kontakt zur Poststelle. Mittags aß ich die restlichen Reisnudeln vom vorabendlichen Vietnamesen und eine Orange.

Auf dem Heimweg machte ich im Frühlingswetter einen Abstecher zum Westpark und freute mich an den ergrünenden Bäumen und Büschen, am Flieder in den Startlöchern. Auf der Theresienwiese wieder viel Sportbetrieb.

(Foto vom Mittwoch, weil das von gestern nichts wurde – aber sehr ähnlich.)

Daheim traf ich auf einen soeben geimpften Lehrer, der keinerlei Nebenwirkungen verspürte – große Freude.

Nach einer längeren Runde Yoga (die mache ich nochmal) bereitete ich zum Abendessen Salat und Radieschensprossen aus Ernteanteil mit zwei gekochten Eiern und Joghurtsoße zu. Satt wurden wir mit viel Schokolade.

Für Freitagabend kochte ich schon mal Kartoffeln, verarbeitete sie zu Kartoffelsalat.

Meine derzeitige Lektüre, Helen Slavin, The Extra Large Medium, lese ich mich großem Vergnügen, groß genug, dass ich früh damit ins Bett gehe, um vor der Nachtschläfrigkeit noch mindestens eine halbe Stunde darin zu lesen. Das freut mich umso mehr, als ich diesen Sog seit einigen Monaten vermisst hatte – selbst ganz ausgezeichnete Bücher besitzen den nicht unbedingt, er ist eine separate Eigenschaft, die in meinem Fall zwar eine gewisse Mindestqualität voraussetzt, aber weder von besonders hoher Qualität abhängt noch sie ausschließt.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 21. April 2021 – Andreas Glumm, Geplant war Ewigkeit

Donnerstag, 22. April 2021 um 6:43

Ein sonniger Morgen und sonniger Tag, noch brauchte ich aber auf dem Weg ins Büro Handschuhe.

In der Arbeit wieder viel Arbeit mit Dingen. Mittags Orangen, Grapefruit, Quark.

In freundlichem Wetter verlängerte ich meinen Heimweg ein bisschen auf der Theresienwiese, die vielfältig besportelt wurde (neben Roller Blades übrigens dieses Jahr auffallend viele Roller Skates – an meist besonders sorgfältig gestylten Damen, gibt es da einen Trend?). Zu Hause erst mal Yoga, eher gemütlich – diese Folge wiederhole ich also nicht.

Nachtmahl kam vom freundlichen Nachbarschafts-Vietnamesen: Reisnudeln mit viel Gemüse und Zitronengras-Tofu. Nachtisch Schokolade.

Abends wurde gemeldet, dass auch Bayern den Corona-Impfstoff von AstraZeneca für alle Altersgruppen freigegeben hat und er in Arztpraxen ohne Priorisierung verimpft werden darf. Ich meldete mich sofort bei meiner Hausärztin per Kontaktformular dafür an. (Ab jetzt nur noch ärmelfreie Oberteile. Für alle Fälle.)

Bov Bjergs Erstling Deadline (gutes Buch) wird neu aufgelegt. Er musste dafür zwar einen eigenen Verlag gründen, den Kanon Verlag, aber das ist’s wert.

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Glumm bloggt schon immer – also mindestens seit den 20 Jahren, die ich Blogs lese (das Archiv seines früheren Blogs 500 Beine beginnt allerdings erst 2015, egal). Und aus seinem Blog kannte ich auch seine Solinger Multitoxler-Loser-Geschichten, ganz deutlich autobiografisch. Jetzt ist aus seinen Geschichten ein Buch geworden – und der Verlag hat es mir freundlicherweise kostenlos als PDF zur Verfügung gestellt: Andreas Glumm, Geplant war Ewigkeit.

Gut bis hervorragend geschrieben sind alle von Glumms Geschichten aus verschiedenen Jahrzehnten, alle in Solingen und bei seinen Menschen angesiedelt, alle mit einer wiedererkennbaren Stimme erzählt – und doch in Tonalität und Grundhaltung seht unterschiedlich. Mit nicht jeder Grundhaltung konnte ich etwas anfangen.

Wenig zum Beispiel mit den Szenen aus jüngeren Jahren, in denen ich lediglich Karikaturen eines Männlichkeitsbilds erkannte, das vielleicht 14-jährige cool finden können.

Er fuhr Auto, wie er Geschlechtsverkehr ausübte: in hektischen Intervallen, überfallartig, bockig. Und immer so, als ginge es um die Weltmeisterschaft. Benzini fuhr, als hätte er ein Military-Pferd unterm Hintern: vor ihm tiefes Geläuf und nur noch wenige Minuten bis zum Zieleinlauf. Er fuhr, als wären Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nichts als ein Hütchenspiel, mit dem der Herrgott uns alle auf Trab hielt. Jederzeit konnte man Haus und Hof aufs falsche Hütchen setzen und als Bankrotteur enden.

Volle Punktzahl in der B-Note für bildhafte Beschreibung, doch dieser Duktus macht mich heutzutage müde (ich bin alt). Kurzer Gegentest: Ich versuchte mir diese und ähnliche Beschreibungen und Formulierungen über Frauen vorzustellen – funktionierte überhaupt nicht.

Komplett bizarr wurde meine Wahrnehmung der Drogengeschichten, als ich während der Zeit der Lektüre als Schöffin am Münchner Amtsgericht in einer Verhandlung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz saß: Dieselben Themen, dieselben Menschen, aber nichts daran launig und lustig.

Ich unterstelle Glumm nicht, dass er das Thema harte Drogen verharmlost, doch im Grunde ist in den Geschichten dieses Leben, das sich zu 95 Prozent um Rausch und Beschaffung dreht, vor allem ein großes Spiel – wer verliert, stirbt halt den Drogentod, höhöhö. Die Haltung hat etwas naiv Kindliches, vor allem in ihren Männlichkeits- und Abgebrühheits-Posen, aber es geht nunmal um Menschenleben. Selbst mir, die das Leben grundsätzlich sinnlos findet, ist das zu frivol. Was nicht bedeutet, dass man nicht Geschichten aus dieser Seite der Gesellschaft oder nicht in diesem Tonfall schreiben soll – ich mag sie lediglich nicht lesen.

Dennoch empfehle ich den Erzählband, er enthält nämlich mehr als genug Geschichten, die aus diesem Bukowski-Duktus rausfallen. Glumm erzählt, wie er die Gräfin an seiner Seite kennenlernte, er schreibt ausführlich über seine Eltern (aus einer dieser Geschichten ist der Buchtitel entnommen) in vielen aufmerksam registrierten Details, die weit über die individuellen Geschichten hinaus weisen und eine Zeit erzählen, eine Gesellschaftsschicht, wirklich Bedeutsames. Hier finden sich kaum coole Floskeln, statt dessen liebevolle Beobachtung, menschenfreundliche Gelassenheit.

„Ach wo, in der Küche höre ich schon lange kein Radio mehr. Es ist dir bloß noch nicht aufgefallen“, erklärte Mutter geduldig. Ich wartete auf das leise Lächeln in ihrem Gesicht, das immer dann kam, wenn sie es gut mit jemandem meinte. Ein stilles In-sich-hinein-Lächeln, wie bei einem Goldschürfer, der tief im Unterbauch schon ahnt, dass er gleich auf eine Ader stoßen wird.
Sie konnte ein Lachen aber auch laut herausplatzen lassen, laut wie ein italienischer Polier, wobei sie den Kopf schwungvoll in den Nacken warf, damit mehr Platz im Hals
war – mehr Platz zum Lachen. Aber diesmal war nichts davon zu sehen und zu hören. Kein Lachen, kein Lächeln, keine Musik.
„Und warum?“ fragte ich.
„Warum es dir noch nie aufgefallen ist?“
Sie reichte mir zwei abgetrocknete Dessert-Tellerchen, und ich öffnete den Hängeschrank, um sie zum anderen Geschirr zu stellen.
„Nein, warum du keine Musik mehr hörst.“
„Warum mag man keine Musik mehr hören …“, formte Mutter die Worte neu, wie eine Frage an sich selbst. Vom Flur her hörten wir Geräusche, Vater schlurfte ins Schlafzimmer, um sein Mittagsschläfchen zu halten. Ich schaute in die Augen meiner Mutter. Da stellte ich die zwei kleinen Teller ab, und ich schloss sie in den Arm.

Besonders mochte ich die Geschichten über Freundschaft, darunter fiel mir die über den lebenslagen Freund auf, der offensichtlich durch und durch ein Ekel war: “‘Leh’m is hart’ – der schwierige Abschied vom dicken Hansen” – Glumms Loyalität ist nahezu unzerstörbar.

Selbst unter den Drogengeschichten gibt es einige, die einen weiten Blick über den Horizont haben – ich bin versucht, sie nach dem Ende von Glumms Heroin-Zeit zu datieren. Diese mochte ich durchaus. Oder wie er von seinem Herzinfarkt erzählt (die Vorform dieser Geschichte kannte ich ebenfalls aus Glumms Blog), ganz nah bei sich und gleizeitig mit dem beobachtenden Blick des Geschichtenerzählers: Hervorragend gemacht.

Gelohnt hat sich die Sammlung im Buch auf jeden Fall, lesen Sie sie.

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Greifvögel sind durch und durch Fleischfresser und mögen kein Brot. Auch nicht wenn es in ihrer Beute steckt. @birdturntable hat fotografisch einen Rundschwanzsperber erwischt, wie er aus dem Kropf der eben geschlagenen Taube sorgfältig deren letzte Mahlzeit entfernt.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 20. April 2021 – Die Sonderstellung russischer Immigration

Mittwoch, 21. April 2021 um 6:27

Die gute Nacht war noch vor fünf zu Ende – aber ich hatte genug Schlaf bekommen.

Draußen wurde es zu einem weiteren bleigrauen Tag hell, halbwegs.

Die Schreinerei hatte ein Computer-generiertes Bild meines künftigen Einbauschranks geschickt, dazu Zeichnungen des Innenaufbaus – ich war schockverliebt.

Immer noch sehr kalter Fußweg in die Arbeit.

Was mich an den rausgewachsenen Haaren stört (über sechs Monate sind’s jetzt), ist keineswegs der Anblick – den halte ich weiterhin für ertragbar, auch wenn ich mich nicht damit identifiziere. Mich stört, dass meine Haare mir bewusst sind und mir damit Aufmerksamkeit rauben. Ich spüre sie über den Ohren, im Nacken, muss sie von den Augen wegstreichen oder per Kopfbewegung wegschütteln, merke, wie sie der Wind mir ins Gesicht weht. Wenn sie mindestkurz sind, bemerke ich sie überhaupt nicht, bei ein wenig Rauswachsen höchstens, wenn ich sie fürs Schwimmen (SCHWIMMEN! BUHUHUHU!) mit Schwimmkappe aus dem Gesicht halten muss. Ist ein bisschen wie Fingernägel: Idealkurz sind sie gar nicht da; wenn sie so lang sind, dass ich sie bemerke, nerven sie und ich möchte sie dringend schneiden. Die Ansprüche an Pflegeprodukte für meine Haare sind folglich mit denen von Casino identisch:

es funktioniert wie es soll, die haare sehen nach der wäsche gewaschen aus, und nach dem bürsten frisiert. mehr kann, nach meiner lebenserfahrung, kein mensch erwarten.

(Plus alle paar Wochen Lila-Shampoo gegen Gelbstich, die Flasche hält anderthalb bis zwei Jahre.)

Mittags gab es eine Käsesemmel und einen Apfel, nachmittags ein paar getrocknete Pflaumen und Nüsse.

In der Arbeit viel Manuelles und Fußwege.

Auf dem Heimweg sah sogar die Sonne ein wenig raus, ich konnte die Handschuhe wegstecken.

Zu Hause Familienkontakt (es gibt weitere Impfmeldungen, hurra!), eine Einheit Yoga. Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell Nudeln mit gelben Beten aus Ernteanteil und Feta, ein wenig Schärfe durch Pul Biber. Nachtisch war die letzte Osterschokolade.

Der Hinweis von Kommentatorin Anna brachte mich zum Nachdenken über die Sonderform der Einwanderung in Deutschland durch Russen und Russinnen, die sich auch nach mehreren Generationen im Ausland als Deutsche definierten, “Russlanddeutsche” genannt (rein sprachlich eine Ausnahme, sehr wahrscheinlich ist nie von “Spaniendeutschen” oder “Brasiliendeutschen” die Rede, egal wie sehr sie sich in ihren Heimatländern als Community oder “Colonia” über Generationen isolieren.) Denn schlagartig wurde mir bewusst, dass diese Einwanderungsgruppe (mir ist klar, dass sie genausowenig homogen ist wie jede andere) in den Migrationsdiskussionen in meinem Blickfeld fast nicht vorkommt – weil sie sich eben gar nicht als Einwanderer sehen.

Was mir erst mal einfiel:
– Meine Mutter, die in der Integrationsdebatte der 1980er (als das offizielle Deutschland noch versuchte, durch schlichte Behauptung einfach kein Einwanderungsland zu sein) gerne auf die Bigotterie hinwies, dass von Einwanderern nach Deutschland verlangt wurde, die mitgebrachte Kultur aufzugeben und ganz in einer anderen aufzugehen, dasselbe Deutschland aber stolz darauf war, dass seine Auswanderer im Zielland die mitgebrachte Kultur über Jahrhunderte unintegriert pflegte (wie es in einigen Ländern Südamerikas bis heute ist).
– Die Geschichten von russische Einwandererfamilien mit mehreren Generationen, deren Teenager ungefragt und unfreiwillig mitkamen, kein Deutsch sprachen, mit der von Eltern und Großeltern glorifizierten “deutschen Kultur” nichts anfangen konnten (die ohnehin in dieser konservierten Form gar nicht existierte) und sich in der neuen Heimat doppelt ausgegrenzt sahen.
– Diese russischen Einwandererfamilien, die in Deutschland feststellen mussten, dass sie von ihrer Alltagsumgebung wie beliebige andere Einwanderer angesehen wurden (also traditionell ablehnend und ausgegrenzt) und oft lieber unter sich blieben.
– Ein Erklärungsansatz der Nähe zu nationalistischen bis rechtsradikalen politischen Tenzenden. Dieser NZZ-Artikel stellte 2018 einen Bezug her zwischen AfD-Wählertum in Ingolstadt und der besonders großen russischen Einwanderer-Community dort. Ich hatte das reflexhaft mit meinem (peinlichen) Stereotyp des Russen erklärt, der nun mal Nationalist ist was will man machen. Viel schlüssiger aber ist die Erklärung, dass sich diese russischen Einwanderer über Blutlinien als Deutsche definieren und deshalb ein schwieriges Verhältnis zu anderen Deutsch-Definitionen haben.

Herr Kaltmamsell gab mir den Tipp, Hintergründe auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung zu recherchieren – Volltreffer.

“Identität und Ethnizität bei Bundesbürgern mit russlanddeutschem Migrationshintergrund”.

Identität und Identifikationen von Russlanddeutschen sind seit Beginn ihrer massenhaften Migration in die Bundesrepublik Deutschland seit Ende der 1980er Jahre ein Thema, das die soziologische, anthropologische, kulturwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche und psychologische Forschung beschäftigt. Ausgangspunkt ist der elementare Identitätskonflikt, den viele Russlanddeutsche durchmachen mussten, nachdem sie aus der (ehemaligen) Sowjetunion nach Deutschland kamen und der oft in dem Satz zusammengefasst wird: “Dort waren wir die Deutschen (oder: die Faschisten), hier sind wir die Russen.”

In diesem Aufsatz wird aufgeschlüsselt, wie vielfältig die Selbstdefinition dieser Einwanderergruppe ist.

Und hier ein Aufsatz über die Instrumentalisierung der Unterdrückungsgeschichte vieler russischer Einwanderer mit deutschen Wurzeln:
“‘Als ob sie kein Leben gehabt hätten’
Russlanddeutsche Alltagsgeschichte zwischen Stalinismus und Perestroika”.

Zunächst zu den Gründen für das bis heute sehr partielle Wissen über das Sowjetische in russlanddeutschen Biographien: Ausgehend von den traumatischen Erfahrungen der stalinistischen Zwangsumsiedlungen und der anschließenden Zwangsarbeit in der “Arbeitsarmee” (Trudarmija) ist die dominierende Erzählung russlanddeutscher Geschichte bis heute die eines “Volks auf dem Weg”, eine Erzählung von Leistungsträgern, die vermeintlich “leere” und “wüste” Steppen in “blühende Landschaften” verwandelt haben und dann ab Ende des 19. Jahrhunderts und insbesondere ab 1917 zu Opfern wurden. Eine solche Deutung hat zweifellos ihre Berechtigung, nicht nur mit Blick auf die sowjetische Politik während des Zweiten Weltkriegs.

Zugleich werden jedoch durch den in hohem Maße emotional besetzten Absolutheitsanspruch, mit dem eine solche Interpretation der “eigenen” Geschichte vertreten wird, all jene Facetten der russlanddeutschen Erfahrungen verdeckt, die nicht dieser Interpretation entsprechen. Dabei liegen inzwischen genügend Untersuchungen vor, in denen gezeigt wird, dass das Opfernarrativ eines “Volks auf dem Weg”, das sich trotz aller Repressionen wie in einem Identitätscontainer über mehr als zwei Jahrhunderte und mehrere Kontinente hinweg eine unveränderte “deutsche Identität” bewahrt habe und dessen “Weg” nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit der Ankunft in der deutschen “Urheimat” ein erfolgreiches Ende gefunden habe, weder den vergangenen noch den gegenwärtigen Realitäten russlanddeutscher Lebenswelten gerecht wird.

Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, gibt es unter uns ja auch noch jüdische Kontingentflüchtlinge. Wer sich für Geschichte und Abgrenzung interessiert:
“Jüdische Kontingentflüchtlinge und Russlanddeutsche”.

(Das Thema Aussiedler ignoriere ich erst mal, wird zu viel. Aber ich parke den Begriff “Deutsche Volkszugehörigkeit” – Art 166 Grundgesetz – in meinem Hinterkopf und versuche ihn zu verarbeiten.)

die Kaltmamsell