Journal Mittwoch, 19. Mai 2021 – Urlaubsentspannung

Donnerstag, 20. Mai 2021 um 7:33

Wieder etwas längerer Schlaf, Herr Kaltmamsell musste erst vormittags zum Präsenzunterrichten an die Schule. Draußen Regen.

Nach dem Aufstehen kochte ich erst mal Kartoffeln für Schwäbisches Kartoffelbrot, dessen Vorteige ich Dienstagabend angesetzt hatte.

Als ich das Brot aus dem Ofen zog, war ich fertig für meine Laufrunde (der Körper fühlte sich dafür fit genug an) und hatte vorher gebloggt, Morgenkaffee getrunken sowie eine große Tasse Tee (guter Orange Pekoe mit so kalfreiem Wasser wie möglich weil neuer Wasserfilter – ich stelle fest, dass ich für so guten Tee keinen Zucker haben möchte, doch je kalkiger das Wasser und je minderwertig der Tee, desto höher mein Bedürfnis nach Süße und Milch), Herrn Kaltmamsell verabschiedet, der gestern für eine Stunde an die Schule fahren musste.

Es war so kalt draußen, dass ich in Winterkleidung lief, also mit Jacke über einem langärmligen Oberteil. Ich nahm wieder die Strecke über Südfriedhof zur Wittelsbacherbrücke, Flaucher und zurück, davon joggte ich ca. 40 Minuten. Kaum andere Menschen, der Boden war nass, aber nicht morastig, offensichtlich wird die viele Feuchtigkeit gut aufgesogen.

Flaucher.

Aus dunklen Wolken drohte ständig neuer Regen, doch erst kurz vor meiner Rückkehr zur Wittelsbacherbrücke tröpfelte es ein wenig und ich zog meine Kapuze über die Schirmmütze.

Zum Frühstück gab es drei Scheiben noch warmen Kartoffelbrots mit restlichem Basilikumöl von der Vorwoche und Kochkäs.

Nochmal raus zur Bank und um meine geflickte Jacke abzuholen, diesmal erwischte mich ein kalter Regenschauer. Zu Hause war Betrieb wie im Büro: Telefonanrufe, Klingeln an der Tür – was jeweils ich abwickelte, denn Herr Kaltmamsell war mittlerweile daheim und am Fernunterrichten.

Ich genoss den Urlaubstag: Kein Druck durch Termine, jeden Tag sportliche Bewegung, keine nennenswerten Schmerzen oder sonstigen körperlichen Beschwerden, gutes Essen, viel Lesen (gestern das Granta 155, The Best of Young Spanish Language Novelists). Das Wetter könnte besser sein, aber ich hatte auch schon mal eine Woche Brighton-Urlaub, in der es durchregnete. War nicht das Schlimmste. Mir geht’s gut.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Spaghetti mit Kohlrabiblätter-Pesto, ich machte aus dem Kohlrabi mit Petersilie (beides Ernteanteil) und einer roten Spitzpaprika ein Salätchen dazu.

Ich begann die Recherche für den nächsten Urlaub: Wir wollen in den Sommerferien eine Woche im Bayerischen Wald wandern, idealerweise im Nationalpark Bayerischer Wald. Das Angebot ist vielfältig – und unübersichtlich. Diesmal bevorzugen wir eine feste Unterkunft und Wanderungen um die 20 Kilometer von dort aus in der Umgebung: Hat jemand Erfahrungen, gar eine Empfehlung? (Anreise muss ohne Auto möglich sein.)

§

Was macht ein Geigerzähler eigentlich in seiner Freizeit? Antwort im Techniktagebuch:
“Der Geigerzähler bekommt etwas zu zählen”.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 18. Mai 2021 – Haarbefreiung

Mittwoch, 19. Mai 2021 um 7:58

Ausgeschlafen, denn Herr Kaltmamsell musste nicht die erste Stunde unterrichten, nicht mal zur Schule fahren.

Draußen war es weiterhin kalt und greislich, immer wieder regnete es. Das und ein dumpfes Zwicken in der Hüfte ließen mich die Pläne einer weiteren Laufrunde fahren lassen, ich war schon am Montag mehr als geplant auf den Beinen gewesen. Außerdem bin ich nämlich keineswegs zwanghaft und kann einen Tag durchaus nur gut 10.000 Schritte auf dem Tracker aushalten.

Ein wenig Kraftübungen, ein wenig Yoga.

Wäschewaschen, Zeitunglesen, bis ich als erwachsene Erledigung des Tages in einer Regenpause zur nächst gelegenen Änderungsschneiderei ging, um die aufgeplatzte Naht einer Kostümjacke reparieren zu lassen. (Am Montag hatte ich bereits Kontakt mit einer benachbarten Glaserei aufgenommen, um endlich die Glasplatte eines geerbten Tischs zu ersetzen, von der eine Ecke abgebrochen ist – vor vielen, vielen Jahren. Für Donnerstag ist Abgabe meines Fahrrads zur Generalüberholung geplant.)

Frühstück/Mittagessen war von Herrn Kaltmamsell angekündigt: Pfannkuchen aus der restlichen geheimnisvollen japanischen Gebirgs-Jams vom Okonomiyaki, gerieben. Das dauerte allerdings bis halb zwei, weil er erst noch online Fernunterrichten musste (eine Lösung der Informatik-Aufgabe als “sehr elegant!” lobte, so viel bekam ich mit). Die Pfannküchlein waren dann so lala und nicht sehr viele, ich aß ein Schüsselchen Haferflocken mit Milch und einen Apfel, um satt zu werden.

Am Nachmittag verbrauchte ich mehr soziale Energie als in den vergangenen Wochen zusammen, nämlich durch lange Interaktion mit zwei nicht vertrauten Menschen: Erst mit der Kosmetikerin, die meine Füße endlich wieder schön pedikürte, und dann mit der Not-Friseurin. Zum Haareschneiden hatte ich zwar ein Foto mitgenommen, das mich mit gewohnt kurzen Haaren zeigte, ließ der Fachfrau aber erst mal die Möglichkeit, sich selbst etwas zu dem Sieben-Monats-Material auszudenken, manchen macht das ja Spaß. Diese Friseurin wuschelte und kämmte ausführlich von allen Seiten in meinen Haaren herum, freute sich “Mit Ihren Haaren kann man ja alles machen!” (ich natürlich: “Also bitte einmal Dauerwelle.”) und schlug dann vor, vor allem untenrum zu kürzen.

Voilà: Popperschnitt.
(Foto: Herr Kaltmamsell, #boyfriendsofinstagram)

Ich war zufrieden, ganz kurz kann ich in zwei Monaten beim gewohnten Haarschneider immer noch haben.

Hin und zurück war ich sogar trocken geblieben, erst abends setzte erneut Regen ein. Und es wurde weiter kälter, gestern kamen die Temperaturen kaum über 10 Grad hinaus, so soll es auch erst mal bleiben.

Zum Abendessen wärmten wir uns das restliche Lamm vom Sonntag auf, jetzt ist es aber weg.

Zur Abendunterhaltung sahen wir in die ARD-Produktion All you need, ich hatte in der Süddeutschen ein Interview mit Hauptdarsteller Benito Bause gelesen und war neugierig geworden. Joah, zumindest in dieser ersten Folge kam mir der Aspekt “wir zeigen euch schwulen Lifestyle” arg vordergründig und etwas belehrend vor. Aber vielleicht müssen wir erst durch solche Serien, bis schwules Leben unmarkierter Teil von Fernsehserien wird.

Früh ins Bett, Dervla McTiernan, The Scholar ausgelesen.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 17. Mai 2021 – Rosengarten und Tierpark Hellabrunn

Dienstag, 18. Mai 2021 um 7:58

Trotz Urlaub früh aufgestanden, um Herrn Kaltmamsell (der ja keinen Urlaub hat) Milchkaffee machen zu können. Er musste früh in die Schule (ab sofort unterrichtet er im sogenannten Wechselunterricht halbe Klassen vor Ort, die andere Hälfte wird mit Arbeitsaufträgen für daheim versorgt). Für nach seinem Unterricht waren wir nachmittags im Tierpark Hellabrunn verabredet: Ich hatte dann doch zu den Blanko-Tickets im Tierpark-Shop einen Tages-Slot für gestern über Munich Ticket sichern können.

Gemütlicher Morgen. Bisschen Reha-Übungen, Yoga. Einkäufe im Drogeriemarkt ums Eck, der Himmel war düster und zeigte nur spärliche blaue Flecken.

Über einer großen Tasse Tee las ich ausführlich die gestrige Süddeutsche, bereitete mein Frühstück zu (Birchermuesli mit Joghurt und ein Apfel), packte es zu einer Flasche Wasser in meinen Taschen-ersetzenden Rucksack.

Draußen schüttelte immer stärkerer Wind die inzwischen ganz belaubten Bäume. Kurz vor Mittag räumte ich die Wohung, um dem Putzmann Platz zu machen.

Fürs Frühstück mit Roman-Lesen auf Lesegerät steuerte ich den Rosengarten an und suchte ein Eckerl, in dem ich mir Windschutz erhoffte.

Das funktionierte gut. Jeder Sonnenstrahl wärmte, ohne war es allerdings nicht wirklich angenehm. Gestern hielten sich nur wenige Menschen im Rosengarten auf, und ich hatte eine wunderbare Aussicht.

Bei Verlassen des Geländes entdeckte ich eine gelbe Magnolie.

Spaziergang entlang der Isar nach Thalkirchen zum Tierpark, wo ich auf Herrn Kaltmamsell wartend noch ein wenig las.

Wie erwartet war auch in Hellabrunn an einem Werktag zu Schulzeiten sehr wenig los. Die Corona-Bedingungen (neben dem Buchen eines bestimmten Tages): FFP2-Masken auf dem ganzen Gelände, zwei Meter Abstand (“eine Löwen-Länge”), die Tierhäuser waren geschlossen, es gab keine Vorführungen. Doch die Imbiss-Stände wurden alle betrieben. An einigen Bereichen sahen wir Schilder, die sehr freundlich rieten, wenn es hier arg voll sei, doch erst mal andere Tiere zu besuchen (und auf den Sitz der Maske sowie auf Abstand zu achten).

Ich bekam Ziegen zu streicheln und Kühe zu kraulen. Wir sahen uns ausführlich im neuen Mühlendorf mit Nutztieren aus aller Welt um (wilde Meerschweinchen!). Ein Gebäude darin zeigt die Tierwelt der benachbarten Isar inklusive Fischbruthaus – ein Artenschutzprojekt.

Es war so wenig los, dass einige Tiere uns anscheinend als willkommene Unterhaltung ansahen – zum Beispiel kamen Seelöwen angeschwommen und beäugten uns, als wir an ihr Becken traten.

Zu einigen Gehegen mit Lieblingen gingen wir allerdings vergeblich: Es ließ sich kein Vielfraß sehen und kein Orang Utan. Doch bei den Eisbären und den Elefanten kamen wir ganz auf unsere Kosten.

Streichelbare Ziege.

Die Pelikane hatten Küken. (Foto: Herr Kaltmamsell, der mit seiner Superduper-Kamera unterwegs war)

Das sechs Monate alte Elefantenbaby Otto wirkte sehr fröhlich. (Unteres Foto wieder von Herrn Kaltmamsell.)

Am Ende unsere Runde, kurz vor den Giraffen, begann es dann doch heftig zu regnen – obwohl wir beide Schirme als Gegenregenzauber dabei hatten.

Das setzte sich fort, als wir wieder daheim waren: Aus dem Regen wurde ein heftiges Gewitter, das auch einige Minuten Hagel mitbrachte (und hastiges Retten von Balkonpflanzen nach sich zog).

Es war so kalt und ungemütlich, dass ich zu meinem dicksten Wollpullover griff, der eigentlich schon ganz unten in meinen Kleidungskisten verstaut war.

Zum Abendessen erhitzte ich uns weitere Portionen des Schmorlamms vom Sonntag – in der Mikrowelle, um langsam mal den Umgang damit zu lernen. Nachtisch wurde Sahnetorte mit Roter Grütze, die die liebe Frau Schwieger ihrem Sohn am Sonntag mitgegeben hatte.

§

Reisen ist ja immer noch keine gute Idee, bis dahin können Sie hier @EleanorMorton ansehen, die einen mittelmotivierten Reiseführer am Loch Ness vorführt.

via @Croco_dylus

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 16. Mai 2021 – Wie sie doch wieder joggte

Montag, 17. Mai 2021 um 7:07

Wieder eine mittlere Nacht, aber weil Sonntag wieder mit Nachschlafen. Der Morgen bot gemischtes Gewölke mit attraktiven Sonnenabschnitten – hervorragend für meine Sportpläne: Ich wollte es nach fast zwei Jahren Zwangspause wegen kaputter Hüfte und gut sieben Monate nach OP doch mal mit Joggen probieren, erst Mal nur 30 Minuten.

Kurz nach halb zehn dachte ich zurück an meine Kriterien für passende Laufkleidung, schlüpfte dann in eine 3/4-Sporthose, kramte ein langärmliges Oberteil aus den Umzugskisten (immer noch kein Termin für Fertigstellung Wandschrank), hielt mir mit einer Kappe die Haare aus dem Gesicht. Ich spazierte über den Südfriedhof an die Wittelsbacherbrücke und lief auf der Ostseite der Isar langsam los.

Anfangs war ich so angespannt vom Horchen ins operierte Hüftgelenk, dass ich fast das Schnaufen vergaß. Zum ersten Mal achtete ich also beim Laufen auf meine Atmung, nach etwa zehn Minuten wurde ich lockerer. Die eigentliche Cardio-Kondition war wie erwartet bei dieser kurzen Strecke kein Problem, allerdings ging bei meiner Veranlagung zu Ausdauersport der entspannte Spaß erst kurz vor Ende los. Ganz vernünftig und erwachsen machte ich dennoch nach 30 Minuten an der Brücke Maria Einsiedel Schluss, zumal mich neben beiden Hüften auch die unteren Waden daran erinnerten, dass wir das alles erst mal wieder üben müssen. Ich dehnte ausgiebig.

Den Weg zurück spazierte ich, hielt einmal kurz an, um einem Rotkehlchen beim Morgenbad in einer Pfütze zuzusehen.

Das Jogger*innen-Aufkommen war für die frühe Stunde recht hoch, selbst auf meinen Schleichwegen, allerdings habe ich durch meine Pause ja die Pandemie-bedingte Entwicklung nicht mitbekommen, nach der jetzt deutlich mehr Menschen Draußensport treiben als zuvor. Interessant fand ich die aktuelle Laufkleidungsmode: Frauen trugen entweder knöchellange enge Hosen, gerne perfekt abgestimmt auf Oberteil und passende Windjacke, oder ganz kurze.

Flaucher-Biergarten von hinten.

Thalkirchen, Blick von der Brücke Maria Einsiedel.

Wittelsbacherbrücke mit Aussicht auf das verschwindende Fernwärme-Kraftwerk.

Insgesamt war ich dann doch zwei Stunden draußen gewesen. Und zu meiner großen Beruhigung zog das Joggen keine Schmerzen oder sonstige Beschwerden nach sich. Es sieht also so aus, als könnte das doch wieder mein liebster Ausdauersport werden, das ist sehr, sehr schön.

Zum Frühstück gab es die beiden letzten Zitronenschnecken, dazu eine große Tasse Filterkaffee, auf die mich unterwegs eine Gelüst überkommen hatte. Herr Kaltmamsell war unterwegs: Er besuchte seine Eltern und kam erst nachmittags zurück.

Bereits um zwei machte ich mich an die Zubereitung des Abendessens, es sollte eine 5-Stunden-Schmorlammkeule geben. Die Lammkeule, die ich am Freitag beim Verdi gekauft hatte, war zu groß für den Bräter, ich musste sie mit der Säge zerteilen. Und sie war arg fett, ich schnitt das meiste Fett weg.

Während der fünf Stunden las ich liegengebliebene SZ-Magazine auf, aß ein ein Stück Ricotta Salata. Es war ein wirklich entspannter Nachmittag ohne Tun-Druck, richtiges Urlaubsgefühl. (Außerdem war ja bereits alles weggebügelt, -geputzt, -geräumt, Erledigungen erst am nächsten Werktag anpackbar.) Ich schob in meinem Leseprogramm eine Urlaubslektüre zwischen, lud Dervla McTiernans Krimi The Scholar runter und las darin (lässt sich wieder sehr gut an, allerdings weniger Irland-spezifisch als ihr Erstling).

Draußen wurde es immer düsterer und kälter, es regnete hin und wieder. Das sind jetzt die Wochen mit den längsten Abenden des Jahres, und wir gucken sie bibbernd von drinnen an.

Fürs Zerteilen der Lammkeule als Abendessen brauchte ich kein Messer, ich konnte das Fleisch vom Knochen löffeln.

Dazu, aus einem längst vergangenen Leben, die letzte Flasche Paul Achs Pannobile Chardonnay 2009.

Deutlich gealtert, jetzt mit einer Sherry-Note.
Nachtisch Schokolade.

§

Im nahen Osten bekämpfen Israelis und Palästinenser einander mit lange nicht mehr gesehener Gewalt. In Deutschland wird von beiden Seiten dagegen protestiert, demonstriert, schon Dienstagabend sah ich abends auf der Schwanthalerstraße Autos, aus denen die palästinensische Fahne gewunken wurde, sah junge Männer in palästinensischen Fahnen gehüllt herumlaufen.

Alexandra Rojkov berichtet für den Spiegel aus Tel Aviv und schreibt eine Warnung, der ich mich von Herzen anschließe:
“Was hier passiert, ist zu komplex für einen Tweet”.

Als ich vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal nach Israel kam, mit Anfang 20, wusste ich nur, dass es hier »irgendwie schwierig« ist. Ich dachte, wenn ich ein paar Wochen durchs Land reise, wird alles klarer.

Das Gegenteil geschah: Je mehr ich erfuhr, desto komplexer wurde es. Seit ich als Journalistin arbeite, weiß ich: Das gilt für fast alle Themen, über die ich berichte. Aus der Ferne wirken viele Dinge simpel. Aber je länger man sich mit etwas beschäftigt und je interessierter man ist, etwas wirklich zu verstehen, desto schwieriger wird es, eindeutige Urteile zu fällen.

Dieser Konflikt eignet sich nicht für hohle Parolen. Je mehr man sich mit den Menschen unterhält, die ihm ausgesetzt sind, je tiefer man seine Geschichte studiert, desto komplexer wird er. Jede Seite hat Argumente, die berechtigt sind. Wer echtes Interesse daran hat, irgendwann eine Lösung zu finden, sollte mehr zuhören und weniger behaupten.

(Weil wir’s kürzlich von Witzen hatten:
“Was denken Sie über den Nahost-Konflikt?”
“Ich bin dagegen!”)

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 15. Mai 2021 – Abenteuer Okonomiyaki

Sonntag, 16. Mai 2021 um 8:20

Nach unruhiger Nacht müde aufgewacht. Der Himmel zeigte ein lässiges Mittelgrau – egal, ein freier Tag, auf den ich mich freute.

Sportprogramm war gestern Krafttraining für Oberkörper und Rumpf, ich bemerkte eine leichte Leistungssteigerung.

Wöchentlicher Corona-Schnelltest in der Sendlinger Straße. Diesmal nutzte ich die Online-Anmeldung per Smartphone über QR-Code, da ich dann zum einen nicht 15 Minuten auf das Ergebnis warten musste, weil es per E-Mail zugeschickt wird, ich zum anderen die Angaben für die Tests in den nächsten Wochen gleich weiternutzen kann. Plan ist, bis zur vollen Immunisierung zwei Wochen nach zweiter Impfung den wöchentlichen Testrhythmus beizubehalten.

Die Hasenglöckchen bei St. Matthäus sind erblüht – mein Balkonexemplar hat irgendwas in den vergangenen Monaten verübelt und kommt über drei Zentimeter grüne Spitzen nicht hinaus.

Auf dieser Runde besorgte ich nochmal zwei Schalen Erdbeeren am Standl Rosenstraße, diesmal waren sie aus Griechenland. Daheim putzte und schnitt ich sie, ließ sie mit ein wenig Zucker safteln, während ich die zweite Runde ging: Espressokauf in der Maxvorstadt. Dabei erlebte ich wieder den Verkehrsalbtraum Augustenstraße – wie viel Platz für Fuß- und Radelverkehr gewonnen wäre, wenn statt beider nur eine Straßenseite für ungenutzte, also parkende Autos reserviert wäre! Langsam scheint aber immer mehr Menschen der Irrsinn bewusst zu werden, wie viel kostbarer öffentlicher Raum in den Städten für das Herumstehen von riesigen Metallschachteln in Privatbesitz verstellt wird, vielleicht erlebe ich noch die Auswirkungen eines auch politischen Umdenkens, der die Straßen in Innenstädten wieder zu Lebensraum macht.

Der Himmel war gemischtwolkig, jeder Sonnenstrahl brachte große Wärme, jede dunkle Wolke Kälte. Das Apothekenthermometer zeigte mittags 16,5 Grad an. Außentische von Restaurants, Kneipen und Cafés waren gut belegt (ich warte noch, bis die Inzidenz niedrig genug für das Wegfallen der umständlichen Auflage ist, dass zusammensitzende Menschen aus verschiedenen Haushalten tagesaktuelle negative Testergebnisse vorweisen müssen).

Zum Frühstück aß ich Sauerteig-Cracker und große Mengen Erdbeeren mit Sahne.

Gemütlicher Nachmittag mit Internetlesen und Zeitunglesen, ich hatte sogar genug Muße, ein wenig zu flicken und zu nähen (Knöpfe, eine abgefallene Applikation). Nachmittagssnack waren Zitronenschnecken aus der Gefriere.

Fast lustig: Abends erreichte mich eine erneute Absage meines Friseurs wegen Erkrankung. Bei aller Loyalität, uns verbindet ja deutlich mehr als das Haareschneiden: Nach sieben Monaten will ich dringend aus diesem Gewurschtel raus. Jetzt holte ich mir online den nächstmöglichen Termin im Haareschneide-Salon, den Herrn Kaltmamsell frequentiert, das klappte sogar für den ursprünglich angepeilten Dienstag. Meinen langjährigen und allzeit bewährten Friseur bat ich um einen Folgetermin nach Feierabend in zwei Monaten.

Gestern Abend endete das dreitägige Alkohol-Moratorium nach Impf: Es gab Maibowle. Den Waldmeister dafür hatte Herr Kaltmamsell am Freitag am Viktualienmarkt im Topf besorgt, als Weißwein verwendete ich wenig intensiven spanischen Verdejo, den Asti Spumante zum Aufgießen hatte Herr Kaltmamsell suchen müssen, er ist arg aus der Mode gefallen (es gab ihn im Rewe an der Sendlinger Straße).

Ausgesprochen köstlich, das mit der Waldmeister-Aromatisierung funktioniert wirklich.

Fürs Nachtmahl hatte sich Herr Kaltmamsell ausgetobt und japanische Okonomiyaki ausprobiert, nach einem “How to make the perfekt”-Rezept im Guardian. Der Kohl dafür kam aus Ernteanteil.

Mit chinesischer (kantonesischer) Wurst.

Mit Bacon. Schmeckte sehr gut (Wurst und Speck hätte es eigentlich nicht gebraucht), das Interessanteste am Gericht aber war die Textur: Herr Kaltmamsell hatte im Asia-Supermarkt unterm Stachus die japanische Gebirgs-Jams Yamaimo bekommen, die in den Teig gerieben wird, was in einem zähen Brei resultiert und für Zusammenhalt sorgt. (Es gab sie nur als Halbmeter-großes Stück, er hat also genügend Material für weitere Küchenexperimente, auf die ich sehr gespannt bin.) Ebenfalls interessant: Die Waldmeisterbowle passte hervorragend zum Gericht.

Im Fernsehen ließen wir die Dalli-Dalli-Jubiläumsshow laufen und tauschten Erinnerungen an die Sendung zu Kindertagen aus – die hatten wir beide gesehen.

Das war ein sehr schöner Tag.

§

Auch die Schweiz impft, und zum Glück haben wir dort ein bayerisches Korrespondentenpaar, das persönliche Erfahrungen berichtet.
“150521 Ümpf”.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 14. Mai 2021 – St. Brück mit Würmspaziergang und ersten Erdbeeren

Samstag, 15. Mai 2021 um 7:58

Erster richtiger Urlaubstag, und das Regenwetter machte Pause – eine wunderbare Kombination. Auch weil ich mit einer Freundin zu einer Draußenrunde verabredet war, je nach Wetter stadtnäher oder -ferner. Sonne und blauer Himmel mit lediglich malerischen Wolken brachten uns kurzfristig dann doch zur Entscheidung für eine Strecke an der Würm von Pasing weg, Start am Vormittag am Pasinger Bahnhof

Vorher erledigte ich den Großteil der Wochenend-Einkäufe. So kurz nach Öffnung an einem Werktag wagte ich mich nach Monaten doch mal wieder in den Süpermarket Verdi: Meine Kalkulation ging auf, er war nicht voll (und am Eingang baten große Schilder darum, einzeln einzukaufen und nicht mit der ganzen Familie). Danach eine Runde im Supermarkt, jetzt blieben noch die ausgefallenen Zutaten, die Herr Kaltmamsell nach der Arbeit jagen würde.

Vor meinem Aufbruch nach Pasing entdeckte ich im Spiegel, dass ich mich ganz offensichtlich dem Rentenalter nähere: Mir wächst bereits Funktionskleidung (das ist eine Wanderhose aus Funktionsmaterial).

Entspannend leere S-Bahn nach Pasing, Treffen mit Freundin.

Wir hatten einander viel zu erzählen, sahen möglicherweise dadurch nicht so viel von der Idylle um uns herum, blieben aber immer wieder stehen, um markerschütternd niedliche Gänse- und Entenküken anzugucken.

Wieder war ich vernünftig: Als wir nach zwei Stunden beim Margaretenkircherl in Kreilling ankamen, plädierte ich für Heimfahren statt Fortsetzung (die Sprünge aus der und in die Hocke vom Vortag hatten Muskelkater hinterlassen und es piekste in der künstlichen Hüfte). Wir gingen gemütlich durch Planegg (schön da!) zur S-Bahn nach Hause.

Ich holte Semmeln und brotzeitete daheim. Nachmittag in sonnendurchfluteter Wohnung, allerdings war es draußen deutlich zu kühl für offene Fenster. Internetlesen, Siesta, Zeitunglesen, Nachmittagssnack Orange mit Joghurt, außerdem frischte ich mal wieder meine Sauerteige auf und buk aus gesammeltem alten Sauerteig-Cracker, die doppelte Menge.

Nachmittags war Herr Kaltmamsell von der Arbeit und von anschließenden Einkäufen heimgekommen. Er servierte zum Freitag-Abendessen Entrecôte mit gebratem Grün aus Ernteanteil, das als Pak Choi (eine Kohlsorte, Brassica) angekündigt war, sich aber schon beim Braten durch Geruch als Mangold (eine Rübe, Beta vulgaris) verraten hatte. Schmeckte beides sehr gut.

Auch auf die Einkaufsliste hatte ich Erdbeeren gesetzt, an den Obststandeln hatte ich sie seit zwei Wochen gesehen (dort tauchen sie erfahrungsgemäß erst auf, wenn es italienische gibt) – ab jetzt stehen sie bis Ende der Saison immer auf der Einkaufsliste, selbst wenn sie nicht draufstehen. Herr Kaltmamsell hatte sogar Bio-Erdbeeren gefunden, frisch und duftend: Es gab sie zum Nachtisch, sie erfreuten uns sehr.

Als Abendunterhaltung guckten wir die französische TV-Serie Derby Girl, hier in der ZDF-Mediathek. Schon schräg, auf eine seltsam französische Art, die Einzelfolgen angenehm kurz (wir sahen die ersten drei).

§

Das neue schottische Parlament wurde vereidigt, hier ein Ausschnitt als Filmaufnahme auf Twitter. (Vielleicht nicht in der Gegenwart überzeugter AfD-Wähler*innen abspielen, könnte Schock auslösen.)

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 13. Mai 2021 – Christi Himmelfahrt mit Regen und Kälte; Ruth Klüger, weiter leben: Eine Jugend

Freitag, 14. Mai 2021 um 7:20

Das Ausschlafen genossen. Draußen regnete es, und das blieb den ganzen Tag so.

Impffolgen: Keine bis auf einen leicht schmerzenden Impfarm, die Einstichgegend berührungsempfindlich.

Der Crosstrainer ist vorerst außer Betrieb, nachdem eine Analyse des neuerlichen Klapperns lose, möglicherweise abgebrochene Schrauben an der dicken Mittelstange im zentral tragenden Übergang zum Bodenteil ergeben hatten. Um dennoch zu Schwitzsport zu kommen, folgte ich einem YouTube-Hinweis zu einem Mama mia Dance Workout. Mit beiden Folgen hintereinander kam ich zumindest auf eine halbe Stunde, schwitzte auch, doch Spaß machte mir das Hopsen, Springen, Beugen auf der Stelle nicht. Auch wenn die atomar strahlende Vorturnerin auf dem gleichen Parkettboden hopste wie ich. Große Sehnsucht nach einer Gruppenstunde Aerobics mit ordentlich Choreografie – ich bin gespannt, ob ich das nochmal erlebe.

In einer Regenpause (Zufall) holte ich Frühstückssemmeln. Die Außentische von Cafés im Glockenbachviertel waren bewirtschaftet (die Inzidenz liegt in München seit einer Woche unter 100), daran saßen tapfer Menschen in dicken Jacken unter Schirmen und frühstückten.

Das machte ich dann doch lieber im Warmen und Trockenen daheim bei einem weiteren Milchkaffee – aber ich freue mich schon sehr auf Zeiten, in denen ich wieder auswärts frühstücken kann.

Trotz Feiertag bekamen wir unseren donnerstäglichen Ernteanteil, allerdings nicht an den gewohnten Verteilerpunkt in einem Büro ums Eck geliefert – wegen Feiertag geschlossen -, sondern an einen im Westend. Am frühen Nachmittag spazierten wir im Regen zu zweit dorthin und holten ihn.

Es hatte sich über die vergangenen Wochen Bügelwäsche angesammelt, die ich abarbeitete. Trotz seltener Gelegenheit hatte ich keine Lust auf Podcast, sondern auf Musik: Wir beseitigen gerade unsere CDs bis auf wenige Erinnerungsstücke, Herr Kaltmamsell zieht die Musik davon auf Festplatte. Und so shufflete ich mich gestern durch die fünf Dire Straits-CDs des Haushalts über die kabellosen Kopfhörer, die ich mir fürs Crosstrainerstrampeln zugelegt hatte. Wenn man draufdrückt, wird die Musik auf dem mit Bluetooth verbundenen Gerät gestartet oder gestoppt. Das ist nicht ganz geschickt, weil das derselbe Handgriff ist, mit dem ich die In-Ear-Pöppel ins Ohr drücke, andererseits fühlt sich die Geste immer sehr Lieutenant Uhura an.

Nachmittagssnack Orange und Maracuja mit Joghurt. Lesen, Yoga – eine Folge, die ich ebenfalls nicht nochmal brauche.

Schlichtes aber gutes Abendessen aus Vorhandenem: Ich kochte Ernteanteil-Kartoffel, die es mit Kochkäs und Resten des vorabendlichen Basilikumöls gab, dazu bereitete ich den eben abgeholten Salat mit Tahini-Dressing zu.

§

Ruth Klügers weiter leben: Eine Jugend hatte ich vor ein paar Tagen ausgelesen, durchgehend gefesselt und bereichert davon. Ich hatte Frau Klüger 2012 in Klagenfurt erlebt, wo die kluge, schöne greise Frau die “Rede zur Literatur” gehalten hatte, die Notizen dazu auf einem Kindle in der Hand (wie jeder und jede erwähnen, die dabei waren). Ihr Tod vergangenes Jahr hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich noch nichts von ihr gelesen hatte, das wollte ich ändern.

An ihren Jugenderinnerungen gefiel mit von Anfang an der persönliche, oft mündliche Tonfall. Anders als in vielen Autobiografien berühmter Menschen geht es ganz klar nicht um das Abhaken von historischen Hintergründen und das Aufzählen von Kontakten zu anderen berühmtem Menschen. Klüger weist immer wieder darauf hin, dass das nun mal ihr Leben sei und ihre ganz persönliche Holocaust-Geschichte – auch wenn gerade Letzteres zu vielen Vorstellungen davon nicht passe. Und immer wieder wehrt sie sich, in der erzählten Zeit oder beim Erzählen, gegen Einordnungen. Dagegen, dass Menschen wegen eines Details, das sie über sie wussten, glaubten sie zu kennen: Kind. Jüdin. KZ-Überlebende. Frau. Österreicherin. Einwanderin. US-Amerikanerin. Und dann ihr erzählen wollten, wer sie sei und wie ihre Erlebnisse zu sehen seien – bis hin zum Paradoxon, dass ihr Überleben mehrerer Konzentrationslager und Transporte dazwischen als Beleg genommen wurde, dass es ja dann dort nicht so schlimm gewesen sei.

Klügers Blick und Reflexion auf ihre Vergangenheit, auf sich und die Menschen in ihrer Umgebung sind immer erhellend und oft überraschend, ich lernte viel Neues (und sei es, dass ich mir nie Gedanken über die Schulbildung der Menschen gemacht hatte, die Kindheit und einen Teil ihrer Jugend in Ghettos und Konzentrationslagern verbringen mussten). Besonders fiel mir eine Passage auf, mit der sie beschreibt, wie sie in den USA an der Uni endlich Freundinnen fand, darunter eine, die in dem Buch den Namen Anneliese trägt.

Nachgelaufen bin ich ihr auch in Museen. Mein Kunstsinn ist gering, verglichen mit ihrem, und ich muß mir erst einreden oder einreden lassen, daß etwas schön ist. Mich lockte die Statik des Gesammelten, die nicht von Umziehen, Herumziehen, Aufbruch und Abbruch bestimmt war. Ein Museum war wie ein Schwamm, der mich aufsaugt, eine geistige Suppe, die mich minderwertiges Gemüse würzt und gar kocht. Schmackhaftes, Abgeschmecktes war da vermischt, und keine Kartoffelschalen, die der Mensch nur aus Not frißt. Dazugehören, einfach dadurch, daß man hinschaut. Bibliotheken empfangen mich ähnlich, aber die versprechen nur (weil man die Bücher ja nicht auf der Stelle lesen kann), während Museen ihr Versprechen gleich einlösen, dir den Dinosaurus oder den Matisse zum sofortigen Genuß servieren.

(Schreibung original, Hervorhebung von mir.) Empfehlung.

die Kaltmamsell