Journal Dienstag, 3. November 2020 – Heimisches Heilen

Mittwoch, 4. November 2020 um 8:43

Gestern nicht viel mehr gemacht als vor mich hin zu heilen. Was bei den Corona-Beschränkungen wahrscheinlich auch in den nächsten Wochen meine Hauptbeschäftigung bleiben wird. (Na gut: Da sind zwei häusliche Räumprojekte der Sorte Wann-wenn-nicht-jetzt, einmal die Neusystematik meiner Ablage offizieller Papiere sowie die überquellende Kiste mit privater Post, die sortiert gehört.)

Das Wetter war regnerisch und kühl, vormittags absolvierte ich meine gute Stunde Heimsportprogramm.

In einer Regenpause verließ ich das Haus, um beim Vollcorner nach Meyer Lemons zu suchen: Jetzt haben sie Saison, und ich wollte einen Kuchen damit backen. Diesmal ließ ich die Krücken daheim und ging bedächtig, das funktionierte.

In einem anderen Laden erlebte ich zum erstem Mal die Konfrontation mit einer Maskenverweigerin. Ich sprach sie an: “Würde es Ihnen etwas ausmachen, eine Maske anzulegen?”
“Ja. Ich habe ein Attest!”
Auf mein “Wenn Sie so krank sind, sollten Sie wirklich nicht unter Leute gehen”, schnappte sie: “Dann holen Sie doch die Polizei!”
Ich wandte mich ans Personal, das meinte, mit Attest könnten sie nichts machen. Dann ging halt ich, ohne Einkäufe, und komme nicht mehr wieder.
1. war ich auf die Verweigerin aufmerksam geworden, weil sie heftig nieste.
2. kann das Personal natürlich niemanden “mit Attest” zum Maskentragen zwingen, muss sie aber auch nicht reinlassen.

Frühstück: Eine frisch geholte Handsemmel mit polnischem Schinken, den uns Herr Putzmann geschenkt hatte, außerdem ein Sellerie-Tahini-Püree aus der Hand von Herrn Kaltmamsell (Ottolenghi-Rezept hier unten), das sehr gut schmeckte und ab sofort eine weitere Verwertung von Erntenteil wird neben Sellerie-Schnitzel, Sellerie-Lasagne und Waldorf-Salat.

Ich hatte Meyer Lemons bekommen und buk damit Lemon Curd Cheesecake nach einem erprobten Rezept von Petra.

Angeschnitten und gegessen wird er allerdings erst am Folgetag, weil er lange kühlen muss.

Keksböden mache ich seit Teenageralter, angefangen mit der legendären Philadelphia-Käse-Torte (hach, die 80er!). Doch ich bin immer noch auf der Suche nach der idealen Kekszerkrümel-Methode. Versucht habe ich schon Handzerkrümeln jedes einzelnen Kekses (aua!), portionsweise Zerhäckseln mit Zauberstab oder Gemürzmühle des Küchenmaschine (dauert lange), Kartoffelstampfer in Rührschüssel (Erkenntnis, dass Keksfragmente viele Meter weit fliegen können). Das führte alles zu gutem Ergebnis, die Methoden fühlten sich aber verbesserbar an. Gestern versuchte ich also einen Klassiker: Kekse in großen Gefrierbeutel, mit Nudelholz darauf rumrollern bis Krümel. Was soll ich sagen: Deutlich bequemer! Und da der Gefrierbeutel bereits sehr oft benutzt worden war und eh am Ende seines Lebenszyklus’, machte es mir nichts aus, ihn anschließend schmutzig wegzuwerfen (hier mag der Haken der Methode liegen).

An einigen Stellen spürte ich Muskelkater, die Nach-Reha-Übungen wirkten.

Nachmittagssnack war die zweite Semmel mit Honig und nochmal etwas Selleriepüree. Ich legte wieder auf dem Sofa die Beine hoch und las Rebanks, English Pastoral.

Zum Abendbrot unterstützten wir die derzeit geschlossene heimische Gastronomie: Ich ließ mir von Herrn Kaltmamsell vom Vietnamesen Chi Thu eine Reisnudelschale mit Frühlingsrollen mitbringen, die viel frisches Gemüse enthielt und sehr gut schmeckte (und in Papierschachtel nur mittelviel Müll erzeugte).

Als Abendunterhaltung ließen wir My Big Fat Greek Wedding im Fernsehen laufen, den ich immer schon mochte, weil er eine partnerschaftliche Partnschaft zeichnet und viele RomCom-Stereotypen vermeidet.

Ansonsten auf allen Kanälen ohrenbetäubendes Vor-US-Wahl-Getöse.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 2. November 2020 – Wolverine und ich

Dienstag, 3. November 2020 um 7:55

Das mit der Putzmannanwesenheit war dann gar kein so großes Problem: Er kam erst nach zwölf. Ich spazierte über den Alten Südfriedhof an die Isar und setzte mich in den Frühlingsanlagen (ich wusste bis dahin nicht, dass sie so heißen) auf ein Bankerl, wo ich eine gute Stunde las.

James Rebanks’ English Pastoral lese ich sehr gern. Ohnehin finde ich es aufregend, seine Entwicklung als Landwirt und die seines Hofs über jetzt doch einige Jahre so nah mitzubekommen. Dass sein Vater kurz vor Veröffentlichung des ersten Buchs A Shepherd’s Life gestorben war, wusste ich; doch wurde mir erst bei der neuen Lektüre erst, dass James Rebanks danach den Hof übernommen hat, jetzt der Bauer war und deshalb all die Veränderungen und Projekte umsetzen konnte, die ich auf Twitter mitverfolge.

Der Tag war bewölkt, aber sehr warm, ich brauchte keine Jacke.

Nachmittags Ersttermin im Schwabinger Reha-Sportstudio. Er startete mit einer Pro-forma-Untersuchung eines Arzts, dann schickte man mich in das Stockwerk mit den Sporträumen, wo ich mich umzog.

Ein Physio-Trainer stellte mein Reha-Programm zusammen. Ich habe wirklich besonderes Glück mit der Einheilung meiner Endoprothese: Der Trainer äußerte sich mehrfach verwundert, welche Übungen er mir nur vier Wochen nach OP auf den Trainingsplan setzen konnte – weil ich sie halt schon problemlos ausführen kann. (Der passende Moment, mich ein winziges Bisschen mit Wolverine zu vergleichen? Adamantium-Titanium / potetoe-potatoe?)

Das Programm besteht ausschließlich aus Übungen, die ich daheim nicht machen könnte, und diese sind fast durchwegs Wackelübungen (Trainer nennt sowas “Stabilität”). Die fallen mir schon immer ausgesprochen schwer, weswegen ich sie nicht ausstehen kann, was bedeutet, dass ich sie wirklich nötig habe. Darunter sind unter anderem Bodenübungen mit Peziball, Kniebeugen auf der Schnittfläche eines Halbkugelpolsters, Seilzugübungen auf Wackelpolster stehend. Weil, wie der Trainer schnell feststellte, “die reine Kraft hast’ ja schon”.

Wermutstropfen: Im Sportraum ist Maskenfreiheit erlaubt, “wenn die Übung anstrengend ist” – was die Patientinnen und Patienten offensichtlich ausgesprochen memmig interpretieren. Denn: Nein, Krankengymnastik ist kein Kardio-Training, und wer bei den Übungen ernsthaft außer Atem kommt, hat eigentlich ein Problem. Und in der Rehaklinik am Tegernsee hatte ich ja erlebt, wie Menschen aller Altersgruppen ihre Übungen mit OP-Maske durchführen können. Da ich mir meine Tage weitgehend frei einteilen kann, werde ich versuchen, möglichst menschenarme Zeiten zu erwischen.

Als ich am Sendlinger Tor aus dem U-Bahnhof stieg, sah ich Fledermäuse in der Dämmerung um den Turm von St. Matthäus. Aus dem heimischen Wohnzimmer hielt ich mit Herr Kaltmamsell Ausschau, bis wir auch hier eine sahen.

Zum Abendessen kochte ich uns Exotisches: Eier in Senfsauce.

Mit Petersilie wäre das Gericht etwas hübscher gewesen, doch die hatte ich bereits gehackt in der Küche vergessen.

Wie so viele anderswodeutsche Gerichte habe ich das in einer Kantine kennengelernt. Senfsoße mochte ich sofort. (Lauch – war noch da, musste weg – und Kartoffeln aus Ernteanteil.)

Die Wahlen in den USA dominieren meine Nachrichtenkanäle (neben Corona). Es würde mich sehr erleichtern, wenn ich bald nicht mehr täglich lesen müsste, welche Ungeheuerlichkeiten das gewissenlose Monster Trump jetzt wieder gesagt und getan hat.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 1. November 2020 – Ruhiger Drinnensonntag

Montag, 2. November 2020 um 7:43

Ausgeschlafen, gebloggt, Sportprogramm. Draußen war es nass und grau.

Zum Frühstück toastete ich ein paar Scheiben fragwürdiges Lievito-Madre-Brot, aß es mit Käse und Chutney.

Ich bügelte den Stapel T-Shirts weg, der sich über die vergangenen Wochen angesammelt hatte. Nachmittagssnack: Apfelkuchen und eine Birne.

An sich hatte ich durchaus einen Spaziergang eingeplant, doch das Wetter blieb regnerisch, ausgesprochen ungemütlich und nicht besonders Krücken-kompatibel – dann halt nicht.

Mit meinem Laptop siedelte ich zum Beinehochlegen um aufs Sofa, das nicht besonders gemütlich ist, außerdem eigentlich eine Chaiselongue mit nur einem anlehnbaren Ende, welche keinen Blick nach draußen ermöglicht, doch draußen gab es gestern eh nichts zu sehen.

Dort guckte ich eine Doku über die Erzählmittel von Stephen King, auf die Croco verwiesen hatte – sehr interessant.

Abendessen durfte ich machen, Herr Kaltmamsell hatte die Zutaten für Tortano mit Ziegenfrischkäse und getrockneten Tomaten besorgt.

Mein Zeitplan geriet durcheinander, als der Hefeteig nach einer Stunde nicht mal minimal aufgegangen war und ich ihm eine zusätzliche halbe Stunde geben musste. Und dann riss der Teig auch noch beim gefüllten Aufrollen. Nachdem am Freitag der Kartoffelstampf daneben ging und am Samstag das Brot, muss ich wohl folgern: Ich kann nicht mehr kochen oder backen.

Schmeckte aber gut, Herr Kaltmamsell hatte dazu aus Ernteanteil Waldorfsalat gemacht.

Wohnungaufräumen für den montäglichen Putzmannbesuch. Mir ist noch keine Möglichkeit eingefallen, wohin ich mich während der vier Stunden seines Einsatzes absentiere: Zum einen will ich ihm nicht im Weg herumsitzen, zum anderen keine Aerosole mit ihm teilen. Doch Gastronomie, Museen, Schwimmbäder, in die ich sonst an Nicht-Arbeits-Montagen ausweiche, sind geschlossen, Spazieren kann ich derzeit nicht so lange, für Lesen auf Parkbänken wird es voraussichtlich nicht mild und trocken genug sein. Und mein Nach-Reha-Aufnahmetermin ist erst um 15 Uhr. Mal sehen, wie ich das löse.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 31. Oktober 2020 – Schnell noch vor Schließung: professionelles Zehennägelschneiden

Sonntag, 1. November 2020 um 8:35

Wieder eine Nacht mit genug Schlaf, das war schön.

Sonniger Tag, ich begann meine Sportrunde mit Crosstrainern am gekippten Fenster, freute mich bei meinem Stündchen Übungen aller Art über das goldene Licht draußen.

Dazwischen buk ich das Pizzabrot mit Lievito Madre.

Zumindest war es diesmal aufgegangen.

Aber innen sulzig. Zum Frühstück gab es dazu fermentierten Mantanghong-Rettich und Chutney aus grünen Tomaten (Herr Kaltmamsell hatte jeweils Ernteanteil verarbeitet) zu gekauftem Käse (wir kaufen ja durchaus auch Fertigprodukte). Nicht im Bild: Weitere Scheiben Brot mit Butter.

Ebenfalls noch von der Reha-Klinik aus hatte ich einen Termin zur Pediküre vereinbart (ohne Runterbeugen kein Zehennägelschneiden) – der zum Glück gestern noch klappte: Flauschige Beine hätten mir wenig ausgemacht, doch ohne professionelle Pediküre hätte ich Herrn Kaltmamsell bitten müssen, zum ersten Mal in seinem Leben jemand anderer die Zehennägel zu schneiden. Sehr, sehr ungern. Meine Kosmetikerin im Westend schwankte zwischen Zukunftssorgen und Zuversicht.

Zum Vollmond nach Hause gekrückelt. (Ich brauchte ein Weilchen bis ich begriff, dass das Zusammenfallen mit Halloween zufällig war.)

Ich stellte fest, dass ich Muskelkater in beiden Oberschenkeln hatte: Übungen im Ausfallschritt hatte ich halt zum ersten Mal seit vielen Monaten machen können, ich freute mich sehr über die Wiederbelebung dieses Körperbereichs.

Zum Nachtmahl gab es Reste vom Vorabend, also Fleisch und Soße mit Nudeln. Nachtisch Apfelkuchen. Im Fernsehen kam der Disney-Film Coco, den ich also endlich mal sah. Nebenher stellte ich Lieblingstweets aus zwei Monaten zusammen, es wurde sehr spät.

§

Auslandskorrespondenten oder -büros von Medien könnten nicht arbeiten, hätten sie nicht verlässliche Einheimische an ihrer Seite. Die New York Times nimmt Abschied von P.J. Anthony, der jahrzehnteland das Büro in Delhi leitete.
“The End of a Beloved Delhi Institution”.

via @thomas_wiegold

Readers never saw his name. But for decades, P.J. Anthony did as much for The Times’s bureau in India as anyone.

His job was running The Times’s small office in Connaught Place, in the heart of India’s capital, working closely with the bureau chiefs. (He tended to call the bureau chiefs “Doctor,” even when that was far from the case.) Bureau chiefs are in charge of the journalism and bureau managers are in charge of just about everything else — handling expenses, renewing visas, translating documents and in the case of India, decoding one of the most bewilderingly complex countries on Earth. P.J. loved every day of it.

(…)

He “defied time,” said John Burns, who served as Delhi bureau chief in the 1990s. “In the age of data retrieval, he held fervently to the gospel of the printed word, building a towering fortress around himself in the Delhi bureau of piled-up newspapers reaching back to the age of Nehru,” Mr. Burns remembered.

§

Einer der abgefahrensten Technikerinnen-Jobs überhaupt: Theresa Thoma (ehem. Schülerin von Herr Kaltmamsell) bereitet sich auf ihren Einsatz in der Antarktis vor, der WDR berichtet (ab min. 17:30).

§

Für alle, die Danny Elfmans Halloween-Weihnachts-Cross-Over Nightmare before Christmas eh schon auswendig können, hat Herr Elfman für dieses Halloween was Neues gemacht.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/jjUjrE19eyw

die Kaltmamsell

Twitterlieblinge September/Oktober 2020

Samstag, 31. Oktober 2020 um 22:50

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 30. Oktober 2020 – Glatte Beine, erster Apfelkuchen

Samstag, 31. Oktober 2020 um 8:33

Auf der neuen Matratze lag und schlief es sich ganz wunderbar und mit nur wenigen Unterbrechungen, nach denen ich sofort wieder einschlief.

Gestern packte ich das Trainingsprogramm für daheim an, das mir die Rehaklinik zusammengestellt hatte. Es erwies sich als nur so mittel: Für manche Übungen mangelte es mir an Ausstattung (Step, Wackelkissen), andere konnte ich nicht machen, weil ich nicht auf der operierten Seite liegen kann. Ich setzte um, was ich konnte (Theraband und Matte sind ja vorhanden), hängte noch ein paar Bodenübungen aus dem bisherigen Programm dran. Und freue mich schon sehr auf die Nach-Reha nächste Woche mit einem Sportprogramm für meinen aktuellen Zustand.

Zu meiner Überraschung hatte ich schon um 10 Uhr Hunger, es gab Muesli mit Joghurt.

Noch in der Klinik hatte ich für gestern einen Termin zur Beinenthaarung mit Wachs vereinbart (weil ich mich ja bis auf Weiteres nicht runterbeugen darf), zu dem fuhr ich in die Maxvorstadt. Und wenn ich schon mal da war, nutzte ich den Fotoautomaten im U-Bahnhof Josephsplatz für mein Langzeitprojekt.

U-Bahn an den Marienplatz, um im niederländischen Käseladen Henri Willig alten Ziegenkäse zu kaufen, im Hofbräuhausmühlenladen Pizzamehl 00. Nach Hause krückelte ich lieber, als die U-Bahn zu nehmen: Zum einen war mir die Bahn zu voll, zum anderen mochte ich die milde Herbstluft. Auf dem Weg wurde ich allerdings schon immer langsamer, brauchte die Krücken als Entlastung. Umweg über die Bank, auch bei fast konsequenter Kartenzahlung war mir nach zwei Monaten das Bargeld ausgegangen.

Zurück daheim machte ich mich ans Kuchenbacken, es sollte Holländischen Apfelkuchen geben (allerdings mit Rübenzucker, denn ich wundere mich eigentlich jedesmal, wenn in hiesigen Rezepten Rohrzucker gewünscht ist: ich wohne in einer Zuckerrübengegend, warum sollte ich von weit her importierten Zuckerrohrzucker verwenden?) (Zumal Zuckerrohr im Anbau ökologisch wohl deutlich problematischer ist als unsere Zuckerrüben.)

In der Rührschüssel oben ein weiterer Versuch mit Lievito Madre, der Samstag backfertig sein soll.

Der Kuchen schmeckte gut, vor allem mit Sahne, ich mochte den besonders knusprigen Teig, die Marzipannote war allerdings nur sehr schwach. (Als quasi Mittagessen hatte ich den restlichen Spaghettikürbis ohne alles gegessen, ein Brot dazu, Mandarinen hinterher.)

Die Zeitung kommt seit gestern wieder auf Papier, nur das SZ-Magazin las ich abschließend im Bett im hochgelegten Füßen. Es wurde unverschämt früh dunkel.

Zum Nachtmahl gab es auf meinen Wunsch short ribs, Herr Kaltmamsell hatte dafür eine schöne Zwerchrippe besorgt und garte sie langsam im Ofen. Gemüse drumrum und Kartoffeln für Brei dazu aus Ernteanteil. Der Kartoffelbrei war mir zu dünn geraten, ich hatte zu viel Milch erwischt.

Im Bett neue Lektüre: James Rebanks, English Pastoral.

§

Dieser Landwirt und Schafzüchter James Rebanks schreibt einen Tagebucheintrag im New Statesman, im Grunde einen Statusbericht. (Auch in seiner Familie hat die Fernbeschulung alles verändert.)
“The future of English farming, Tosh the sheepdog puppy, and parenting in lockdown”.

Auch wenn er sich auf UK bezieht, ist das in Deutschland nicht viel anders abgelaufen:

We built a postwar society on the idea that we should outsource food production to about 1 per cent of the population. We gave that 1 per cent every mechanical and chemical tool available and bullied them into producing the cheapest food in history, by handing all our food-purchasing power to a few giant supermarkets that know exactly how to drive down prices without breaking our flimsy regulatory rules.

Now there aren’t any more corners to cut. Cheapening food beyond a certain point gets ugly, mean and world-destroying. Milk is now cheaper to buy than bottled water – imagine what you have to do to produce milk for that price (it’s not cute).

§

Indi Samarajiva weist darauf hin, welch riesige Lücken in der westlichen, reichen Berichterstattung über die weltweite Corona-Pandemie klafft:
“The Overwhelming Racism Of COVID Coverage”.

For your own health, see us. Learn about how early, aggressive action in Mongolia prevented them from having any local transmission at all. Learn about how Ghana used pooled testing to make the most of scarce resources. Learn how Sri Lanka shut down completely for two months with just 100 cases, and is now completely normal.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 29. Oktober 2020 – Regen und Krücken, Bürokratisches

Freitag, 30. Oktober 2020 um 7:21

Etwas unruhige erste Nacht daheim, doch ich bekam genug Schlaf.

Früher Wecker, um Herrn Kaltmamsell vor der Arbeit Milchkaffee servieren zu können. Die Sportrunde verschob ich, da sie vor meinem Arzttermin zu gehetzt worden wäre.

Es regnete, eine blöde Kombination mit Krücken. Ich schlüpfte in eine alte Wanderjacke mit Kapuze und nahm einen Bus zum Orthopäden. Wir freuten uns gemeinsam über die erfolgreiche OP, planten Weiteres. Ich bin jetzt bis Ende November krank geschrieben, wahrscheinlich gehe ich schon im Dezember wieder in die Arbeit mit stufenweiser “Wiedereingliederung” (langsames Hochfahren der täglichen Arbeitsstunden nach längerer Krankheit, in dieser Zeit zahlt die Deutsche Rentenversicherung weiter Übergangsgeld; Dauer und Stundenzahl legt der behandelnde Arzt fest).

Nach Apothekenabstecher (ich soll noch eine Woche Blutgerinnungshemmer nehmen) nahm ich eine angenehm leere U-Bahn zum Stachus. An einem Obststandl an der Sonnenstraße kaufte ich umfassend Obst für die nächste Woche ein.

Daheim großer Hunger, doch die Mittagessenszubereitung wurde unterbrochen durch vorzeitige Lieferung meiner neuen Matratze und Lattenroste (sowie Mitnahme der alten).

Laut Spielanleitung (ja, ich bin das, die Gebrauchsanweisungen liest) muss sie erst mal eingelegen werden und das bitte ganzflächig. Wie praktisch, dass jetzt die bayerischen Allerheiligenferien beginnen und ich Herrn Kaltmamsell bitten kann, mir dabei zu helfen.

Jetzt aber Mittagessen: Ich bereitete lösliche Hühnerbrühe zu und erhitzte darin ein weiteres Viertel Spaghettikürbis, mit selbst gemachtem Harissa geschärft. Das Essen wurde kurz von einer Elektroniklieferung für Herrn Kaltmamsell unterbrochen.

Erwachsenenerledigungen: Wäsche aufhängen / in den Trockner werfen, Krankschreibung an Arbeitgeber und Krankenkasse schicken, neue Matratze überziehen, Arbeitsrechner hochfahren und im Postfach nach dem Rechten sehen. Weil die Rentenversicherung den Reha-Bescheid so spät geschickt hatte, waren diese drei Wochen auf meinem Zeitzettel als AWOL eingetragen, ich musste ein wenig mit der Personalabteilung korrespondieren.

So voll ich nach der Mittagssuppe auch gewesen war: Sie hielt nicht lange vor. Ich aß Birne, Mandarine, Kiwi, Marmeladenbrot.

Im Bett auf der neuen Matratze (fühlte sich schon mal gut an) las ich mit hochgelegten Beinen Zeitung und weiteres Internet, guckte die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel nach (sie zitiert Mai Thi Nguyen-Kim! Angela Merkel ist eine Freundin der Sonne!).

Für die nächste Spielzeit verlängerte ich mein Kammerspielabo – auch wenn völlig unklar ist, ob und wie es überhaupt Vorstellungen geben wird, ist diese Unterstützung das Mindeste für mich, die ich nicht um meine Existenz bangen muss.

Das Abendessen durfte ich kochen. Herr Kaltmamsell hatte eingekauft und den Ernteanteil der Woche abgeholt, aus dem Chinakohl daraus bereitete ich ein Pfannengericht mit Chili und Rosinen (getrocknete Minze statt frischer).

Schmeckte ok, aber der nächste Chinakohl wird anders verarbeitet.

Im Bett las ich Alicia LaPlante, Turn of Mind aus, ihren Erstling von 2011. Die Grundidee ist wirklich gut und hervorragend umgesetzt: Wir begleiten den ganzen Roman über Dr. Jennifer White aus Ich-Perspektive, eine orthopädische Chirurgin in Ruhestand. Das Besondere an dieser Perspektive: Jennifer ist dement, die Geschichte wird mit ihren verworrenen Alzheimer-Schnipseln erzählt. Und: Ihr wird offensichtlich vorgeworfen, dass sie ihre beste Freundin Amanda ermordet hat, ihr anschließend mit chirurgischer Kunstfertigkeit vier Finger einer Hand entfernt. Wir folgen Jennifer durch bessere Tage, an denen sie mit ihren beiden erwachsenen Kindern halbwegs vernünftig kommunizieren kann, durch die immer häufigeren schlechten Tage, an denen sie völlig ohne Orientierung ist, manchmal triggern Details Erinnerungen an ihre Vergangenheit und wir erfahren dadurch Vorgeschichte. Im selben Maß, in dem Jennifer in ihrer Erkrankung versinkt (jetzt lebt sie längst in einem Pflegeheim), wird die implizite Erzählerstimme deutlicher und übernimmt, lässt die anderen Romanfiguren genug sagen, um den Fall schließlich aufzuklären.

die Kaltmamsell