Journal Mittwoch, 11. November 2020 – Empfindliches Gewebe, stereotype Berufsgeschichten
Donnerstag, 12. November 2020 um 7:25Früh zum Reha-Sport (noch vor der Schulkinder-Schwemme), wieder kam ich vor Anstrengung ins Schwitzen (samma diese Pezzibälle hat ja wohl der Teufel erfunden) (übrigens ein italenischer Teufel, wie ich zu meiner Überraschung der Aufschrift entnahm) (ich lese alles, immer).
Im Anschluss erster Physiotermin an diesem Ort. Zum Glück wurde ich einer Frau zugewiesen, in deren Händen auf meiner nackten Haut ich mich deutlich besser fühle als in denen eines Manns. Seit dem Vortag hatten mich die Muskeln um die operierte Hüfte und des zugehörigen Oberschenkels recht mit Schmerzen geplagt. Als Frau Physio sie auch nur berührte, zuckte ich zusammen. Und bei dem auch, ebenso beim nächsten Muskel, fünf Zentimeter weiter war es nicht besser. Oh, meinte sie, das sei ja alles “sehr empfindlich”, sie müsse “Gewebe lockern”. Ich ließ mir also vorsichtig und gründlich von ihr weh tun, merkte aber sofort die Verbesserung. Auch Frau Physio gab mir Übungen auf, auszuführen mehrmals täglich, mir wird also weiterhin daheim nicht langweilig.
Auf dem Heimweg machte ich einen Umweg über die Praxis der Hausärztin und holte ein telefonisch vereinbartes Rezept ab.
Sportzeug daheim abgeladen, Schuhe gewechselt, weil ich in meinen Laufschuhen (Anfang 2019 gekauft, wie immer zwei Nummer größer als Straßenschuhe, keine zehn Mal zum Joggen genutzt, weil’s dann nicht mehr ging) wirklich am besten gehe. Zum Beispiel zu Einkäufen in den Vollcorner (Brotzeitgemüse Paprika/Gurke, Obst, Zutaten fürs Abendessen, Espresso, Semmeln, kein Bubbly, weil noch welcher im Haus war – aber beinahe), auf dem Heimweg sah ich sogar ein bisschen Blau am grauen Himmel.
Beim Mittagessen (Paprika, Gurke, Käse, Laugensemmel) Zeitungslektüre. Und weil ich darin die eine solche Aussteigergeschichte zu viel las:
Gibt es eigentlich auch Geschichten von jungen Weinbauern-Paaren, die sich unerfüllt fühlten, alles hinwarfen und dann in der Finanzwelt glücklich wurden?
Oder, wie @sinnundverstand ergänzte:
Die Yoga-Lehrerin, die sich nun endlich als Hedgefonds-Managerin angekommen fühlt. Der Bio-Bauer, dessen Traum einer Karriere als Immobilienmakler wahr wurde. Der Altenpfleger, der nun jedem Tag als Unternehmensberater froh entgegenblickt.
Würde ich alles wirklich, wirklich gerne lesen. Gerne auch fiktionalisiert als Roman.
(Natürlich ist mir klar, dass die Standardgeschichte die Entfremdung verdeutlichen soll, in der die Erwerbsarbeit der Gegenwart gelandet ist, und der Sehnsucht nach Rückkehr zu als ursprünglicher empfundenen Form des Lebensunterhalts entgegenkommt. Aber sie ist zum Klischee verkommen.)
Kurzer Abstecher zur Apotheke, um ein bestelltes Medikament abzuholen.
Nachmittagssnack Orange, Apfel mit Joghurt.
Und dann spontan in einem Internet-Laden Schuhe bestellt. (Es tut mir leid, selbstverständlich habe ich mehr als genug Schuhe. Aber nicht solche. Und sie waren höllisch reduziert. Außerdem schön.) (Sollte ich mir Sorgen machen? Sonst impulskaufe ich doch nur Wein?) (Ach was, ich habe doch sogar zwei Ausreden: 1. Pandemie inkl. Einschränkungen, 2. Hüft-OP, es handelt sich nämlich um zwei Paar sehr schöne Schuhe ohne Absatz, in denen ich gut weit laufen können sollte.)
Das Abendessen durfte ich machen, eine Pilz-Quiche. Der Boden war astreine shortcrust pastry, wie ich sie aus der britischen Küche kenne. Also machte ich sie auch auf britische Art: Erst die Butter mit den Fingerspitzen ins Mehl reiben, bis es feinste Streusel ergibt, dann mit Eiswasser rasch zusammenkneten. Ließ sich wunderbar handhaben.
Schmeckte sehr gut, war allerdings instabil, weil die Pilze Wasser gezogen hatten. Besonders begeistert war ich von der krausen Petersilie, die ich aus einer Laune heraus statt der glatten gekauft hatte: Sie gibt viel mehr aus und ist nach dem Garen deutlicher.
§
Aus guten Gründen wird derzeit das Paar gefeiert, das die Firma BioNTech gründete und kurz vor dem Einsatz eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 ist (hier ein Portrait im Guardian, im Gegensatz zum dem in der Süddeutschen frei verfügbar): Dr. Özlem Türeci und Prof. Dr. Uğur Şahin. Wen man feiert, sollte man korrekt benennen können: So spricht man die Namen aus.
§
Eine völlig wahnwitzige Geschichte von der Blogess, nämlich die vom Lebensende ihrer Großmutter. Oder doch nicht.
“Losing Joy. Finding Joy. Literally.”

























