Journal Mittwoch, 28. Oktober 2020 – Heimkehr in eskalierende Pandemie

Donnerstag, 29. Oktober 2020 um 7:28

In der Rehaklinik hatte ich mir einen frühen Wecker fürs Kofferpacken gestellt, wachte noch davor auf.

Ich brachte mit nur wenig Gewalt alles unter in Koffer und Rucksack; vor mir stand also im Empfangsbereich der Klinik wirklich nur ein Koffer zwischen all den Gepäckinseln aus Koffern, Taschen und Tüten anderer Patientinnen und Patienten, die gestern heim fuhren. (Im Gegensatz zur Sommer-Reha 2019 hatte ich diesmal nur ein Set Zivilkleidung dabei.)

Frühstück mit Schwarztee, Abschied von der wirklich angenehmen Tischgenossin: Obwohl wir uns in praktisch allen Vorlieben und -abneigungen unterschieden (Erbsen, Spätaufstehen, Kinder, Joggen, Schwimmen, Religion), verstanden wir einander sehr gut.

Den Heimtransport unter dicken Wolken teilte ich mir mit einer weiteren Patientin, die vor mir in Neuperlach abgesetzt wurde, dennoch war ich schon nach anderthalb Stunden um halb elf zu Hause. Mir fielen mal wieder meine beschränkten Münchenkenntnisse als Innenstadtbewohnerin und U-Bahn-Nutzerin auf: Zwischen Neuperlach Süd und Prinzregentenstraße war ich auf der Fahrt völlig orientierungslos. Ich freute mich über den zähen Verkehr um den Friedensengel: So konnte ich ihn ausgiebig begrüßen.

Die heimische Wohnung roch völlig fremd und leer. Ich drehte erst mal Heizungen auf und packte in aller Ruhe aus. Erste Maschine Wäsche angeschaltet, Sichtung der Papierpost. Kurz vor zwölf gab es den lange vermissten Milchkaffee und ein mächtiges Schinkenbrot (Herr Kaltmamsell hatte auf meine Bitte selbstgebackenes Brot aus der Gefriere geholt und Kochschinken eingekauft).

Auch in München neigte sich der Herbst seinem Ende zu.

Nun stürzte ich mich mal wieder in Spaß mit der Deutschen Rentenversicherung. Mit der Post war nämlich ein Stapel Unterlagen von dieser Behörde gekommen, datiert vom 16.10.2020: Diese Formulare möge ich bitte einige Tage vor Beginn meiner Reha am 7.10.2020 ausgefüllt einreichen. (Wieder eine Organisation, die das Raum-Zeit-Kontinuum zu überlisten versucht.) In der Gebrauchsanweisung des Anschreibens standen weitere sich widersprechende Anforderungen. Zum Glück hatte ich im Reha-Vortrag der Sozialstelle einige Hintergrundinfos bekommen, also pickte ich mir die Anweisungen heraus, die ihnen entsprachen.

Während ich dafür drei Maxibriefe fertigmachte, kam Herr Kaltmamsell heim. Es war großes Herzen und Küssen, ab sofort sind wir wieder ein Haushalt. (Dass er als Lehrer ein potenzieller Hochrisiko-Vireneinsammler ist, mussten wir ignorieren; die Alternative wäre, dauerhaft voneiander isoliert zusammenzuleben.)

Frischluft und Bewegung wollte ich auch an diesem Heimfahrttag (ab Donnerstag absolviere ich das Heim-Sportprogramm, dass mir die Rehaklinik ausgearbeitet hat), also zog ich gegen 15 Uhr auf eine kurze Krücken-Runde los (leerer würde es draußen eher nicht mehr im Lauf des Tages), durchgehend mit Maske. Kurzer Abstecher in einen fast leeren Drogeriemarkt. Krückengehen ging gut, weiter mit sehr erträglichen Heilungs-/Bewegungsschmerzen.

Zurück daheim richtete ich mir nach einem weiteren Schinkenbrot eine Möglichkeit des Beinhochlegens ein: Ich heizte mein Schlafzimmer und stapelte mir Kissen als Rückenpolster ins Bett. So war es fast so gemütlich wie in einem Bett mit hochstellbarem Kopfteil.

Nach fünf Wochen ohne freute ich mich auf Alkohol, dachte gründlich darüber nach, auf welchen ich am meisten Lust hatte. Es wurde ein edler Luxemburger Cremant zum Anstoßen mit Herrn Kaltmamsell.

Ich hatte allerdings bereits nach anderthalb Gläsern genug.

Fürs Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meine Bitte den Spaghettikürbis aus dem letztwöchigen Ernteanteil aufgehoben.

Da er dann doch noch größer war als erwartet, teilten wir uns eine Hälfte, aßen sie mit Butter, Salbei, Frühlingszwiebeln, geriebenem Parmesan. Zum Nachtisch heimische und Schweizer Schokolade.

Gestern haben die Bundesregierung sowie die Regierungschefinnen und -chefs der Länder endlich härtere Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung beschlossen, hier der Wortlaut. Kanzlerin Merkel hätte sie gerne schon vor zwei Wochen so oder ähnlich gehabt, bei dieser Gelegenheit die Entwicklung der Infektionszahlen exakt so berechnet, wie sie dann auch verlief und verärgert prognostiziert, dann werde man sich halt in zwei Wochen wiedersehen. (Ich stelle mir vor, wie sie gestern in der Videokonferenz wieder und wieder auf einer Tafel die arithmetischen Basics vorrechnete – bis alle kapierten, dass das Virus kein Verhandlungspartner ist, sondern der Gegner.)

Für mich heißt das unter anderem: Kein Schwimmen (Schwimmbäder werden geschlossen), kein Besuch bei meinen Eltern oder der Bruderfamilie noch sonstige Besuche oder Treffen, auch nicht mit meinem Lesekreis, Termine so legen, dass ich sie außerhalb der Stoßzeiten mit Öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Ob meine Nach-Reha nächste Woche beginnt, hängt davon ab, ob diese ambulante Rehaklinik als Fitnessstudio eingeordnet wird oder als therapeutische Einrichtung. Ja, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf einige Branchen sind wieder hart; doch zum einen umfassen die Maßnahmen diesmal weitreichende Unterstützungen, zum anderen ist derzeit gesamtgesellschaftlich die Eingrenzung der Pandemie vorrangig. Ich bin mir sehr bewusst, dass die Opfer, die ich bringen muss, im Vergleich mit den allermeisten anderen, lächerlich gering sind.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 27. Oktober 2020 – Reha-Abschiedsrunden

Mittwoch, 28. Oktober 2020 um 7:24

Zweite eher gute Nacht in Folge – das Muster ist gebrochen, hurra.

Draußen war es kalt und greislig geblieben, die umliegenden Berge bis weit nach unten schneebedeckt.

Frühstück Tee, vormittags aber Hunger: Getrocknete Aprikosen, Schokolade.

Die Abschlussuntersuchung des betreuenden Arzts war umfassend, es bestand echtes Interesse an meinem Befinden und meinen Fortschritten (anders als nach der Reha im Vorjahr).

Ein letztes Mal Lymphamat (pffffffffff-pschsch) mit Ausblick übern verhangenen Tegernsee.

Noch ein Vortrag, diesmal zu Stress – nichts Neues, wie die Referentin auch erwähnte. Guter Hinweis allerdings: Wir mussten alle am Arbeitsplatz eh gerade einiges umorganisieren, um Zeit für OP und Reha möglich zu machen, das sei doch ein idealer Zeitpunkt für Stress-mindernde Veränderungen.

Nach dem Vortrag war ich schlagartig so müde, dass ich mich eine halbe Stunde hinlegte – und tief schlief.

Als Mittagessen gab Falaffel (leider farblos und unknusprig) mit Gemüsecurry und Reis, davor Suppe, danach Nougatpudding.

Letzte Physiotherapie: Herr Physio überprüfte meinen Zustand, indem er mich Schaulaufen ließ (mehrfach auf dem Gang hin und her), auf dem operierten Bein stehen (auch mit geschlossenen Augen), Treppensteigen. Konnte ich alles zu seiner vollen Zufriedenheit. Dann gab’s noch eine Runde Rumdrücken. (Jetzt kann ich es ja gestehen: Es ist mir deutlich weniger angenehm, von einem fremden Physio-Mann angefasst zu werden als von meiner Anfasserin als fremder Frau. Eigentlich ist es mir sogar ausgesprochen unangenehm, und ich bin froh, wenn’s vorbei ist.)

Abschied von der Bewegungsschiene. Ich nutzte die halbe Stunde bis zum nächsten Termin für einen (wie schon am Vortag krückenfreien) Parkspaziergang in kalter, aber jetzt klarer Luft.

Der Termin war “Gangschule”. Auch in dieser Gruppenstunde wurden wir zum Schaulaufen aufgefordert, Herr Trainer wusste mir keinen Verbesserungsvorschlag zu machen. Ich musste auch Schau-Treppensteigen, was er kommentierte mit: “Wegen guter Führung entlassen.”

Vor dem nächsten Programmpunkt begann ich schon mal mein Bewegungscenter-Training, das ich sonst in der einen Stunde vor Schließung nicht geschafft hätte. Dann ein weiteres Mal Gehen unter Beobachtung, jetzt wieder auf dem aufpumpbaren Laufband mit Anti-Gravitation und Kamera. Diese Trainerin sah so lange hin, bis sie einen verbesserbaren Schlenker um die rechte Zehe zu entdecken glaubte, fand den aber aus anderer Kameraperspektive nicht mehr. Hier ging ich auch eine Weile bergauf, in Kombination mit der doppelten Hose kam ich ins Schwitzen.

Damit haben insgesamt vier verschiedene Fachmenschen mit vier verschiedenen Techniken mein Gangbild für in Ordnung erklärt, Haken dran. Schmerzen habe ich dabei schon noch um die Hüfte herum, doch die ordne ich nun wirklich als vorübergehende Trainigsschmerzen ein.

Abschließendes Training an Geräten und auf dem Boden, ich gab die Karte ab, die für mein Training programmiert worden war.

Auf dem Zimmer machte ich mich kurz frisch und zog mich um. An der Rezeption beglich ich meine Cafeteria-Rechnungen. Abendessen war ein Eiersalat mit viel Gemüse, davor Hühnerbrühe, dazu Butterbrot.

Abendunterhaltung YouTube-Filmchen (ich hatte noch nicht alle Folgen A Stitch in Time gesehen und lernte viel), Lesen.

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Die Süddeutsche unterhält sich mit Mark Bryan, der sich so beschreibt:

Einfach ein heterosexueller, glücklich verheirateter Typ, der Porsches und schöne Frauen liebt und gerne High Heels und Röcke trägt.

“Weder Röcke noch Schuhe haben ein Geschlecht”.

Ich finde, das sieht super aus – ihm stehen Bleistiftröcke mit hohen Schuhen durchwegs besser als mir. Auf instagram folge ich schon lange einem weiteren Herrn, der überhaupt nicht einsieht, dass farbige Fingernägel, lustige Schuhe, bunte Strumpfhosen und Röcke Frauen vorbehalten sein sollen: Dr. Volker Göbbels – immer wieder sehr inspirierende Outfits (u.a., es ist kein so monothematischer Kanal wie der von Mark Bryan).

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Jemand hat Merkel-GIFs für jede Gefühlslage gebastelt.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 26. Oktober 2020 – Hochleistungsgenesen

Dienstag, 27. Oktober 2020 um 7:22

Genug geschlafen in der Nacht, keine größere Pausen. Allerdings wird mir die Zeit hier lang, ich sehne mich sehr nach Zuhause.

Frühstück nur Tee, noch dreimal Schlafen bis Milchkaffee zum Frühstück. Kurzer Spaziergang im windigen Draußen, der Tegernsee schlug Wellen.

An meinen letzten beiden Reha-Tagen umfasst das Programm jeweils zehn und acht Termine, gestern beginnend um 9 Uhr.

Elektrotherapie (ein anderer Patient meldete sich dazu mit “Ich komme zum Aufladen.”), Pilates mit einem weiteren, durchwegs vergeblichen Versuch pilatig zu atmen (Trainerin und ich gaben unser Bestes, kamen aber einfach nicht zusammen), Wassergymnastik – die vielfältig ungünstig lag: Als ich mich dafür umziehen musste, wurde gerade mein Zimmer geräumt und gereinigt, und sofort im Anschluss war die Visite angesetzt, ich musste mich also nach dem Wasser in Turbogeschwindigkeit abduschen, eincremen, anziehen. Ich schaffte es, zwei Minuten vor dem Klopfen des Arzts an meine Zimmertüre fertig zu sein. Visite ereignislos, ich konnte nur weitere Fortschritte berichten.

Einzige Behandlungspause des Tages, ich trank mit Genuss einen Cappuccino. Dazu las ich auf meinem Rechner die Süddeutsche.

Mittagessen süß (Alternative wäre Schweineschnitzel unbekannter Herkunft gewesen): Apfelstrudel in Vanillesoße, vorher Salätchen.

Dann musste ich mich zügig zum direkt anschließenden ersten Nachmittagstermin begeben: Fango. Wieder verhinderte Entspannungsmusik genau dieses, aber ich hatte es schön warm.

Wichtigster Termin des Tages: Medizinisches Training einzeln, weil ich hier detailliert meine Bewegungsmöglichkeiten nach Heimreise erfragen konnte. Als Basis stellte mich Herr Trainer aufs Laufband mit Sensor-/Video-Analyse: Ich gehe praktisch symmetrisch, auch wenn er mich mit Gespräch und Sonstigem ablenkte. Beste Basis. Also:
– Krücken sind derzeit nur draußen auf längeren Strecken ratsam.
– Crosstrainer ist ok, er stellte mich gleich mal für zehn Minuten auf einen und war zufrieden. Mit zehn Minuten soll ich auch anfangen. (Er hat nicht dazugesagt, wie oft zehn Minuten am Tag.)
– Über Fahrradfahren redeten wir eingehend unter Berücksichtigung meiner konkreten Umstände. Ergebnis: Erst mal keine gute Idee im Stadtverkehr. Ich muss mich wenden und verdrehen, kann durch Verkehrslage zu abrupten Bewegungen gezwungen werden. Besser noch ein paar Wochen warten.
– Schwimmen (Kraul ohne Abdrücken bei Wende) ist ok, noch besser allerdings Aquajogging. Ich werden mich nach Möglichkeiten umsehen.
– Gymnastik ist ausdrücklich gewünscht, ich werde eine Aufstellung von Übungen für daheim bekommen.

Nach einer Gymnastikrunde gab es manuelle Lymphdrainage, wir einigten uns auf eher Massage, die sehr gut tat. Anschließend Bewegungsschiene, ich nutzte die Untätigkeit für Erledigungen über Smartphone (Terminierung der Lieferung der im August gekauften Matratze/Lattenrost, Vereinbarung Pediküre). Denn dann wurde es wieder intensiver: “MTT ADL Beine” – Details und Übungen zu Alltagsbewegungen. Was mich ungemein freute: Auch hier tauchte Joggen als Sport mit mittlerer Belastung auf, den man sechs Monate nach Hüft-OP durchaus treiben kann. Vielleicht gibt es für mich nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft als langsamste Joggerin entlang der Isar.

Schlusstermin “Med. Training”, ich radelte trocken und trainierte dann Oberkörper und Bauch. So kurz vor Schließung war ich im Sportraum fast allein, sehr angenehm.

Kurzes Frischmachen auf dem Zimmer, raus aus den Sportklamotten, Beine hochlegen. Zumindest hatte ich keine Gelegenheit für Nachmittagshunger gehabt.

Zum Abendessen gab’s Fenchel-Orangen-Salat mit Fetawürfelchen, dazu Butterbrot. Der Tag war so voll gewesen, dass ich mich an die Wassergymnastik als gestrig erinnerte und verwundert war, weil ich einen jetzt getrockneten Bademantel wegräumen musste.

Draußen war das Wetter mittlerweile ausgesprochen greislich geworden: Seit Mittag regnete es, die Kälte machte ein Umschlagen in Schnee wahrscheinlich.

Die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen lässt mich innig Winterschlaf wünschen: Irgendwo warm einmummeln und schlafen, im März wieder aufwachen.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 25. Oktober 2020 – Herbstpracht am Tegernsee

Montag, 26. Oktober 2020 um 7:10

Ich schlief die Zeitumstellungsstunde tatsächlich zusätzlich und insgesamt auch gut. (Bin ganz kurz davor, auch auf der operierten Seite liegen zu können.)

Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein.

Ich hatte sogar einen Termin: Medizinisches Training im Bewegungscenter. Ich kostete ihn anderthalb Stunden aus, mit einer langen abschließenden Bodenphase, ein paar zusätzliche Bauchübungen unter Freunden. Das alles übrigens, das hatte ich noch nicht erwähnt, immer in Mund-Nase-Bedeckung, auch auf dem Ergometer.

Sehr gutes Mittagessen:

Knusprige Rote-Bete-Taler, Mischgemüse, ein Kürbis-Kartoffelstampf mit schmeckbar viel Butter; Nachtisch Ananas-Cocos-Mousse.

Gleich im Anschluss nutzte ich das herrliche Wetter für einen Spaziergang entlang dem Tegernsee – und schwitzte fürchterlich: Es war viel zu warm für meinen Janker überm T-Shirt, doch ich konnte ihn nicht um den Bauch binden, weil ich dann zu breit für die Krücken war.

Äpfel, ungeerntet.

Zurück im Zimmer legte ich die Beine hoch und las Alicia LaPlante, Turn of Mind.

Später in der Cafeteria Kaffeundkuchen in Form eines Kännchens Roibusch-Tee und eines großen Stücks Käse-Aprikosen-Kuchen, das fühlte sich sehr sonntäglich an.

Mehr Lesen mit hochgelegten Beinen, immer wieder öffnete ich die Fenster, bis mir zu kalt wurde.

Abendessen: Gemüsecremesuppe, Frischkäse-Aufstriche Oliven, Sardellen, Lachs mit Brot. Zur Abenunterhaltung schaute ich auf Arte The Queen, bis ich gegen zehn müde wurde.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 24. Oktober 2020 – Klinikweihnachten und Celeste Ng, Little Fires Everywhere

Sonntag, 25. Oktober 2020 um 9:13

Im Wechsel eine Nacht mit Schlafpause, in der ich Celeste Ng, Little Fires Everywhere auslas, bis zum Schluss gerne (Details siehe unten).

Frühstück nur mit Tee. Auf jedem Platz lag ein Blatt mit Infos zur Verschärfung der Corona-Maßnahmen in der Klinik: Ab Montag ist gar kein Besuch mehr erlaubt, und es wird nochmal darum gebeten, das Klinikgelände wirklich nur notfalls zu verlassen. Da ich mitbekommen habe, dass viele Patientinnen wochenends auswärts Essen gehen, beziehe ich das nicht auf meine Spaziergänge ohne jeden Menschenkontakt. Auffallend: Seit Einrücken in die Klinik vor dreieinhalb Wochen verzeichnete die Corona-Warn-App keine einzige Risikobegegnung.

Termin am Stationszimmer: “Gewicht” (unverändert seit Aufnahme). Ich drehte eine kleine Runde im Klinikpark unter düsterem Himmel, bevor der vorhergesagte Regen einsetzte.

Einziger medizinischer Termin des Tages: Bewegungsschiene.

Da ich ein Packerl erwartete, hatte ich morgens an der Rezeption danach gefragt. Da war es noch nicht da, aber kurz vor zwölf klopfte es an meiner Zimmertür und ein Angestellter brachte es.

Frau Brüllen hatte Weihnachten gespielt: Nie wieder Nachmittagshunger! Nie wieder einsame Vollbäder! Nie wieder kalte Füße! Neben Schoko- und Nougatriegel bin ich jetzt mit Ovo Rock und Cola Frischli (gnihihi) ausgestattet, das Fondue-/Raclette-Gewürz setzt baldigst ein Käsefondue auf den Speiseplan. Ich freute mich ganz arg.

Bis Mittag beschäftigte ich mich mit der Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen (und Nougat).

Mittagessen: Brokkolisuppe, Gemüsestrudel mit Schwammerlsoße, Himbeerkuchen.

Anschließend war ich Siesta-schwer und legte mich ein bisschen hin. Als ich aufwachte, regnete es nicht mehr, ich verließ das Haus für einen Spaziergang mit Krücken entlang des Söllbachs. Ein paar Minuten befeuchtete mich dazwischen Regen der Qualität Gischt, aber am Ende des Stündchens sah ich sogar blauen Himmel.

Nachmittagsunterhaltung: Ich sah mir endlich den eingemerkten Dokumentarfilm I am not your Negro von Regisseur Raoul Peck an, der auf einem Textmanuskript des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin basiert. Mir gefiel sehr gut, wie Baldwins Gedanken zum Rassismus in den USA in den Mittelpunkt gestellt wurden, weil das sehr kluge Gedanken sind. Wenn Sie auch möchten: Hier steht der Film zur Verfügung.

Zum Abendessen gab es nach einer Suppe Tomaten mit frischem Basilikum und Mozzarella – zum Glück Kirschtomaten, die nicht in der Kühlung getötet worden waren. Dazu Butterbrot, ich wurde wieder satt.

Den Abend vertrieb ich mir mit weiteren lang eingemerkten YouTube-Filmchen, unter anderem diesem Vortrag von Michaela Coel, einer britischen Comedian.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre: Alicia LaPlante, Turn of Mind.

Celeste Ng, Little Fires Everywhere gefiel mir gut. Der US-Suburbia-Roman ist wohl ein eigenes Genre, mir fallen als Vertreter ein Richard Yates und Evan S. Connell, Mrs Bridge. Klassischerweise werden darin Lebensmodelle hinterfragt, so auch hier. Die zwei einander gegenübergestellten sind: Zum einen die weiße Familie Richardson, die in Ohio in der etablierte Siedlung Shaker Heights leben, wohlhabend, vier jugendliche Kinder, zum anderen die junge Künstlerin Mia und ihre Teenagertochter Pearl, denen die Richardsons eine Wohnung in einem schlichteren Siedlungshaus vermieten. Dass das Ganze nicht gut ausgehen wird, setzt gleich mal der Beginn des Romans: Eine Richardson-Tochter wird am Ende ihr Elternhaus in Brand gesetzt haben.

Ich fand das Buch wirklich gut gemacht, weiß aber nicht, ob ich mir den sense of doom, der als dunkle Wolke über der Geschichte hing, nur einbildete – vielleicht geprägt von all den anderen Suburb-Romanen. In diesem Fall endeten die Dinge nicht halb so katastrophal, wie ich befürchtet hatte. Nur eine strukturelle Mäkelei, und die ist lediglich mein persönlicher Geschmack: Die Motivation und Psychologie hinter den Handlungen der Figuren wurden mir fast immer explizit erklärt (telling statt showing), mir ist es lieber, wenn diese Dinge meiner Interpretation überlassen werden.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 23. Oktober 2020 – Flashbacks an Schulzeit

Samstag, 24. Oktober 2020 um 7:42

Eher gute Nacht, ich nehme sie, wie sie kommen.

Die Münchner Nach-Reha-Einrichtung hatte um die Verordnung gebeten, ich hatte sie beim Gegenzeichnen in meinem Zimmer fotografiert und schickte die Bilder.

Der Reha-Tag startete mit einem Vortrag “Ergother. Gr. ADL.” (letzteres Activities of Daily Living) mit Alltagstipps nach Hüft-OP: Ganz ausgezeichnet und kompetent – nur dass ich diese Infos gleich am Anfang meiner Reha hätte brauchen können. Waschen, eincremen, anziehen habe ich halt irgendwie hingekriegt mit der zentralen Auflage, das Becken nicht mehr als 90 Grad zu beugen, dabei gibt es dafür Hilfe. Die Referentin wusste um die oftmals terminliche Schieflage, bat um Beschwerde auf dem Feedbackbogen.

Auf Fußstatik ein paar Tage zuvor folgte Fußdynamik als Gruppengymnastik, ich nahm mir Regelmäßigkeit vor.

Zeit für einen Krückenausflug bei mildem, schönen Wetter in die Umgebung.

Wasserbüffel. Auch wenn hier Tegernsee ist.

Unterwegs erreichte mich der Anruf der Nach-Reha-Einrichtung, ich vereinbarte gleich mal den ersten Termin für Untersuchung und Einführung Anfang November.

Zum Mittagessen gab es Gnocchi mit Tomatensoße, davor Salätchen, danach Erdbeerquark.

Physio-Termin, es gab einiges Schmerzhaftes um die Hüfte wegzudrücken. Bewegungsschiene im Anschluss.

Letzter Termin des Tages war Wassergymnastik. Der Trainer ließ uns zu den Gehübungen Dinge mit den Armen und Styroporscheibchen machen – zum ersten Mal fror ich nicht im Wasser.

Die Physio- und Sportabteilung hat sehr viele Angestellte, bislang wurde noch jede Gruppeneinheit von einer/einem anderen geleitet. Das bedeutet, dass ich täglich mehrfach Flashbacks an meine Schulzeit habe, denn zu Beginn wird die Anwesehnheit der Teilnehmenden durch Vorlesen der Namen geprüft. An der Stelle mit *Zögern, Zögern*, *Tief Luftholen* oder “Oh Gott, wie spricht man das denn aus?!” sage ich, wie halt zu Schulzeiten: “Das bin ich. Gutiérrez.” Übrigens als einzige, die Behandelten sind nicht entfernt so divers wie die Angestellten. Ich wünsche mir weiterhin einen Fußballspieler meines Namens in der Männermannschaft von Bayern München, bitte. Dann hätte das für zumindest die nächsten zehn Jahre ein Ende. (Der Name ist wirklich nicht kompliziert. Wenn ich mich in der Arbeit am Telefon damit melde, sprechen mich 70 Prozent der Anrufenden im Lauf des Gesprächs problemlos damit an.)

Diesmal hatte ich zur Überbrückung einen Snack auf dem Zimmer: Müsliriegel und Apfel vom Frühstück.

Zum Abendessen gab es Matjes mit Kartoffeln, vorher Suppe, dazu Vollkornbrot. Wieder wurde ich angenehm satt.

§

Nachruf der Süddeutschen auf ihre Feuilleton-Sekretärin:
“Zum Tod von Judith Silberer”.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 22. Oktober 2020 – Erste Pläne für danach

Freitag, 23. Oktober 2020 um 7:55

Turnusmäßig eher schlechte Nacht.

Der Tag startete mit Blutabnahme; dieser abnehmende Arzt hinterließ zumindest keinen riesigen blauen Fleck auf dem Arm wie der Herr bei der Aufnahme.

Gruslige Entdeckung auf dem Weg ins Arztzimmer: Hier sind sogar die Krankenzimmermöbel verzirbelnusst.

Das Wetter war morgenkalt, aber schön, nach dem Frühstück (nur Tee) spazierte ich noch ein wenig durch den Klinikpark.

Der Springbrunnen war bereits eingewintert.

Vormittagsprogramm: Pilates, Lymphamat, kurze Visite.

Ich genehmigte mir einen Cappuccino, dessen Koffein mir allerdings nicht besonders gut tat, sondern mich zittrig und unleidlich machte.

Mittagessen Spinatknödel in Tomatengemüse – letzteres überdeckte leider jeglichen möglichen Spinatgeschmack. Zum Nachtisch Birnenkompott.

Arztgespräch zum Wie geht’s weiter. Das Prinzip Nach-Reha/IRENA kannte ich ja schon vom vergangenen Jahr, allerdings möchte ich nicht wieder in dieselbe traurige Nach-Reha-Klinik und hatte schon eine Alternative in Nord-München recherchiert. Die meldete sich auf meine Anfrage-Mail sofort zurück: Ja, hat Platz.

Das Nachmittagsprogramm startete mit Bewegungsschiene und Fango, Sporteinheit als letztem Termin – ich konnte mir also viel Zeit lassen und alle Übungen machen.

Nochmal zu Kleidung: Unter anderem habe ich zwei der drei klassischen Baumwoll-T-Shirts mit Spruch drauf in meinem Besitz dabei (gibt es dafür eine Bezeichnung in Abgrenzung zu T-Shirts, die einfach farbig oder geringelt sind? Band-Shirt?), um sie hier aufzutragen. Stellt sich heraus: Selbst an Kraftgeräten trage ich lieber Funktionskleidung, ich werde sie wohl ausmisten.

Auch gut an dem relativ späten Sporttermin: Der Hunger, den ich wieder zwischen vier und fünf bekam, war nicht so schlimm. Fünfeinhalb Stunden zwischen Mittag- und Abendessen sind für meinen Essrhythmus einfach zu lang. Ich stürzte mich aufs Abendbrot: Suppe, dann Käseplatte mit Trauben und Brot, es war reichlich.

§

Ein erleichternder Beschluss des Münchner Stadtrats (war immer wieder Thema in Bürgerversammlungen):
“3000 Radl-Parkplätze für den Hauptbahnhof”.

Mich verdutzt allerdings eine Rechtslage, die offensichtlich die Deutsche Bahn nicht nur von der Verpflichtung befreit, Radabstellplätze an einem Großstadtbahnhof bereitzustellen, sondern ihr sogar ermöglicht, dafür von der Kommune ordentlich Miete zu kassieren.

§

Johnny Häusler und Familie wohnen in Berlin und mussten nach der Corona-Infektion einer der Söhne die zugehörige Bürokratie durchspielen:
“Erkenntnisse aus zwei Wochen Corona-Quarantäne mit der Familie”.

die Kaltmamsell