Journal Freitag, 27. Dezember 2019 – Schwimmglück
Samstag, 28. Dezember 2019 um 9:08Schade, dass Weihnachten rum ist. Dieses Jahr ging der Advent wie im Zeitraffer vorbei (ich verräumte gestern Ausstecherle für Plätzchen, die ich eigentlich noch hatte backen wollen), zum Ausgleich war mir an Weihnachten das Weihnachtliche noch nicht über.
Ein Regentag. Ich hatte eine Schwimmrunde im Olympiabad geplant und musste mich auf eine U-Bahn-Fahrt dorthin einstellen. Eilig hatte ich es aber nicht: Ich vertrödelte den Morgen, so dass ich erst um elf ankam. Und feststellte, dass ich meinen Sporttoilettbeutel daheim vergessen hatte. Ich beschloss, dass das egal war: Geduscht hatte ich ja daheim, die Haare würden halt nur mit Wasser ausgespült, und schmutzig oder verschwitzt würde ich nach einer Stunde im Chlorwasser auch nicht sein. Den Chlor-Hautgout würden die anderen Menschen in der U-Bahn schon aushalten.
Der Haupteingang ist wieder benutzbar, es gibt wieder einen Blick von oben aufs Schwimmbecken. (Und auf die gestern herrlich leeren Bahnen.) Die riesige Fensterfront ist noch in Renovierung.
Die seltsame Wabenform der Umkleiden wurde beibehalten, lediglich die Farbe war etwas gedeckter geworden.
Das Schwimmen fühlte sich großartig an, meine Hüfte spürte ich, doch sie bereitete keine Probleme – dennoch genehmigte ich mir nur 2.200 Meter.
(Leichte Chlorausdünstungen nur für das geübte Auge sichtbar.)
Herr Kaltmamsell musste arbeiten, die Lebensmitteleinkäufe erledigte also ich auf dem Rückweg im Biosupermarkt. Weitere Besorgungen, für die ich jetzt Muße gehabt hätte, verschob ich, weil das Wetter einfach zu greislich war.
Zum Frühstück gab es nochmal Reste: Brot und Rillettes, eine Orange mit Joghurt, Plätzchen.
Aus einem kleinen Blaukrautkopf aus Ernteanteil machte ich Rohkostsalat, angelehnt an dieses Rezept (ohne Feigen, anderer Essig, braune Zwiebel). Schmeckte sehr gut, aber die Zwiebel würde ich das nächste Mal weglassen.
Mail ans Hotel in Venedig mit unserer Ankunftszeit – und dem Hinweis, dass wir Gummistiefel dabei haben werden, weil uns die Situation bewusst ist, und dass wir wenn nötig auch gerne mit anpacken, sollte es ein weiteres Hochwasser geben (zu Weihnachten schwappte es wohl schon wieder).
Ich fühlte mich cool by proxy: Zwei Handvoll Menschen in meiner Twitter-Timeline twittern vom Chaos Communication Congress in Leipzig.
Judith Kerr, Bombs on Aunt Dainty ausgelesen: Der autobiografische Roman, der sich When Hitler Stole Pink Rabbit anschloss, gefiel mir bis zuletzt sehr gut (definitiv kein Kinderbuch). Er vermittelte mir viele, auch atmosphärische Alltagsdetails der Bombenangriffe auf London im Zweiten Weltkrieg, das langsame Abstumpfen der Todesangst, die Sonderstellung der Flüchtlinge, die damals ebenso ausgegrenzt und mit denselben Argumenten geschmäht wurden wie heute. Mittendrin die Hauptfigur der jetzt 18-jährigen Anna, die sich nur am Rande um sowas wie Bildung und Ausbildung kümmern kann, weil sie dringend Geld für ihren und den Lebensunterhalt ihrer Eltern verdienen muss. Dennoch schafft sie sich Zeit für Zeichenkurse, auch ihre künstlerische Entwicklung wird nachvollziehbar geschildert. Empfehlung!
Neben Blaukrautsalat gab es zum Nachtmahl Spaghetti Carbonara (Herr Kaltmamsell wollte seine große Carbonara-Begabung dadurch verhöhnen, dass er andere Nudeln zur Auswahl stellte – unter Wehlauten abgelehnt).
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Sascha Lobo in einem taz-Interview über den Paragrafen 219a:
“‘Ich glaube an My body, my choice'”.
Balance auf dem schmalen Grat, die Aufmerksamkeit zu nutzen, die Sascha mehr bekommt als die eigentlichen Aktivistinnen zu dem Thema, ohne sich in den Vordergrund zu schieben:
Ich habe das Privileg, mit Privilegien überhäuft zu sein. Als wirtschaftlich unabhängiger, mittelalter, weißer, weitgehend heterosexueller Cis-Mann mit großer medialer Reichweite kann ich mir aussuchen, wofür ich kämpfe. Ich habe keinen eigenen Kampf, denn die heutige Gesellschaft ist bereits um meine Bedürfnisse herum gebaut. Das kann man zum Beispiel an meiner Frisur erkennen. Sie ist einigermaßen lächerlich – und trotzdem werde ich überall gebeten zu sagen, was ich denke. Eine schwarze Frau mit einer solchen Frisur würde in der deutschen Öffentlichkeit wahrscheinlich viel weniger ernst genommen werden.
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Igel in Irland – ein ganz bezaubernder Twitter-Thread.