Journal Freitag, 13. Dezember 2019 – Innereiengespräche und Stollentausch

Samstag, 14. Dezember 2019 um 8:26

Die Nacht verlief überraschend schmerzarm: Das sind halt einfach blaue Flecken an Rippen und Knie. Wach haltende Unruhe wurde eher von ein paar offenen Arbeitsdingen erzeugt, die mich entweder große Überwindung kosteten oder im Grunde unlösbar waren. Um halb sechs gab ich auf und verließ das Bett. Crosstrainer-Pläne hatte ich bereits gestrichen – sogar mir dämmerte, dass sportliche Bewegung bescheuert gewesen wäre. Ich genoss die zusätzliche Zeit vor der Arbeit, hängte Wäsche auf, bloggte gemütlich, genoss meinen Morgenkaffee.

Das Fahrrad ließ ich (wegen offensichtlich bescheuert) stehen, mit Tram und U-Bahn in die Arbeit.

Angstarbeiten. Ich scherze ja gerne bei Arbeitsproblemen, deren Lösung ich nicht in der Hand habe, meine Unterstützung liege im Anzünden von Kerzen vor Wallfahrtsaltären. Meinte ich das ernst, hätte ich derzeit einen klimaschädlichen Kerzenverbrauch.
(Und wie groß die Erleichterung ist, wenn ich Unvorhergesehenes schnell lösen kann – weil es ja bloß an mir liegt!)

Die Fahrradsturzbeschwerden machten die umgekehrte Entwicklung vom Vortag: Sie ließen immer weiter nach, bis ich nur noch wie vorher hüfthumpelte. Super für meine wochenendlichen Sportpläne!

Eine Gruppe Krähen am Himmel beobachtet, die sich von den starken Böen tragen ließ, ganz hoch, zur Seite, im Kreis – es sah nach einer Menge Spaß aus.

Früher Feierabend, ich war fürs Abendessen zuständig (Herr Kaltmamsell besuchte nach der Arbeit erst noch einen Freund). Geplant waren spanische Knoblauchnierchen. Also nahm ich eine S-Bahn zum Marienplatz und spazierte durch viele, viele Christkindlmarktbesucher zum Metzger Eisenreich auf dem Viktualienmarkt, der auf Innereien spezialisiert ist. Die Schweinenieren bekam ich problemlos, dann fragte ich fürs Wochenendessen nach Rinderzunge: Ja, auch die gab es, und zwar gepökelt. Herr Metzger fürchtete zwar, das Exemplare, das er mir hinhielt, könnte zu groß sein, aber ich versicherte ihm, dass wir die über ein paar Tage schon wegessen würden. Austausch von Zubereitungspräferenzen.

Auf dem Heimweg über die Sendlinger Straße besorgte ich noch Schuhcreme (meine edlen weinroten Schnürstiefel sollen möglichst lange halten und dabei möglichst lange edel aussehen), dann ein paar Dinge von der Einkaufsliste im Biosupermarkt (Petersilie, Käse, Joghurt, Rapsöl), das Weißbrot zu den Nierchen bekam ich kurz vor sechs erst bei der dritten Bäckerei (ein gutes Zeichen – wären um diese Zeit die Bäckereiregale noch voll, müsste wenig später alles weggeworfen werde).

Daheim kurzes Umpacken, dann spazierte ich mit einem halben selbst gebackenen Stollen zu einem Freund, mit dem ich Stollentausch vereinbart hatte: Er bäckt nach einem interessant klingenden Rezept.

Herr Kaltmamsell kam heim, es gab die Nierchen.

Als Wein dazu einen, auf den ich Lust hatte (im Gegensatz zur Abstimmung aufs Essen): Weißen Auxerrois hatte ich in Luxemburg kennengelernt und sehr gemocht, dieser stammte aus Baden vom Weingut Wöhrle – ein feiner Jasminhauch, im Mund mineralisch und frisch, sehr gut!

Schon am Vorabend hatte ich Granta 149: Europe: Strangers in the Land ausgelesen. Endlich wieder eine richtig gute Ausgabe Granta (nicht dass die anderen schlecht gewesen wären, aber das Niveau dieses Literaturmagazins ist halt so hoch, dass ich verwöhnt bin): Das Thema Europa wird mit Familienerinnerungen an den Holocaust bearbeitet und wie viele Generationen die Shoa prägt, mit Geschichten, die sich ganz selbstverständlich über mehrere Länder Europas erstrecken, mit journalistischen Langstrecken in Foto oder Text zum aktuellen Thema Einwanderung und Flucht. Weniger ergiebig war für mich das Sonderformat der verstreuten Kurzstatements über Europa von verschiedenen, teils sehr namhaften Autorinnen und Autoren.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 12. Dezember 2019 – Das war Eis

Freitag, 13. Dezember 2019 um 6:35

Ich hörte noch direkt hinter mir radelndes kleines Schulkind 1 einem radelndem kleinen Schulkind 2 zurufen: “Das ist Eis!” Da lag ich schon der Länge nach bäuchlings auf selbigem und konnte die Schulkinder informieren: “Ja, das ist Eis.” Auf dem Platz beim Deutschen Verkehrsmuseum war das zudem schmelzendes Eis, das meine Hosenbeine gründlich nass machte. Schulkind 1 erkundigte sich fürsorglich, ob alles in Ordnung sei (ich war überrascht und gerührt). Nachdem ich wieder stand und mich einmal geschüttelt hatte, konnte ich versichern: “Ja, alles in Ordnung.”

Die Hose war nach nicht mal einer Stunde im Büro wieder trocken, und künftig werde ich die Mahnung des umsichtigen Schulkinds 1 berücksichtigen, das ich beim Weiterradeln sagen hörte: “Lieber schieben.”

Im Lauf des Tages stellte sich allerdings heraus, dass dann doch ein paar Rippen rechts und das rechte Knie beleidigt waren. Und immer beleidigter schmerzten. Zudem: Ich weiß ja nicht genau, wie sich Schleudertrauma anfühlt, aber ich kann mir vorstellen, dass der zugehörige Nacken dabei so zieht.

Eigentlich war ich beim Radeln gerade in weiteren Gedanken über das Theatererlebnis am Vorabend gewesen, das mir immer besser gefiel. Mir wurde klar, dass ich im Grunde zum Thema Robotik das häufige OH MEIN GOTT WIR WERDEN ALLE STERBEN erwartet hatte. Dabei ist es doch immer wieder die Kunst, die grundlegende Technikwandel mit Neugier umarmt und künstlerisch durchprobiert. (Im Gegensatz zum Feuilleton.) Außerdem freute ich mich daran, Theater darin erlebt zu haben, was nur Theater kann Es brauchte diesen realen Raum und das direkte Erleben des Malle-Automaten, um darauf reagieren zu können, es brauchte die Konventionen des Verhältnisses Bühnengeschehen-Zuschauer.

Im Techniktagebuch-Redaktionschat, wo ich von der Aufführung schwärmte, wies jemand auf die besondere Bedeutung des Begriffs Maschine im Zusammenhang mit Theater hin. Fürs Techniktagebuch schrieb ich das Erlebnis nochmal auf.

Zum abendlichen Reha-Sport ging ich trotzdem, ich wollte den Abschluss des Programms Ende Januar, den ich herbeisehne, nicht durch eine Absage des Termins verzögern. Eine Runde sanfte Gruppengymnastik auf Wackelkissen: ging. Bei meiner Runde in der Gerätehalle musste ich nur die Beinpresse sofort abbrechen, zu diesem Zeitpunkt wollte sich das beleidigte Knie nicht mehr biegen lassen. Dieser Umstand machte auch das Heimradeln beschwerlich.

Zuhause erwartete mich Herr Kaltmamsell mit gefüllten Kartoffelplätzchen, die ich mir nach Lesen des Rezepts gewünscht hatte: Wohlschmeckend und sehr sättigend. Aber ein wenig albernes Speiseeiserl passte schon noch hinterher.

Bewegen war mittlerweile eine ziemliche Anstrengung geworden, ich machte mich auf eine schlimme Nacht gefasst.

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Auf Twitter wurde am Mittwoch gefragt:

Ich antwortete schon am Mittwoch ohne viel Nachdenken:

Soziologie studieren, einen Hund haben, Freunde in ganz Deutschland besuchen, mit dem Schiff nach Tel Aviv reisen, mit dem Zug nach Lissabon.

Das stimmt auch mit viel Nachdenken noch. Zudem: Mich nach weiteren Ehrenämtern umsehen (Wahlhilfe und Schöffinendienst weitermachen), vielleicht E-Bass lernen. Und mir fallen noch mehr Reiseziele ein, die ich mit so viel Zeit klimafreundlich langsam erreichen könnte, datunter Stockholm, Istanbul. Was ich ganz sicher nicht unter den oben beschriebenen Umständen täte: erwerbsarbeiten.

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Expertinnen meines persönlichen Dunstkreises weisen ja schon seit Jahren faktenreich darauf hin, dass die Furcht vor Aluminium in Deos unbegründet ist. (Und dass die eigentliche anti-transpirante Wirkung davon abhängt.) Aber Körperpflegeprodukte “ohne” lassen sich heutzutage halt einfach besser verkaufen. MedWatch hat sich die Studienlage angesehen:
“Bloße Panikmache? Alu-Deos sind laut neuen Studien sicher”.

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Geht doch:
“Merriam-Webster Singles Out Nonbinary ‘They’ For Word Of The Year Honors”.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 11. Dezember 2019 – Theater?

Donnerstag, 12. Dezember 2019 um 6:50

Unglaubliche Spannung schon seit dem Vorabend: Würde ich es rechtzeitig aus der Arbeit schaffen, um noch genug Energie für einen Theaterbesuch aufzubringen? Würde ich es zum Theater schaffen? Würde die Vorstellung tatsächlich stattfinden? Mein Leben könnte von Robert Zemeckis geschrieben sein.

Davor aber: Frühes Aufstehen für eine Runde Crosstrainer, Dehnen, Bankstütz. Auf dem Crosstrainer hörte ich Musik und fühlte mich so wohl, dass ich viel länger strampeln hätte können – und mich sehr bewusst daran erinnern musste darauf zu achten, ob da irgendwas weh tut. Paradoxerweise führt leichte sportliche Bewegung offensichtlich bei mir dazu, dass ich meinen Körper vergesse.

Radeln in die Arbeit unter klarem Himmel. Auf der Theresienwiese gefrorene Pfützen umsessen von vereinzelten Krähen, darüber zogen Möwen.

Ruhige Arbeit, mittags ein Kopf Radicchio mit Balscamico-Ahornsirup-Thymian-Dressing. Spannungslösung 1: Ja, ich schaffte es deutlich früher als sonst das Büro zu verlassen.

Beim Heimradeln bemerkte ich riesige Lust auf eine Bratwurst. Und da ich erwachsen bin und genug Geld habe, konnte ich einfach mein Rad abstellen, zum Christkindlmarkt am Sendlinger Tor spazieren und eine Rengschburger spezial kaufen. Die mir ausgezeichnet schmeckte.
Davor hatte ich wie geplant einen Abstecher zum Spanischen Früchtehaus an seiner Übergangsadresse Rosental gemacht und erfahren, dass der Laden Ende Januar zurück ins Ruffinihaus zieht.

Daheim Brotzeit für Donnerstag zubereitet: Karottensalat (wenn auch ohne Koriander).

Herr Kaltmamsell war beruflich unterwegs, also machte ich mir zum Nachtmahl selbst ein paar Nudeln, die ich mit frische roter Paprika und Joghurt vermischte.

Spannungslösung 2: Ja, ich ich ging ins Theater, Kammer 3, gemütlich zu Fuß (auch wenn ich ab der Hälfte der Strecke ahnte, dass ich meine Hüfte mal wieder überschätzte). Und Spannungslösung 3: Die Vorstellung fand statt. Ich sah Unheimliches Tal / Uncanny Valley.

Der Titel ist ein Fachbegriff aus der Robotik und bezeichnet den scheinbar paradoxen Effekt, dass Menschen “hochabstrakte, völlig künstliche Figuren mitunter sympathischer und akzeptabler [finden] als Figuren, die besonders menschenähnlich bzw. natürlich gestaltet sind” (Das und mehr bei Wikipedia.). Die einstündige Performance setzte das um.

Autor Thomas Melle hielt einen Vortrag – nein, eine Maschine, die ihm nachgebildet war und ihn mit “ich” verkörperte, hielt mit seiner aufgezeichneten Stimme einen Vortrag: über Thomas Melle und Alan Turing, über die Fehlerhaftigkeit des Menschen (zum Beispiel in Form der bipolaren Störung, an der Melle erkrankt ist) und über die Alternativen, die Maschinen dazu bieten können. Auf einer Schultafel-großen Leinwand wurden dazu Interviews gezeigt zu maschineller Unterstützung (hier tauchte @ennopark mit seinem Cochlea-Implantat auf, ich war versucht zu winken), zu den Grenzen maschineller Selbstbestimmung. Und es wurde als Film gezeigt, wie die Thomas-Melle-Maschine entstanden war, die wir gerade vor uns sahen.

Immer wieder thematisierte der Vortrag die konkrete Situation in dieser Vorführung, sprach die Stimme uns Zuschauende an, wies abschließend darauf hin, dass wir ruhig applaudieren könnten – auch wenn wir das in dieser Situation ja nur für uns selbst täten.

Entsprechend herrschte nach einer Stunde leise Ratlosigkeit, ob die Vorführung nun zu Ende war. Die Inszenierung half uns nicht mit Licht, das den Zuschauerbereich erhellt hätte, statt dessen errichteten zwei Bühnenarbeiter eine Absperrung um den Aktionsbereich auf der Bühne. Nach und nach standen Zuschauerinnen und Zuschauer auf und sahen sich die Melle-Maschine (die immer noch blinzelte und leichte Handbewegungen machte) genauer an.

Eine sehr anregende Stunde (und genau richtig lang) mit klugen und offenen Überlegungen zur menschlichen Psyche, die Formbarkeit von Erinnerung, zu menschlichen Schwächen, Maschinentum – Empfehlung. Auch wenn der Altersschnitt im Publikum wie immer hoch war, sah ich Menschen, die ich zumindest auf unter 30 schätzte – allerdings neige ich dazu, diese Altersklasse sofort als Fachpublikum aus Studium oder Beruf einzustufen.

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Behind the scars: Eine Website (Fotoprojekt), auf der Menschen die Geschichten ihrer Narben erzählen.

via @formschub

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Ein instagram-Account macht mir Lust auf Sticken: nämlich die Landschaften von chromato_mania.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 10. Dezember 2019 – Auffassungen von “gemeinsam kochen”

Mittwoch, 11. Dezember 2019 um 6:22

Der Dezember wird wieder lang, selbst wo ich diesmal ein paar Tage früher in Ferien gehe.

Kalter Tag, viel Arbeit, viele Besprechungen, Sorgen. Mittagessen Nudeln mit Kürbis und Salbei vom Vorabend (in der Mikrowelle erwärmt, ich kann Mikrowelle!), die Kerne eines großen Granatapfels.

Beim Heimradeln kehrte ich in den Vollcorner ein, um fürs Abendbrot einzukaufen, nämlich für wärmendes Comfort Food Shakshuka.

Das kochten Herr Kaltmamsell und ich gemeinsam, also er schnippelte, briet und rührte, ich trank den restlichen Weißwein vom Vorabend (die Luft hatte ihm gut getan, schmeckte vielfältiger), machte ein bisschen an der Geschirrspülmaschine herum, die mal wieder einen Reinigungsdurchlauf brauchte. (Herr Kaltmamsell deutete an, dass er das nicht für “gemeinsam kochen” hielt.)

Ich genoss das Essen sehr. Zur Nachspeise eine abgefahrene Eissorte von Ben & Jerry’s mit rose Schokoladenherzen drin, nett.

Lustiger Austausch mit einer Kalt-Verkäuferin auf instagram: Kein Kontakt von mir, das Konto mit einer Frau im Profilbild hatte mich mit einer Nachricht kontaktiert “Ich würde dich gerne was fragen” (Smiley, natürlich). Auf mein “Ja bitte?”: “2019 neigt sich ja dem Ende zu und da wollte ich dich fragen, ob du motiviert wärst nochmal Vollgas für deine Gesundheit und körperlichen Ziele zu geben, um voll motiviert ins neue Jahr zu starten?” (Gefolgt von drei Emoticons.)
Meine Rückfrage: “Sind Sie Spam?”
“Ich bin Micro-Influencerin. Kein Spam.” (Nur ein Smiley.)
Ich wieder: “Welches Micro influencen Sie denn?”
“Also Micro-Influencer sind ja Menschen wie ich, die über Socialmedia mit einer Kooperationsfirma zusammen arbeiten. Wir sind Ambassador der Company, d.h. wir empfehlen deren Produkte und Konzepte weiter, mit dem wir Menschen helfen, ihre Ziele zu erreichen. Hast du denn ein körperliches Ziel.” (Zwei Emoticons. Alle Schreibungen genau so.)
Daraufhin fragte ich, ob sie auch Produkte gegen Bandscheibenvorfälle und Hüftschmerzen verkauft. Und merkte an, dass sie mich sehr an die Verkaufsstände in der Fußgängerzone erinnere, die den neuesten Gurkenhobel anpreisen. (Keine Reaktion mehr.)
Werde diese Verkaufsstände ab sofort RL-Micro-Influencer nennen.
(Ob es wohl genug davon gibt, dass Lektorat und Korrektorat für Influencer-Texte ein Geschäftsmodell wäre?)

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Ich habe der Einrichtung “Best Practice” früh zu misstrauen gelernt: In einem früheren Leben, in dem ich noch Managerinnen-Fortbildungen absolvierte, entdeckte ich in jeder dieser “Best Practice”-Fallgeschichten unzählige Umstände, die nur für dieses Beispiel galten, nicht übertragbar waren und im Beispiel zum Erfolg geführt hatten.
Deshalb: Diese BVG-Kampagne ist hinreißend – aber sicher kein Vorbild für irgendwen anders.

https://youtu.be/1Pipy_7nyr0

die Kaltmamsell

Journal Montag, 9. Dezember 2019 – Lange Winterschatten

Dienstag, 10. Dezember 2019 um 6:49

Nach mittelguter Nacht noch vor dem frühen Wecker aufgewacht. Genug Zeit für seliges Crosstrainer-Strampeln und eine Runde Dehnen plus Kräftigung.

Radeln in die Arbeit durch einstellige Plusgrade.

Mittelschlimme Arbeit, dazwischen zu Mittag ein paar Kürbischnitze vom Vorabend mit einem Stück Käse und einer Breze. Nachmittags zwei Orangen.

Kurzer Hofgang – so lang sind winterliche Schatten um halb zwei.

Langer Arbeitstag, an dessen Ende ich erledigt und fertig mit der Welt war. Dennoch überwand ich mich, auf dem Heimweg einen kurzen Einkaufsstopp einzulegen: Obst und Gemüse für Brotzeit, dazu Eiscreme für alle Fälle.

Daheim den Plätzchenteig zu Schneeflocken verarbeitet.

Dann freute ich mich sehr auf Alkohol: Es wurde ein nordspanischer Weißwein Marisa, von dem ich mir erhoffte, dass er gut zu dem Abendessen passen würde, das Herr Kaltmamsell zubereitete – auf meinen Wunsch hin Nudeln mit Kürbis und Salbei.

Das Gericht schmeckte sehr gut, der Wein passte aber nicht so recht – obwohl auch er gut schmeckte.

Neues Erstaunen über Kosmetikverkauf. Ich war morgens verdutzt gewesen, dass die teure Augencreme zur Neige zu gehen schien: Da ich davon ja immer nur winzige Tupfer brauche, hält eine Packung normalerweise sehr lang, und die sah auch noch besoners groß aus.

(Zahnbürstenköpfe als Größenvergleich.)

Als ich den Behälter aufschraubte, um an den Rest zu kommen, stellte ich fest, dass die tatsächliche Tube darin winzig war.

Ich weiß nicht, was mich mehr abstößt: die Materialverschwendung oder die optische Schummelei.
Die nächste Augencreme (im Gesicht verwende ich sonst nur Gesichtswasser) wird wieder eine Tube.

§

Oh! Feministing macht zu! (Und andere feministische Web-Plattformen.)
“A Farewell to Feministing and the Heyday of Feminist Blogging”.

Bei dieser Gelegenheit merke ich durchaus, wie selten ich in den vergangenen Monaten dort gelesen habe. Aber in meiner persönlichen feministischen Geschichte hatte dieses Online-Magazin eine Schlüsselrolle. 2004/2005 nahm ich die Website noch als Gemeinschaftsblog wahr – und was für eines! Hier lernte ich jungen Feminismus einer neuen Generation kennen: Einen, der Missstände klar benannte, strukturelle Ursachen analysierte – und endlich alle Frauen meinte, von und vor allem mit allen Frauen sprach, der herausarbeitete, dass es strukturelle Mehrfachdiskriminierung gibt (u.a. Frauen of colour, behinderte Frauen, Frauen aus der Arbeiterschicht). Der die Selbstbestimmung von Frauen als Ziel in den Vorergrund rückte und sich auch solidarisch erklärte mit selbstbestimmtem Hijab-Tragen und selbstbestimmter Sexarbeit. Kurz: Feministing machte meinen Feminismus zu dem, der er heute ist. (U.a. 2007 das Buch von Gründerin und Autorin Jessica Valenti, Full frontal feminism.)

Tief empfundener Danke dafür. Viele, viele Autorinnen arbeiten und schreiben heute in den Redaktionen etablierter Medien. Time to move on.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 8. Dezember 2019 – Rückreise durch drei Länder

Montag, 9. Dezember 2019 um 6:08

Aufgewacht nach sehr gutem (!) Schlaf, vom Wecker geweckt zu einem sonnigen Tag.

Frühstück bei den Gastgebern vom Vorabend. Es war sehr schön, erst jetzt Abschied nehmen zu müssen.

Bus zur Bahn, Zug zurück nach Zürich. Abenteuer 1: Ein Klo, durch dessen Schüssel man auf die Gleise sehen kann, hatte ich schon sehr, sehr lang nicht mehr gesehen. Abenteuer 2: Am letzten Bahnhof vor Zürich stieg eine Frau zu, der beim Abfahren auffiel, dass sie ihre Handtasche im Vorgängerzug vergessen hatte, mit Geldbeutel, Fahrkarte, allem. Sie fragte uns um Rat, Herr Kaltmamsell versuchte Personal zu finden, das den anderen Zug hätte verständigen können, doch es war kein Schaffner, keine Schaffnerin da. Uns fiel auch keine andere Lösung ein, als sich im Zürcher Bahnhof ans Bahnpersonal zu wenden.

Wir hatten noch Zeit, uns am Zürcher Bahnhof Brotzeit zu holen (Panini, Schokocroissant), spazierten zum Busparkplatz.

Auf der Rückfahrt las ich Kathrin Passig, Vielleicht ist das neu und erfreulich und freute mich mal wieder an ihrem Aufspüren von Haltungen hinter den Haltungen, sich selbst gegenüber mindestens so skeptisch.

Abenteuer 3: Wenige Minuten nach der österreichisch-deutschen Grenze hielt der Bus in einer Bucht, Passkontrolle der (sehr freundlichen) Polizei – auch das hatte ich viele, viele Jahre nicht mehr erlebt. Das Sitzen wurde minütlich unangenehmer, ich versuchte mich wenigstens im Gang halb aufzurichten und kurz ein wenig anders hinzudrehen.

Kurz vor München der erste Stau der Reise, so trafen wir mit 15 Minuten Verspätung am ZOB ein. Die Luft war mild, ich genoss es, zu Fuß heim zu gehen.

Zu Hause Ausbruch von Häuslichkeiten: Zwei Maschinen Bettzeug und Handtücher, Plätzchenteig für Schneeflocken nach Frau Mutti.

Telefonat mit meiner Mutter: Seit einem Jahr essen die Nifften ja kein Fleisch und keinen Fisch mehr, sie sucht nach vegetarischen Rezepten, auch für Weihnachten. Ich gab gleich mal zwei meiner Favoriten weiter: Krautstrudel aus Österreich vegetarisch, die seit über 25 Jahren bewährte Linsen-Moussaka aus Delia Smith’s Complete Cookery Course musste ich erst mal übersetzen.

Zum Nachtmahl Spalten vom Butternut-Kürbis (Ernteanteil) aus dem Ofen, dazu servierte Herr Kaltmamsell Omelett mit Manchego-Käse. Im Fernsehen lief ein wirrer Polizeiruf (ich hatte von nicht-realistischen Erzählen gelesen und durchaus deshalb hingeschaltet), der so gewollt und aufgesetzt wirkte wie manche zeitgenössische Theater-Inszenierung.

Wohnungräumen mit schwerem Herzen, weil eine weitere unangenehme Arbeitswoche anstand.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 7. Dezember 2019 – Geburtstagsfeier in bei Basel

Sonntag, 8. Dezember 2019 um 18:04

Frühes Aufstehen, um vor dem Aufbruch noch bloggen und bankstützen zu können.

Herr Kaltmamsell wollte gerne sehr rechtzeitig am Zentralen Omnibusbahnhof ZOB sein, also hatten wir noch reichlich Zeit zum Brotzeitbesorgen und uns umzusehen. Der IC Bus, den uns die Deutsche Bahn sowohl online als auch am Schalter als Bahn(!)-Verbindung verkauft hatte, stellte sich als eine von neun Direktverbindungen zwischen Städten heraus, die die Deutsche Bahn jetzt per Bus bedient. Die alternative Verbindung über Lindau und Friedrichshafen (Zug, Bus, Zug) hätte einmal Umsteigen und anderthalb Stunden Fahrtzeit mehr bedeutet. (Außerdem ist Reisebus tatsächlich das CO2-freundlichste Reisemittel, umso mehr, wenn er voll besetzt ist.) Wir zahlten für zwei Personen hin und zurück (beide Bahncard 25), als Supersparpreis 75 Euro.

Der Reisebus war zweistöckig, das Personal trug Bahnuniformen und war lässig freundlich, alle Plätze waren besetzt, es gab WLAN. Ich las die Wochenend-Süddeutsche und das SZ-Magazin vom Freitag, guckte aber auch viel aus dem Fenster.

Bodensee bei Rohrschach, der Tag war grau und regnerisch. Der am deutlichsten spürbar Unterschied zur Zugreise: Man kann nicht ganz aufstehen, sich strecken, dehnen, ein wenig auf und ab gehen. Dreieinhalb Stunden Sitzen fiel mir arg schwer.

Zürich erreichten wir pünktlich und problemlos, mussten uns allerdings erst ein wenig orientieren: Der Busbahnhof war ein unbedachter, eher kleiner Parkplatz, von dem aus wir zehn Minuten zum Bahnhof spazieren mussten.

Aber wir bekamen Sonnenschein.

Ich hatte mittlerweile gemerkt, dass ich nur die Hälfte meines Schminkzeugs in den Kulturbeutel geworfen hatte – egal, genau Lidstrich und Wimperntusche gingen eh gerade zur Neige und wir hatten noch Zeit beim Umsteigen. Im Bahnhof fand ich einen Laden, in dem ich nachkaufte (zu Schweizer Preisen, Vergesslichkeit muss bestraft werden).

Am Zielort richteten wir uns im Pensionszimmerchen ein, ruhten aus, lasen: Joël hatte uns einen Kurzgeschichtenband einer preisgekrönten luxemburger Autorin geschenkt, Elise Schmit – las sich sehr gut weg. Bis wir uns für die abendliche Geburtstagsfeier fertig machten und zu ihr spazierten.

Es gab Wiedersehen mit großem Hallo, Köstlichkeiten aus Kürbis, Roter Bete, Blaukraut, Sellerie, ein besonders bemerkenswerter Pilz-Pie mit cremiger Linsen-Champignon-Füllung, Süßigkeiten, Winzersekt, Basilikum-Drinks, zu all den Gesprächen durfte ich auch noch zwei Katzen streicheln. Zudem: Zu meiner großen Freude eine Einladung für nächsten Mai.

Nach Langem gehörte ich (UND Herr Kaltmamsell!) zu den letzten Gästen.

die Kaltmamsell