Journal Samstag, 5. Dezember 2015 – Elternessenvorbereitungen

Sonntag, 6. Dezember 2015 um 7:46

Ausgeschlafen, das war schön. Mich an viele Träume erinnert, ich erlebe derzeit mords was im Schlaf: Ich treffe alte Freunde (im Fall von Gunda in einem ausnehmend schönen Sommerkleid), lasse mir von Internetbekanntschaften auf der Gitarre vorspielen, erfahre von Umbauten vertrauter Häuser, muss ansehen, wie meine Arbeitsanstrengungen durch Schusselei anderer vergebens waren.

Da am Sonntag Eltern und Schwiegereltern zum Mittagessen kommen, war der Tag mit Vorbereitungen durchgetaktet. Sauer- und Vorteig fürs Kartoffelbrot hatte ich am Vorabend angesetzt. Während ich vormittags bloggte, ging Herr Kaltmamsell schon mal die erste Runde einkaufen. Ich nahm die U-Bahn zum Odensplatz, um über den Englischen Garten an die Isar und dann an ihr entlang zu laufen – in wunderbarer Sonne. Die Handschuhe steckte ich bald weg, die Mütze hätte ich ebenso wenig gebraucht.

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Nach dem Duschen startete ich eine Maschine dunkle Wäsche und ging Einkaufen, unter anderem ließ ich mir bei Walter & Benjamin einen Wein als Begleitung des Sonntagsessens empfehlen.

Daheim Brotteig geknetet, gefrühstückt, Pecan Wedges of Decadence gebacken, Brot gebacken, Pizzateig fürs Abendbrot geknetet. Ich hatte mir nämlich Pizza Quatro Quesoni vorgenommen (ich habe mein Italienisch von meinem spanischen Vater gelernt, da heißt das so): Mozzarella, Scamorza, Gorgonzola, Parmesan.

Vorher:

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Nachher:

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Zum ersten Mal die Heizkapazität des Ofens genutzt und bei 280 Grad auf Pizzastein gebacken: Die Pizza wurde ganz wunderbar und brauchte nur 12 Minuten. Dazu servierte Herr Kaltmamsell den Cocktail-Klassiker Bronx perfect (ich hatte mir etwas mit frisch gepresstem Orangensaft gewünscht).

§

Taschentücher raus!

I conducted an independent project, which evidently turned into a social experiment halfway through, regarding beauty at my performing arts high school in Chicago. I want to clarify that my intentions were not to get a reaction out of people. I was simply filming beauty and this is the result. Here it is.

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https://youtu.be/aW8BDgLpZkI

via @formschub

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 2. Dezember 2015 – Erinnerung an Skigymnastik

Donnerstag, 3. Dezember 2015 um 6:58

Morgens stellte ich mich also zu derselben Folge Shred im Wohnzimmer vor den Fernseher, hüpfte und hob. Mit den 2-Kilo-Hanteln war die knappe halbe Stunde deutlich anstrengender, ich schwitzte so richtig.

Gleichzeitig hatte ich Erinnerungsflashs an die Skigymnastik vorm Fernseher mit meiner Familie in später Kindheit und früher Jugend: Das Bayerische Fernsehen bot Skigymnastik an (hier bereits mit Rosi Mittermaier – wir waren aber auch schon vorher dabei), und die Familie Kaltmamsell bereitete sich damit im Winter auf die anstehende Skisaison vor. Treibende Kraft war meine Mutter, die zurecht darauf hinwies, dass man damit Verletzungen vorbeugte, zu Unrecht der Überzeugung war, durch “gezielte Gymnastik” könne man jedes als unästhetisch empfundene Körperfett genau dort verschwinden lassen (weswegen sie umfangreiche Schenkel oder einen dicken Bauch als persönliche Schwäche ansah). Und so versammelten sich Samstagvormittag (?) meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich vor dem Fernseher (meinem Vater war das meist zu doof) und taten, was die Menschen im Fernseher uns hießen. Am anstrengendsten war immer die Abfahrtshocke zum Schluss, die endlos schien und die Oberschenkel ordentlich brennen ließ.

Von meinen Kommentatorinnen erfuhr ich dann, dass Shred tatsächlich nur aus drei verschiedenen Abläufen besteht, die jeweils zehn Tage wiederholt werden – ich hatte erwartet, jeden Tag mit einem neuen Programm unterhalten zu werden. Das mindert zum einen die Spannung auf Shred erheblich, zum anderen ist mir das keine DVD wert.

Nach Feierabend hatte ich Lust auf Spaßsport und radelte zum Stepaerobic nach Giesing. Es war den ganzen Tag grau gewesen, aber trocken und mild – eine leichte Mütze trug ich nur vorsorglich.

Zum Nachtmahl gab es Salat (Postelein und Feldsalat) aus frischem Ernteanteil, dazu die lila Kartöffelchen aus dem Ofen vom letztwöchigen Ernteanteil.

Dazu lief nebenher der Fernseher: Arte zeigte Fitz Langs M – eine Stadt sucht einen Mörder in der restaurierten Fassung. Wenigstens aus dem Augenwinkel diese Bildungslücke verkleinert. Nachtrag: Sofort ins Auge stach mir ein Wimpel auf dem Stammtisch biertrinkender Herrn: Augustinerbräu München – sieht heute noch exakt so aus.

die Kaltmamsell

Journal Montag/Dienstag, 30.November/1. Dezember 2015 – Jane Gardam, Old Filth

Mittwoch, 2. Dezember 2015 um 6:39

Am Montag stürmte es. Ich ging zu Fuß in die Arbeit, beim Kreuzen der Theresienwiese in einem 30-Grad-Winkel. Die Möwen aber hatten sichtlich Spaß.

Bunter Himmel, klare Luft, im Büro sogar im 3. Stock Alpenblick.

Auf dem Heimweg freute ich mich an den bunten Lichtern vom Tollwood.

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Dienstagmittag sah ich beim Zeitunglesen, dass ein Fotograf der Süddeutschen Zeitung ähnliche Freude hatte.

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Montagabend Spaziergang nach Untergiesing zum Treffen meiner Lesenrunde: Old Filth von Jane Gardam hatte uns allen sehr gut gefallen. Der Roman um einen alten britischen Juristen vor dem Hintergrund des verschwindenden Commonwealth, des britischen Klassensystems und des heutigen Großbritanniens erzählt scheinbar leichtfüßig – doch beim Sprechen über das Buch wurde klar, wie viele Geschichten, Perspektiven, Einblicke in dem gar nicht so dicken Roman stecken. Gardam ist eine Meisterin des significant detail: Auch ohne ausführliche Beschreibungen von Räumen und Umgebungen ist die visuelle Seite der Geschichte jederzeit detailliert und lebhaft.

Der deutschen Version (von Isabel Bogdan übersetzt, die es mit der sehr britisch verwurzelten Sprache sicher nicht leicht hatte) fehlt leider das Vorwort der Autorin, in dem sie von der Begegnung erzählt, die zu der Roman-Trilogie beginnend mit Old Filth führte. Die anderen beiden Bände will ich unbedingt lesen, schon um mehr über die Zeit in Hongkong zu erfahren und über die Ehefrau der Hauptfigur, Betty, die aus seiner Perspektive als wenig bemerkenswerte “Frau an seiner Seite” geschildert wird, doch zu seiner großen Überraschung nach ihrem Tod einen ausführlichen Nachruf in den Zeitungen bekommt – sie scheint außerhalb seiner Wahrnehmung eine bedeutende gesellschaftliche Rolle gespielt zu haben.
Eine aufschlussreiche Besprechung gibt es beim Guardian:
“Pearls beyond price”.

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Dazu wurde Winteressen serviert: Ungeschält halbiert aus dem Ofen kann man die lila Kartoffeln ganz gut haben. Das linke ist Karottenbutter (Liptauer mit geraspelten Karotten).

§

Schon am Montagabend ahnte ich, dass ich Dienstagmorgen keine Lust haben würde, gleich nach dem Aufstehen zum Morgensport zu radeln. Gleichzeitig fühlte ich mich unterbewegt. Mir fiel das letztjährige Shred-Projekt von Frau Brüllen ein: Wenn ich über den dominanten Abnehmappell hinwegsehe (ohne Abnehmversprechen kann man heutzutage wahrscheinlich kein Sportprodukt verkaufen), könnte ich mir damit meine Kräftigungs- und Bewegungsgrundversorgung sichern, dazu Hüpfen/Joggen/Schwimmen zum Spaß als Sahnehäubchen.

Ich erinnerte mich vage, dass dieses Sportprogramm Hanteln erfordert, aber zum Besorgen war keine Zeit. Dienstagmorgen startete ich nach dem Morgenkaffee die erste Runde bei YouTube mit meinen Sportwasserflaschen als Gewichten – die mich allerdings mit je unter einem Kilo arg unterforderten.

Ja, ich kam ins Schwitzen. Ja, die Liegestütze können noch deutlich tiefer (das wusste ich aber vorher). Nein, bis zum Muskelbrennen brachte mich keine Übung. Ich schau mal, wie lange der Spaß ausreicht.

Abends erstmals im Leben Hanteln gekauft; nach ein bisschen Recherche zu Shred-Erfahrungen schienen mir 2-Kilo-Exemplare die richtigen. Dummerweise wird die DVD noch mindestens 10 Tage hierher brauchen (auf der deutschen Version steht “Schlank in 30 Tagen” – die kommt mir nicht über die Türschwelle). Ich könnte mit den drei Folgen überbrücken, die auf YouTube zur Verfügung stehen.

Wetter: Morgens heftiger Wind und Regen, Regenschirm wäre also nutzlos gewesen. Ich wurde mittelnass auf dem Fußweg in die Arbeit. Heimweg dann sogar trocken.

die Kaltmamsell

Lieblingstweets November 2015

Montag, 30. November 2015 um 18:45

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Anderer Leut’ Lieblingstweets sammelt wieder Anne Schüssler!

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 29. November 2015 – Adventloser 1. Advent

Montag, 30. November 2015 um 7:00

Es wurde den ganzen Tag nicht hell. Dafür immer stürmischer.
Morgens kochte mir erst mal die Milch für den Milchkaffee über.

Zum Sport an den Ostbahnhof geradelt. Es war überraschend mild, außerdem hatte ich Rückenwind. Während der Stepstunde sprach der Vorturner durchgehend über 1. Advent, Plätzchen und Stollen – ich hatte auch dieses Jahr keine Lust gehabt, mit Deko mitzuspielen (freue mich aber schon sehr auf die Pommes auf dem Christkindlmarkt am Sendlinger Tor).

Wieder blieb ich zur Rückengymnastikstunde da und stellte mich bei den Übungen auf Balance Pad und mit Wackelball an wie der erste Mensch – zusätzlich gestraft mit 60 Minuten amerikanische Weinhachtslieder, die per NtzNtzNtz-Drumcomputer für Turnstunden vereinheitlicht und glattgebügelt worden waren. Ziemlich schlimm. UND! Ich wurde gewhamt, noch vor dem 1. Dezember.

Heimradeln durch Regen und Gegenwind. Mein Frühstück bestand aus Thanksgiving-Beilagen vom Vorabend aus der Pfanne plus Truthahnresten, danach ein Pecan Wedge of Decadence.

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Nochmal Stollen gebacken, der ist für die Eltern. Die vier kleinen aus der ersten Runde hatte ich am Samstag zur Post gebracht und zur italienischen Verwandtschaft geschickt (die Kusine, die ich vor einem knappen Jahr mitverheiratet habe, ist soeben Mutter geworden – es ist also alles in geregelten Bahnen).

Die neue Manomama-Jeans schwarz gefärbt (plus eine Tennissocke, die ich offensichtlich nach der letzten Wäsche in der Maschine vergessen hatte – steht ihr gar nicht übel).

Die Truthahnkarkasse sorgfältig von Fleisch befreit (ca. 1 Kilo – zusätzlich zu den bereits tranchierten Resten) – ein rechtes Gemetzel, mit dem ich die halbe Küche vollsaute. Daraus Geflügelsalat bereitet. Die Nicht-Fleischreste (Knochen, Haut) nochmal ausgekocht, eine Brühe erhalten, die ich einfror.

Zeitungen von Freitag und Samstag aufgelesen.

Zum Abendbrot Truthahnreste mit Majo und Cranberrys, dazu Corn Bread, ein wenig Geflügelsalat. Und den Sektrest vom Vorabend.

§

Bedenkenswerte Überlegungen:
“What I Learned from Four Years Working at McDonalds”.

Sicher nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar, aber vielleicht grundsätzlich auf scheinbar niedere Arbeiten zum Gelderwerb:

And then I realised.

McDonalds is supposed to be a job for people who can’t do anything else. I noticed that majority of entry level jobs didn’t hire people who looked like the people I worked with.

At McDonalds there were people with disabilities, overweight people, people who weren’t conventionally attractive, people that couldn’t speak much English, young teenagers, and a lot of racial diversity. These people made up the backbone of the store. They were respected as some of our best workers.

Then I would look at a store like Glassons, or Whitcoulls or Starbucks and the majority of the time I would see people that looked like me. White, early twenties, reasonably attractive, slim, English speakers.

This was the bias that both me and the people around me were applying to my job. I meet the criteria for a ‘good’ job at a clothing store. People who come from good backgrounds aren’t supposed to end up in McDonalds alongside those who couldn’t do better if they tried.

If you’re a white girl in your early 20s you will be ridiculed for working at McDonalds. But I don’t think the same applies for disabled people, or middle-aged Pasifika women or immigrants. Their friends aren’t quietly snickering, ‘when are you going to get a real job?’ Because this is the job we expect them to have.

§

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https://youtu.be/QO5VxVDmsG4

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 28. November 2015 – Thanksgiving nachgeholt

Sonntag, 29. November 2015 um 9:27

Wir hatten nicht ernsthaft gedacht, der riesige Truthahn mit Füllung, der Kartoffelstampf, die karamellisierten Süßkartoffeln, die grünen Bohnen, die Cranberrys und das Corn Bread könnten nicht reichen, doch als Herr Kaltmamsell murmelte: “Ich mach mal lieber die doppelte Menge Corn Bread”, konnte ich ihm nachfühlen. Schließlich gab es keine Vorspeise. Und als wir das letzte Mal zu einem nachgeholten Thanksgiving eingeladen hatten, hatten die Reste auch nur gerade mal für den anschließenden Sonntag gereichte – und das, wo wir damals vorsorglich einen ganzen Stapel Thanksgivingresterezepte recherchiert hatten.

Vor ein paar Wochen hatten wir die Idee gehabt, Thanksgiving am Samstag nach dem vierten Donnerstag im November nachzufeiern, an dem der Feiertag in den USA begangen wird. Herr Kaltmamsell hatte die Hauptarbeit übernommen, den Truthahn bestellt, Rezepte recherchiert, den Arbeitsablauf geplant, ich hatte nur ein wenig eingeladen und statt Pumpkin Pie (den ich immer ein wenig langweilig finde) Pecan Wedges of Decadence zum Nachtisch erklärt (und zubereitet).

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Vormittags schneite es.
Ich hatte schon alles fürs Schwimmen gepackt und wollte gerade mein Fahrrad vom Balkon holen, als ich mich umentschied: Kein Schwimmen, statt dessen gemütliche Einkäufe und gemächliches Vorbereiten des Abends. Auf der Einkaufsliste hatte ich unter anderem Zitronat und Orangeat für die zweite Runde Stollenbacken, und wie schon vergangenes Jahr um die Zeit musste ich dem durch einige Läden hinterherlaufen – weitestgehend ausverkauft.

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Und so wurde es vom “Der reicht NIE!” über Tischdecken (ich werde in diesem Leben keine Dekoriererin mehr), nach Eintreffen der Gäste Laufenlassen der New York Thanksgiving Parade von YouTube im Fernsehen bis Abendessen ein sehr schöner Thanksgiving-Abend. Zum Vogel tranken wir einen kalifornischen Beringer Chardonnay – mehr oder weniger blind gekauft, weil ich etwas Amerikanisches dazu wollte, aber keinen kannte. Er erwies sich zu meiner Erleichterung als überraschend frisch, sehr wenig holzig und gar nicht buttrig. Vielleicht sollte ich Chardonnays eine neue Chance geben.

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Auf den Nachtisch war ich sehr gespannt gewesen, ich hatte brav rezeptgemäß den Belag mit Kümmel (!) und Anissamen gewürzt. Funktionierte tatsächlich wunderbar.

Technische Daten laut Herrn Kaltmamsell:
Truthahngewicht: 8 Kilo
Garzeit: 4,5 Stunden bei 160°C (Übergießen alle 30 Minuten), davon die ersten 2,5 Stunden mit Alufolie abgedeckt – das Ergebnis war ein wunderbar saftiger Vogel
Füllung: 2 Hand voll Knödelbrot, 2 Äpfel, 2 Zwiebeln (gehackt, mit Äpfeln angebraten), Thymian, Selleriegrün (weil’s da war, statt Petersilie), Pfeffer, Salz, Milch, 1 Ei.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 27. November 2015 – Kindheitserinnerung

Samstag, 28. November 2015 um 16:24

Schon auf der Braunschweig-Zugfahrt hatte ich einen Text von Christiane Frohmann gelesen:
“Warum habe ich als Kind meinen Eltern nichts von meiner Todesangst verraten?”

Ich fand es eine ausgezeichnete Idee, dass sie als Mutter ihre Kinder deshalb schon früh nach schlimmen Ängsten fragte – und damit einen Anlass schuf darüber zu sprechen. Denn ich bin sicher, dass Kindern, gerade kleinen, Verbalisierung nicht automatisch nahe liegt, gerade wenn es um sowas Diffuses wie Gefühle geht.

Und dann kramte ich nach Erinnerungen an meine eigenen kindlichen Ängste. Da gab es im Vorschulalter zweimal Phasen mit bösen Albträumen: Einmal nachdem mein polnischer Opa, der einen Arm im Krieg gelassen hatte (so nannte man das damals gerne), mir die Prothese gezeigt hatte, die er nie trug weil sie ihn drückte. Da er starb, als ich drei war, muss ich sehr klein gewesen sein. Ich weiß nicht, was mich daran so ängstigte, aber an die nächtlichen Schrecken glaube ich mich auch über die Erzählungen meiner Mutter davon zu erinnern. Die andere Phase begann, nachdem meine Eltern mich zu einem Besuch des medizinhistorischen Museums in Ingolstadt mitgenommen hatten: Ich albträumte noch lange von Skeletten und menschlichen Gliedmaßen in Gläsern.

Doch wach? Wach, so wurde mir im Zug schlagartig klar, wach fürchtete ich mich am ehesten vor meinen Eltern. Ich bestand doch nur aus Heimlichkeiten und schlechtem Gewissen, weil ich ständig gegen die zahllosen Ver- und Gebote verstieß: Nicht lernte oder Hausaufgaben machte, sondern heimlich las. Marmelade direkt aus dem Glas naschte, statt Diät zu halten und endlich abzunehmen. Sobald die Eltern aus dem Haus waren, verbotenerweise den Fernseher anschaltete (verboten weil überhaupt oder weil ich mal wieder totales Fernsehverbot hatte, meist wegen angeblich schlechter Noten) – und lernte, ihn rechtzeitig vor der Rückkehr der Eltern auszuschalten, damit er nicht noch warm war, wenn sie heimkamen, und mich verriet. Später auch in Abwesenheit der Eltern im Stehen am Regal Bücher las, die mir meine Mutter wegen “dafür bist du noch zu jung” verboten hatte, zum Beispiel Francoise Sagan.
Zwar war meine Mutter auch durchaus die ultimative Beschützerinstanz. Doch wenn mir etwas wirklich Schlimmes zugestoßen wäre, ein sexueller Missbrauch zum Beispiel – ich zweifle stark, dass ich mich ihr anvertraut hätte.

Andererseits würde meine Mutter das alles oben wahrscheinlich wieder damit kommentierten, dass ich mir das nur nachträglich einbilde.

die Kaltmamsell