Journal Sonntag, 22. November 2015 – Seniorinnengymnastik

Montag, 23. November 2015 um 6:17

Überraschend lange geschlafen, fast musste ich mich beeilen, um im Sportstudio am Ostbahnhof meine Wunschturnstunde zu erwischen. Zum Hinradeln packte ich mich erstmals richtig winterlich ein, es schneite immer wieder.

151122_01_Schnee

Da ich in den vergangenen Wochen selten Zeit für sportliche Bewegung gefunden hatte, blieb ich auch zur “Rückenfit”-Stunde: Um meine krumme Lendenwirbelsäule von Schmerz verursachenden Sperenzchen abzuhalten, ist Krafttraining wichtiger als die Hüpferei, die mir viel mehr Spaß macht. Also balancierte ich nach Anweisung unelegant auf einem Schaumstoffkissen, wackelte auf einem halb aufgeblasenen Ball herum und eierte strumpfsockig auf Zehenspitzen. Es hat schon Gründe, warum ich diese Stunde sonst auslasse: Während ich mich bei den Bewegungsabläufen des Langhanteltrainings schön und stark fühle, bei praktisch jeder Übung ein piratisches ARRRRRRRR! ausstoßen möchte, komme ich mir bei diesen Übungen immer vor wie eine End-Neunzigerin in Reha. Was eigentlich nur beweist, dass ich genau diese Stunde viel öfter mitturnen sollte.

Durch malerisch wirbelnde Schneeflocken heimgeradelt, Rote-Bete-Salat und Apfelkuchen gefrühstückt.

Einen großen Stapel liegengebliebener Tageszeitungen aufgelesen. Erst den aktuellen Todesanzeigen entnahm ich, dass der ehemalige bayerische Landwirtschaftsminister Simon Nüssel gestorben ist. Ich stutzte: Warum sagt mir der Name etwas? Nach kurzem Nachdenken fiel mir ein: Als 20-jährige Radiovolontärin hatte ich ihn einst interviewt.
Anlass war irgendeine Feierlichkeit an der Landwirtschaftsschule Ingolstadt gewesen, auf der er als Landwirtschaftsminister sprach. Ich nutzte die Gelegenheit, mir ein paar O-Töne von ihm zu holen. Es waren die späten 80er, Simon Nüssel hatte unter anderem über die schwierige Situation der Landwirtschaft gesprochen. Das griff ich auf. Ich hatte vorher recherchiert, dass Nüssel selbst aus der Landwirtschaft kam und fragte ihn, ob er heute jemandem empfehlen könne, Landwirt zu werden. Doch er antwortete nicht auf meine Frage – und ich bilde mir ein, dass ich in erster Linie wegen der Unhöflichkeit irritiert war, nicht aus journalistischen Gründen. Ich fragte nach, erhielt wieder keine Antwort. Da wurde ich wohl ein wenig rüde: “Ja oder nein, Herr Nüssel?” Und bekam meine Antwort: Nein, das könne er nicht. Diese Antwort schnitt ich dann auch in den lokalnachrichtlichen Beitrag.
(Caveat: Erinnerungen sind unzuverlässig, möglicherweise war ja alles ganz anders.)

Dienstreise nach Braunschweig (ich weiß…) vorbereitet.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 21. November 2015 – Erster Schnee

Sonntag, 22. November 2015 um 14:25

Als ich morgens aufwachte, sah ich Herrn Kaltmamsell neben mir liegen und freute mich darüber, hörte aber auch: Es hatte aufgehört zu regnen. Eine gute Voraussetzung für einen Isarlauf.

Erst mal aber machte ich Kaffee und backte Apfelkuchen. Ich hatte Lust auf einen gedeckten Apfelkuchen, wie ihn meine polnische Großmutter gemacht hat. Dieses Rezept sah nach der richtigen Richtung aus. Meine Abwandlungen: Mehr und gerumte Rosinen, gemahlene statt gehackte Mandeln (weil ich damit ein Restchen aufbrauchen konnte), Teig nicht kaltgestellt, sondern lediglich ruhen lassen (bei 180 Gramm Butter auf 375 Gramm Mehl wäre der Teig nach einer Stunde Kälte zu hart zur Weiterverarbeitung gewesen).

151121_01_Apfelkuchen

151121_04_Apfelkuchen

Das Ergebnis war ein sehr guter Apfelkuchen – aber ohne irgendeine Ähnlichkeit zu dem meiner polnischen Großmutter. Ihr Teig war knuspriger und die Apfelfüllung zerkochter. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie die Äpfel immer mit etwas Zucker vorkochte.

§

Herr Kaltmamsell war während meiner Bäckerei beim Einkaufen gewesen und gab mir einen hilfreichen Tipp für meinen Isarlauf: Es sei gefährlich “ohrenkalt”. Also setzte ich ein Stirnband auf und war sehr froh darüber. Nach vielen Monaten plagten mich bei diesem Lauf mal wieder schmerzende Waden.

151121_02_Isarlauf

Der Regen des Vortags hatte den Pegel der Isar nur wenig angehoben.

151121_03_Isarlauf

Schluss mit Bunt. Weiteres Wintersymptom: Viele Möwen über der Isar.

§

Daheim las ich Jane Gardams Old Filth aus – große Empfehlung. Für den nächsten Tag bereitete ich aus den Roten Beten des jüngsten Ernteanteils einen Salat für Sonntag (gekochte Bete geschält und in Würfel geschnitten, Sauce aus Joghurt, gehacktem Knoblauch, Granatapfelmelasse, getrockneter Minze, Olivenöl, Salz, Pfeffer).

Schon wieder gebügelt (Wo kommen eigentlich mitten im Nichtsommer diese Berge Bügelwäsche her? In den düsteren Monaten braucht es Bügeln doch eigentlich nur alle vier bis sechs Wochen?), dabei über das Buch, seine Figuren und seine Themen nachgedacht.

151121_05_Wirsing

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell Wirsing (auf meinen Wunsch zu Tode gekocht), Kartoffeln und Kürbis aus Ernteanteil zubereitet, mit Würscht vom Herrmannsdorfer serviert.

§

151121_06_Erster_Schnee

Am späten Abend: der erste Schnee der Saison.

§

Die österreichische Bevölkerung ist mit den Geflüchteten überfordert? Na, dann können Sie sich vielleicht denken, wie überfordert manche von den Geflüchteten hier sind.
Kelef erzählt von einer Begegnung:
“flüchtlingsfindelkind”.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 20. November 2015 – Regen und Beifang aus dem Internetz

Samstag, 21. November 2015 um 8:51

Nach langen, warmen und sonnigen Wochen goss es gestern durchgehend und in Strömen. Statt in die Arbeit zu radeln, ging ich zu Fuß und kam trotzdem mit bis zur Hüfte nassen Hosen ins Büro.

Nach Feierabend setzte ich mich in die U-Bahn, um in der Maxvorstadt ein Buch abzuholen, außerdem Zutaten für Apfelkuchen zu besorgen.

Zum Nachtmahl fuhr ich mit Herrn Kaltmamsell nach Haidhausen und kehrte nach Jahren mal wieder bei einem geschätzten Inder ein: Satluj. Wir aßen gut und reichlich.

§

Lange, ausführliche Bestandsaufnahme und Analyse, warum Frauen heute in Hollywood immer weniger zu sagen haben – vor und hinter der Kamera.
“The Women of Hollywood Speak Out”.

The more I talked to people, the clearer it became that if the luminous Hollywood of my childhood was obliterated for good, it all started with ‘‘Jaws’’ in the summer of 1975, which would devour half a billion dollars at the box office. America fell in love with the blockbuster, and Hollywood got hooked on the cohort of 15-year-old boys. It has never wavered in this obsession, even though girls and women buy half the movie tickets and watch more TV series, and even though teenage boys are increasingly fixated on gaming.

(…)

Female writers in Hollywood told me they are used to hearing things like ‘‘Can you insert a rape scene here?’’ or ‘‘Can they go to a strip club here?’’ or ‘‘Can you rewrite the fat friend for Eva Mendes? She has high marks for foreign distribution.’’ They trade stories about how a schlubby male studio head mutters that he doesn’t want to look at ‘‘ugly actresses,’’ and how schlubby male directors, caught up in their fantasy world, choose one beautiful actress over another simply because she has a hair color that fits their customized sexual daydream.

(…)

On Oscar night, Meryl Streep leapt to applaud Patricia Arquette when she pleaded for equal pay for women. She followed up by funding a writing lab for Hollywood’s untouchable caste, women screenwriters over 40. ‘‘It’s harder for men to imagine themselves as the girl in the movies than it is for me to imagine myself as Daniel Craig bringing down the building,’’ the ‘‘Suffragette’’ star said, curled up on a couch in the Greenwich Hotel’s restaurant in TriBeCa. ‘‘Boys are never encouraged to imagine what it is like to be female. The reason I know this is because when I made ‘The Devil Wears Prada,’ it was the very first time men came to me after the film and said, ‘I know how you felt.’ ’’

(…)

‘‘Agents openly say, ‘I’m not putting you up for that because this guy won’t hire a woman director.’ The list for directing big films is five plausible dudes and Kathryn Bigelow. And Bigelow is not going to direct ‘Jurassic World.’ You can’t have a list with no women.’’ Executives have been known to say, ‘‘Oh, we hired a woman once, but it didn’t really work out that well.’’

(…)

On her ‘‘Suffragette’’ tour, Meryl Streep counted the number of male critics versus female critics on Rotten Tomatoes, and found a ratio of 760 to 168 on the Tomatometer.

§

Jemand, der viele Jahre riesige Flüchtlingslager geleitet hat, hat sicher keine Illusionen über die Menschen darin. Kilian Kleinschmidt hat daraus einige grundsätzliche, vor allem aber viele pragmatische Forderungen abgeleitet.

Er sagt: Menschen, die fliehen mussten, suchen Würde und Identität. Dafür brauchen sie Freiräume

„’Arroganz des Helfens’“

§

Mehmet Daimagüler vertritt im NSU-Prozess die Nebenkläger. In einem Gastbeitrag für die Zeit schreibt er, wie es dazu kam.
“Ich klage an
Der NSU-Prozess und meine Wut”.

Und ich schwieg aus Opportunismus – Rassismus zu thematisieren bringt auf einem Bundesparteitag keine Stimmen, sondern kostet welche, jedenfalls in der damaligen FDP.

(…)

Dieser Fall ist für mich kein Fall wie jeder andere. Ich kann und will hier nicht mehr objektiv sein. Ich bekomme viele Schreiben, Mails, Briefe, Anrufe. Manchmal Briefe ohne Briefmarken, unter meiner Wohnungstür durchgeschoben. Die einen wollen mir in den Kopf schießen, die anderen mich öffentlich verbrennen, manche kommen auch ohne Gewaltfantasien aus. Aber was sie alle sagen, auch die physisch harmlosen: Du bist anders, du bist kein Deutscher, du bist Türke, du wirst nie zu uns gehören.

§

Noch etwas Leichtes zum Abschluss: Vor 21 Jahren startete die TV-Serie Friends (Sie erinnern sich: die einzige Fernsehserie, die ich ganz gesehen habe). Anne Thériault macht sich Gedanken, wie es seither wohl weiterging.
“Obviously Ross And Rachel Are Divorced: Here’s Where All The ‘Friends’ Are In 2015”.

die Kaltmamsell

Krieg. Eine archäologische Spurensuche – Ausstellung in Halle

Sonntag, 15. November 2015 um 11:33

151108_34_Krieg

“Kriege gehören ins Museum” – das ist zwar der Leitsatz des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, taugt aber als Überschrift für jede seriöse Ausstellung über Schlachten und Kriege. Weswegen ihn der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, auch gerne zitiert, wenn er über die Ausstellung “Krieg. Eine archäologische Spurensuche” im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle spricht. Kuratiert hat diese Ausstellung die Archäologin Anja Grothe, die vergangenen Sonntag eine kleine Freundesgruppe durchführte.

Das zentrale Exponat der Ausstellung ist ein Massengrab aus der Schlacht von Lützen 1632. Gleich beim Betreten der Räume ist es mit seinen 47 Toten der riesige Blickfänger. Das ist die Hauptfolge von Krieg: Tod, Leid, Zerstörung.

(Die Fotos sind der Pressemappe zur Ausstellung entnommen: Im Museum ist Fotografieren verboten – ich habe aber erfahren, dass Presse nach vorheriger Anmeldung eine Fotoerlaubnis bekommt.)

03_KRIEG_Luetzen_Massengrab_01_JurajLiptak

© LDA Sachsen-Anhalt, Foto: Juraj Lipták
Eine Hälfte des Massengrabs, das aufgestellt ausgestellt ist.

In Halle hat man die technischen Möglichkeiten der Blockbergung: Der Fundort wird mit ausgegraben und als Block (bei diesem Massengrab erinnere ich mich an die Größe zweimal 27 Tonnen) in die Museumswerkstatt gebracht. Dort wird er so präpariert, dass die Funde genau wie gefunden sichtbar sind. Hier ein Bild während der Restaurationierung. Das Ergebnis ist sehr beeindruckend, als Besucherin kommt man ganz nah an die archäologische Arbeitsweise. (Was die meisten vermutlich nicht bemerken: Der Fund liegt frei, er ist nicht durch eine Glasscheibe abgedeckt.)

Die Ausstellung Krieg. Eine archäologische Spurensuche ist zweifach zweigeteilt. Zum einen gibt es den Ausstellungsteil über die Schlacht von Lützen 1632, die zum 30-jährigen Krieg gehörte, zum anderen den Ausstellungsteil Vorgeschichte, der sich archäologisch mit den Anfängen menschlicher Gewalt gegen Menschen und mit der Entstehung von Krieg befasst. Die andere Zweiteilung ist die, auf die Anja Grothe in ihren Erklärungen immer wieder zu sprechen kam: Historische Schriftquellen auf der einen Seite, ihre archäologische Überprüfung auf der anderen. Historikerinnen und Historiker gehen ja nicht gerne raus (wie ich bereits im ersten Semester meines Geschichtsstudiums leidvoll feststellte, diese Geschichte muss ich auch mal aufschreiben), umso wichtiger ist die Arbeit von Archäologinnen und Archäologen, die immer wieder an Dingen und Spuren nachsehen: Kann das überhaupt sein, was da steht?

09_KRIEG_Schlachtfeld_Luetzen_Funde_Karte_JurajLiptak

Funde vom Schlachtfeld bei Lützen auf einer zeitgenössischen Darstellung der Schlacht.
© LDA Sachsen-Anhalt, Foto: Juraj Lipták

Der Ausstellungsraum zu 1632 ist nicht nur wegen des Massengrabs beeindruckend: An den Wänden verläuft als Band ein Panoramafoto vom Schlachtfeld heute. Die Vitrinen und Texte erklären die Waffen und die Munition der Zeit, der Schlachtverlauf selbst wird als Zeichenfilm in Stop-Motion-Optik erläutert. Jeder der 47 Toten im ausgestellten Massengrab wurde untersucht, seine wahrscheinliche Herkunft und der wahrscheinliche Verlauf seines Lebens ist dargestellt. Anja erklärte uns ein wenig zur Methode dahinter: Da im 17. Jahrhundert die Menschen noch ausschließlich das Wasser ihres Lebensraums tranken, die Früchte des Bodens aßen, auf dem sie wohnten, lässt sich anhand von Strontiumisotopenanalysen des Zahnschmelzes die Herkunftsgegend ziemlich genau eingrenzen.

Als weitere wichtige Quellen über den Alltagshintergrund der Zeit zeigte die Archäologin uns zwei ausgestellte BlogsTagebücher: Eines des Kusins des Schwedenkönigseines regionalen Fürsten, ein deutlich kleineres eines Soldaten Nachtrag: – das einzige von einem Soldaten geschriebene Tagebuch überhaupt.

Ein eigener Ausstellungsraum (von dem aus man Teile der freigelegten Unterseite des Massengrabs sieht) beleuchtet die Heeresführer der Schlacht: Den schwedischen König Gustav II. Adolf und den kaiserlichen General Albrecht von Wallenstein.

07_KRIEG_Koller_GustavIIAdolf_Livruskammaren

Reitjacke König Gustav II. Adolfs aus der Schlacht von Lützen.
© Livrustkammaren Stockholm, Schweden

Anja war besonders stolz darauf, dass sie dieses Koller des Schwedenkönigs zeigen konnte – das als Ding allein schon eine abenteuerliche Geschichte hat. In der Ausstellung sieht man es allerdings nicht wie oben auf dem Foto, sondern liegend in einer Vitrine und kann es dadurch sehr genau betrachten, einschließlich der Spuren der tödlichen Verletzungen. Hätte er seinen Panzer getragen, so erklärte Anja, hätte dieser Gustav Adolf das Leben gerettet. Doch zum einen habe er eine Wunde am oberen Rücken gehabt (dabei fasste sie sich über die Schulter an genau die Stelle), die einen Panzer unangenehm machte. Zum anderen habe es ihm in den Monaten davor wohl besonders gut geschmeckt: Er habe nicht mehr recht in den Panzer gepasst. (Wenn das die Diätredaktion der Brigitte mitbekommt – PR-Fest!)

Zur Verdeutlichung sieht man eigens angefertigte Illustrationen von Karl Schauder – im Stil sehr 70er Was ist was? und damit ein wenig aus der Zeit gefallen. Manche Details widersprachen dann auch den Erklärungen der Archäologin: Sie hatte zum Beispiel die typischen Hygieneumstände und Krankheiten des Soldatenlebens geschildert, doch auf dem Bild trägt der Soldat einen Hipster-Vollbart – wegen der Läuseplage sehr unwahrscheinlich.

Dieser Teil der Ausstellung endet mit dem Friedensvertrag von Münster. Anja war als Schlusspunkt wichtig: Am Ende jedes Kriegs steht ein Frieden, Frieden ist immer möglich.

§

Da der vorgeschichtliche Teil von Krieg. Eine archäologische Spurensuche nicht von Anja, sondern von Michael Schefzik kuratiert wurde, erzählte sie auch weniger darüber. Hier ist unter anderem das erste Zeugnis menschlicher Gewalt gegen Menschen dokumentiert, die Entstehung von Waffen (über Werkzeug, das als Waffe genutzt wurde, zum Menschentöter), die Entstehung von Krieg.

021_KRIEG_Schaedel_Tollensetal_Bronzezeit_JurajLiptak

Schädel mit Hiebverletzung, Fund vom ältesten bekannten Schlachtfeld Europas im Tollensetal (Mecklenburg-Vorpommern). Bronzezeit, um 1200 v. Chr.
© LDA Sachsen-Anhalt, Foto: Juraj Lipták

Auch hier ist mit archäologischen Funden eine Schlacht dokumentiert: Sie fand prähistorisch im harmlosen Tollensetal (Mecklenburg-Vorpommern) statt – Anlass und genauen Verlauf kennt man allerdings noch nicht. In der aktuellen Süddeutschen schreibt Hans Holzhaider dazu eine große Geschichte mit Details:
“Gemetzel in der Bronzezeit”.

Aber am Ende auch dieses Ausstellungsteils steht der Frieden: Der älteste bekannte Friedensvertrag der Welt.

§

Sie merken hoffentlich: Ich finde die Ausstellung großartig, auf vielen Ebenen, und empfehle sie sehr. Neben den Texterklärungen und multimedialen Darstellungsformen gibt es einen Audioguide, den die Kuratoren Anja Grothe und Michael Schefzik konzipiert und getextet haben. Anja schrieb mir dazu:
“Er enthält immer ein paar Infos mehr als die Texte, aber wir haben uns bemüht, nicht länger als anderthalb Minuten, selten einmal zwei Minuten pro Station zu bringen.”
Zudem wurde ein umfangreicher Begleitband zur Ausstellung herausgegeben.

Mehr zu Krieg. Eine archäologische Spurensuche unter anderem auf der Website des mdr.

Sollte hier etwas sachlich falsch dargestellt sein, liegt das nicht an Anjas Ausführungen, sondern an meinem Laientum und geht ganz auf meine Kappe. Ich freue mich über Korrekturen (bitte in die Kommentare schreiben oder per E-Mail an mich).
Nachtrag 16.11.2015 – Archäologin Anja Grothe war so nett, ein paar Schnitzer des ursprünglichen Posts zu korrigieren: Das eine Tagebuch wurde nicht von einem Kusin des Schwedenkönigs geschrieben, sondern von einem Fürsten aus der Region, das andere Tagebuch ist das einzige von einem Soldaten überhaupt. Und es heißt nicht Restauration, sondern Restaurierung. Danke!

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 14. November 2015 – Weltereignisüberschattung

Sonntag, 15. November 2015 um 10:53

Noch bevor ich den Rechner aufgeklappt hatte, holte ich die Süddeutsche herein – und erfuhr zum ersten Mal seit Jahren von einem Weltereignis aus der Tageszeitung.

151114_01_SZ

Alle Pläne fahren lassen, erst mal hinterhergelesen, was da passiert war, genauer: was man zu diesem Zeitpunkt darüber wusste. Große Niedergeschlagenheit, gleichzeitig Angst, dass diejenigen den Terroranschlag würden büßen müssen, die vor genau solchem Terror geflohen sind.

Irgendwann doch zum Laufen aufgerafft, vielleicht würde mich das beruhigen.

151114_02_Isarlauf

Half nicht wirklich. Außerdem ärgerte ich mich, dass meine Laufschuhe nach gerade mal zwei Jahren Nutzung im Schnitt alle zwei Wochen bereits auseinander fallen. Ich habe nachgerechnet: Das waren etwa 1.150 Kilometer. Muss ich mich damit etwa genauso abfinden wie mit abfallenden Wanderschuhsohlen? Diese Laufwebsite nennt 500-1000 Kilometer als Lebensdauer – schaut wohl so aus. Zefix.

151114_10_Laufschuhe

151114_09_Laufschuhe

Nach dem Frühstück versuchte ich es mit therapeutischem Bügeln.

151114_11_Manomama

Als ich dabei dieses Etikett im neuen Oberteil von Manomama entdeckte, war ich sehr gerührt.

Zum Cinema in die Nachmittagsvorstellung des neuen Bond-Märchens Spectre geradelt. So wenig ich die Begeisterung für die Star Wars-Reihe nachvollziehen kann (was ich allerdings noch deutlich besser kann als die Begeisterung für Lord of the Rings): Ich mag den James-Bond-Kosmos schon sehr. Eigenartigerweise durfte ich Bond-Filme schon verhältnismäßig jung fernsehen (Sie erinnern sich: Mein TV-Konsum war sehr reglementiert und verknappt.), und während meine Mutter neben mir nicht müde wurde sich zu echauffieren, wie “völlig unrealistisch” und “so ein Schmarrn” die Filme waren, war ich angezogen von der 007-Coolness und
-Lebensart. Gestern genügte bereits wieder der swagger, mit dem Bond auf den mexikanischen Mauern zum Töten geht, und ich beschloss sofort, mir genau diesen Gang anzutrainieren.

Ansonsten: Ja, schon ein ganz guter Bond. Ich fand ihn nicht so gut wie Skyfall, doch auch diesmal bekam ich einiges geboten. Immer wieder begeistert bin ich vom aktuellen Q, Ben Wishaw (kennengelernt im Remake von Brideshead Rivisted). Verschwendet fand ich Christoph Waltz als Bösewicht – da hatten wir schon interessanter gezeichnete. Und wenn mir jetzt noch jemand erklären könnte, wie Madeleine im Hotelzimmer in Tangier im Kleid einschlafen und im Nachthemd aufwachen kann?
Selbstverständlich bis zum Schluss des Abspanns sitzengeblieben: Wir Alten wissen, dass ein Bond erst zu Ende ist, wenn “James Bond will return” auf der Leinwand steht. In Zeiten des abspannlosen Fernsehens geht dieses Wissen wahrscheinlich verloren.

die Kaltmamsell

Journal Samstag/Sonntag, 7./8. Oktober – Wochenende in Halle (Saale)

Montag, 9. November 2015 um 7:04

Dieser Wochenendausflug stand fest, seit ich Archäologin Anja Grothe vor anderthalb Jahren mit einer gemeinsamen Freundin in Halle besucht hatte: Sie kuratierte dort eine Ausstellung, die ich unbedingt sehen wollte. „Krieg. Eine archäologische Spurensuche“ eröffnete an diesem Wochenende, und Anja war so zauberhaft, sie einer ausgewählten Schar selbst zu zeigen.

Da im Landesmuseum für Vorgeschichte Fotografieren verboten ist, warte ich für meinen Bericht über diese Führung noch die Lieferung der offiziellen Pressefotos ab. Kurzfassung vorab: Dicke Empfehlung.

§

Mein Zug fuhr Samstag um bequeme 11 Uhr ab, das gab mir genug Zeit, morgens ein Stündchen auf dem Crosstrainer zu strampeln. Ich richtete mir Brotzeit für die Fahrt her und spazierte durch weiterhin laueste Luft und durch Sonne zum Bahnhof.

151107_01_Fensterplatz

Mit meinem reservierten Fensterplatz hatte ich allerdings Pech.

In Naumburg wurde endlich ein Platz am Fenster vor mir frei, ich setzte mich für die letzte halbe Stunde (Ankunft pünktlich) an Aussicht.

Zur Unterkunft ging ich zu Fuß: Ich wollte möglichst viel von Halle mitbekommen. Schon im Mai vorigen Jahres hatte ich nämlich den Eindruck gewonnen, dass das eine wirklich hübsche und lebendige Stadt ist.

151107_05_Wasserturm

Das Hotel City am Wasserturm war hübsch und sympathisch – nur dass das Internet nicht bis in mein Zimmer reichte. Beim Auschecken am nächsten Tag sprach ich das an: Die Dame am Empfang entschuldigte sich mehrfach, sie hätten mit allen möglichen Dienstleistern schon alles Mögliche zur Behebung dieses Umstands versucht. Sie bat mich, ich möchte doch beim nächsten Besuch den Wunsch Zimmer mit guten Internetempfang angeben.
Also las ich statt Internet Buch – das eigentlich als Vorrat für die Heimfahrt gedacht war.

Abends Treffen in der Altstadt mit Archäologin Anja und besuchenden Bloggerinnen im Halleschen Brauhaus (es herrschte so viel Trubel in der Altstadt, dass Anja Mühe beim Tischbuchen gehabt hatte).

151107_08_Hallesches_Brauhaus

Da ich in der letzten Stunde vor Halle durch Weinanbau gefahren war, dachte ich eher an Wein denn an Bier. Ich bekam einen Müller Thurgau aus dem örtlichen Anbaugebiet Saale Unstrut, aus Freyburg. War so gut, wie man es von einem Müller Thurgau verlangen kann. Dazu aß ich Rostbrätel: Ein Stück mariniertes Schweinernes unter vielen weichgegarten Zwiebeln mit gebratenen Kartoffelstücken – durchaus schmackhaft.

§

Frühstück hatte ich im Hotel keines bestellt. Zum einen habe ich morgens keinen Appetit, zum anderen enthalten Hotelfrühstücke praktisch nie die eine Sache, die ich morgens gerne zu mir nehme: Espresso-basierte Heißgetränke. Statt dessen folgte ich der Archäologinnenempfehlung und spazierte durch laue und sonnige Luft zu einem Café.

Schöne Überraschungen unterwegs:

151108_03_Patchwork

Ein sensationeller Stoffladen namens Patch&Work (es gibt am Ort eine Schule für Gestaltung, die eine ganze Reihe von Materialgeschäften nach sich zieht).

151108_04_Friseurhumor

Und der beste Friseurname überhaupt jemals.

151108_08_Fräulein_August

Das empfohlene Café, Fräulein August, war ganz wunderbar. Nach einem Croissant und zwei Cappuccinos spazierte ich gemütlich zum Museum für Vorgeschichte.

151108_12_Strassenpflaster

151108_13_Strassenpflaster

151108_14_Strassenpflaster

151108_20_Schatten

151108_26_Häuser

(Die unrenovierten Häuser waren in kleiner Minderheit – aber dieses sah gar zu märchenhaft aus.)

Anja Grothe sammelte uns am Seiteneingang des Museums ein, stellte die Beteiligten einander vor und erklärte dann drinnen Hintergrund und Durchführung der Ausstellung.

151108_33_Hallesche_Amsel

Bei einem Päuschen im Café des Museums probierte ich die Spezialität Hallesche Amsel, ein köstliches Marzipanküchlein.

151108_34_Krieg

Zur Ausstellung später mehr.

Auf der Rückfahrt hatte ich einen tatsächlichen Fensterplatz und genoss Landschaft samt vielfarbigem Sonnenuntergang.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 1. November 2015 – Allerheiligenleuchten

Montag, 2. November 2015 um 7:08

Erst als ich durch die strahlende Sonne zum Olympiabad radelte, fiel mir ein, was fehlte: Dieses Jahr hatte ich an die Augsburger Seelenbrezen zu Allerheiligen nicht mal gedacht (große Brezen aus süßem Hefeteig, gibt es nur zu Allerheiligen). Halloween hatte ich lediglich über Meldungen anderer auf Twitter mitbekommen, mein Eck der Stadt ist davon völlig unbehelligt.

Die Wanderung vom Vortag machte sich in Ansätzen von Muskelkater bemerkbar. Ich schwankte, ob jetzt Lage Ruhe oder Bewegung besser war, doch meine Lust aufs Schwimmen siegte unabhängig davon – zumal ich wusste, dass ich kommende Woche kaum Gelegenheit zu Sport finden würde. Nach nebligen Morgenstunden war der Himmel wolkenlos, ich genoss sowohl das Radeln zum und vom Olympiabad als auch die gut 3.000 Meter darin (verzählte mich mehrmals, rundete immer ab). Mit der neuen Schwimmbrille bin ich noch nicht zufrieden: Damit sie dicht saß, musste ich ihren Sitz mehrfach korrigieren und sie schmerzhaft fest ziehen.

151101_Fensterblick_1

Nachmittag im lichtdurchfluteten Wohnzimmer: Internetlesen, Zeitunglesen, Wanderstiefel eingewintert, Bügeln mit Andrea Dieners Erzählung von ihrer Transsib-Reise im Ohr, Telefonat mit Mutter.

Zum Abendessen kochte ich Kartoffelsuppe mit Steinpilzen (meine Mutter hatte erzählt, dass meine polnische Oma eine solche gelegentlich machte, um das Aroma der kostbaren getrockneten Steinpilze möglichst ergiebig zu nutzen – kann es sein, dass Trüffel die Steinpilze des großen Mannes sind?), Herr Kaltmamsell briet Roschtbief, dazu Endivienreste aus Ernteanteil. Im Fernsehen ließen wir Unheimliche Begegnung der dritten Art laufen: Zu meiner großen Überraschung hatte der Science-Fiction-Buff an meiner Seite den Film nie gesehen.

§

Sigrid Löffler hat die Laudatio auf Daniela Strigl zur Verleihung des Berliner Preises für Literaturkritik gehalten:
“Die Rettung der Kritik”.

Daniela Strigl ist möglicherweise die klügste Literaturkritikerin, die mir je begegnet ist, und ich habe sie samt ihrem Humor ohne jede Albernheit in Klagenfurt sehr vermisst. Sigrid Löffler zitiert sie zum Beispiel mit folgendem Klugen:

“Der Journalismus ist inzwischen so vordringlich mit dem eigenen Überleben beschäftigt, dass er Probleme der Sprache als Luxusprobleme begreift. Gegenüber Fragen des Stils, aber auch banalen Grammatik- und Rechtschreibfehlern herrscht eine lähmende Gleichgültigkeit. Nichts ist wirklich peinlich. Der schreibenden Zunft ist die Zunftehre abhanden gekommen. Sichtbar wird dies in einer kollektiven Kapitulation vor der Phrase, dem Modewort, dem Jargon. Denn die sprachliche Uniformierung ist ein Symptom für den Verzicht auf eigene Denkarbeit. Dort, wo man sich selber nichts denkt, übernimmt man das Vorgedachte, das heißt: das von der Macht einem Zugedachte. In diesem Sinne ist Sprachkritik demokratische Geistesschärfung.”

§

Sowas mag ich einfach:
“Auto Mechanics Recreate Renaissance Paintings in this Charming Photo Series”.

§

Sowas mag ich auch sehr: Stevan Paul berichtet vom Food Photo Festival 2015, und es waren die Bilder von Marie Cecile Thijs, die mich umhauten. (Auch ihre anderen Sujets gefallen mir sehr gut.)

die Kaltmamsell