Archiv für Januar 2010

Auch retro

Donnerstag, 7. Januar 2010

Die modischen jungen Männer in Schwabing, die jetzt statt warmem Mantel ein Jacket mit Pulli drunter tragen, dazu dicken Schal und Handschuhe, lassen mich immer an die Fotos von Gastarbeitern in den 60ern denken, die ihren ersten deutschen Winter erlebten. (Siehe auch in dem sehr schönen Straßenmodeblog Anders anziehen.)

Mein Twitter 2009

Donnerstag, 7. Januar 2010

Wundervolle Idee, bei Anke aufgegabelt. Meine Lieblingstweets des Jahres 2009, chronologisch gereiht:

Dazu noch mein Tweet, der 2009 am häufigsten ein Sternchen bekam:

Bei dieser Gelegenheit: Es gibt einen Künstler-Twitterer in meiner Timeline, der Tweets in Bilder umwandelt, wenn sie den Hashtag #gbdg tragen, Gerd Brunzema. Eine sehr schöne Aktion.

Der gewöhnliche Leser

Mittwoch, 6. Januar 2010

Ich war fünf, als meine Mutter herausfand, dass ich lesen konnte: Ich hatte gefragt, ob ich eine bestimmte Kindersendung im Fernsehen anschauen dürfe, die doch gleich beginnen würde.

Mit dem Fernsehen bin ich auf Dauer nicht recht warm geworden, umso mehr mit dem Lesen als Quell von Geschichten. Gelesen sind mir Geschichten bis heute am liebsten, vor allem als Buch. Und es freut mich, immer neue Formen zu entdecken, in denen sie mir erzählt werden.

Bücher sind meine vielfältigsten Bekanntschaften. Manchmal wächst mir nur eine Figur ans Herz, manchmal eine Episode, dann wieder ein ganzer Plot, es kann aber auch die Sprache sein, mal ein einzelner Satz, mal ein Bild, mal eine Anspielung. Manche dieser Bekanntschaften verärgern mich allerdings auch, und ich lästere leidenschaftlich über die Wort und Papier gewordene Unverschämtheit.

Alles nicht der weiteren Erwähnung wert: Ich bin eine ganz gewöhnliche Leserin. Und schreibe hin und wieder über Bücher, wie andere Leser auch.

Wir freuen uns über Ihren Besuch: Der gewöhnliche Leser.

Mehr Diät für keine Models

Montag, 4. Januar 2010

Nun ist sie also da: Die erste Brigitte „ohne Models”. Und was leuchtete mir auf allen Werbeplakaten und Citylights entgegen, die diesen Meilenstein der deutschen Frauenzeitschriftslandschaft ankündigen? „DIE NEUE DIÄT“ inklusive einer Nährwert-Tabelle zum Heraustrennen und Mitnehmen. (Die Version der frühen 80er, damals hieß sie noch „Kalorientabelle“, lag immer in der Küche meiner Mutter herum. Irgendeine Leserin im Alter zwischen 17 und 50 hier, die den ungefähren Kaloriengehalt fast jeden Lebensmittels nicht im Kopf hat?)

Was hatte ich Naivling denn auch erwartet? Dass ausgerechnet die Erfinderin und der Motor des deutschsprachigen Diätterrors damit aufhört, Frauen erst einzureden, dass sie zu dick und somit scheiße sind, um ihnen dann die Lösung für diese Misere zu verkaufen? Da mag das Editorial noch so sophistisch versuchen, den Widerspruch zwischen Diätterror und Selbsthass bis zum Magerwahn wegzuargumentieren: Wer Menschen bestärkt, dass sie so in Ordnung sind, wie sie aussehen, vergibt sich einfach zu viele Einnahmemöglichkeiten.

Die Besprechung in der Freitag verrät, dass die Brigitte einfach nur das Konzept zeitgemäßer Modekataloge wie Conleys oder Boden umgedreht hat: In den Katalogen gibt es heute Beschreibungen der Fotoshootings (lokale Atmosphäre, erdichtete Anekdoten) und persönliche Details der Models (Lieblingsspielzeug als Kind, bevorzugtes Katerfrühstück o.Ä.), um Nähe zur Käuferin herzustellen. Die Brigitte verwendet Persönlichkeiten samt Beschreibung als Models, um Nähe zur Leserin herzustellen.

Wir sehen uns wieder beim nächsten Plätzchen-Sonderheft. Wenn überhaupt.

Durch Rom gefressen

Sonntag, 3. Januar 2010

Mit echten Futterfreunden1 wie den römischen Freunden Lebensmittel einzukaufen und zuzubereiten, ist ungeheuer inspirierend. „Vorher gibt es Champignonsuppe“, sagte unsere Gastgeberin, während die widerspenstige Gans briet, „ich weiß aber noch nicht, was ich alles reintue.“ Neben wundervollen Champignons, mit noch richtiger Erde dran (im Gegensatz zu den Plantagenpilzen aus Pöttmess, die das Monopol in München haben) wurden das dann in erster Linie gekochte Kastanien. Marktbesuche haben bei diesen Menschen zwar ein ungefähres Ziel, doch in erster Linie wird einfach das Beste und Frischeste gekauft – daheim sieht man dann schon, was daraus wird. Ich schätze, weil man für dieses Vorgehen wirklich eine gute Köchin / ein guter Koch sein muss, scheiden sich hier die Könner von auch noch so gutwilligen Dilettanten wie mir.

Auf der langen Heimreise (Rom – München mit Umsteigen in Zürich kann sich ziemlich hinziehen, wenn man verspätet aus Rom abfliegt und dadurch seinen Anschlussflug verpasst) kreisten in meinem Kopf so viele Kochpläne, dass ich mich zu Hause auch nach 22 Uhr noch in die Küche stellte, um die Zuckerrübenblätter vom römischen Markt anzudünsten, durch Olivenöl (Knoblauch, Peperoncino) zu ziehen und mit der am Morgen bei Roscioli erworbenen Burrata zu servieren.

Diese Zuckerrübenblätter waren nur eine von den vielen neuen Bekanntschaften, die ich durch unsere Gastgeber machte. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass Zuckerrüben, Mangold und Rote Bete dieselbe Familie sind (Beta vulgaris), nur dass die einen auf große Wurzeln, Mangold hingegen auf fleischige Blätter gezüchtet wurden. Weswegen alle Teile dieser Pflanzen essbar sind. Ich bin ja in einer (ehemaligen?) Zuckerrübengegend groß geworden – ob ich nächsten September auf eines der verbliebenen Felder gehe und Blätter ernte? Laut Wikipedia werden sie bei uns lediglich manchmal als Viehfutter verwendet.

Neu waren mir auch die weißen kleinen Beten, die ich mir am Markt mitnahm und nach der Anweisung der Gastgeberin in Schnitzen im Backofen garte, mit Olivenöl und Kümmel (sehr gut – in Geschmack und Textur rettichartig).

Und dann gab es die kleine Tierschau mit Vongole: Die Venusmuscheln in Salzwasser schütten (10 gr. Salz auf 1/2 Liter Wasser simuliert laut Gastgeberin Meerwasser) und zugucken. Die Herrschaften im Missonikleid wähnen sich daheim, strecken Körperteile aus ihren Schalen, entsanden, spucken auch mal. Ein faszinierendes Schauspiel. Und dann werden sie gebraten und gefressen, ha!

Weiterer Vorsatz für 2010: Gemeinsam mit Freunden und Familie kochen. Es ist ein so schönes Erlebnis, zusammen in der Küchen zu stehen, zu lachen, zu schnippeln, zu reden, zu braten, zwischenzuspülen, zu naschen (oder gleich den ersten Gang frisch aus der Pfanne im Stehen zu essen). Ich werde mich einfach nicht mehr vom Hinweis meiner Mutter, ihre Schlauchküche eigne sich nicht für gemeinsames Kochen, abhalten lassen. Wenn man erst mal das Ziel optimaler Effizienz beim Kochen fahren lässt, ebenso einen festen Zeitplan und dass sich die einzelnen Gänge nahtlos aneinander anschließen müssen – dann geht das (mit einer erfahrenen Dirigentin) auch in der kleinsten Küche.

  1. Wie, bitte, kann man Foodie eindeutschen? []

Bücher 2009

Samstag, 2. Januar 2010

Hier auch für 2009 die Bücher, die mir gut genug gefallen haben, dass ich sie zu Ende gelesen habe. Empfehlungen sind mit * versehen.
Vorsatz für die Liste 2010: Sofort Notizen machen, wenn mir ein Buch besonders gut gefällt, damit ich nicht erst vor dem Veröffentlichen am Ende des Jahres alles schreiben muss. Bei einigen Lieblingen des Jahres 2009 konnte ich mich nicht mehr aufraffen, ich bitte um Nachsicht.

1 – Granta 103, The Rise of the British Jihad

2 – Adam Davies, Goodbye Lemon

3 – Granta 104, Fathers

4 – Elizabeth Gaskel, Cranford*
Als Roman erst 1853 veröffentlicht, erschienen die Episoden aus dem Leben der Frauen im fiktiven Cranford 1851 als Serie in der Zeitschrift Houshold Worlds. Es passiert nicht viel, und so spielen die kleinen Details des englischen Alltags Mitte des 19. Jahrhunderts die Hauptrolle – vor allem, wie eine Frau von Anstand sie angemessen gestaltet. (Großer Konflikt von fast antiker tragischer Dimension: Eine Frau von Ruf hat auf einer Beerdigung nichts zu suchen. Was aber, wenn die einzige Angehörige eine Frau ist, die noch dazu durch den Tod ihres einziges Angehörigen in großes Unglück gestürzt wird? Darf eine anständige Frau sie dann auf die Beerdigung begleiten?) Wieder einmal ist es das Wie des Erzählens, das den Roman fesselnd macht.

5 – Ian Rankin, Hide & Seek

6 – J.M.G. Le Clézio, Uli Wittmann (Übers.), Revolutionen

7 – Anne Enright, The Gathering*
Die Last einer eigenen Familie samt der Entfremdung vom Ehemann und den Kindern, dazu der Bruder, der langsam und in voller Absicht vor die Hunde geht – eine irische Familiengeschichte in Grautönen aus der Sicht einer nicht mehr jungen Frau. Ihre Perspektive nahm mich so intensiv mit, dass ich noch jetzt die Macken in der Arbeitsplatte der Küche ihrer Kindheit vor mir sehe.

8 – Alan Moore, Dave Gibbons, Watchmen

9 – Alan Bennett, The Uncommon Reader

10 – Saul Bellow, The Adventures of Augie March

11 – Granta 105, Lost and Found

12 – Ian Rankin, Tooth & Nail

13 – David Lodge, The Art of Fiction*
David Lodge, gelernter Literaturwissenschaftler, geht kapitelweise wichtige Erzähltechniken und Stilmittel durch, und zwar jeweils anhand eines Werkes der (englischsprachigen) Weltliteratur, das die Wirkung dieser Technik zwingend nachvollziehen lässt. Hier eine Liste der Kapitel. Für alle faszinierend, die leidenschaftlich gerne lesen.

14 – Fred Vargas, Tobias Scheffel (Übers.), Bei Einbruch der Nacht

15 – Zülfü Livaneli, Wolfgang Riemann (Übers.), Der Eunuch von Konstantinopel

16 – Klaus Modick, Bestseller

17 – Craig Taylor, Return to Akenfield

18 – Ian McEwan, Saturday*
Ein einziger Tag im Leben des Neurochirurgen Henry Perowne aus seiner Perspektive und auf 280 Seiten – und McEwan schafft es, sein ganzes Leben reinzupacken, ohne dass es aufgesetzt wirkt, und zudem Spannung zu erzeugen.

19 – Juli Zeh, Corpus Delicti

20 – Granta 106 – New Fiction Special

21 – Margaret Atwood, Alias Grace

22 – John Burdett, Bangkok Haunts

23 – Mavis Gallant, The Other Paris

24 – James Krüss, Mein Urgroßvater und ich

25 – Hugo Hamilton, Disguise

26 – Audrey Niffenegger, The Time Traveler‘s Wife*
Auch beim zweiten Lesen großartig.

27 – Mary Ann Shaffer & Annie Barrows, The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society*
Anke Gröner hat das Buch aus denselben Gründen gefallen wie mir.

28 – Ian McEwan, On Chesil Beach

29 – Granta 107

30 – David Lodge, Changing Places

31 – David Lodge, Deaf Sentence

32 – Jonathan Safraan Foer, Everthing is Illuminated*

33 – Stevan Paul, Monsieur, der Hummer und ich*
Habe ich hier besprochen.

34 – Gebrand Bakker, Andreas Ecke (Übers.), Oben ist es still*
Wegen Isabos Beschreibung gelesen und sehr gemocht.

35 – Martha Grimes, I Am the Only Running Footman

36 – Siri Hustvedt, The Sorrows of an American*

37 – William Faulkner, The Town

38 – Ian Rankin, Strip Jack

39 – Andrea Levy, Small Island*
Hier habe ich es empfohlen. Das Buch, das ich 2009 am häufigsten verschenkt habe.

40 – Claudio del Principe, Anonyme Köche

41 – John O‘Hara, BUtterfield 8* (sic)
Sie wacht auf und fühlt sich wie jeden Morgen beschissen. Vorsichtig tastet sie sich in ihre Erinnerungen an die Nacht zuvor, was diesmal der Grund für ihre tiefe Verzweiflung ist. Schon in der allerersten Szene des Romans von 1935 mochte ich Gloria. Die sehr junge Frau tanzt und säuft durch das Nachtleben New Yorks zur Prohibitionszeit, als wenn es kein Morgen gäbe. Immer wieder scheint ihre große Intelligenz durch, doch die Männer, die ihr reihenweise verfallen, interessiert das nicht. Die dichte und atmosphärische Kulisse bilden der Zauber der Stadt und die Abgründe der Great Depression.

42 – Granta 108, Chicago

43 – Wolf Haas, Brenner und der liebe Gott

44 – Herta Müller, Atemschaukel*
Darüber habe ich hier geschrieben.

45 – Daniel Keyes, Flowers for Algernon

46 – Susie Orbach, Bodies*
Meine Überlegungen dazu stehen hier.

47 – M@tt Beaumont, The e Before Christmas

48 – Audrey Niffenegger, Her Fearful Symmetry

49 – John Irving, Last Night in Twisted River

50 – Leonard Cohen, The Favorite Game

51 – Wolf Haas, Ausgebremst

52 – Christopher Isherwood, Goodbye to Berlin

53 – Naomi Alderman, Disobedience*
Auch wenn ich das Buch empfehle: Ich möchte den Penguin-Verlag gerne dafür würgen, dass er diesen Roman in einer Chick-Lit-Aufmachung in Pastelltönen und mit Blütenblättern auf dem Umschlag anbietet; die Innenklappe ist sogar pink. Denn viel weiter weg als von Büchern, die in launigem Tonfall über shoppingsüchtige Männerproblemfrauen schreiben, kann man kaum kommen. Disobedience spielt in den orthodox-jüdischen Gemeinden Englands. Hauptfiguren sind Ronit, die die Londoner Gemeinde als junge Frau verlassen hat und in New York ein modernes Leben führt, und die gleichaltrige Esti, die geblieben ist. Als Ronits Vater stirbt, begegnen sich die beiden wieder. Die Geschichte wechselt immer wieder zwischen den Perspektiven dieser beiden Frauen (was der Verlag durch unterschiedliche Typografie klarstellen zu müssen glaubt – er adressiert wohl tatsächlich Idiotinnen). Sie erzählt von der erfüllenden Rolle, die fundamentalistische Religion spielen kann, aber auch von Menschen, die daran zerbrechen.
(Tatsächlich launig ist das Zusatzmaterial meiner Girlie-Ausgabe: Naomi Aldermann führt ihre koscheren Lieblingsrestaurants auf.)

54 – Kurt Vonnegut, Slaughterhouse 5*
Der Beweis, dass das Trauma unmenschlichen Grauens am besten durch wahnwitzige Erzähltechnik beschrieben wird, in diesem Fall das Massaker des Feuerbombardements Dresdens 1945.

55 – Andrew Taylor, Bleeding Heart Square

Kino 2009

Freitag, 1. Januar 2010

Die gestrige Sneak Preview (einmal im Jahr beginnt sie um 19 Uhr statt um 23.15 Uhr – meine einzige Chance) war The Imaginarium of Doctor Parnassus.