Journal Montag, 2. Oktober 2023 – St. Brück mit Oktobersommer und anschleichender Hexe

Dienstag, 3. Oktober 2023 um 9:21

Nach guter Nacht unruhige Phase vor Weckerklingeln – in diesem Angst- und Sorgenkarussell war ich aber wach genug mir selbst zuzusehen und zu schimpfen: “Im Ernst? DARUM sorgt du dich?!” Wecker trotz St. Brück, um Herrn Kaltmamsell und mir vor seinem Aufbruch in die Arbeit Milchkaffee zu kochen. Draußen wolkenlos strahlender Sonnenschein, frische Luft.

Ich machte mich früh für meine Schwimmrunde fertig, denn gestern war der Putzmann für früher als sonst angekündigt. Auf der Fahrt ins Dantebad brauchte ich durch die Morgenkühle noch einen Pulli. Bereits um halb zehn waren erstaunlich viele offensichtlich Oktoberfest-Willige unterwegs.

Wie erhofft herrschte auf den Schwimmbahnen des Dantebads wenig Betrieb, ich schwamm im sehr warmem Wasser und in Sonnenglitzern so leicht, dass ich problemlos auf 3.300 Meter erhöhte.

Beim Zurückradeln brauchte ich den Pulli nicht mehr, es war bereits T-Shirt-warm. Und wurde immer wärmer, nachmittags las ich 26 Grad an einem Apotheken-Thermometer. Ich zeichne das auch weiterhin hier auf: So sehr ich mich über den verlängerten Sommer freue, so sehr gruselt er mich.

Um die Heimkehr in die noch geputzt werdende Wohnung zu verzögern, erledigte ich Einkäufe im Einkaufszentrum Schwanthalerhöhe, genoss einen Mittagscappuccino.

Drogerie, Edeka, Vollcorner, Bäcker Wimmer – mit schwerem Rucksack machte ich mich auf den Heimweg.

In den Menschenströmen Richtung Oktoberfest nach meiner Schätzung mindestens 80 Prozent der Männer in irgendwas Lederhosoidem. Wie schade, dass sich keine andere (genauso erfundene) bayerische Tracht als Verkleidung durchgesetzt hat, zum Beispiel eine der fränkischen, oder einfach eine Hose, die nicht auf die Gamsjagd zurückgeht. (Was lediglich beweist, dass es derzeit in erster Linie um wiedererkennbare Verkleidung geht.)

Während zu Hause noch geputzt wurde, setzte ich mich um zwei auf den sonnigen Balkon zum Frühstück: Apfel, Körnersemmeln mit Butter und Marmelade.

Leider zickte mein Kreuz mittlereweile verstärkt, der Zauber Schwimmrunde hatte nicht funktioniert: Die Muskeln um die Lendenwirbelsäule schmerzten wie seit Jahren nicht, vor allem beim Aufrichten – Folge Schürhacklhaltung wegen Verkrampfung. Das war dann doch ein heranschleichender Hexenschuss; schon beim letzten Mal vor drei Jahren erwischte mich der nicht klassisch schlagartig (-schuss), sondern langsam (Hexenwürger?). Ich konnte nur versuchen, ihn nicht so schlimm werden zu lassen wie damals.

Auch um nochmal in die herrliche Spätsommerluft zu kommen, ging ich also auf eine weitere Einkaufsrunde, brachte unter anderem Thermacare und mehr Ibu heim. Am inneren Ende der Sendlinger Straße passierte ich einen AfD-Stand, der mit massivem Polizeiaufgebot geschützt wurde (mal kommentarlos festgehalten, der Chronik wegen).

Wie immer, wenn mich Körperliches plagt, habe ich das Bedürfnis, etwas dagegen zu TUN. Gestern ließ ich also die nächste Yoga-Folge meines derzeitigen Adriene-Programms bleiben und turnte statt dessen Rücken-Yoga von Mady Morrison. Ging alles, Vieles tat auch gut.

Herr Kaltmamsell hatte fürs Abendessen bereits Aloo Gobi aus Ernteanteil-Blumenkohl vorbereitet, ich buk als Nachtisch Apple Crisp.

Vorher gab es Drinks! Ich hatte ein Paket mit sächsischem Sekt und Gin geschenkt bekommen; den Sekt (Flaschengärung) probierten wir erstmal so und mochten ihn, dann gab es nach dem Rezept auf der Packung French 75.

Schmeckte uns sehr gut, könnte es öfter geben.

Köstliches Aloo Gobi (zufällig vegan).

Apple Crisp, den ich mit flüssiger Sahne servierte: Definitiv eine Alternative zu meinem Apple Crumble, beim nächsten Mal werde ich allerdings die Zuckermenge für die Äpfel halbieren.

Abendunterhaltung war auf arte die damals hochgerühmte Krabat-Verfilmung von 2008 – der damalige Ruhm überraschte mich. Die Austattung allein schon, die wirkte wie ca. Yentl 1983, bloß mit weniger Budget. Regie und Schauspieler ebenfalls höchstens so lala, da wurde schon sehr schultheatert. Ganz schlimm fand ich die süßliche und bestenfalls generische Musik, die dem Ganzen auf einfachste Weise Zauber und etwas Besonderes hätte verleihen können. (Wenn man die Scorpions engagiert hätte?) Und die angeblichen Raben waren Krähen – selbst die Computer-generierten.

Ins Bett mit Wärmegürtel um die Hüfte, Abschied von den Sportplänen für den Feiertag.

§

Nachtrag: Happy Brückentag.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 1. Oktober 2023 – Rückfahrt Berlin-München in erneuten Spätsommer

Montag, 2. Oktober 2023 um 7:09

Noch vor dem Wecker aufgewacht, aber nur ganz leicht Party-verkatert.

Wir machten uns und die Ferienwohnung ohne Eile fertig, spazierten zur U-Bahn, ließen uns zum Hauptbahnhof fahren. Bereits unterwegs erreichte uns die Information, dass unser ICE mit 20 Minuten Verspätung abfahren würde (Reparatur am Zug) – zu viel für den Umstieg in Erfurt. Doch gestern gab es reichlich ICE nach München, es würde sich eine Verbindung finden lassen.

Im Hauptbahnhof besorgten wir Brotzeit für unterwegs, hatten Zeit für einen Cappuccino.

Wir starteten in einem ICE mit ungewöhnlich viel Platz zwischen den Reihen: Einerseits schön, andererseits war dadurch der Bildschirm meines Laptops selbst bei weitest möglichem Herziehen unbequem weit entfernt. Aber: Super WLAN, super Internet! Ich konnnte meinen Blogpost problemlos unterwegs fertigstellen, selbst das Hochladen der Bilder ging so schnell wie daheim.

Mithilfe des Schaffners entschieden wir uns, in diesem ICE bis Endstation Nürnberg zu fahren, dort in einen ICE über Ingolstadt nach München umzusteigen. Das klappte wunderbar, wir trafen nur 30 Minuten später als geplant am Münchner Hauptbahnhof ein. Frühstück um halb zwei im Zug: Käsebreze, Streuselschnecke, Apfel.

München empfing uns mit Spätsommersonnenschein und -temperaturen (und vielen Bayern-Cosplayer*innen natürlich).

Nachmittag mit Kofferauspacken, Zeitunglesen auf dem sonnigen Balkon, einer Runde Yoga-Gymnastik.

Herr Kaltmamsell freute sich, dass er mich zum Abendessen bekochten konnte. Er servierte die Ernteanteil-Aubergine gegrillt mit Safranjoghurt und Granatapfelkernen, die Ernteanteil-Zucchini als Spaghetti-Gericht.

Nachtisch wurden die Marzipan-Variationen aus Charlottenburg.

Ich konnte die Urlaubs-Gelassenheit fortsetzen, da ich am Montag an einem weiteren St. Brück frei habe, der Dienstag Feiertag ist. Herr Kaltmamsell musste einen Schultag vorbereiten.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 30. September 2023 – Berlin mit Familienfeier in Wannfee

Sonntag, 1. Oktober 2023 um 10:47

(Hastig im ICE Richtung München gepostet.)

Dafür, dass ein wegen leichter Erkältung besonders lauter Schnarcher neben mir lag, war mein Nachtschlaf eigentlich gut.

Wie angekündigt hatte es in der Nacht abgekühlt, nach dem Aufstehen lüftete ich nur einmal durch und ließ die Balkontür nicht wie an den Tagen zuvor offen. Morgenkaffee an Bloggen zu zweit am selben Tisch – ganz ungewohnt.

Wenn auch kühler, war das Draußen schön, also spazierten wir. Ich zeigte Herrn Kaltmamsell das benachbarte Schloss Charlottenburg samt Park.

Wir hatten beide (!) Frühstückshunger. Es war wieder warm genug geworden, dass wir dabei entspannt im Freien sitzen konnten.

Im Röstwerk gab es also erst Cappuccino, dann Frühstück – gut!

Herr Kaltmamsell fühlte sich schon seit dem Vorabend ein wenig erkältet-kränklich, deswegen dauerte unser Streifzug durch Charlottenburg nicht sehr lang, brachte aber auch mir neue Ansichten.

Diesen Laden hatte ich bereits entdeckt und dort ausgiebig eingekauft, Herr Kaltmamsell erweiterte unsere Marzipan-Bestände nochmal.

Ein Laden, der alte Baumaterialien anbot.

Bis zum Abend und dem eigentlich Anlass der Berlinreise, einer Familienfeier, ruhten wir uns in der Ferienwohnung aus. Feingemacht fuhren wir hinaus zum Wannsee – unter Polizeiaufsicht und ein ganzes Stück mit zahlreichen Fußballfans.

Wannfee, hihi.

Fußmarsch zu einem Tennisheim, in dem wir auf Familie von Herrn Kaltmamsell aus der halben Welt trafen. Ich freute mich sehr über das Wiedersehen, manche hatte ich schon lang nicht mehr in die Arme geschlossen. Es gab reichlich Bewirtung inklusive live Gegrilltem, auch einen guten Weißburgunder.

Im weiteren Verlauf des Abends wurden Tische zur Seite geräumt, ein DJ legte Musik aus meiner Jugend und frühen Jugend auf. Es stellte sich heraus: Ich kann immer noch problemlos unter langen Tischen durchrutschen, um auf Tanzflächen zu kommen. Wo ich dann immer wieder fröhich tanzte und den Altersschnitt maßgeblich nach oben rückte.

Wir gehörten zu den ersten Gästen, die sich verabschiedeten, als wir gegen halb zwölf zurück zum Bahnhof Wannsee aufbrachen (für diesen Fußmarsch zurück hatte ich Turnschuhe eingesteckt und war mir selbst ausgesprochen dankbar). Diesmal begegneten wir beim Umsteigen noch mehr Fußballfans, diese aber alle ausgesprochen friedlich.

die Kaltmamsell

Lieblings-Microbloggings von drei Plattformen September 2023

Samstag, 30. September 2023 um 15:27

Jetzt also auch noch Bluesky (seit ich das im Kopf ausspreche wie einen polnischen Nachnamen, habe ich deutlich weniger Vorbehalte), dafür lese ich auf der Plattform formerly known as twitter gar nicht mehr mit – auch die letzten für mich Wichtigen, die ich nur dort mitbekommen konnte, sind jetzt woanders.

Der Twitter-Rest:

Aus dem Mastodon-Fediverse, in dem ich mich am meisten aufhalte:

Und jetzt halt auch noch Bluesky:

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 29. September 2023 – Berlin mit keinen Markteinkäufen und Ankunft Herr Kaltmamsell

Samstag, 30. September 2023 um 8:12

Unruhiger Schlaf und zu früh aufgewacht, nicht schlimm.

Urlaubsgetrödel mit Milchkaffee, Bloggen, Wasser, Tee. Am Ende des Nachmittags würde Herr Kaltmamsell eintreffen, für gestern hatte ich nichts weiter geplant, als erstmals durch die Markthalle Neun in Kreuzberg zu laufen – unter anderem weil man im Tölzer Kasladen auf dem Viktualienmarkt auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, dort englischen oder irischen Käse zu finden.

Der Himmel war bedeckt, die Luft warm Richtung schwül. Ich fuhr mit U-Bahnen bis zur Prinzenstraße, ab da mäanderte ich zu Fuß – und stellte fest, dass mir einige Ecken von früheren Berlinbesuchen vertraut waren (die Überraschung lag in ihrer Lage zueinander).

Die Markthalle Neun war dann doch anders als erwartet: Die Stände verkauften hauptsächlich Speisen, an den Käseständen gab es nichts Englisches oder Irisches. Das oft gerühmte Fleisch-Sortiment von Kumpel & Keule sah tatsächlich ausgesprochen gut aus.

Also ging ich gleich auf einen Mittagscappuccino zur Rösterei Kaffeekirsche, die ich passiert hatte.

Mehr Spaziergang.

Vom Mehringdamm aus nahm ich eine U-Bahn zurück nach Charlottenburg. Erste Male: Aus einer U-Bahn geflohen, weil eine Frau mit riesigem Verstärker in der Frequenz zu singen begann, die bei mir Übelkeit und Schrei-Verlangen auslöst, Ohrenzuhalten half bei ihrer Lautstärke nicht. No nu, in der Großstadt kommt an einem Werktag ja schnell die nächste U-Bahn.

Zurück im Ferienwohnungskiez war es zwei, Appetit hatte ich noch immer keinen. Aus Vernunft guckte ich an ein paar Tageslokalen vorbei, gibt ja genug in der Umgebung, blieb dann in einem hängen, das “mediterranen Vorspeisenteller” anbot.

Schmeckte mir gut, erzeugte auch Appetit. (Und wurde in einem weißen T-Shirt gegessen, das weiß blieb!).

Vertrödelter Nachmittag mit Lesen, ein bisschen Siesta, Yoga-Gymnastik (eine seeeehr langsame Einheit).

Die Ferienwohnung liegt über der Küche eines indischen Restaurants. Das wäre in Kombination mit professioneller Abluftreinigung Geruchs-paradiesisch, hätte nicht gestern wie schon am Nachmittag davor jemand etwas gehörig anbrennen lassen.

Kurz vor acht traf dann auch wie geplant Herr Kaltmamsell ein und ich freute mich sehr. Er stellte nur kurz seinen Koffer ab, dann gingen wir in die eh erspähte und dann auch noch empfohlene Gastwirtschaft Kastanie, alles saß in der weiterhin milden Luft im Gastgarten.

Wir tranken spanischen Tempranillo (Herr Kaltmamsell) und italienischen Primitivo, von der Tageskarte wählte ich Beluga-Linsen, die mit gehackten Mandeln und Orangensaft vermischt waren, mit Vanille abgeschmeckt, dazu Stücke gebratener Hokaido-Kürbis, eine halbe Burrata – Hammer, werde ich nachkochen. Herr Kaltmamsell aß gebratene Merguez mit Süßkartoffelpüree, Krautsalat und einer scharfen Majonese, war ebenfalls sehr zufrieden. Zum Nachtisch löffelte er noch einen Milchreis mit Mandelkrokant, ich aß zurück in der Ferienwohnung Süßigkeiten.

Im Bett las ich weiter in meiner neuen Lektüre: Fatma Aydemir, Dschinns.

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Gestern kam der Brief von der VG Wort mit der Nachricht, wie viele Tantiemen für meine Blogposts 2022 ausgeschüttet werden. Immer noch ein Haufen Geld für etwas, was ich ohnehin mache, doch deutlich weniger pro Text als in den Jahren davor. Auf Übermedien erklärt René Martens den Hintergrund:
“Mehr ist weniger: Die Tantiemen der VG Wort schrumpfen, die Probleme wachsen”.

§

Es ist wichtig, Hubert Aiwangers Lügen nicht unwidersprochen zu lassen. “Das merkt doch jeder, dass das ein Schmarrn ist”, habe auch ich ein paarmal zu oft gedacht – so ist es nämlich nicht. Die Süddeutsche widerspricht seiner wiederholten Behauptung, sie habe die Informationen zu den menschenverachtenden Flugblättern in seiner Schulzeit mit dem Landtagswahlkampf abgestimmt. Hier ist der Ablauf von Recherchen und Anfragen aufgeschlüsselt:
“Flugblatt-Affäre:
In eigener Sache”.

Diese Vermutung hatte ich sogar im Freundeskreis gehört und schon mit journalistischem Hintergrund gegenargumentiert: Solch eine Geschichte veröffentlicht jedes Medium, sobald sie inhaltlich journalistisch sowie juristisch abgesichert ist – die Gefahr ist zu groß, dass ein anderes Medium zuvorkommt.

Wie Marina Weisband so richtig beobachtete: Aiwanger agiert nach dem Playbook von Donald Trump. Falsches einfach behaupten und hartnäckig dabei bleiben, bis alternative facts als Realität akzeptiert werden.

§

“Vorurteile in der Berichterstattung
Von heißblütigen Spaniern, abgedrehten Japanern und anderen Auslands-Klischees”.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 28. September 2023 – Berlin mit Neuer Nationalgalerie in Sparversion und Abend mit Freundin

Freitag, 29. September 2023 um 9:16

Wieder sehr gut geschlafen, und das auch noch richtig lang. Konnte ich auch deshalb entspannt, weil mein Programm erst um zwölf startete: Für diese Uhrzeit hatte ich einen Eintritt in die Neue Nationalgalerie gebucht.

Draußen tagte es wieder mit blauem Himmel und Sonne. Nach Milchkaffee und Bloggen sowie Check des Wegs zum Museum beschloss ich, zu Fuß zu gehen – um reichlich Wetter und Stadt mitzubekommen. Kurz haderte ich mit dem Raum-Zeit-Kontinuum, das mir die Möglichkeit zum Urlaubs-Rumgammeln mit Lesen, bookgemarkte Filmchen Ansehen, Blödschauen nimmt, wenn ich an Urlaubstagen Pläne habe.

Der gut einstündige Marsch entlang kleinerer und großer Straßen, außerdem durch ein Stück Tiergarten war in Sonne und sommerlicher Wärme herrlich.

Rathaus Charlottenburg.

Charlottenburger Brücke.

Tiergarten.

Hinterm Verteidigungsministerium wurde offensichtlich Besuch erwartet: Viele Fotograf*innen, aufgereihte Soldat*innen.

Neue Nationalgalerie. Ich sah mir die Sonderausstellungen an.

Von Gerhard Richter mag ich Vieles sehr gern, vor allem sein (auf mich schabernackig wirkendes) Spiel mit Fotorealismus, auch seine vielschichtig gemalten abstrakten Sachen. Das Thema “Spiegel” in dieser Schau führte mich mal wieder zu der grundsätzlichen Frage, wie viel von der Ausstellungssituation zum Werk gehört.

Sein vierteilige Zyklus “Birkenau” wiederum brachte mich zum Überlegen, wie Werke sich voneinander unterscheiden ja nach nicht sichtbarer Hintergrundgeschichte: Dieser Zyklus ist ein Palimpsest, die übermalte Version waren in Kohle und Öl abgemalte Fotografien aus dem KZ Birkenau – doch ohne dieses Wissen unterscheiden sich die Gemälde nicht von anderen in vielen Ölfarbschichten und mit Verschmieren angefertigten Richters, zum Beispiel von diesem “Abendstimmung”.

Isa Genzken war mir ganz neu, doch außer ihren ganz frühen großen Balance-Skulpturen aus Holz (“Elipsoid”, “Hyperbolo”) sagte mir nichts von ihren Werken etwas: Mein Blick kam nicht über die reine Oberfläche eines beliebig anmutenden Materialhaufens hinaus.

Sehr angetan war ich wiederum von Judit Reigls Gemälden.

Sie schienen mir perfekt zum Titel der kleinen Ausstellung zu passen, “Kraftfelder”.

Ich hatte nicht aufgepasst, denn obwohl es brettelbreit auf der Website steht und Joël mich am Vorabend nochmal darauf hingewiesen hatte, war bei mir nicht richtig angekommen, dass der eigentliche Museumsinhalt derzeit nicht zu sehen ist, die Dauerausstellung. Also all die Werke, wegen derer ich seit Wiedereröffnung überhaupt in die Neue Nationalgalerie wollte. Selber schuld, muss ich halt wiederkommen.

Nach nicht mal einer Stunde stand ich wieder draußen, beschloss auch den Rückweg zu Fuß zu gehen. Als eine Ebene meiner in ständigen Widersprüchen stehenden Persönlichkeit seufzte, was ich denn nun mit dem ganzen freien Nachmittag bis Abendverabredung anfangen solle, fiel mir zum Glück das Hadern vom Vormittag wieder ein: Ja halt Lesen, Filmchen- oder Blödschauen!

Ich spazierte in gestiegener Wärme.

In der Kleidung dominierte weiter Sommerliches.

Zurück zur Ferienwohnung nahm ich eine leicht andere Route, sah dabei einige schöne Haustüren (wichtige Touristinnenpflicht: Haustürenfotografie).

Am Karl-August-Platz sah ich endlich Nebelkrähen.

Unterwegs stolperte ich in einen Pralinenladen, umgehende Eskalation. Kurz vor Ferienwohnung besuchte ich einen Biosupermarkt, kurz nach halb drei gab’s dann zum Frühstück: Apfel, Vollkornsemmel, Stollenkonfekt, Hüttenkäse.

Ich las die Mastodon-Timeline hinterher, damit fühle ich mich derzeit über die meisten menschlichen und nachrichtlichen Neuheiten informiert. Dann stand aber schon wieder eine Aufgabe an statt Lesen, Filmchen- oder Blödschauen: Fotos sichten und benamsen, Erlebnisse aufschreiben. Doch es blieb noch reichlich Zeit, um Patrick deWitt, The Librarianist auszulesen (hmnaja).

Übrigens schmeckt mir das Leitungswasser hier in Charlottenburg besonders gut: Es ist einen Hauch säuerlicher als mein Lieblingsleitungswasser daheim in München, aber das mag ich.

Wieder hatte ich Lust auf Yoga-Gymnastik und turnte eine Folge Adriene (auf der Reise-Yogamatte übrigens anstrengender, weil sie nicht so griffig ist wie meine stationäre daheim und ich in manchen Haltungen nur mit Anspannung Wegrutschen verhindere).

Abends war ich mit einer Freundin seit Studienzeiten in der Nähe des Kottbusser Tors verabredet, nahm Bus und U-Bahn dorthin (ob das je aufhören wird, dass in der Berliner U1 automatisch diese Musik in meinem Kopf spielt?).

Es wurde ein intensiver Abend, den es schon lange gebraucht hatte.

Wir saßen draußen (!) in einem ausgesprochen hübschen Gastgarten unter alten Kastanien, ich aß Rindergulasch, dazu hatte ich aus der Weinkarte vom Niersteiner Weingut Wedekind einen Weißburgunder ausgesucht, plauderte mit Frau Bedienung über Herkunftsort und wie der Wein auf die Karte gefunden hatte.

Ich erfuhr unter anderem Neues aus Familie und Freundeskreis, lernte den Begriff “Disco Nap” für das Vorschlafen vor spätnächtlichem Ausgehen (in bestimmten Branchen ab einem bestimmten Alter für berufliche Einsätze unabdingbar, ich lachte sehr) und dass ich hier einen neuen Leser habe (*winkt*), hörte wertvolle Hinweise zu Themen, die mich derzeit bewegen.

Zurück nach Charlottenburg fuhr ich (mit zwei U-Bahnen, ich ließ mir den Heimweg wieder von Google Maps vorschlagen) schwurblig vor Dankbarkeit, dass es diesen Menschen und diese Verbindung gibt, ein Geschenk.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 26. September 2023 – Berlin mit Schloss Charlottenburg, Jugendstil, georgischem Essen

Donnerstag, 28. September 2023 um 9:15

Richtig gut geschlafen, sogar nachdem ich beim nächtlichen Klogang das rechte Schienbein brutal am Bettrahmen angeschlagen hatte.

Ausgeschlafen, zu Spatzentschilpen aus dem Patio des Hauses Milchkaffee getrunken und gebloggt.

Richtiggehend dankbar war ich für eine Ferienwohnungsdusche mit (offensichtlich neuem) Duschvorhang statt schicker Glaswand: Ich kann es immer noch nicht als zivilisatorischen Fortschritt ansehen, dass ich fürs Abziehen der Dusche nach dem Duschen mindestens so lang brauche wie für die Körperreinigung (gleich lang mit Haarewaschen, länger ohne). Ist die Materialforschung zefix immer noch nicht bei wirklich Kalk-abweisenden Oberflächen?

Vor Aufbruch noch eine Runde Erwachsensein: Ich vereinbarte für nächste Woche telefonisch einen Haarschneidetermin.

Mein Plan für gestern war ausführliche Besichtigung von Schloss Charlottenburg, Mittagscappuccino, Bröhan-Museum (Landsmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, im Vorbeigehen entdeckt, sofort eingeplant), irgendwas essen, in der Ferienwohnung rumgammeln bis zur Abendverabredung. Ging fast auf.

Charlottenburg in Sommermorgensonne.

Der Besuch des Schlosses bereicherte mich sehr, auch wenn es sich nach nahezu vollständiger Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Grunde um einen Neubau handelt (na, das kenne ich Münchnerin ja von der Innenstadt inklusive Residenz). Ich verwendete den gut gemachten Audio Guide, bekam zu den Räumen nützliche Informationen.

Zwei Bilder aus der Einführungsanimation zur Geschichte des Schlosses.

Im Schloss gab es viele, viele Spiegel.

Eine thematischer Leitfaden “Schlösser. Preußen. Kolonial.” wies an einigen Stellen auf Rassismus und Herabwürdigung in den damaligen Darstellungen anderer Kulturen.

Manche Teile wie diese Zimmerdecke waren so restauriert, dass man die vorherigen Beschädigungen sichtbar ließ – sowas mag ich besonders gern (muss ich aber nicht durchgehend haben).

Erwähnte ich die vielen Spiegel?

Der Neue Flügel des Schlosses wurde ebenfalls 1943 durch Bomben zerstört. Hier nutzte man die Gelegenheit, die Räume in unterschiedlichen Stilrichtungen ihrer Vergangenheit zu restaurieren, je nach bester Quellenlage. Sie wurden also nicht alle in den Zustand direkt vor ihrer Zerstörung gebracht. Das fand ich eine ausgezeichnete Idee.

Vom Audio Guide zu diesem Schlossbereich erfuhr ich zudem viel über die Geschichte der Hohenzollern und Preußens. Zeitgenössische Aspekte dabei: Die Hinterfragung allgemeiner Annahmen, u.a. Verweis auf den Einfluss, den Friedrich der Große durch autobiografische Veröffentlichungen auf das Bild von ihm nahm.

Hier verfälscht das Foto die Farben: Es gab keinerlei Grün im Original, sondern nur Rosé-Töne.

Abschließender Blick nach oben ins Treppenhaus: Zwei Deckengemälde des Neuen Flügels, für deren Rekonstruktion man keine Quellen hatte, wurden in den 1970ern von Hann Trier zeitgenössisch erstellt. Unter enormem Protest (alles Augsburger*innen?).

Am Ende (Mausoleum und Neuen Pavillon hätte ich mit meinem Gesamtticket auch noch ansehen können) war es schon eins, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich spazierte zu einem nahen Cappuccino-Ort, bestellte dann aber auch gleich Frühstück zum Cappuccino, ein Muesli Bircher Art.

Das war möglicherweise zu viel auf einmal, resultierte in Fresskoma. Wasser- und Ausruh-Päuschen in der Ferienwohnung ums Eck.

Nächster Programmpunkt: Bröhan-Museum.

Zunächst stieg ich zu einer Sonderausstellung in den dritten Stock:
“HAËL. Margarete Heymann-Loebenstein und ihre Werkstätten für künstlerische Keramik 1923–1934”.

Bis 1934, weil sie dann von der Nazi-Regierung zum Verkauf ihrer Werkstätten gezwungen wurde: “Die junge Keramikerin Hedwig Bollhagen eröffnete dort die bis heute erfolgreichen HB-Werkstätten.” Daher kommt die wundervolle Vase, die wir zum Rosenfest geschenkt bekamen.

Eine großartige Ausstellung. Die vielen Vermerke “aus Privatsammlung” vermittelten mir eine Ahnung, wie aufwändig das Kuratieren gewesen sein muss.

Während ich im großen Ausstellungsraum mit Galerie zeitgenössische Filmaufnahmen der Werkstatt von Margarete Heymann-Loebenstein ansah, kam eine Gruppe Kinder herein: Das Museum hat viel Programm für sie, gestern erklärte ihnen ein Mitarbeiter anhand einer Originalkiste, wie Ausstellungsstücke ins Museum kommen.

Einer von Margarete Heymann-Loebensteins berühmtesten Entwürfen.

Raucher- und Schreib-Ausstattung, nicht nur im Design historisch.

Die Künstlerin als coole Socke.

Dass ich selbst bzw. meine Kleidung auf allen Aufnahmen zu sehen ist, verbuche ich unter Festhalten zeitgenössischen Designs.

Weiter durch die ständige Ausstellung, die teilweise in Räumen präsentiert wird (“Period Rooms”), teilweise in Lager-artigen Regalen, diese nur zum Teil thematisch zusammengefasst – ich hatte den Eindruck, dass die Sammlung noch nach einer Präsentation sucht. Ich fand sie interessant und stieß nur auf wenige Aspekte, die mich vor einiger Zeit dem Stilgebiet Art nouveau, Art deco, Jugendstil etwas entfremdeten – nämlich seit mir die Kirche des Wiener Zentralfriedhofs und die Basílica im kastilischen Valle de los Caídos klargemacht hatten, wie kurz der Weg von dort zum totalitären Kunst-Stil des Faschismus und des Stalinismus war.

Bis zur Abendverabredung war ich mit Aufschreiben beschäftigt, turnte auch eine längere Runde Yoga-Gymnastik.

Der Zufall hatte den Luxemburger Freund Joël gleichzeitig mit mir nach Berlin gebracht, das nutzten wir zu einem Treffen bei gregorianischem Essen (Joël gestand gleich nach der ersten Umarmung diesen Versprecher bei einem vorhergehenden Telefonat – und der ist so großartig, dass ich die Bezeichnung beibehalten werde). Der empfohlene Georgier Salhino lag sogar in Charlottenburg, ich konnte zu Fuß gehen – bislang waren all meine Berliner Ziele so nah an der Ferienwohnung, dass ich kaum Bewegung bekommen habe.

Was mich in Berlin immer wieder überwältigt: Der Platz und die Weite.

Passend zur vormittäglichen Besichtigung.

Diese Handschrift kenne ich auch von Münchner Wänden/Brücken.

Diese allerdings nicht. Charlottenburg gefiel mir weiterhin sehr gut, hat eine bunt-gemütliche und gleichzeitig lebendige Ausstrahlung.

Mit Joël stürzte ich mich sehr schnell tief in lange vermissten Austausch (und in den georgischen Weißwein Tsinandali), sodass ich vergaß, unser Essen zu fotografieren.

Hier ein paar Teile davon (wir saßen draußen in kurzen Ärmeln ohne zu frieren). Es schmeckte hervorragend und ließ mich mal wieder ein gutes georgisches Restaurant in München vermissen – was ich dem herzlichen und freundlichen Kellner beim Abschied auch sagte und ihn bat, diese Lücke weiterzugeben, vielleicht wisse er jemanden, der sie schließen könne.
(Selfie vom Treffen bei Joël.)

Rückweg ebenfalls zu Fuß in milder Nachtluft, ich genoss ihn.

§

“Es ist alles gesagt”.

Mely Kiyak hat fertig. Undiplomatisch und einfach mal nicht konstruktiv rechnet sie mit den vergangenen ca. 15 Jahren ab, in denen sie vorm Aufstieg des Faschismus in ihrer Heimat Deutschland warnte. Und jetzt will sie nicht mehr politisch schreiben, und zieht sich in ein Wir und Ihr zurück, “ich habe mich (…) innerlich von euch abgevolkt”.

Schaut: Mein Kanackendaddy hat noch nicht einmal Wahlrecht, um euch die Pest an den Hals zu wählen, so wie eure Leute uns die Pest an den Hals wählen. Hier in Berlin dürfen demnächst minderjährige Kinder wählen, also eure Geschwister, aber unsere Eltern immer noch nicht. Mein Kanackendaddy hat mit seinen Steuern euer BAföG bezahlt, eure staatlich geförderte Eigenheimzulage. Wenn mein Daddy mich besucht, verteilen sich fünf Erwachsene auf zwei schmale Çekyats und ich schlafe auf dem Boden. Es sind Eure Leute, die das alles machen, nicht meine.

Früher haben meine Ossifreunde immer gelacht, wenn ich gesagt habe, vergesst nicht, die Mauer ging auf und wir dachten, ihr Ossis kommt, um uns auf den Mund zu küssen. Aber ihr habt euch bewaffnet und unsere Leute abgeknallt. Eure Leute waren in der Polizei und haben uns unhöflich behandelt. Und eure Leute sind es, die diese Mörder jetzt frühzeitig aus der Haft entlassen, weil sie glaubwürdig versichert hätten, nicht mehr so schlimm zu sein. Stimmt ja auch. Es gibt jetzt noch viel schlimmere Nazis, die sind in Freiheit und nehmen gerade an Abstimmungen im Parlament teil.

Ich stimme Kiyak nicht in allem zu. Aber ich kann sie in allem verstehen. (Wenn wir vielleicht mal Leute wie sie zu verstehen versuchen und nicht immer und immer wieder AfD-Wähler*innen?)

Mely Kiyak kopiert unter diesen Text ihre letzte “Deutschstunde”, die politische Kolumne, die sie seit zehn Jahren für Die Zeit schreibt, schrieb.

Wenn man, egal wo man auf der Welt lebt, von seiner Gesellschaft als Feind betrachtet wird, dann erkennt man schneller, wenn die Luft dünn wird. Man ist wie Kranich, Pfau und Pirol, ein Vogel, der die Wetterveränderung in der Atmosphäre spürt und seinen Gesang ändert. Wir frühen politischen Kolumnistinnen haben diesen Temperaturwechsel schon Jahrzehnte vorher registriert und mit Regenrufen die Wetterverschlechterung gezwitschert. Ich denke hier vor allem an Autorinnen wie Hilal Sezgin. Ich denke auch an die ersten Autorinnen, Theatermacherinnen, Dichterinnen, die vor mir schrieben. Jede von uns hatte ihre Zeit.

§

Das hier schreibt Mely Kiyak statt dessen, und auch darin verstehe ich sie ganz.
“Gute Momente”.

die Kaltmamsell

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