Abschied
Freitag, 18. Juni 2004Es war einmal der Chef einer gut gehenden Münchener Werbeagentur, der die Initialen G.W. trug. Grade mal über 40 Jahre alt begann er Mitte der 90er ein Studium der Philosophie an der Ludwig-Maximilian-Universität. Nach einigen Seminarstunden beklagte er bei seinen Mitarbeitern, die berühmt hübschen Münchener Studentinnen würdigten ihn keines Blickes. Die Agentur-Mitarbeiter, allesamt erheblich jünger, erkundigten sich nach genaueren Umständen. Dann rollten Sie einmütig die Augen und wiesen G.W. darauf hin, dass er an geisteswissenschaftlichen Instituten nicht gerade attraktiv wirkte, wenn er mit einem fetten BMW und im Anzug daherkam. Die lieben Werber und Werberinnen ersannen eine Lösung und setzten sie um: Zu seinem nächsten Geburtstag stellten sie G.W. einen taubenblauen Citroën 2CV6 in die Tiefgarage, frisch importiert aus Nordafrika, chromblitzend und praktisch ungefahren. Den Kaufpreis zog die Buchhaltung von seinem nächsten Geschäftsführergehalt ab.
Welche konkreten Folgen der Wechsel von Outfit und Auto hatte, ist nicht überliefert. Klagen kamen allerdings keine mehr.
Nun trug es sich zu, dass mein kleiner Bruder just zu dieser Zeit in besagter Agentur zum Werbekaufmann ausgebildet wurde. Als Lehrling war er unter anderem zuständig für die Pflege des cheflichen Nebenautos: Waschen*, zum Schrauber fahren, vom Schrauber abholen, umparken. Da mein Bruder nie mit der erforderlichen liebevollen Einstellung ins Entenfahren eingewiesen worden war, hasste er all die Abweichungen vom Standard, auf die man sich in einem Citroën 2CV einstellen muss: Zündschlüssel links, Revolverschaltung, Zwischengas etc. Er hasste die Ente.
Schon nach gut einem Jahr und mit einem Tachostand knapp unter 10.000 Kilometer hatte das taubenblaue Studentenauto seinen Dienst wohl getan. G.W. kümmerte sich nicht mehr darum, ließ es einfach in einer Nebenstraße stehen, veranlasste nicht einmal mehr regelmäßige Pflege. Als ihm zumindest die Existenz seines Citroën 2CV mal wieder einfiel und sein Gewissen sich meldete, bot er ihn kurzerhand meinem Bruder an. Der wehrte sich reflexartig mit Händen und Füßen – doch dann fiel ihm ein, dass er eine Schwester ohne Auto, aber mit einer Schwäche für Citroën 2CV hatte. Er ließ sich also von G.W. die Ente schenken.
Der Plan meines Bruders, mir das Auto nach lediglich kurzer Reinigung zu übergeben, war allerdings nicht umzusetzen: G.W. hatte sowohl alle Autoschlüssel als auch sämtliche Autopapiere verschlampt. Zudem war der Citroën 2CV in einem erbärmlichen Zustand. Ihm fehlte der Tankdeckel, das Faltdach hatte ein Loch, als mein Bruder die Abgasuntersuchung nachholen wollte, teilte ihm die Werkstatt mit, sie könne sich nicht entscheiden, an welchem der vielen Löcher im Auspuff sie das Messgerät ansetzen sollte. Es dauerte mehrere Monate, bis Ämter und Citroën-Zentrale Deutschland Autoschlüssel sowie Papiere ersetzt hatten und bis die Ente repariert und gereinigt war.
Es war ein grauer Sonntag im März 1997, als meine Mutter morgens anrief um sicherzugehen, dass ich um die Mittagszeit zu Hause sein würde. Drei Stunden später klingelte es an der Tür: Davor stand meine gesamte Familie, alle mit schelmisch funkelnden Augen. Ob ich nicht mal in den Hinterhof schauen wolle? Dort stand, chromblitzend und praktisch ungefahren, ein taubenblauer Citroën 2CV, geschmückt mit unzähligen gelben Schleifen. Mein Bruder überreichte mir die Fahrzeugpapiere und den Autoschlüssel. Am Schlüssel hing ein winziges Ledertäschchen mit Telefongeld und der Nummer des ADAC. Der Kofferraum enthielt nicht nur die Originalausstattung des Wagens, also Reserverad, Anlasskurbel, Wagenheber und Holzkeil. Mein einzigster und liebster Bruder hatte auch für eine karierte Wolldecke und Starthilfekabel gesorgt.
Seither fuhr ich die Ente, mal mehr, mal weniger. Eher weniger. Denn nicht nur brauche ich eigentlich kein Auto und fahre ungern, ein Citroën 2CV ist ein rechtes Sensibelchen und fährt gerne auch mal nicht. In den vergangenen Jahren stand mir zwar als Schrauber ein echter Ent-usiast (siehe Eintrag vom 17.9.) zur Seite, doch für ihren diesjährigen Winterschlaf blieb die Ente weit entfernt von ihm liegen. Seit Dezember letzten Jahren stand das Auto einfach in einer Nebenstraße. Am liebsten hätte ich es einfach vergessen – sein Schicksal schien sich zu wiederholen.
Vor zwei Wochen gab ich mir endlich den notwendigen Ruck, der mich ans Telefon schubste. Ich rief den Entendoktor an und schenkte ihm das Auto. Die einzige Gegenleistung, um die ich bat: Er musste den Citroën 2CV mit mir in Augsburg abholen. Gestern fuhren wir hin, brachten die Ente recht schnell zum Laufen, tuckerten sie nach München. Dr. ent. bekam Papier und Schlüssel. Es ist sein 24. Citroën 2CV.
Jungfernfahrt im März 1997
*Bei aller suspension of disbelief gibt es in der Filmgeschichte einen sachlichen Fehler, den ich nicht zu verzeihen bereit bin: Am Anfang von Indecent Proposal wird eine Ente in eine WASCHSTRASSE gefahren!!!! (Ein Citroën 2CV ist sehr luftig gebaut und damit nicht wasserdicht. Durch den Wasserdruck in einer Waschstraße würde der gesamte Innenraum durchnässt.)