Einige Tage habe ich vergeblich darauf gewartet, dass irgend jemand diese aktuelle, Geschrei auslösende „Studie“ der International Association for the Study of Obesity zerschießt, Deutschland habe in Europa die meisten „Dicken“. Denn in der ersten Veröffentlichung, die zumindest mir vor Augen kam, hieß es in der SZ, als übergewichtig sei dabei bereits jeder und jede eingestuft worden, die Körpergröße in Zentimetern minus 100 Kilos wiegen. Wie bitte? Selbst die skrupelloseste Diätgewinnlerin der deutschen Nachkriegsgeschichte, das Frauenmagazin Brigitte, nannte diese Korrelation „Normalgewicht“.
Möglicherweise besteht Hoffnung: Frau Food Vagabond wies mich auf einen Artikel in der gestrigen Sonntags-FAZ hin, in dem Diätgegner und Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer Stellung nimmt:
Das war keine internationale Studie, das waren zwei Blätter einer Organisation, die nach Angaben des British Medical Journal von der Pharmaindustrie, den Herstellern von Appetitzüglern, gesponsert wird. Die Zahlen sind wertlos, sie stammen aus den unterschiedlichsten Quellen, sie sind nicht altersstandardisiert und wurden mit unterschiedlichen Methoden erhoben. Die „Studie“ hat nicht einmal Autoren. Aber die Schlagzeilen waren aufsehenerregend.
Auf der Website der Association gibt es die beiden Blätter zum Download.
Darauf auch die Anmerkung: “Age range and year of data in surveys may differ. With the limited data available, prevalences are not age standardised. Self reported surveys may underestimate true prevalence. Sources and references are available from the International Obesity TaskForce database.”
Anscheinend sind ein paar Basisfakten immer noch viel zu wenig bekannt. Also hier nochmal von vorne, aus dem Interview „Diäten machen dick. Und krank.“, das die Schweizer Weltwoche vor einiger Zeit mit Herrn Pollmer führte:
Eine Diät bedeutet für den Körper eine Hungersnot. Er fährt den Energieverbrauch runter und nutzt jedes bisschen Nahrung bis aufs Letzte aus. Deshalb nimmt man zwar zu Beginn einer Diät ab, aber nach einer Woche hat der Körper den Trick raus und steuert dagegen. Sobald der enttäuschte Kunde wieder normal isst, kehrt er dank der optimierten Futterverwertung rasch zum Ausgangsgewicht zurück. Ab der zweiten oder dritten Diät kommt es dann zum berühmten Jo-Jo-Effekt: Für den Körper handelt es sich um ein Zeitalter mit massiven Hungersnöten – darum legt er sich nach jeder Diät ein zusätzliches Reservepolster zu, der Gewichtsverlust wird überkompensiert.
(…)
Moment – wir hatten gemeint, gerade Fettleibige hätten ein erhöhtes Herzrisiko?
Das stimmt. Aber es steigt noch mehr, wenn sie abnehmen. Ein abgehungerter Dicker ist eben etwas anderes als ein von Natur aus Schlanker – ein abgemagerter Mops rennt ja auch nicht plötzlich wie ein Windhund. Wer Diäten macht, hat ein erhöhtes Herzinfarktrisiko und eine geringere Lebenserwartung. Und zwar unabhängig davon, ob er das tiefere Gewicht hält oder nicht.
(…)
Immerhin basieren die Ernährungsempfehlungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Falsch. Wenn ein Experte behaupten würde, er habe herausgefunden, dass die Schuhgrösse 27 die gesündeste sei, und darum müssten jetzt alle Schuhgrösse 27 tragen, würde man ihn für verrückt halten. Aber wenn ein Experte irgendeine Ernährungsweise für gesund erklärt, dann glauben alle, sie müssten das jetzt nachmachen. Dabei sind die Unterschiede in der Verdauungsphysiologie noch viel grösser als bei der Fusslänge. Jeder verträgt gewisse Nahrungsmittel besser oder schlechter, das ist sehr individuell. Wenn also eine allgemein gültige Ernährung propagiert wird, handelt es sich a priori um Scharlatanerie – egal, wie viele Professoren Mittäter sind.
Letzteres hätte ich schon gerne etwas genauer. Außerdem tut sich Udo Pollmer keinen Gefallen, wenn er suggeriert, der Körper hole sich schon, was er brauche (sorry, selbst der Wauzi der Nachbarin ist dafür bereits zu überzivilisiert), und zwischen Ernährung und Gesundheit bestehe kein beeinflussbarer Zusammenhang. Ich berichte, wenn ich das eine oder andere Buch von Herrn Pollmer gelesen habe.
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