Journal Sonntag, 23. Juni 2019 – Grillen bei Elterns
Montag, 24. Juni 2019Gestern hatten meine Eltern zum Grillen eingeladen (genauer: Sie hatten schon lange darauf hingewiesen, dass wir gerne mal zum Grillen kommen könnten und ich hatte den gestrigen Sonntag ausgesucht), auch die lieben Schwiegers waren angekündigt.
Ich schlief wohlig aus, blickte beim Hochziehen der Rollläden am Schlafzimmer auf nassen Boden und wolkigen Himmel. Für einen Morgenkaffee auf dem Balkon war es deutlich zu kühl. Doch die Wettervorhersage hatte für den nördlicheren Teil Bayerns Sonne und Hitze angekündigt, also kleidete ich mich (zu Herrn Kaltmamsells Verwunderung) entsprechend. Das vage geplante Krafttraining ließ ich bleiben und brachte dadurch Ruhe in die Stunden vor Abfahrt um elf. Statt dessen Wäschewaschen, Körperpflege, Internetlesen.
Der elterliche Garten empfing uns mit Sonne und Rosenpracht.
Die Eltern reichten ein Glas Sekt mit selbst gemachtem Limoncello – eine gefährlich gut schmeckende Kombination.
Bald glühte die Grillkohle, es wurde gegrillt und serviert.
Garnelen mit Knoblauchmajo, Lammkoteletts, dazu eingelegte Auberginen, mit Zwiebeln angemachte geröstete Paprika, Kartoffelsalat, Knoblauchbrot (die letzteren beiden rührte ich aus Furcht vor Überfressung nicht an).
Schweinebauch, Entrecote, Hähnchenflügel – alles köstlich.
Die Kirschen waren reif, ich half beim Pflücken, hier im Baum mit den gelben Kirschen.
(Foto: Papa)
Mein Vater erntete währenddessen im Baum mit den roten. Dieses Jahr hängen die Früchte in unglaublich dichten Büscheln im Baum, sind aber sehr klein (und schmecken, wie wir abends feststellten, nicht so gut wie sonst).
Im Verlauf des Nachmittags, es war schlagartig heiß geworden, kam die Bruderfamilie vorbei, großes Hallo. Meine Mutter hatte eine aufwändige Erdbeertorte vorbereitet, mit einzeln gebackenen Rührteigböden, gehackten Mandeln, Erdbeersahnecreme.
Diesem Prachtstück war nur mit einem elektrischen Messer beizukommen, es schmeckte großartig.
Wir nahmen einen Zug kurz nach sechs zurück nach München – wie viele, viele andere Menschen auch. Ich saß mittelunbequem auf dem Boden in der Tür (Stufe für Füße!), die eine Stunde Fahrt ging das schon. Allerdings begannen jetzt die Stellen zu jucken und schmerzen, an denen mich am Vortag beim Spaziergang die Schnacken erwischt hatten, Stich für Stich.
Hopfencheck in der Holledau.
Dazu Zeitungslektüre: Alex Rühle hatte in der Wochenend-SZ einen ausgezeichneten ganzseitigen Beitrag zur Debatte um das andauernde Primat von Autos in der Verkehrsplanung deutscher Städte abgegeben, leider nur gegen 1,99 Euro zu lesen. Unter anderem spielt er durch, wie es wäre, gäbe es heutzutage als Transportmittel nur Bahn, Schiff, Fahrrad, und man wollte private Autos neu einführen: Bekäme man nie durch, weil komplett bescheuert. Und es war der erste Artikel, den ich in deutscher Sprache gesehen habe, der endlich mal bei Schwärmen vom Modell Kopenhagen die enorme Besteuerung des Neuwagenkaufs erwähnt.
Daheim bügelte ich noch schnell das frisch Gewaschene des Wochenendes weg, dann Tagesschau und Internetlesen mit Kirschen.
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In ihrer Reihe “Nerds retten die Welt” hat Sibylle Berg mit Wilhelm Heitmeyer gesprochen, Forschungsprofessor, Gründer und ehemaliger Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.
Heitmeyer hat seit 1987 empirische Untersuchungen zu rechtsextremistischen Orientierungen veröffentlicht und wurde seither dafür angefeindet.
Haben Ihre vor dreissig Jahren begonnenen Studien zu irgendeiner Reaktion der Regierung geführt?
In der Regel kann ich sagen, dass die Reichweite von Wissenschaft doch sehr gering ist. Das gilt vor allem für missliebige Themen, die zeigen, was schiefläuft. Das liegt zum grössten Teil daran, dass alles, was eine Regierung tut, als Erfolg dargestellt werden muss. Da waren meine Forschungen, insbesondere bei konservativen Parteien, immer störend. Also, am besten: ignorieren, zurückweisen und diffamieren. Damit haben wir reichliche Erfahrungen gemacht.
(…)
Ich kann nicht verhehlen, dass es auch zermürbend sein kann, dass die inzwischen jahrzehntelangen, empirisch belegten Warnungen vor den politischen Entwicklungen nach rechts in ihren unterschiedlichen brutalen Formen bis hinein in die vornehme «rohe Bürgerlichkeit» immer wieder aggressiv als «Nestbeschmutzung» der deutschen Gesellschaft zurückgewiesen werden.
Der Sozialforscher beschreibt die menschenfeindlichen Einstellungen in unserer heutige Gesellschaft mit einem Zwiebelmodell.
Die äussere, grösste Schale stellen Bevölkerungsgruppen mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in ihren Einstellungen dar. Diese liefern Legitimationen für den «autoritären Nationalradikalismus» wie die AfD. Auch diese liefern wiederum Legitimationen für die systemfeindlichen Milieus wie die Parteien Die Rechte, NPD etc., die bereits mit Gewalt hantieren. Dann gibt es die neonazistischen Unterstützungsnetzwerke wie die gewalttätigen «Kameradschaften», die nahe an rechtsterroristischen Zellen platziert sind.
Die neue, größte Gefahr laut Heitmeyer:
Vor allem der «autoritäre Nationalradikalismus» ist es, der auf der Erfolgsspur wandelt, weil er die «rohe Bürgerlichkeit» hinter sich versammelt und – das ist wichtig und soll hier absichtsvoll insistierend wiederholt werden – auf die zentralen Institutionen dieser Gesellschaft zielt, also Schulen, Parlamente, Justiz, auch Theater, Gedenkstätten, politische Bildung und Erinnerungskultur, Polizei, Medien etc. Das Ziel ist es, sie zu destabilisieren, um mit Hilfe eines autoritären Kontrollparadigmas gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie vorzugehen.
Einfache Gegengifte gibt es nicht mehr.
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Ein weiterer Grund, warum ich Freunde und Familie in den USA leider nicht besuchen kann: Der US-amerikanische Journalist Seth Harp wollte bei seiner Wiedereinreise in Austin nicht preisgeben, worüber er gerade recherchiert – und wurde deshalb von der Grenzpolizei total auseinandergenommen.
“I’m a Journalist but I Didn’t Fully Realize the Terrible Power of U.S. Border Officials Until They Violated My Rights and Privacy”.
(Lesen Sie gerne mal die Posten eines Einreiseantrags in die USA durch, vor allem die Verzichtserklärung am Ende. Zwar bin ich alt genug, mich an die Schikanen bei einer Einreise in die DDR zu erinnern, aber selbst die verlangten keine Offenlegung von Aliassen/Pseudonymen.)