Archiv für Juli 2022

Journal Sonntag, 17. Juli 2022 – Eritreischer Sommersonntag

Montag, 18. Juli 2022

Gut und lang geschlafen – Herr Kaltmamsell hatte sich bei meinem Aufstehen um halb acht bereits selbst Filterkaffee aufgebrüht, weil der Milchkaffee von mir ausblieb.

Bloggen über Milchkaffee auf dem Balkon. Immer mehr Meisen und Amseln trauten sich trotz meiner Anwesenheit an die Wasserschale. Ich hörte aus den Bäumen davor Eichelhäherkreischen und Eichhörnchenglucksen.

Die Wahl des Sports fiel auf Yoga außer der Reihe. Ich folgte wieder einer Empfehlung von Micha und landete für 40 Minuten bei Yoga with Tim. Wieder ein bisschen Mitturnen bei den Großen – ich freute mich, dass mein “vocabulary”, wie Adriene es nennt, inzwischen zumindest dafür reicht zu wissen, was mit den Ansagen gemeint ist. Und ausführen konnte ich auch fast alles, das machte Spaß.

Zum Mittagessen waren wir eingeladen und trafen ein paar Menschen wieder, die wir seit vor Beginn der Pandemie nicht mehr gesehen und gesprochen hatten. Herr Kaltmamsell und ich wurden eritreisch bekocht: Injera, darauf Lamm mit Tomate, Weißkraut mit Kartoffel, rote Linsen, Spinat mit Kartoffel, frischer grüner Salat (wir durften mit Messer und Gabel essen – irgendwann muss ich aber doch versuchen, die Hirsefladen für Essen mit Fingern zu verwenden). Zum eritreischen Kaffee ging’s ins Wohnzimmer: Bohnen wurden geröstet, gemahlen, aufgekocht, mit Zucker und Milch serviert – herrlich sanft und aromatisch. Dazu traditionell Popcorn, eingedeutscht zudem herrlich saftiger Marmorkuchen.

Der Nachmittag war strahlend sonnig, doch nicht unerträglich heiß. Ich ging mit Herrn Kaltmamsell auf einen kleinen Spaziergang, unter anderem zum Nachbarschafts-Eisdieler für ein großes Speiseeiserl.

Ein paar häusliche Erledigungen und schon war der Tag rum. Zum Abendessen gab es Käse, Gurke, Walnussbrot, zum Nachtisch drei Sorten Pfirsich mit Joghurt.

Abschließendes Räumen für Putzmanneinsatz, Vorbereitung einer weiteren Arbeitswoche.

Journal Samstag, 16. Juli 2022 – Hochsommersamstag mit Lauf, Freibad, Balkon

Sonntag, 17. Juli 2022

Das war ein sehr voller und schöner Sommersamstag.

Die Nacht mit leichtem Schlaf und Kopfweh – und der Befürchtung, dass Alkohol gar nicht mehr geht.

Ich beendete diese Nacht dann halt früh. Trotz wundervoller Sonne war es für Balkonkaffee im Schatten zu kühl.

Der Walnussbrot-Teigling hatte die Nacht im Gärkörbchen im Kühlschrank verbracht, nach einer Stunde Temperierung wurde er gebacken.

Ich muss lernen, tiefer einzuschneiden. Und der Anschnitt nach Auskühlen zeigt: Längere Garen wären besser gewesen (ich war immer an der unteren Zeitgrenze geblieben), das hätte eigentlich ein großporiges Weizensauerteigbrot werden sollen. Ich hätte außerdem besser zwei Laibe formen sollen. Aber es schmeckte gut.

Luxusgemaule: Ich muss meine Sportpläne darauf einrichten, dass Schwimmen vorerst ausfällt. Nämlich bis ich eine Lösung finde, wie es ohne Biopren bei der neuen, energiesparend gesenkten Wassertemperatur von 22 Grad in den Münchner Freibädern einrichtbar ist, die mich ab 700 Metern erbärmlich frieren lassen. Neopren-Schwimmanzüge, so habe ich festgestellt, sind nicht nur scheißteuer (300 Euro aufwärts), sondern auch Riesentrümmer, die ich nicht unbedingt lagern müssen will. Als Alternative ist mir bislang nur die Aufteilung meiner üblichen 3.000 Meter in dreimal 1.000 Meter mit dazwischen Aufwärmen in der Sonne eingefallen, die dafür allerdings auch heiß genug scheinen muss. Und selbst an diesen Gedanken muss ich mich erst mal gewöhnen, bis dahin also erst mal kein Kachelzählen mehr.

Gestern wich ich auf eine weitere Laufrunde aus.

Laufkleidung mal von hinten. Vorderansicht nur wegen des charmanten Moiré-Effekts der Vorschau.

(Kurzes Innehalten: Dass ICH je wieder so richtig Joggen können würde! Das hatte ich mir vor zwei Jahren, vor drei Jahren mit der kaputten rechten Hüfte wirklich nicht vorstellen können.)

Um beim Isarjoggen mal was Neues zu erleben, radelte ich im nördlichen Englischen Garten zwei Brücken weiter als sonst. Statt mit Blick auf den Friedensengel stellte ich mein Rad an der Kennedybrücke ab. Mein Ziel war, nach vielen Jahren auf der Ostseite hinter der Leinthalerbrücke, die ich meist zum Queren verwende, wieder bis zum Isarsteg Unterföhring zu laufen, auf der anderen Seite über Poschinger Weiher am Mittleren Isarkanal zurück. Sollte das sehr weit sein, würde ich den restlichen Rückweg halt spazieren statt zu joggen.

Start unter der Kennedybrücke.

Hier bereits jenseits der Leinthalerbrücke.

Seit Jahren nicht mehr gesehen: Den Kanal zum Klärwerk Gut Großlappen.

Der Isarsteg Unterföhring (es gibt einen München-Tatort, der hier beginnt). Mittlerweile war ich durstig und suchte mir eine Stelle am Fluss, an der ich gut ans Wasser kam.

Einige Hände voll klares, süßes Isarwasser taten gut.


Bei erster Gelegenheit lief ich hoch zum Kanal.

Von dort neue Aussichten auf die Isar.

Und auf Unterföhring.

Die Streckenlänge stellte sich als fast ideal heraus, in meinem (weiterhin sehr langsamen) Tempo ca. eindreiviertel Stunden. Nach 90 Minuten war ich noch nicht zurück am Fahrrad, und meine Waden begannen etwas zu zwicken. Ich hätte problemlos weiterlaufen können, doch da ich auch für Sonntag Sportpläne hatte, musste ich ein wenig streng mit mir werden und mich zum Aufhören ermahnen. Ich nahm Vernunft an und spazierte die letzte Viertelstunde.

Auf dem Rückweg mit dem Fahrrad kreuzte ich den gestrigen CSD auf der Wittelsbacherbrücke (wirklich gute Musik!). Im Glockenbachviertel kam mir eine wunderschöne Drag Queen entgegen – auf einem DB-Leihradl und mit bewundernswerten Akkrobatik-Versuchen, Pedaletreten und 15 cm hohe Plateausohlen zu verbinden.

Frühstück: Walnussbrot, Käse, Selleriesalat.

Plan war gewesen, den Nachmittag im Einzelbad zu verbringen (Naturbad Maria Einsiedel), zum Glück hatte ich noch rechtzeit erfahren, dass es wegen erhöhter Keimbelastung vorübergehend geschlossen worden war.

Also spazierte ich statt dessen ins Schyrenbad, um durch Sonnenbaden meine Hautalterung zu beschleunigen. Die Wiesen waren für einen Sommersamstag nur mittelvoll, die Schwimmbahnen meiner Ansicht nach auffallend leer. Nach einem ersten Schläfchen schwamm ich sogar ein paar Bahnen, wurde allerdings noch vor Einsetzen von echtem Frieren gestoppt: Wadenkrampf. Außerdem zeigte sich wieder, dass mir auch zwei Stunden nach einer Mahlzeit jedes Essen vor sportlicher Bewegung ungut schwer im Magen liegt.

Nach knapp drei Stunden Dösen und Musikhören hatte ich genug und spazierte heim.

Auf dem angenehm temperierten Balkon las ich die Wochenend-Süddeutsche, verschreckte durch meine Anwesenheit die Vögelchen, die gestern im Minutenabstand Tränke/Bad aufsuchten. (Tut mir ja leid, aber ich will auch mal was vom Balkon haben.)

Herr Kaltmamsell servierte nochmal Erdbeer-GinTonic, wenig später als Nachtmahl Brathähnchen und Zucchinigemüse – ein großer Genuss. Nachtisch Schokolade.

Im Fernsehen stolperten wir über den Film Wild Target von 2010 und blieben hängen (Bill Nighy UND Emily Blunt – jederzeit alles): Eine wundervolle Komödie, oder wie Herr Kaltmamsell nach wenigen Minuten umschrieb – “Loriot als Auftragskiller”! In diesem Fall eben gespielt von Bill Nighy.

Nachdem der Tag ohnehin nicht wirklich heiß gewesen war, kühlte die Luft abends schön ab, wir konnten bei offenen Fenstern zu Bett gehen.

Journal Freitag, 15. Juli 2022 – Mely Kiyak, Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an, böser Lärm, Beifang aus dem Internetz

Samstag, 16. Juli 2022

Nach dem Weckerklingeln (eine weitere herrlich unerwähnenswerte Nacht, Hormonersatztherapie ist super) erst mal erste Handgriffe fürs Wochenendbrot: Ich plante dieses Walnussbrot, den Weizensauerteig hatte ich schon Donnerstagabend beim Heimkommen aufgefrischt. Beim Morgenkaffee besonders laute Grünspecht-Rufe von draußen – die mir besonders deutlich unter die Nase rieben, dass ich das Mistvieh nie zu sehen bekomme.

Während der Selbsttest bei Herrn Kaltmamsell auch zweieinhalb Wochen nach erster Positiv-Testung einen hauchdünnen zweiten Strich angezeigt hatte, bestätigte ein PCR-Test am Donnerstag, dass er tatsächlich so wenig infektiös ist, wie er sich fühlte.

Es hatte überraschend stark abgekühlt in der Nacht, ich hätte auf dem Weg in die Arbeit mit meinen nackten Beinen und dem Sommerkleidchen ein Jäckchen vertragen.

Arbeitsrhythmus im Büro ruhig, meine Erschöpfung von der Woche machte mich eh nicht besonders leistungsfähig.

Mittags Birchermuesli mit Sojajoghurt, Pfirsiche, Pflaumen.

Auf dem Heimweg durch milde Sonne ohne Hitze Einkäufe beim Vollcorner, vorher auf einen Sprung in den Edeka, um Dijon-Senf zu preppen (siehe unten).

Zu Hause erst mal zwei Arbeitsschritte Richtung Walnussbrot, dann eine Runde Yoga: Wiederholung der Anstrengung vom Vortag mit langer Tauben-Haltung – doch ich nahm die Aufforderung ernst, dabei in erster Linie wahrzunehmen, was in meinem Körper passierte (Schultergürtel verkrampfte und ging hoch, Hüftdehner/Po begannen zu schmerzen), statt auf ein Ziel hinzuarbeiten. Danach Brotteig-Kneten. Außerdem machte die Insektenlage mal wieder eine Fruchtfliegenfalle nötig, nach dem bewährten Rezept.

Jetzt war endlich Wochenende, Herr Kaltmamsell servierte Pimm’s auf dem Balkon.

Perfektes Sommerwetter: Sonnig mit Wolken, etwas Wind, warm, aber nicht heiß (man muss auch mal loben).

An unserer kleinen Vogeltränke mit Bademöglichkeit (beides rege genutzt von Meisen, Amsel, Specht) wurde getrunken.

Fürs Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell wieder Flat-Iron-Steak eingekauft, er servierte es mit einem Sellerie-Zucchini-Salat aus Ernteanteil – köstlich.

Dazu hatte ich eine Flasche Württemberger Schmalzried Cabernet Blanc Kleiner Bruder aufgemacht.
Zum Nachtisch reichlich Schokolade.

Spürbare Beeinträchtigung des Abends: Aus dem Nußbaumpark lärmte sehr schlecht gelaunte Live-Musik herein. Ich lasse mich wirklich ungern anbrüllen, und so hörte sich das an, getrieben von schnellem Brutalschlagzeug und aggressiver Gitarre. (Könnt ihr euren Death Metal nicht ein bisschen fröhlicher machen? Jaja, ich weiß, das ist ja der Punkt.)

Ich zählte die Minuten runter bis 22 Uhr, wenn Ruhe sein würde (und war wütend entschlossen, ab 22.05 Uhr bei Weiterlärmen die Polizei zu rufen – oder persönlich die Bühne zu stürmen, alte weißhaarige Frau reißt Schlagzeuger die Sticks aus der Hand, anschließen Gitarrero die Gitarre vom Hals). Denn auch wenn sich jedes Stück anhörte, als würden dabei die Instrumente zerstört, war immer genug Instrument für ein nächstes Stück übrig, und über die Stunden wurde ich mürbe und böse. Zum Glück für alle Beteiligten war tatsächlich bei Glockschlag zehn vom Turm der Matthäuskirche Ruhe. Selbst hatte ich mich allerdings nicht mal bis zum Schlafengehen beruhigt.

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Empfehlung für Mely Kyiak, Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an. Mir wurde das Buch empfohlen, als im Freundeskreis das Gespräch kürzlich auf unsere Väter kam und auf deren Leben als Rentner. Die Journalistin und Autorin Kyiak beschreibt, wie sie ihren Vater ins Krankenhaus begleitet, wie Diagnose und Behandlung verlaufen, wie sie ihren beruflichen Alltag parallel organisiert. Meine Freude an der Lektüre speiste sich zum einen aus der Liebe Kyiaks zu ihrem Vater, zum anderen aus dem endlich gewachsenen Genre Immigrationsliteratur. Anlässlich von Pia Ziefles Suna hatte ich mich vor zehn Jahren noch gefragt, wie lange es zu einer vielfältigen solchen in deutscher Sprache brauchen würde; seit einigen Jahren gibt es sie. Und Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an ist davon eine aus dem deutschen Alltag. Die Herkunft des titelgebenden Herrn Kyiak ist durchaus Thema, immer wieder tauchen kursiv gesetzt seine Geschichten aus der Familien-Mythologie auf (Blutsfehde! Wildes Kurdistan! Bruder im Gefängnis! einvernehmlicher Brautraub!). Vor allem aber sehen wir einer Einwandererfamilie beim Leben zu, in einem bestimmten Abschnitt dieses Lebens, als bei Mely Kyiaks Vater Krebs diagnostiziert wird. In einem deutschen Krankenhaus mit Rosenrabatten davor und mit aus Überarbeitung herzlosem Personal. In einem Umfeld aus angereisten Verwandten aus der Türkei, aus deutscher Bürokratie, aber auch aus verständnisvollen Zeitungsredaktionen.

Mir gefiel auch sehr gut, wie die temperamentvolle und unkonventionelle Kyiak ihre Gefühlsstürme in Sprache fasst, wie sie auf ihr eigenes Großwerden zurückschaut, das in nur wenigen Details zum Klischee der türkischen Gastarbeiterfamilie passen mag, aus der sie aber eindeutig stammt. Kyiak setzt ihrem lieben, leisen, eigenwilligen Vater ein Denkmal, gleichzeitig ihrer Tocherliebe – da wurde selbst mir Struktur-Suchtlerin egal, ob das nun ins Genre fiction oder non-fiction gehört: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an ist eine wundervolle, lesenwerte Geschichte.

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Ein Plakat war mir schon an einer Müncher Litfaßsäule aufgefallen, jetzt spülte mir der Twitter-Account der Stadt München dazu in die Timeline den Link zur Ausstellung:
“Departure Neuaubing. Europäische Geschichten der Zwangsarbeit”.

Ich scrollte sehr vorsichtig durch die Multimedia-Website: Meine Großmutter mütterlicherseits war ja in der Nazizeit mit ihrer Schwester als Zwangsarbeiterin aus Südpolen ins Schwäbische verschleppt worden, womit ich mir meine immer wieder unkontrollierbar heftigen emotionalen Reaktionen auf das Thema erkläre.

Dieses Projekt des NS Dokumentationszentrums sieht sehr interessant und vielfältig aus. Zum Beispiel:
“Mind the Memory Gap”.

Am Ende der NS-Diktatur bestand die Bevölkerung Münchens zu einem Viertel aus Zwangsarbeitenden. Im Stadtteil Neuaubing war ihre Anzahl höher als die der Einheimischen.

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In Graz ist sein einiger Zeit Einiges anders, sie haben dort eine kommunistische Bürgermeisterin:
“Eine Politik für die Leut’
Über Jahrzehnte hat sich die KPÖ in Graz zur stärksten politischen Kraft emporgearbeitet. Ihr Wahlsieg war ein Schock für die bürgerlichen Parteien – und womöglich ein Segen für alle anderen.”

Die Bürgermeisterin lässt auf sich warten. Sie hat einen Fall zu lösen, der keinen Aufschub duldet. Das Asylgesuch einer Familie wurde abgelehnt, sie braucht dringend Geld für die Miete. Das Sozialamt zahlt nicht mehr, weil es von Gesetzes wegen nicht mehr zahlen darf. Elke Kahr lässt von ihrem Lohnkonto zwei Monatsmieten an die Familie überweisen. Mandatar:innen der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) spenden einen Grossteil ihres Gehalts für Menschen in Notlagen. Im vergangenen Jahr waren es 200 000 Euro – doppelt so viel, wie dem Hilfsfonds der Stadt Graz zur Verfügung steht. So funktioniert Kommunismus in Graz.

Es einfach mal anders machen. Weil es geht und man es für richtig hält – das freut mich. Auch in diesem Fall halte ich die konkrete Arbeitsweise nicht für eine Patentlösung und verallgemeinerbar, mir gefällt aber diese pragmatische Unkonventionalität, das beste aus konkreten Umständen herauszuholen.

Der Wahlerfolg der Kommunist:innen irritierte über die Landesgrenzen hinaus, Journalist:innen reisten an und spürten diesem steirischen Phänomen nach, begleiteten Elke Kahr, befragten Menschen in Gasthäusern, beschrieben die erste Frau im Bürgermeisteramt als Sozialarbeiterin, als etwas «biedere» Kümmerin. Und das war nicht nett gemeint. Die Botschaft: Das ist keine ernst zu nehmende Politik, das ist eigentlich gar keine Politik. Weil die KPÖ Interessen ausgleichen und alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und Haltung mitnehmen möchte? Vor allem jene, die nicht mit prächtigen Ressourcen ausgestattet sind?

Anders, als es jene hohen Beamten und Offiziere der Monarchie praktizierten, die im milden Klima der Südsteiermark ihren Lebensabend verbrachten und hier ihre üppigen Pensionen ausgaben, weshalb Graz mitunter der Beiname «Pensiopolis» anhaftet. Spuren davon finden sich noch immer in der DNA dieser schönen Stadt. Die KPÖ hat eine neue Sequenz in diese DNA eingebaut. Die Stadträt:innen der KPÖ verzichten auf einen beträchtlichen Teil ihres Gehalts, was ihnen auch schon den Vorwurf des «Stimmenkaufs» einbrachte. Von den 8000 Euro Nettogehalt nimmt die Bürgermeisterin für sich 2100 Euro. Damit, sagt Kahr, könne sie leben. «Und so vergessen meine Kollegen und ich nicht, wie es Menschen geht, die sich zur Decke strecken müssen, um ihr Leben zu bestreiten.»

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Sebastian Meineck auf Netzpolitik:
“NCMEC-Zahlen erklärt:
Das Raunen vom millionenfachen Missbrauch”.

Irgendwas mit Millionen – das ist die Zahl, die hängen bleibt, wenn man Berichte über sexualisierte Gewalt gegen Kinder liest. Zahlen sind Nachrichten, und bei derart schweren Verbrechen ist ihr Nachrichtenwert besonders hoch. Aber Zahlen müssen auch stimmen, und genau hier mangelt es bei Nachrichtenmedien und Politik an Einordnung.

Die ist derzeit besonders wichtig, denn es gibt eine hitzige Debatte unter Politiker:innen, Kinderschützer:innen, Bürgerrechts-Organisationen und IT-Expert:innen. Der Streit dreht sich um ein Vorhaben der EU-Kommission. Es sieht vor, dass Online-Anbieter auf Anordnung auch private Chats durchleuchten müssen. Diese Chatkontrolle soll sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz aufspüren.

Untermauert wird das Vorhaben auch mit Zahlen. In ihrem Entwurf schreibt etwa die EU-Kommission: Im Jahr 2021 gab es fast 30 Millionen Meldungen über Fälle von „Kindesmissbrauch“ im Netz. Das ist sehr verkürzt. Um das Für und Wider einer Chatkontrolle zu diskutieren, braucht es mehr.

Die riesige Zahl bedeutet nämlich nicht, dass es fast 30 Millionen potentielle Opfer gebe. Tatsächlich ist diese Zahl nicht geeignet, um die Anzahl potentieller Opfer auch nur annähernd abzuschätzen. Ohne weitere Erklärungen erzeugen solche Zahlen ein grob verzerrtes Bild über das bekannte Ausmaß sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige im Netz. Hier kommt eine Übersicht, was wirklich hinter den Zahlen steckt – und was nicht.

Wie so oft: Es ist halt ein bisschen anstrengend.

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Wie der Alltag Anfang des 20. Jahrhunderts im kleinstädtischen Wyoming aussah – fotografiert von Lora Webb Nichols:
“A Woman’s Intimate Record of Wyoming in the Early Twentieth Century”.

Die Schuhe! Die Kleidung!

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Lieferkettenprobleme oder: Wie ich herausfand, warum ich in den vergangenen Monaten nach Dijon-Senf immer suchen musste und die großen Gläser davon ganz verschwunden zu sein scheinen.
“France Faces a Shortage of Mustard, Its Uniquely Beloved Condiment”.

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Seit ich Fernwanderwege mit Namen wandere, denke ich in tiefer Dankbarkeit an die vielen Menschen, die mir das ermöglichen: Die diese Wege beruflich oder ehrenamtlich legen, pflegen, ausschildern. Herr Kaltmamsell fand im Guardian ein Foto-Essay über solche Leute in Schottland.
“‘It suits the strong-willed’: Scotland’s mountain path makers – a photo essay”.

Wenig überraschend ist ein Ziel der Wegpflege, Wandernde vom Querfeldein-Trampeln abzuhalten, das die empfindliche Vegetation zerstören würde. Die leidenschaftliche Bitte (sicher nicht nur für Schottland): Bleiben Sie beim Wandern auf den Wegen! Nachdem in den vergangenen Jahren ohnehin Wandern immer beliebter wurde, sind die Besucherzahlen in der Pandemie nochmal steil gestiegen. Die Auswirkungen habe ich ja selbst auf meinen Lieblingsstrecken im Münchner S-Bahn-Bereich gesehen; wenn all diese vielen Menschen die Wege verlassen, richten sie großen Schaden an. Neu war mir diese Bitte:

“If you need to use walking poles, fair enough, but put a rubber tip on them. If you don’t need them don’t use them, they hasten the erosion, you get tiny little holes in all the surfacing and the verges along the sides, which allows the water in. You are basically widening your own footprint by a good foot on either side by constantly using these poles.”

Übersetzt: Wenn Sie auf Wanderstöcke angewiesen sind, sollten Sie diese natürlich nutzen, aber bitte mit Gummistöpseln über den Spitzen. Wenn Sie nicht auf Stöcke angewiesen sind, nutzen Sie bitte auch keine: Sie beschleunigen die Erosion, da sie kleine Löcher in die Oberflächen bohren, die Wasser eindringen lassen. Mit Stöcken verbreitern Sie im Grunde Ihren Fußabdruck um 30 Zentimeter auf beiden Seiten.

Journal Donnerstag, 14. Juli 2022 – Sonnenaufgangslauf

Freitag, 15. Juli 2022

Wecker auf fünf: Ich wollte nach Jahren (erst Hüfte kaputt, dann neue Hüfte zu neu, dann Sommer 2021 zu nasskalt) mal wieder vor der Arbeit Laufen – im Hochsommer, wenn es um sechs schon hell genug dafür ist. Nachts leider keinen Riesenvollmond gesehen, er wurde von Wolken verdeckt.

Was ich selbst als Lerche nicht kann: Vom Bett direkt in die Laufkleidung steigen und losrennen. Eine halbe Stunde mit Blumengießen, Wassertrinken mit Hinsetzen brauche ich schon. Aber dann putzte ich Zähne, schlüpfte in meine Laufsachen und radelte zur Wittelsbacherbrücke. Den ersten Kilometer kam ich schier nicht in Schwung: So viel zu fotografieren!

Die Strecke war herrlich leer, begann sich erst ab 6.30 Uhr mit Läuferinnen und Läufern zu füllen. Meine 80 Minuten machten Beine und Kreislauf problemlos mit, doch leider plagte mich fieses Bauchweh. Für den vollen Genuss werde ich den Lauf vor der Arbeit wohl wiederholen müssen.

Daheim war Herr Kaltmamsell bereits in die Arbeit verschwunden. Ich duschte und nahm für den jetzt sehr sonnigen Arbeitsweg das Fahrrad: So kam ich nur eine knappe halbe Stunde später als sonst ins Büro.

Dort brach (noch während nachgeholtem Morgenkaffee aus der Cafeteria) für ein paar Stunden die Hölle in vielfältiger Form über mich herein, kaum etwas gleich lösbar, nichts miteiander verknüpft, wieder investierte ich viel Energie, die verschiedenen Betroffenen nicht ausbaden zu lassen, dass so viele andere Dinge mit ihren Anliegen in Konkurrenz standen.

Bis Mittag hatte ich zumindest einen groben Klopps weggeräumt. Hochsommer ist, wenn ich statt Leitungswasser oder Kräuter-/Früchtetee über den Tag mehrere Liter Apfelschorle-Schorle (1/2 Apfelschorle aus der Flasche, 1/2 Wasser) trinke.

Mittagessen: Gurke aus Ernteanteil, Breze, Hüttenkäse.

Nachmittags Versuch der Launehebung, indem ich Online-Medien Spenden überwies.

Auf dem nachmittäglichen Hofgang stelle ich zum einen fest, dass es tatsächlich wie angekündigt heiß geworden war, außerdem endeckte ich auf den heißen Bodenplatten eine winzige Eidechse.

Nach sehr erschöpftem Feierabend radelte ich mit Rückenwind zum Eataly, dort kaufte ich neben Spaghetti Chitarra und Käse zweierlei Pfirsiche.

Daheim eine ausgiebige Runde Yoga.

Nachtmahl: Salat aus Ernteanteil mit Joghurt-Knoblauch-Dressing, warmer Hirsebrei mit Banane, Äpfeln, Rosinen, frischen Pfirsichen und wie im Rezept empfohlen Schlagsahne.

Schmeckte wieder sehr gut. Schokolade ging danach aber schon noch.

Journal Mittwoch, 13. Juli 2022 – Feierabend im Gans am Wasser

Donnerstag, 14. Juli 2022

Im Mondschein geschlafen: Ich hatte die Rollläden nicht herabgelassen, um den Sommerabendhimmel vom Bett aus anschauen zu können. Und da ich ja eh in der Nacht mindestens einmal aufwachen und aufstehen würde, konnte ich das Herablassen gegen Morgenlicht ja nachholen. So war es dann auch: Ich wachte auf – und blickte in den hellen kurz vor Vollmond. Das war sehr schön.

Morgens schaltete die Corona-Warn-App wieder auf rote Kachel: Der Sonntag – nachträglich war ich noch froher, dass ich drinnen durchgehend Maske getragen hatte. (Teste weiter negativ, symptomfrei bin ich eh).

Morgens war der Schwindel wie immer weg. Sonniger und angenehm kühler Weg in die Arbeit unter wolkenlosem Himmel.

Den Vormittag verbrachte ich mit heftigem Korrekturlesen.

Mittagessen war Birchermuesli mit Soja-Joghurt (ich hatte schon vergessen, wie gut der mir schmeckt – nicht statt echtem Joghurt, sondern auch), Pflaumen und Pfirsiche.

Nachmittags mehr Korrekturlesen der sehr anstrengenden Art (u.a. Quellenverzeichnisse), dazwischen Online-Besprechungen. Abschließend war ich gründlich erledigt.

Der Feierabend kam ein wenig später als geplant. Ich war im Westpark im Gans am Wasser verabredet, hatte vorher dort noch eine Runde lesen wollen. Jetzt kam ich lediglich pünktlich. Doch zum ersten Mal erwischte ich einen freien Tisch direkt am Teich, sah darauf Enten, darin Fische – und eine der Wasserschildkröten hervorlugen.

Es gab einen veganen Dönerteller mit Seitan, Grillgemüse, Humus, Couscous, Salat, düber Mango-Curry-Dressing. Und ein ganz ausgezeichnetes Rhabarber-Schorle.

Der Himmel hatte sich über den Nachmittag immer stärker bewölkt, es war schwül geworden. Auf dem Heimweg zu Fuß färbten sich die Wolken zudem immer dunkler, ein Gewitter wäre durchaus recht gewesen.

Zu Hause Schokolade zum Nachtisch, Lesen auf dem Balkon. Zu Bett bei bewölktem Himmel und mit neuem Buch: Hannah Gadsby, Ten Steps to Nanette: A Memoir Situation.

Journal Dienstag, 12. Juli 2022 – Schwindelablenkung

Mittwoch, 13. Juli 2022

Im Grunde hatte ich seit dem Vortag durchgearbeitet: Als eine der letzten Aufgaben war am Montag die Bitte um eine komplizierte Terminfindung eingelaufen, die ich zwar auf gestern schieben konnte (weil die Beteiligten ohnehin nicht mehr erreichbar waren), die mich aber seither belastete und im Hinterkopf arbeitete.

Entsprechend bedrückt ging ich durch einen milderen Sommermorgen in die Arbeit, freute mich weder an den Mauerseglern, die schrillend in Banden über den Himmel schossen, noch am Sommerlicht. Zumindest fiel mir durch dieses Arbeiten im Hinterkopf ein strukturiertes Vorgehen ein, mit der ich die Aufgabe anpacken konnte. Das tat ich im Büro gleich nach Teekochen und kam einen ersten Schritt voran.

Der Vormittag war wieder von Korrekturlesen belegt (so weit darf ich über Berufliches schreiben).

Mittags gab es Pumpernickel mit Butter und Flachpfirsiche.

Nachmittags gab’s Schwindel, der mir die Laune vermieste.

Dafür wurde das Wetter freundlicher. Ich versuchte ein Stück schwarze Schokolade gegen den Schwindel (die muss wirklich weg, ist schon ganz staubig-bröslig). Half nicht.

Auch die Sonne half nicht: Auf meinem Heimweg war mir schwindlig und düster. Und wissen Sie, womit ich mich von der Düsternis beim Gehen mit gesenktem Kopf abhielt: Indem ich darüber nachdachte, war ich am nächsten Tag anziehen würde. Andere rufen sich auswendig gelernte Gedichte ins Gedächtnis oder spielen im Kopf Schachpartien nach. Ich hingegen wäge intensiv ab, ob ich am warm bis heiß angekündigten Mittwoch mit möglicher Draußenverabredung am Abend eher die rote Tunika als Kleid trage (habe herausgefunden, dass sie mir so auch zwei Nummer zu groß an mir gefällt) oder die alte cremeweiße als Kleid ausprobiere. Und welche Schuhe ich dazu tragen könnte. So.

Nach einem Jahr war unser Topf mit Münzen trotz mehrheitlicher Kartenzahlung voll geworden (wir leeren abends immer unsere Geldbörsen hinein, ein ordentlicher Teil unserer Urlaubskasse), ich brachte die Münzen zu meiner Bank. Anschließend Abstecher zum Rewe, um unsere Süßigkeitenvorräte aufzufüllen.

Daheim hatte ich keine Lust auf Yoga weil Schwindel, also brach ich gleich mit Herrn Kaltmansell (dem ebenfalls schwindlig war) zum Abendessen auf: Wir landeten im Schnitzelgarten, diesmal schafften wir beide nur die Hälfte unserer Schnitzel und packten uns die andere Hälfte ein.

So war daheim noch Platz für Schokolade.

Im Bett Mely Kyiak, Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an ausgelesen: Ein sehr schönes Buch, später mehr dazu.

Journal Montag, 11. Juli 2022 – Montage sind selten interessant

Dienstag, 12. Juli 2022

Wieder ein kalter Morgen, ich spazierte in langen Hosen, festen Schuhen und mit Jacke unter bewölktem Himmel in die Arbeit.

Im Büro ordentlich Tempo: Ich musste ausgiebige Korrekturarbeiten mit Online-Besprechungen vereinbaren. Und ich musste die gekippten Fenster schließen, weil mich sonst fror.

Mittags Apfel, Quark mit Joghurt, Pfirsich.

Nachmittag mit Kuriositäten. Die mir leider zum Teil schlechte Laune machten.

Auf dem Heimweg, es war immer noch düster, aber etwas milder, kaufte ich eine Runde beim Vollcorner ein, unter anderem Plattpfirsiche und schwarze Pflaumen.

Daheim Yoga (es wird nicht interessanter), Herr Kaltmamsell servierte als Abendessen Ernteanteil-Zucchini in gebratenen Scheiben und Ernteanteil-Karotten mit Linsen auf türkische Art. Zum Nachtisch gab es erst mal Pfirsiche und Pflaumen, die nach dem Transport wegmussten (mir ist schon klar, warum Supermärkte kein wirklich reifes Obst verkaufen), Schokolade.

Die Nachrichten sind dominiert von der Energiekrise: Der anhaltende russische Angriff auf die Ukraine hat die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland entlarvt. Und während schon vorher die Energiepreise schmerzhaft steil gestiegen waren, wächst jetzt die Angst vor Energiemangel in der nächsten Heizperiode. Stellt sich heraus, dass die ausgebremste Energiewende (und mir hämmert im Hinerkopf, dass die Expert*innen der Vereinten Nationen seit Jahrzehnten dezentrale Energieversorgung als beste Lösung für die Zukunft berechnet hatten, also das als Energiequelle zu verwenden, was vor Ort reichlich vorhanden ist, sei es Sonne, Wasser oder Wind, aber auch Speise-Altöl oder Palmöl im Großdiesel-Generator, schon lange wurde Geothermie als weitere brauchbare Quelle erforscht) nicht nur wegen der Klimakatastrophe eine wirklich nützliche Priorität gewesen wäre.

Empfehlung derzeit für Bürger*innen: Geld zurücklegen für bis zu mehrere Tausend Euro Nachzahlungen an Energielieferanten fürs laufende Jahr.

§

Ich hatte ja nicht gedacht, dass ich die Schwarzmann Martina NOCH mehr lieben könnte.

https://youtu.be/i7LYyQBkdrs

Dieser Pragmatismus gewürzt mit Schabernack: Würde in größerer Verbreitung ganz sicher die Welt verbessern.