Archiv für Oktober 2023

Journal Montag, 30. Oktober 2023 – Ruhiger Montag, Regen

Dienstag, 31. Oktober 2023

Die Nacht war ein wenig unruhig, doch zum Weckerklingeln wachte ich munter auf. Es war weiterhin mild genug für einen barhäuptigen Marsch in die Arbeit.

Den Mond in den Feierabend entlassen.

Frieren musste ich dann wieder im Büro, langes Baumwoll-Shirt und leichter Blazer drüber waren nicht genug, von den Heizkörpern ging keinerlei Wärme aus.

Zwischen Besprechungen verließ ich das Haus kurz für einen Mittagscappuccino bei Nachbars, der Himmel war dunkeldüster geworden. Mittagessen: Scharfer Karottensalat, Dickmilch.

Zu Feierabend war es nach Zeitumstellung schon dunkel. So bekam ich nicht mit, dass es zu regnen angefangen hatte, und feuchtelte auf dem Heimweg (kurzer Abstecher zum Vollcorner und zur Bank für Bargeld) langsam durch.

Daheim Yoga-Gymnastik, ich begann nochmal Adrienes 30-Tage-Programm Home – vor ca. vier Jahren mein Einstieg ins Zuhause-Yoga. Brotzeitvorbereitungen, dann servierte Herr Kaltmamsell ein feudales Nachtmahl: Erster Gang Lauch-Käse-Suppe (Lauch aus Ernteanteil), für uns ein erstes Mal mit diesem deutschen Klassiker, überraschend köstlich.

Zweiter Gang: Georgische Auberginenröllchen mit Walnuss-Kräuter-Füllung aus Immer schon vegan von Katha Seiser. Rezept auch hier zu finden. Schmeckten ausgezeichnet, wie beim Georgier, doch hätte ich nie rausgeschmeckt, dass auch Korianderblätter verarbeitet waren: Sie gingen unter.

Der Nachtisch kam von mir: Ich hatte schon am Vorabend eine heimische Quitte im Ofen gebacken (hätte es eigentlich schon am Sonntag geben sollen, doch ich hatte zu spät ans Backen gedacht, und die brauchen halt doch über eine Stunde und müssen dann noch eine Weile abkühlen), servierte sie mit Joghurt und Wabenhonig. Danach ging nur noch wenig Schokolade.

Abendunterhaltung war eine Tierdoku auf 3sat:
“Geheimnisvolle Eichhörnchen”.

Saublöder Titel, aber viele niedliche Tierbilder. Neues gelernt habe ich nicht über Eichhörnchen, sondern über Kleiber.

Vielen Dank für Ihre Reaktionen auf meinen Gastgeben-Text (auf vielerlei Plattformen). Ich lerne daraus, dass mein Verhalten wohl nicht Mainstream ist – unter anderem daraus, dass die Schilderung erheblich weniger Beiträge zum Thema auslöste, als ich erwartet hatte. Leute einladen scheint doch eher ein Nischenhobby zu sein.

§

Ich lasse endgültig die Illusion fahren, Politiker*innen handelten Fakten-basiert. Sie handeln gemäß Wähler*innenstimmung und -gefühlen – und verstärken die in ihrem eigenen populistischen Interesse. Zum Beispiel mit der Unterstellung, Asylbewerber würden durch staatliche Unterstützung besser gestellt als Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind.
Umso wichtiger, dass Journalist*innen ihre Aussagen überprüfen. Hier zum Beispiel der Bayerische Rundfunk:
“Asylbewerber: Welche Leistungen sie wirklich bekommen”.

Aber auch das wird nicht bei Menschen ankommen, die sich irgendwie benachteiligt fühlen und sich ihre Stimmungen und Vorurteile nicht durch Fakten nehmen lassen.

§

Ich wiederum nehme hiermit zurück, dass es bei der Lösungsfindung im derzeit eskalierten Nah-Ost-Konflikt nicht hilft, historisch zu argumentieren. Wer die Hamas-Massaker damit rechtfertigt, Israel sei eine Kolonialmacht, und die israelische Bekämpfung der Hamas als “Genozid” bezeichnet – beides offensichtlicht eine im Westen verbreitete Argumentationslinie -, sitzt einer gefährlichen und belegbar falschen Informationen auf. Deshalb wichtige Lektüre dieses Essays von Simon Debag Montefiore im Atlantic:
“The Decolonization Narrative Is Dangerous and False”.

The Israel-Palestine conflict is desperately difficult to solve, and decolonization rhetoric makes even less likely the negotiated compromise that is the only way out.

via @antjeschrupp

(Kann man sich auch von z.B. Google übersetzen lassen.)

Journal Sonntag, 29. Oktober 2023 – Herbstbunt und geschäftig

Montag, 30. Oktober 2023

Schön lang geschlafen. Zu meiner Überraschung musste ich nach dem Wechsel auf Normal-(=Winter-)zeit vier Uhren in der Wohnung manuell korrigieren: die an Mikrowelle und Backofen, die Regal-Uhr im Bad und den Wecker neben meinem Bett, der seine Funk-Tauglichkeit schon vor Jahren verloren hat. Das ist nicht die Zukunft, die ich bestellt hatte.

Ich sah der rosenfingrigen Eos zu, bis sie Feierabend machte.

Herr Kaltmamsell kündigte seine Rückkehr für einen Tag früher an – nicht mal 48 Stunden Stroh-Single-Wohnen kamen dieses Jahr für sein Monsterkämpfen zusammen. Und ich empfing ihn besorgt: “Bis du etwa tot?!” War er nicht, dieses Jahr wurde halt nur ein kurzes Abenteuer gespielt.

Ich ging raus zum Laufen, wieder in kurzen Ärmeln und Dreiviertel-Hosen, weil warm. (Aber diesmal mit Weste.) Meine Strecke führte gestern über den Alten Südfriedhof nach Thalkirchen, um den Hinterbrühler See und zurück: Ging ganz gut (seltsamer Druck im linken Sitzbeinhöcker, der sich mit der Zeit ins ganze Bein zog), bot viele schöne Anblicke.

Das Wetter zog besonders viele alte Leute (also: wirklich alt) mit Fotoapparaten um den Hals ins Draußen. <3

Gymnastik auf Flaucher-Kiesbank rechts. In meinem Kopf formulierte ich weiter an dem Text übers Gastgeben, an dem ich seit Freitagabend geschrieben hatte.

Frühstück kurz nach eins: Selbstgebackenes Brot, Granatapfelkerne mit Sojajoghurt.

Das Fresskoma zog mich zu einer kurzen Siesta ins Bett, dann Bügeln im sonnigen Wohnzimmer. Dazu hörte ich einen FAZ Bücher-Podcast von der Frankfurter Buchmesse: Andrea Diener spricht mit Bov Bjerg über seinen neuen Roman Der Vorweiner.

Ich finde Autor*innen-Aussagen zu ihrem Werk ja eher irrelevant, das wird allerdings in dem Moment schwer, in dem ich sie persönlich kenne. Ist ein hörenswertes Gespräch, unter anderem korrigiert Bov ein paar Irrtümer, die ich in Rezensionen gelesen habe, und erzählt die Entstehung des Romans.

Es war genug Bügelns, um noch einen offenen Tab abzuarbeiten. Bellvue di Monaco ist ja die Seite Münchens, die man da draußen nicht so kennt; die eingetragene Sozialgenossenschaft hat unter anderem die Veranstaltung gegen Rechts vor der Landtagswahl auf dem Odeonsplatz organisiert. Angefangen hat das Ganze 2013 mit dem satirischen Immobilienprojekt Goldgrund. Auf der re:publica 2015 erzählte Alex Rühle, was die Macher bis dahin hochgezogen hatten. Empfehlung, wenn Sie mal was Positives, Schabernackiges über München sehen wollen und ein bisschen Stadtpolitik lernen.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/jZXp6wnN_mo?si=vYXH_XzWM0XePK6P

Krautsalat fertiggestellt, es gab ihn diesmal wieder mit Speck, dann Karotten für Montagsbrotzeit gekocht.

Ich turnte die Schlussfolge von Adrienes Yoga Camp, freute mich auf ein neues Programm. Karottensalat fertiggestellt.

Abendessen war nahezu German Abendbrot: Krautsalat, selbstgebackenes Brot, kroatischer Pressack, Käse. Zum Nachtisch gab’s Pralinen aus der Westend-Schokoladerei.

Dass ich um eine Stunde verschoben ins Bett ging, merkte ich nicht – zu meiner Erleichterung, denn das ist für mich die einzige nervige Folge der Zeitumstellung: Die Phase, in der ich innerlich noch umrechne.

§

Hier ein charmantes Museum des Internets, unter anderem mit dem ersten Smiley und dem ersten LOL:
“Internet artifacts”.

Dass mein Arbeitgeber beim Artefact “First mp3” nicht genannt wird, schmerzt allerdings – Brandenburg forschte ja weder allein noch in seinem Hobbykeller (deutsche Steuergelder!).

Vom Gastgeben

Sonntag, 29. Oktober 2023

Angestoßen hat das Erinnern an mein Gastgeben der Roman Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer. Darin hat ein Hetero-Paar jenseits der 40 in einer österreichischen Großstadt zum ersten Mal Gäste zum Abendessen. Das wird in mehreren Versionen erzählt, in einer Mischung von personalem und auktorialem Erzähler, mit unterschiedlicher zeitlicher Abfolge. Immer wieder fragt diese Erzählstimme “Erinnerst du dich daran” – und das mag mein Erinnern ausgelöst haben.

Die Gäste des Romans bleiben in allen Versionen gleich, das sind immer ein Ehepaar mit recht frischem Baby und ein Schweizer Freund. Es wird schnell klar: Das soll keine realistische Schilderung sein, sondern ein Sittengemälde mit bestimmten gesellschaftlichen Typen (es gibt keine einzige wirklich charakterisierte Figur, sie haben nicht einmal Namen). Das allerdings in meinen Augen nur offene Türen einrennt, die Instagramisierung des Lebens samt Hashtags, zeitgenössische Distinktion mit Statussymbolen und Markennamen etc. etc. (Warum sich die Gastgeberin “im falschen Jahrhundert” dabei fühlt, wurde mir allerdings nicht klar, dazu hätte sie eine Persönlichkeit gebraucht.) Daniela Strigl nennt den Roman in der FAZ “ein Stück Popliteratur und dessen satirische Verfremdung”, damit trifft sie am ehesten.

Doch selbst für Freude an der Satire muss ich die Prämissen nachvollziehen können, muss ich einen Bezug zum Satirisierten haben. Der fehlt mir in diesem Fall völlig, ich kenne die Umstände, die verzerrt werden, nur aus zweiter Hand, nämlich aus der Fiktion und aus Feuilleton-Essays darüber. Möglicherweise erklärt sich eine Minderheit, die zufällig besonders häufig Was Mit Medien arbeitet, für repräsentativ – und ist es in Wirklichkeit gar nicht?

Das beginnt mit dem Umstand, dass jemand jenseits der 40 zum ersten Mal Abendessensgäste hat, das erwähnte ich bereits. Oder die Haltung: Den guten Crémant trinkt das einladende Paar voher selbst, die Gäste bekommen den aus dem Supermarkt.

Auf die Gefahr, kitschig zu klingen (ich gehöre zu den von Max Scharnigg geschmähten Münchner Hausmeisterinnen, unten im Text): Ich kenne das halt anders herum. Wenn man etwas besonders Gutes hat, lädt man sich dazu Gäste ein, eine besonders edle Flasche oder aus dem Urlaub mitgebrachte, ferne Spezialitäten lässt man Freunde mitkosten. So kenne ich es von daheim, so kennt es Herr Kaltmamsell.

Hier also mein Gastgeben – das sich sicher ebenso satirisieren lässt, nur kommen darin keine für den Pop-Roman so essenziellen Markennamen vor.

Zum Attrakivsten an der eigenen Wohnung gehörte bei meinem Auszug aus dem Elternhaus mit 19 Jahren: Leute einladen zu können.

Unter anderem lud ich schon als Volontärin die drei Kolleg*innen und den Chef der Lokalredaktion in die mitbenutzte Wohnküche meine Dachkämmerchens in Eichstätt ein. Ich kochte zum ersten Mal selbst spanischen Cocido und erinnere mich vage an ein furchtbares Gemetzel mit dem gekochten Huhn, da ich a) noch keine Geflügelschere besaß und b) sehr wahrscheinlich noch nie Geflügel zerteilt hatte.

Es kamen ja alle auf meine Einladung – wie hätte ich denn herausfinden sollen, dass daran irgendwas nicht angemessen war? Wie überhaupt praktisch immer fast alle kamen, die ich einlud. Rückblickend wird mir klar, wie unkonventionell so manche meiner Einladungen gewesen sein muss. Doch dann geriet ich mit 25 Jahren auch noch an einen Partner (den heutigen Herrn Kaltmamsell), der mich darin unterstützte und eine ähnliche Auffassung vom Gastgeben hat. Auch lernte ich sehr spät, dass es unter Erwachsenen wohl eine Gesamtrechnung an Einladung und Gegen-Einladung gab, die zumindest mittelfristig ausgeglichen sein musste, sonst schlechtes Benehmen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass meine Gäste von einer Verpflichtung zur Gegeneinladung ausgehen könnten. (Dass ich auch in vieler anderer Hinsicht überhaupt kein Gespür für Menschliches habe, wurde mir erst Jahrzehnte später klar.)

Selbst rückblickend irrelevant waren solche Mechanismen zu Studienzeiten: Ich lud immer wieder Freunde und Freundinnen zu mir zum Essen ein – bei welcher Gelegenheit hätte ich sonst spannende neue Rezepte ausprobieren sollen? Oder mich mal an einen ganzen großen frischen Fisch wagen? (Den man mir am Augsburger Stadtmarkt ungeschuppt verkauft hatte, was ich erst nach dem Garen merkte, es war ein sehr fieseliges und anstrengendes Essen.)

Dazu kamen ausgedehnte und reichhaltige Frühstücke, Essenkochen für und mit Übernachtungsbesuch, Partys. Ich lehnte jedes Angebot ab, Speisen beizusteuern – war das doch wieder eine Gelegenheit, ganz Vieles auszuprobieren oder thematische Buffets zu gestalten, ich erinnere mich an ein rotes Buffet zum Roten Fest und an eines, für das ich ein neu erworbenes israelisches Kochbuch durchkochte. Zu anderer Leut’ Partys brachte ich aber gerne etwas mit, wenn gewünscht.

Und zwischendurch zum Geburtstag open house, das ich einmal wegen akuten Geldmangels mit großen Mengen frisch gekochter Maiskolben bestritt – es wurden alle satt. Wie ich ohnehin seit Auszug von Elterns meine Vorratshaltung in erster Linie daran bemaß, dass ich vier Überraschungsgäste damit satt bekam. Inklusive Wein und Saft.

Meine wilde Studienzeit (war überhaupt nicht wild und) fand nicht in Kneipen und Discos statt (oder hießen die schon damals Clubs?), sondern in den Wohnungen meiner Freundinnen und Freunde. Von Frank lernte ich die westerwälder Küche seiner Großmutter, Gisi konnte besonders gut Fleischgerichte und servierte köstliches Boeuf Bourguignon und Chili con carne (Fleisch in winzigen Stücken, mit Schokolade abgeschmeckt), bei Lisa (Eltern mit Gemüsegarten) aß ich meine erste Kürbissuppe und stellte fest, dass ich Rhabarber wirklich, wirklich scheußlich finde, bei Max machte ich erste Bekanntschaft mit Fenchel, Andrea brachte mir nach ihrem Thailand-Urlaub Tom Kha Gai bei, in Annes Lindenstraßen-WG wurde Besuch immer herzlich mitverköstigt (u.a. mit Sahne-Chicoree mit Kartoffeln). So sah meine kulinarische Bildung vor Einstieg ins Berufsleben aus. Wir trafen uns natürlich nicht nur zum Essen, sondern auch zum Filmschauen, Spielespielen – oder einfach so. Unter anderem, weil wir alle wenig Geld hatten und Ausgehen teuer war.

Ich bekam schon mit, dass manche nie zu sich einluden, doch ich ging davon aus, dass das denen halt nicht so viel Spaß machte wie mir oder sie nicht autark genug wohnten.

Zuletzt lebte ich solch einen großen und wohl unkonventionellen Einladungs-Impuls aus, als ich 2007 einen Job in der Zentrale eines Dax-Unternehmens antrat und mich dort sofort sehr wohl fühlte: Ich lud alle ca. 20 Kolleginnen und Kollegen der Abteilung samt Chef zu mir zum Essen ein, stückelte einen großen Esstisch zusammen, lieh mir bei Nachbarn Stühle aus, es gab mit großer Unterstützung von Herrn Kaltmamsell Spanisches in mehreren Gängen, über Tage vorbereitet.

Was ich bei aller Blindheit für Menschliches nur wenig zu spät bemerkte: Manche Gäste fühlten sich durch den Aufwand eingeschüchtert, in den ich mich gerne für Einladungen warf – nach Eintritt in die freie Wirtschaft gesteigert durch neue finanzielle Freiräume. Mangels Talent versuchte ich mich zwar nie an Tisch-Deko, doch anständig gedeckt war die Tafel bei mir auch zu Studienzeiten (frische und gleiche Teller für jeden Gang, passendes Besteck, passende Gläser, Servietten), und besonders elaborierte Speisenfolgen schrieb ich schon auch mal auf Karten für den Tisch. Um dann einmal besonders deutlich zu merken, wie zwei erstmalige Gäste völlig verschüchtert und steif auf ihren Stühlen saßen. Großen Aufwand gibt es seither nur für vertrautere Gäste und mit deren vorherigem Einverständnis.

Aber spätestens seit der Lektüre von Kochen im falschen Jahrhundert bin ich auf der Hut: Vielleicht ist, was ich für Gastfreundschaft hielt, ja doch nur Habitus und Distinktion und ich vergesse lediglich, die Hersteller von Geschirr und Tischwäsche zu nennen.

Illustrierende Fotos habe ich in meinen Alben nur zwei gefunden. Damals wurde halt fast nie fotografiert – ich kann das nicht besser finden als den heutigen Foto-Schatz, der mir zu praktisch jeder Erinnerung zur Verfügung steht, aus mir wird nie eine Feuilletonistin.

Das Album vermerkt lediglich:
“November ’92
Essen bei mir”
Das im Vordergrund bin ich, das um mich herum ist meine geliebte Wohnung am Augsburger Elias-Holl-Platz, im Hintergrund das Fenster zur Küche, die wohl einst eine Räucherkammer war.

Israelisches Buffet zu meiner riesigen Geburtstagsfeier 1995, für die ich eine Schnitzeljagd durch Augsburg organisiert hatte. Das Foto ist praktisch der Gegenschuss zum vorherigen, es zeigt eben diese Küche. (Und ich bin sehr froh darüber, erinnere mich dadurch an viele längst vergessene Ausstattungsdetails und Werkzeuge.)

Journal Samstag, 28. Oktober 2023 – Sonne, Olympiabad, Brot

Sonntag, 29. Oktober 2023

Nach einer guten Nacht wachte ich noch vor sieben auf. Eigentlich hätte ich gerne noch weitergeschlafen, doch dann wäre es für meine Pläne des Tages knapp geworden.

Also beschloss ich munter zu sein, zog mein Bett ab und startete eine Maschine Wäsche, knetete den Teig für das Brot des Tages: Geiersthaler Sonne (doppelte Menge für einen Laib zum Verschenken, außerdem mit Butter- statt Schweineschmalz). Die Sonne ging zu einem freundlichen Tag auf.

Brotbacken hat für mich immer noch was von Zauberei.

Zum Schwimmen steuerte ich jetzt wieder das Olympiabad an, die Wintersaison ist endgültig eröffnet. Beim Hinradeln brauchte ich trotz Sonne noch Handschuhe, nutzte vorher im Fahrradkeller (eigentlich: offizielle Radl-Unterstell-Möglichkeit in der Gerätekammer des Hausmeisterdienstes) die große Luftpumpe, auf die mich eine Nachbarin hingewiesen hatte: Die habe sie für alle Nachbarinnen und Nachbarn dort abgestellt, sei doch praktischer so. <3

Im Olympiabad ich freute mich über die Wassertemperatur, kam auf meinen 3.000 Metern nicht mal ins Frösteln. Ein Hoch auf die laut Bundenetzagentur wohl gefüllten Gasvorräte.

Doch ich wunderte mich über die offensichtlich gelockerte Kleiderordnung: Auf meiner Bahn schwamm jemand in Jeans-Shorts und langärmeligem Baumwoll-Shirt, mit wechselndem Schwimm-Spielzeug. Ich war bislang von Schwimmkleidungspflicht ausgegangen, aber ich bin ja so alt, dass ich mich noch an Taucherflossenverbote erinnere. Spätere Recherche ergab: “Die Entscheidung, ob eine Badebekleidung den Anforderungen entspricht, obliegt dem Personal.”
Haus- und Badeordnung für die Badeanlagen (HuBO) der Stadtwerke München GmbH (SWM)

Ich finde es immer noch wunderschön.

Frühstück um zwei: Rote-Bete-Salat aus Ernteanteil, zwei Scheiben frisch gebackenes Brot. Eine davon mit Butter und Ernteanteil-Tomate, eine mit Wabenhonig.

Ge-imkert von Vater einer Kollegin, mein erster Wabenhonig, die Wabe einfach aufs Brot gestrichen – schmeckte sehr gut!

Ich nahm eine U-Bahn nach Neuhausen, um ein Probiererl SoLawi-Olivenöl aus Lesbos und eines der Brote abzugeben und ein Treffen zu vereinbaren, spazierte von dort unter langsam zuziehendem Himmel zu Fuß nach Hause und genoss die Wärme.

Lektüre der Wochenend-Süddeutschen, dann machte ich aus dem Ernteanteil-Weißkraut Krautsalat. Ich turnte die vorletzte Folge des 30-Tage-Programms Yoga Camp, bin froh, wenn ich es durch habe.

Zum Abendessen bereitete ich die mächtige Fenchelknolle aus Ernteanteil zu, schlicht gedünstet mit Butter, wie zu Studentinnentagen (damals allerdings nicht mit Butter, weil ich ja Kalorien zählte, sondern höchstens mit einem Schuss Sahne). Davor ein wenig Rote-Bete-Salat, danach Süßigkeiten.

Leider dann doch kein Blick auf die partielle Mondfinsternis, die Wolken hielten sich nicht an die Wettervorhersage von Freitag.

Im Bett Start einer neuen Lektüre aus der Münchner Stadtbibliothek: Karsten Dusse, Achtsam morden. Ließ sich sehr gut an; ich hatte erwartbare Launigkeit befürchtet, doch ich bekam eine wirklich originelle Stimme.

§

Jajaja, confirmation bias (bei mir).
Eine Studie hat untersucht, wie sich gestrichene Parkplätze vor Geschäften aufs Geschäft auswirken.
“Parkplätze vor der Ladentür sind schlecht fürs Geschäft”.

Journal Freitag, 27. Oktober 2023 – Beifang aus dem Internetz

Samstag, 28. Oktober 2023

Etwas unruhige Nacht, aber zehn Minuten vor dem Wecker frisch aufgewacht.

Draußen ausdauernder Regen, ich gab meine Rock-Pläne auf und ließ mir ein anderes Outfit einfallen, das mich freuen würde. Unterm Schirm spazierte ich in die Arbeit (aber weder Mütze noch Handschuhe nötig).

Emsiger Vormittag inklusive Menschlichem (irgendwann diszipliniere ich mich zu echtem Smalltalk). Mittags drohte der Himmel zwischen blauen Löchern immer noch mit dunklen Wolken, doch der Regen hatte aufgehört. Ich ging auf meinen Mittagscappuccino zu einem Schokoladenladen, den ich unterwegs gesehen hatte, und nahm gleich mal Pralinen mit.

Eine regelmäßige Anlaufstelle für Cappuccino wird das aber vorerst nicht: Er hatte mir zwar gut geschmeckt, kann aber nur draußen getrunken werden.

Ruhiger Nachmittag. Ich machte pünktlich Feierabend, um Herrn Kaltmamsell noch daheim anzutreffen: Er brach gestern zum jährlichen Allerheiligenferien-Rollenspiel Call of Cthulhu auf.

Unterwegs noch Lebensmitteleinkäufe, daheim kurzer Austausch mit Herrn Kaltmamsell, bevor ich meine Yoga-Matte ausrollte und er zum Monstertöten verschwand.

Das bedeutete auch, dass ich Hauptaufesserin des dieswöchigen Ernteanteils war. Gestern machte ich aus einem Teil der am Vorabend gekochten Roten Bete sowie einem Rest bayerischem Quinoa (musste weg) und einem Rest Sahne (musste weg) mit Knoblauch und Thymian mein Abendessen.

Vorteil Rote Bete: Sie färbt unansehnlichen Pompf zumindest rosa. Schmeckte aber gut. Zum Nachtisch war reichlich Schokolade im Haus.

Als Abendunterhaltung startete ich einen lange eingemerkten empfohlenen deutschen Fernsehfilm, doch auch dieser fesselte mich nicht über die erste halbe Stunde hinaus. (Zumindest konnte ich diesen Tab jetzt schließen.)

Statt dessen las ich Teresa Präauer, Kochen im falschen Jahrhundert aus – das zwar in praktisch allen Prämissen an mir vorbei ging (unter anderem: mit Mitte 30 das erste Mal zum Abendessen in die eigene Wohnung einladen? einfach eine andere Generation? doch ich konnte mir das Buch gut als Theaterstück in drei Akten vorstellen, die jeweils dasselbe in verschiedenen Versionen erzählen), aber zumindest Erinnerungen an mein eigenes, komplett anderes Gastgeberinnentum wachrief, die ich vielleicht später mal erzähle.

§

Das gestrige SZ-Magazin enthält ein (nur gegen Geld zu lesendes) Interview mit der Meister-Schauspielerin Sandra Hüller – in dem auf ein Titel-Feature der September-Ausgabe vom Hollywood Reporter hingewiesen wird. Kostenlos zu lesen:
“Sandra Hüller, Actress of the Year?”.

Es freut mich einfach so, wenn eine Frau Erfolg hat, deren Können wirklich außergewöhnlich ist – und die nicht den Vorstellungen ihrer Branche entspricht.

“You have to take me as I am. With my groceries, my dog,” says the 45-year-old German actress, smiling. “I admire my American colleagues who can really perform in interviews, who can flip a switch and turn it on, but I just don’t have that skill.”

Interessante Beobachtung des Autors Scott Roxborough:

German stage acting is notoriously hard. Members of state ensembles are full-time employees, expected to work day and night, seven days a week, in often mentally taxing and physically demanding performances.

“German theater is pretty extreme; they seem to have naked people screaming onstage all the time,” says Frauke Finsterwalder, who has directed Hüller in two films: 2013’s Finsterworld and Sissi & I, which premiered at Berlin this year. “I always try to work with German theater actors because they are fearless, they are used to pushing the boundaries.”

Für mich weniger überraschend:

Clearly, Hüller is not a sharer, at least not with the media. She mentions a daughter but won’t give her name. The same goes for her dog, who makes an appearance in The Zone of Interest. “She’s called Dilla in the film — that’s all you need to know,” she says wryly. “Listen, it’s not my job to show people in my work how I really am, and it’s not their job to find out who I really am. If someone wants to find out about the real me, they can write me a letter and we’ll go out for a drink.”

(Ich fühlte mich an Christoph Waltz erinnert – ähnlich meisterliche Schauspielkunst, ähnliche Abwehr von Einblicken abseits seines Berufs.) (Haben Hüller und Waltz schonmal zusammen auf einer Bühne oder einem Set gestanden?)

§

Als Vielleserin erkennt man ab einem bestimmten Alter die ungefähre Veröffentlichungszeit von Büchern anhand typischer Titelillustrationen. Es rührt mich tief, dass die aktuell typischen Titel von jemandem gestaltet werden, die ich kenne. Und die damit Geschichte schreibt:
Tina Berning.

Vielleicht mögen Sie ihr auf instagram folgen.

§

Deutschland und Einwanderung ist ein ganz trauriges Thema. Wer bis vor Kurzem darauf beharrte, dass wiR KeIN eINwaNdErunGsLaND sInD, schafft auch keine nützlichen Regeln und Prozesse für Einwanderung – und muss mit den unerfreulichen Folgen leben. Wie im Fall der palästinensischen Einwanderung nach West-Berlin:
“Debatte um Berliner Sonnenallee:
Hausgemachte Probleme”.

Jahrzehntelang wurden Palästinenser in Berlin gezielt von Arbeit und Teilhabe ausgeschlossen. Linke und arabische Stimmen warnten früh vor den Folgen.

(Mal wieder: Ich hatte ja keine Ahnung)

§

Die politische Bewegung westlicher Nationen nach rechts wurde bislang als populistische Welle interpretiert: Nur gut gestellte Schichten, so ein breiter Konsens, können sich die Werte der offenen Gesellschaft leisten, die breiten Massen fühlen sich davon ausgeschlossen, leiden unter Immigration und Globalisierung und wählen deshalb gegen die liberale Demokratie und rechts. Die jüngsten Parlamentswahlen in Polen haben aber genau das Gegenteil bewirkt. Jan-Werner Mueller meint: “It should now be clear that the problem all along has been elites, not ‘the people’.”
“Mainstreaming the Far Right”.

Will auch heißen: Behauptungen wie die, dass an jeder Misere eine gefühlt zu hohe Zahl an Einwanderern schuld ist, entstehen nicht am Stammtisch; sie werden von führenden Politikern vorgegeben und am Stammtisch aufgegriffen (wo sie bereits vorhandene Resentiments bestätigen). Und die Bereitschaft demokratischer Parteien, mit Demokratie-feindlichen zusammenzuarbeiten, öffnet diesen den Weg in den Mainstream.

§

Wenn Sie Samstagnacht noch nichts vorhaben:
Es gibt eine partielle Mondfinsternis zu sehen, und die Wetteraussichten für München sind gut.

Journal Donnerstag, 26. Oktober 2023 – Das Vermustern von Erinnerungen

Freitag, 27. Oktober 2023

Ich hätte mir eine halbe Stunde späteres Wecken gegönnt, wachte allerdings nur wenig nach meiner üblichen Zeit auf, unausgeschlafen. In die Arbeit brach ich dennoch eine halbe Stunde später als sonst auf, weil ich mir noch die Zeit fürs Verbloggen des Theaterbesuchs nahm.

Draußen erwischte mich nach 100 Metern der Regen, den ich in der schrägen Morgensonne nicht hatte kommen sehen, ich erreichte das Büro ordentlich durchgefeuchtet. Aber es war ja mild, ich trocknete schnell wieder.

Emsiger Vormittag, zu Mittag ging ich unterm Regenschirm raus auf einen Cappuccino bei Nachbars, dann auf den Westend-Markt, dort kaufte ich Äpfel (die vergangene Woche probierte Sorte Nicoter) und Käse.

Mittagessen zurück am Schreibtisch: Nicoter-Apfel (der mir so gut schmeckte, dass ich am liebsten weitere gegessen hätte, doch es musste ja auch andere Brotzeit weg), Pumpernickel mit Butter, Granatapfelkerne.

Der Nachmittag war dann ruhiger, ich kam zur geplanten Zeit aus dem Gebäude, denn ich war mit Herrn Kaltmamsell zum Einkaufen verabredet. Beim Radeln zum Gericht hatte ich nämlich in der Blutenburgstraße einen Laden namens Donosti gesehen; Online-Recherche hatte meinen Verdacht bestätigt, dass dort auch Baskisches angeboten wird (San Sebastián heißt auf Baskisch Donostia). Und tatsächlich gab es in dem kleinen Geschäft nicht nur einen Txakoli (dieser junge Weißwein, der uns letztes Jahr in San Sebastián so gut geschmeckt hatte), sondern drei verschiedene, die Ladenbesitzerin wusste zu jedem etwas zu erzählen. Nahmen wir alle zum Probieren mit. Außerdem aus dem Anbaugebiet Madrid einen Rotwein sowie Café torrefacto – das war sehr wahrscheinlich nicht der letzte Einkauf dort.

Mit der U-Bahn nach Hause, dort Häuslichkeiten. Zum Nachtmahl machte ich den Ernteanteil-Salat mit einer Knoblauch-Zitronen-Vinaigrette an, ein paar letzte Tomaten aus Ernteanteil kamen auch rein (die Tomatenpflanzen in den Gewächshäusern haben laut Newsletter Kartoffeldruck mittlerweile den Winterkulturen Feldsalat und Asiasalat Platz gemacht). Außerdem gab es Käse, unter anderem einen Crowdfarming-Manchego, der in Olivenöl eingelegt war – wir waren beide nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, denn er schmeckte seifig. Zum Nachtisch Süßigkeiten.

§

Dann mache ich doch nochmal einen Anlauf bei meiner ehemaligen Hausärztin, die seit 2022 nur noch privat bezahlt behandelt und deren Personal mir meine Patientenakte nur als Papierkopie und das nur gegen Geld geben wollte.
“Urteil des EuGH
Erste Kopie der Patientenakte ist kostenlos”.

§

Katatonik ist nach Berlin gereist und erinnert sich an vergangene Berlin-Aufenthalte:
“Wechselseitiges Auftauchen, erinnert (oder auch nicht)”.

M. tauchte zu Silvester in Wien auf, es war ja nicht so, dass ich nur in Berlin auftauchte; es gab vielmehr eine Kultur des wechselseitigen Auftauchens.

Dass das eine Kultur war, ein Muster – das ergibt doch eigentlich erst die Erinnerung daran. Und war einer zur Ereigniszeit vielleicht gar nicht bewusst?

Ich stelle hiermit die These vom Vermustern bei Erinnerungen auf, abgeleitet im weitesten Sinn aus Gestaltpsychologie (von der man gar nicht mehr viel hört, wie mag’s ihr gehen? war das nur eine Mode?), nach der die menschliche Wahrnehmung Muster und Sinn sucht. Rückblickend formen wir aus Einzelbegebenheiten, eigentlich aus der Erinnerung daran (was zwei verschiedene Dinge sind) eine Gewohnheit, ein Muster. Symptome sind beim Erzählen: “Bei uns wurde immer”, “Zu Weihnachten haben wir bei uns” (und es hatte immer Schnee), “In meiner Kindheit wurde” – wobei ich mehr als einmal herausfand, dass es sich belegbar lediglich um zwei oder drei Mal handelte.
(Und ich erinnere mich an das Gelächter an der Festtafel, als ein 17-jähriges Familienmitglied anhub: “In meiner Kindheit haben wir immer…”)

Journal Mittwoch, 25. Oktober 2023 – Start in die Kammerspiel-Saison mit Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Vom Wecker aus dem Schlaf gerissen worden, dabei war der bis dahin reichlich und gut gewesen. Ich stand müde auf (kommt selten vor), der Gedanke an den bevorstehenden langen Tag machte mich noch müder.

Der Regen hatte aufgehört, der Morgen wurde sogar sonnig und nahm diesen Sonnenschein in den Tag mit.

Nur eine kleine Alternativabzweigung auf meinem Weg in die Arbeit, und schon kam ich in der Ligsalzstraße im Westend an einem interessanten wegen Haus vorbei.

Auch dieses Jahr spendierte mein Arbeitgeber Grippe-Impf, und ich hatte mich schnell genug angemeldet. Diesmal hatte ich sogar an meinen Impfpass gedacht, seit gestern Vormittag ziert ihn ein frisches Einkleberchen.

Zu Mittag gab es Pumpernickel mit Butter, Kerne von zwei Crowdfarming-Granatäpfeln. Auch diesmal enthielt das Paket aus Spanien neben der bestellten Sorte zwei süße Granatäpfel; die kenne ich seit ein paar Jahren, habe sie damals auch gleich verkostet: Schmecken nur süßlich und nicht nach Granatapfel, meiner Meinung nach eine Fehlentwicklung. Für die gestrige Brotzeit mischte ich helle, süße Kerne unter die dunklen aromatischen.

Ich machte Feierabend mit Unterstunden, denn gestern Abend startete meine neue Kammerspiel-Saison – und ich weiß seit ein paar Jahren, dass ich mich nicht ins Theater aufraffe, wenn ich den Tag voll gearbeitet habe. In weiterhin schönem und mildem Wetter (bald legte ich mein Halstuch ab, kurz darauf öffnete ich den Mantel) spazierte ich für Besorgungen in die Fußgängerzone.

Die Sightseeing-Motive nicht den Auswärtigen überlassen.

Unter anderem im Kaufhaus (ich liebe Kaufäuser) eine Ein-Personen-Cafetera besorgt: Herr Kaltmamsell wird übers Wochenende verreisen, und die alte kleine Alu-Cafetera ist nicht Induktionsherd-tauglich, mit Zwischenboden kocht sie nicht verlässlich.

Daheim war noch Zeit für Yoga-Gymnastik (wieder zu lang), Brotzeit-Herrichten, dann servierte Herr Kaltmamsell Orecchiette mit Butter und Salbei, gleich darauf brach ich ins Theater auf. Wirkliche Vorfreude empfand ich nicht, allein schon weil die Stücklänge mit 3 Stunden 20 angekündigt war. Aber wieder machte ich mir klar, dass der Theaterbesuch mir gut tun würde, eine Bereicherung sein – so wie halt andere sich zum Sporttreiben überreden. (Ich erwähnte glaube ich schonmal, dass es neben Fitness- auch Kulturtracker geben sollte, die eine*n daran erinnern, wenn man auf diesem Gebiet zu wenig für sich getan hat.)

Da ich in hohen Schuhen unterwegs war, nahm ich die U-Bahn für eine Station Richtung Kammerspiele. Aufgeführt wurde Im Menschen muss alles herrlich sein nach einem Roman von Sasha Marianna Salzmann, Theaterfassung von Jan Bosse und Viola Hasselberg.

Und sieh an: Die fast dreieinhalb Stunden mit einer Pause wurden mir gar nicht lang. Denn nachdem ich mich in den vergangenen 20 Jahren daran gewöhnte, dass zeitgenössische Theateraufführungen bildende Kunst sind, keine erzählende, wurde mir gestern überraschenderweise eine Geschichte erzählt. In nur einem Bühnenbild (Bühne: Stéphane Laimé), eine Art Kneipenraum, das über den Abend nur wenig verändert wurde, erzählte mir der Abend am Leben zweier Frauen aus der Ukraine von den Umbrüchen durch die Auflösung der Sowjetunion, von Familien, in denen keine echten Gespräche stattfinden, vom Auswandern, von Freundschaften, Verlust, Liebe. Das interessierte mich, das wollte ich wirklich wissen.

Ich freute mich über Wiebke Puls in der Rolle einer dieser beiden Frauen, lernte begeistert Johanna Eiworth in der Rolle der anderen kennen. Die Töchter dieser beiden wurden mit beachtlicher Schauspiel- (und Sportleistung) von Edith Saldhana und Maren Solty gespielt.

Die Inszenierung enthielt viel Musik live auf der Bühne, ich befürchtete auf dem Heimweg, die drei Gitarrenakkorde, die praktisch durchgehend im Hintergrund gespielt wurden, nie wieder aus dem Hirn zu bekommen. Ebenfalls auf der Bühne fand Kostümwechsel statt (allerdings nicht jeder, Kostüme: Kathrin Plath), die Garderobenhaken an der Kneipenwand wurden genutzt.

In der Pause spazierte ich ein wenig durch die Foyers. Der Zuschauerraum war zu ca. 2/3 besetzt. (Mir als Theater-Abonnentin mit Provinz-Abstammung, die jetzt auf die 60 zugeht, müsste doch langsam eine silberne Häkelstola wachsen?)

Nach dem lang anhaltenden Schlussapplaus war ich nicht mal besonders müde, ich kürzte meinen Heimweg dennoch mit einer U-Bahnfahrt ab. Sehr spät ins Bett, ich freute mich darauf, am nächsten Tag Rezensionen zu dem eben gesehenen Stück zu recherchieren.