Journal Samstag, 2. August 2025 – Regenschwumm, Grete Weil, Tramhalte Beethovenstraat
Sonntag, 3. August 2025 um 7:31Ausgeschlafen, zu düsterem Himmel und nassen Straßen aufgestanden. Ob es gerade regnete oder nicht, war mittlerweile irrelevant – einfach greisliches Wetter.
Nach Bloggen, Milchkaffee, Wasser buk ich Baskischen Käsekuchen – hatte ich seit Wochen als Plan im Hinterkopf, den ich aber immer wieder aufgab, weil ich zu wenig Lust auf Essen des Ergebnisses hatte. Jetzt zog ich ihn durch, um ihn aus dem Kopf zu kriegen.
Sportplan war Schwimmen im Dantebad, diesmal wirklich sicher ohne jede Ahnung von Sonne. Mal wieder freute ich mich geradezu enthusiastisch, dass ich in meine Schwimmpläne NIE WIEDER Menstruationsfluten einrechnen muss! War das scheiße bis vor wenigen Jahren! Ich erinnere mich an absolut nichts Gutes am Menstruieren; da ich sehr gründlich dafür gesorgt hatte, nicht schwanger werden zu können, brauchte ich ja nicht mal die Info “nicht schwanger”.
U-Bahn zum Westfriedhof, unterm Schirm zum Schwimmbad.
(mit überschlagend fröhlicher Stimme) Wie schön grün die Freibad-Liegewiese durch all den Regen geworden ist!
Das Außenthermometer über der Sprudelschnecke zeigte 16 Grad an. Es regnete durchgehend in verschiedener Intensität – das machte Spaß, auch wenn die heftigsten Regenphasen das Schwimmwasser aufspritzen ließen. Manche schwammen in Neopren-Anzügen, wobei sich einer davon bei näherem Hinsehen als flächendeckende Tätowierung herausstellte (wie bei den alten japanischen Holzschnitten, auf denen bunte, eng anliegend scheinende Kleidung an Männern ebenfalls in Wirklichkeit tätowiert ist – permanent clothing in Entsprechung zu permanent make-up?).
Mein Schwimmen fiel mir leicht und fühlte sich gut an, ich erweiterte auf 3.300 Meter.
Die Frauen-Sammelumkleide des Dantebads schätze ich ja. Selbst am Wochenende, wenn sich nicht die (meist alten) Frauen dort einfinden, die sich offensichtlich schon lang kennen, manche oberflächlich, manche näher, bilde ich mir ein sachtes Gemeinschaftsgefühl ein. Fast jedesmal wird über den Umstand gescherzt, dass nach dem Schwimmen in einer Reihe Spinde immer die direkt nebeneinander liegenden gleichzeitig gebraucht werden. Gestern sogar mit der Extraschleife, dass ich beim Abtrocknen der Nachkommerin automatisch den Platz vor dem Spind neben meinem freiräumte und sich herausstellte, dass sogar zwei Spinde Abstand zwischen unseren lag! Wir lachten noch darüber, als eine weitere geduschte Schwimmerin herantrat – und die hatte dann den direkt neben mir.
Oder der auffallend schöne Schwimmanzug, den eine Frau abgelegt hatte. Da ich zum Erkennen des Herstellers das Kleidungsstück hätte anfassen müssen, frage ich danach – und bekam zum Herstellernamen detaillierte Hintergründe und Empfehlungen.
Rückfahrt per Tram, unterwegs Stopp für Frühstücksemmelkauf. Das letzte Stück legte ich per U-Bahn zurück. Lange Zeit viel Regen heißt mittlerweile auch, dass das Nußbaumpark-Gschwerl (das immer zahlreicher wird, ich sehe einen Zusammenhang mit der systematischen Bereinigung des Alten Botanischen Gartens – schlichten physikalischen Gesetzen folgend haben sich die Menschen nämlich nicht in Luft aufgelöst) sich immer mehr im nigelnagelneu renovierten und fast fertigen U-Bahnhof Sendlinger Tor unterstellt, gestern musste ich Slalom laufen. Geben Sie uns noch ein, zwei Jahre und München muss sich nicht mehr als Gegenbeispiel zum Berliner Hermannplatz bezichtigen lassen. Ich halte es für sinnvoll, jetzt schon an den Öffi-Brennpunkten im München spezielle Sicherheitsleute einzusetzen wie in Berlin – die die Leute keineswegs vertreiben, sondern Auswüchse verhindern. Mir fallen die Unfälle im U-Bahnhof Goetheplatz ein, wo schon mehrfach Zugedröhnte ins Gleisbett gerieten, mindestens einmal mit tödlichem Ausgang. Vorbild könnte Berlin sein, siehe Artikel “Auf der Strecke geblieben” in der Wochenendausgabe der Süddeutschen (€).
Frühstück kurz vor zwei: Tomatenbrot (eine Sommerköstlichkeit, die auch Regen nicht kaputtmachen kann) mit Körnersemmel vom kürzlich entdeckten Bäcker Unendlich beim Edeka am Stiglmaierplatz (Sitz in Bobingen, wie ich nachrecherchierte) – sehr gut, u.a. sichtbar und schmeckbar mit Kurkuma gewürzt. Auch die Kürbis-Hafer-Semmel danach schmeckte mir. Mohnsemmeln und Dinkelseele von dort waren mir kürzlich ebenfalls als überdurchschnittlich aufgefallen.
Dann noch baskischer Käsekuchen, der allerdings nicht ganz gelungen war: Innen zu weich, musste gelöffelt werden (aber sicher nicht roh, in ungebackenem Zustand hat er ja die Konsistenz von Pfannkuchenteig).
Nachmittag mit Zeitunglesen und Yoga-Gymnastik, draußen regnete es weiter in verschiedenen Heftigkeiten.
Der Ernteanteil hatte eine dicken Bund Thymian gebracht, ich verwendete einen Teil davon fürs Zitronen-Thymian-Hähnchen zum Nachtmahl.
Als Vorspeise kombinierte ich Ernteanteil-Tomaten und -Basilikum mit Nektarinen zu einem Salat, köstlich. Das Hähnchen gelang sehr gut, aber wir ließen genug für Herrn Kaltmamsells Montagessen übrig. Dessert war mehr Käsekuchen.
Im Bett Grete Weil, Tramhalte Beethovenstraat ausgelesen. Ein kleiner, kompakter Roman, der mich überraschte. Während Weil in Der Weg zur Grenze eine Frau in den Mittelpunkt gestellt hatte, die im 3. Reich als Jüdin aus Deutschland fliehen musste (geschrieben vor Ende des Kriegs und bevor die tatsächlichen Grauen bekannt waren), steht im Mittelpunkt dieses Romans von 1963 ein deutscher Nicht-Jude, Nicht-Verfolgter: Andreas, ein Schriftsteller. Die Geschichte erzählt auf zwei Zeitebenen. Sie beginnt in Nachkriegs-München, wo er mit seiner reichen Frau wohnt, einer Holocaust-Überlebenden (“das Vermögen ihrer vergasten Eltern war enorm und sie die einzige Erbin” – dieser Satz setzt ziemlich am Anfang eine zynische Note, die immer wieder erklingt). Andreas soll wieder schreiben, aber er kann nicht mehr.
Die zweite Zeitebende führt zu dem Moment, in dem Andreas und diese Frau ein Paar werden: In Amsterdam, wohin Andreas im Krieg als Korrespondent einer Münchner Zeitung geschickt wurde – und wo er Nacht für Nacht miterlebt, wie Hunderte Juden per Tram nach Osten deportiert werden. Er schließt sich zaghaft dem lokalen Widerstand an. Die Erzählstimme bleibt konsequent bei Andreas und seiner Zerbrochenheit in der Gegenwart: Zerbrochen an dem, was er als Zeuge erlebte, und zerbrochen am Hadern, wie viel er davon hätte verhindern können – das las sich für mich in unserer “Nie wieder ist jetzt”-Gegenwart sehr aktuell.
Mir war sehr bewusst, dass der Roman auch ein Zeitzeugnis ist: Grete Weil lebte selbst in Amsterdam im Exil und engagierte sich im Widerstand, diese Alltagsdetails sind wahrscheinlich authentisch.
Es wechseln sich romantisch gefühlige und reflektierte Innensichten ab mit dokumentarischen Nebenbemerkungen, u.a. darüber, dass selbst die jüdische Exilgemeinschaft in Amsterdam erst nach dem Krieg das Ausmaß der Vernichtung in den KZ begriff, vorher zum Teil eisern an der Propaganda vom “Arbeitslager” festhielt. Die Figuren des Romans sind vielfältig und vielschichtig, die Sympathien sind keineswegs nach Opfer-Täter verteilt. Ein Stück wichtige Nachkriegsliteratur.
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)