Journal Montag, 3. Oktober 2022 – San Sebastián 19: Flysch-Wanderung von Deba nach Zumaia

Dienstag, 4. Oktober 2022 um 8:31

Unruhige Nacht mit albigen Träumen von der Arbeit – was ich ihr wirklich übelnehme.

Gestern gingen wir auf die dritte Wanderung unseres Baskenland-Urlaubs, und zwar durch den Geopark der baskischen Küste. Unser Rother-Wanderführer Baskenland nennt sie “Entlang der Flyschküste von Deba nach Zumaia”.

Ich bitte Sie, “Flysch” liest sich nun wirklich wie ein selbsterfundenes Wort – gibt’s aber echt ehrlich als Gesteinsformation: Der Wikipedia-Eintrag dazu hilft allerdings wie die meisten Geologie-Einträge bei Wikipedia Laien wie mir nicht viel weiter, weil ich über die Hälfte der Begriffe in der Definition “bezeichnet in der Geologie eine marine sedimentäre Fazies, die meistens durch eine Wechselfolge von Tonsteinen und grobkörnigeren Gesteinen (typischerweise Sandsteine) repräsentiert ist” ebenfalls nachschlagen muss. Vielleicht dann doch selbsterfunden.

Egal, wir nahmen vormittags bei mittelsonnigem Wetter einen Euskotren nach Deba, sahen bereits während der 50-minütigen Fahrt interessante Landschaft (grüne Hügel und Wald, Gemüsegärten, Reiher, Möwen, dazwischen reichlich Industrie und Wohnblocks – Baskenland halt). In Deba setzten wir uns noch in einen Bar auf dem Dorfplatz (reger Betrieb) auf einen café con leche, dann ging’s gleich mal supersteil hoch.

Diese Flysch-Geschichte sorgte dafür, dass wir auf den 19 folgenden Kilometern und fünf Stunden nach Zumaia ausgesprochen ungewöhnliche Küstenanblicke zu sehen bekamen, gleichzeitig abwechslungsreiche Wege, viel Auf und Ab (meine App zählte am Ende 150 Stockwerke). Allerdings auch viele weitere Wander*innen: Der größte Teil der Tour war auch Jakobsweg, und an einigen Stellen grenzte sie an Auto-Parkplätze, die zusätzliches Publikum beitrugen. Oft mussten wir Platz machen, denn so manche*r Wander*in schien mit schmalen, sehr steilen Streckenabschnitten an den Rand der Überforderung zu geraten, selbst mit Wanderstöcken, da wollten wir nicht auch noch für Stress sorgen.

Side Show Tierwelt: Kühe, Schafe, Ziegen, Hunde, viele Eidechsen, eine Blindschleiche, viele Rotkehlchen, dazu Grasmücken, Spatzen, Amseln, Krähen, Falken, Rotkehlchen-kleine Vögelchen mit hellgelber Unterseite (?).

Das Wetter war eigentlich sehr schön, doch es lag wieder dieser Dunst über der Küste, der manche Sicht bereits auf 50 Meter trübte. Petitessen, ich kann die Wanderung wirklich empfehlen (allgemeine Fitness und Wanderstiefel vorausgesetzt).

Steiler als Treppen neben der Pelotas-Halle von Deba hoch (wieso ist es eigentlich so schwer, die Steilheit von Wegen fotografisch einzufangen?).

Auch sehr steil, nur halt runter – echt ehrlich:

Alte Wandernweisheit:

Steigste rauf,

kannste runtergucken.

Bild: Herr Kaltmamsell.

Da unten wurde gesurft:

(Eine Sorte Wanderer, die einer im Chiemgau nicht begegnet.)

Flyschige Wege:

Brotzeit um drei:

Äpfel und Gebäck, das wir in einer Pastelería am Bahnof Amara in San Sebastián gekauft hatten. Meine Rosinenschnecke war aus buttrigem Blätterteig und sehr gut.

Bahnhof unseres Zielorts Zumaia:

Wir erwischten wieder gerade pünktlich einen Zug zurück nach San Sebastián, sahen diesmal aus dem Fenster viele Reiher und Kormorane.

Nachtmahl bereiteten wir uns selbst zu: Es gab callos a la madrileña (aus der Dose, im Supermarkt gekauft) mit restlichem Brot, dazu die restlichen Markttomaten mit Zwiebel. Ich wünschte, ich könnte diese wunderbaren Zwiebeln auf Vorrat nach München mitnehmen – den baskischen Piment d’espelette bekomme ich daheim sehr einfach, nicht aber die spanischen süßen und aromatischen Zwiebeln. Und nein: Was in Bayern als Metzgerzwiebeln angeboten wird, ist nicht dasselbe. Nachtisch war restlicher Käsekuchen, außerdem viel Schokolade.

Beim Wandern viel an @journelle gedacht, am Wochenende hatte die Trauerfeier für sie stattgefunden – und wäre ich nicht auf Reisen, hätte ich sicher auch den Weg nach Hamburg genommen.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 2. Oktober 2022 – San Sebastián 18: Laufrunde, letzter Berg Monte Ulia

Montag, 3. Oktober 2022 um 9:12

Gut und lang geschlafen.

Vielversprechende Aussicht; die Wolken, die den Berg hochkrochen, sollten allerdings Boten sein. Überm Morgenkaffee gemütlich gebloggt, dann raus zu einer Laufrunde. Ich traute mich in ein ärmelloses Oberteil – und lag damit richtig, die Sonne wärmte genügend.

Das Meer brach in heftigen Wellen am Ufer.

Viel spazierendes Volk, aber wenig andere Läuferi*innen: Die waren wohl alle beim hiesigen Halbmarathon. Wir hatten am Vortag Zielanlagen mit riesiger Sponsorenbeschriftung gesehen – aber ohne Hinweis, um welche Art Wettbewerb es sich beim gesponserten überhaupt handelte. Jetzt kreuzte ich mehrfach die Wettlaufroute.

Weil der Seegang so hoch war, hoffte ich darauf, die Bodendüsen an der Chillida-Skulptur peine del viento in Aktion zu sehen. Tatsächlich lauerten zahlreiche Besucher*innen drumrum, Smartphones und Fotoapparate gezückt. Da ich nicht warten wollte (Puls war oben, außerdem hatte ich noch Pläne), umkreiste ich die Düsen nur zweimal – und wurde zumindest mit ein wenig sichtbarem Gesprüh belohnt.

In der Ferienwohnung geduscht und gekleidet, dann brach ich nochmal mit Herrn Kaltmamsell auf: Plan war, am dritten Sonntag in San Sebastián auf den dritten und östlichsten der drei San Sebastiáner Berge zu spazieren, auf den Monte Ulia.

Herr Kaltmamsell hatte aus den zahlreichen Fußwegen des Hügels einen Weg herausgesucht, aber erst mal gab es im Bar von sonst auch einen café con leche. Währenddessen war der Himmel wider alle Vorhersagen voller Wolken gezogen.

Nächste Überraschung: Der Monte Ulia ist ein Naturpark und richtiges Wandergebiet. Außerdem am Sonntag offensichtlich sehr beliebt, uns kamen viele Familien und Gruppen in ernsthafter Wanderausrüstung entgegen. Wir hätten uns also auf eine ca. 5-Stunden-Tour bergauf, bergab nach Pasaia und zurück machen können, ich sogar in den Turnschuhen, die ich für den geplanten Spaziergang trug – doch am Montag hatten wir eine letzte, ausgiebige Küstenwanderung vor, zudem war ich bereits eine gute Stunde Laufen gewesen: Mir erschien es vernünftig, mich gestern nicht zu verausgaben.

Es wurden dann nur drei, aber wirklich schöne Spaziergangsstunden.

Blick auf den Strand Zurriola mit Kursaal.

Den plötzlichen Nebel, jetzt erinnerte ich mich, kannte ich bereits von der galicischen Atlantikküste.

Ganz oben: Picknickplatz in den Wolken.

Doch ebenso schnell kam auch wieder die Sonne durch. Für meine Brotzeit kurz nach drei setzte ich mich in ihren Schein, es gab einen Apfel vom Markt (SO! GUT!) und ein Stück Weißbrot.

Auch zurück an der Bucht Zurriola schien die Sonne; wir setzten uns auf eine Bank, sahen den promenierenden Menschen zu und den surfistas.

In der Ferienwohnung las ich Zeitung. Es zwickte mich seit einer Verdrehung beim Bergspaziergang böse im Kreuz, ich legte eine Spezialrunde Yoga ein aus meiner Sammlung gegen Kreuzweh. Half ein bisschen.

Fürs Abendessen steuerten wir ein Restaurant an, das uns beim Vorbeigehen sympathisch erschienen war. Doch als wir ein paar Minuten am “Please wait to be seated”-Punkt gestanden hatten, niemand uns im leeren Lokal beachtete, die Angestellte in Sichtweite auch nicht auf unseren Gruß reagierte – gingen wir halt weiter.

Brücke Santa Catalina.

Kursaal-Brücke.

Pintxos im Mesón Martín, einer Empfehlung.

Sie schmeckten gut zu einem und noch einem Glas Txakoli, machten uns angenehm satt – aber genau darin liegt der Haken: Meine Erinnerung an Gepflogenheiten in Spanien und Beobachtungen von Einheimischen besagen, dass Tapas/Pintxos keine Mahlzeit sind. Vor dem Essen geht man etwas trinken, isst einen Pintxo dazu, wenn die eigentliche Mahlzeit noch weit ist, auch mal eine Ración. Aber das Essen gibt es danach. Unter Einheimischen scheint sich das nicht geändert zu haben.

Auf dem Rückweg stellten wir anhand der Plakate am Kursaal fest: Es findet gerade die internationale und hochrangige Fresskonferenz San Sebastián Gastronómika statt, allerdings offensichtlich für Profis.

In der Ferienwohnung Dessert: tarta de queso und Schokolade.

§

Stefan Leonhardsberger ist ein oberösterreichischer Commedian. Und er kann sehr, sehr gut den Gang von Staatschefs nachmachen.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 1. Oktober 2022 – San Sebastián 16: Skulpturenpark Chillida Leku

Sonntag, 2. Oktober 2022 um 9:45

Nach durchgeschlafener Nacht zu früh und dunkeldüster aufgewacht, nicht wieder eingeschlafen, statt dessen Sorgenjagd, also lieber aufgestanden.

Und gleich mal gefroren, ich habe für ein unheizbares herbstliches Drinnen nicht genug warme Kleidung dabei.

Unter düsterem Himmel wollte ich wenigstens eine Runde Yoga turnen, doch ich musste wieder erst wieder ein paar Minuten springen und fuchteln, um dafür ein bisschen Wärme zu bekommen.

Auch die anschließende Dusche war mit starken Temperaturschwankungen nicht zum Wärmen geeignet. Erst beim strammen Marsch zum mercadillo (am 1. Samstag im Monat in San Sebastián vor dem Bahnhof Amara) wich in Pulli und Jacke langsam das Dauerfrösteln. Wir kauften tarta de queso; die mittlerweile vertraute Standlerin fragte, ob mit Idiazábal oder frambuesa, Himbeere, also kommt doch echter Käse in den baskischen Käsekuchen? Außerdem Brot, Tomaten und Zwiebeln, Äpfel. An der Fischtheke eines Supermarkts besorgte Herr Kaltmamsell zudem Miesmuscheln fürs Abendessen.

Wir brachten die Einkäufe in unser temporäres Zuhause, saßen noch lesend rum, bis eine Waschmaschine durch war (da sie hier fehlt, schätze ich die Restzeitanzeige der Maschine in meinem dauerhaften Zuhause jetzt viel mehr).

Tagesplan war bei immer schöner werdendem Wetter ein Besuch des Freilichtmuseums Chillida Leku ganz im Süden von San Sebastián. Die Busverbindung dorthin hatte einen komplizierten Eindruck gemacht, lieber steuerten wir den nächstgelegenen Bahnhof von Euskotren an und liefen zehn Minuten zu Fuß. Café con leche am Abfahrtsbahnhof Amara, der Zug fuhr uns schnell zu unserem Ziel.

Nur dass wir dort verdutzt feststellten, dass die zehn Minuten Fußweg ohne Gehsteig entlang einer viel befahrenen Straße verliefen, da konnten wir noch so intensiv auf verschiedenen Online-Karten nachsehen. Wir gingen also eher zügig.

Auf den Skulpturenpark Chillida Leku hatte mich die Begeisterung von Joël gebracht, ich konnte sie gut nachvollziehen.

Gestern kam herrlichstes Wetter dazu, das für prächtige Farben sorgte.

Kunstverständige Raupe.

Chillida hat auch mit Filz gearbeitet – dieses Werk und die Steinskulptur aus aufregendem Material gehörten zu meinen Favoriten.

Im oberen Stockwerk des Gebäudes wurde eine Sammlung von Miró-Werken ausgestellt, vor allem Figuren.

Ein weiterer Miró.

Zügiger Fußmarsch entlang der Straße zurück zum Bahnhalt. Auf dem Rückweg in San Sebastián steuerte ich in der fröhlich menschenreichen Innenstadt ein Speiseeiserl an, und zwar den Laden von Loco Polo. Nachdem ich mit dem Waffeleis bereits eine schlechte Erfahrung in San Sebastián gemacht hatte, gab ich meiner Neugier auf hausgemachtes Steckerleis nach.

Die Idee ist, dass man das Eis gegen zusätzliches Geld in geschmolzene Schokolade und dann noch in eine Auswahl an Streusel stippen lässt, ich ließ es lieber pur. Ergebnis so lala: Kristalle im Milchspeiseeis sind nicht so mein Favorit, die weiche Füllung ist eine gute Idee, sie schmeckte aber nicht besonders intensiv nach Erdnuss (das war die Wahl von Herrn Kaltmamsell) oder Salzkaramell (meine).

Auf dem Heimweg machten wir einen kleinen Umweg, um nach den Kormoranen im Urumea bei Kursaal zu sehen: Auf bestimmten Felsen treffen wir bislang recht zuverlässig welche an. Auch diesmal, wir beobachteten einen Jungvogel eine Zeit lang.

Erstmals erwischten wir die Dachterrasse unserer Ferienwohnung abends mit ein wenig Sonne und saßen lesend draußen – das war schön (und warm).

Herr Kaltmamsell kochte Abendessen und stellte beim Putzen fest:

“An den Muscheln sind Muscheln dran.”

Besonders guter Txakoli.

Ergab ein hervorragendes Nachtmahl, im Fernsehen lief passend ein spanischer (und schrecklich langweiliger) Schwarz-weiß-Film von 1960. Nachtisch reichlich Käsekuchen mit frischen Feigen.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 30. September 2022 – San Sebastián 15: Vitoria-Gasteiz

Samstag, 1. Oktober 2022 um 9:07

Für den vielen Alkohol (und den Espresso) zahlte ich nachts mit sehr schlechtem Schlaf – und eigentlich den ganzen nächsten Tag mit dumpfer Benommenheit.

Gebloggt zu Morgenkaffee, draußen gemischter Himmel, aber trocken. Wir hatten einen Ausflug nach Vitoria-Gasteiz geplant, davor war aber noch Zeit für den nachgeholten Morgenlauf.

Es ging ordentlich Wind, doch die Sonne kam raus – und bewies umgehend ihre Wärmekraft.

Am Surferstrand Zurriola gab’s wohl gestern Surfunterricht, hier eine Klasse auf dem Weg ins Wasser.

Die Flut drückte das braun aufgewühlte Wasser in den Urumea.

Schaum-umspülte Felsen.

Die Laufrunde tat gut und vertrieb einige Gemütswolken.

Erst um die Mittagszeit machten wir uns auf den Weg zum Busbahnhof: Bei diesem gemischten Wetter hatten wir nicht allzuviel Zeit für ein Umschauen in Vitoria-Gasteiz eingeplant. Noch ein café con leche in der Busbahnhof-Cafeteria; an zwei Dritteln der Tische wurde Tortilla gebrotzeitet, sie ist hier wirklich immer noch so fester Bestandteil des Speiseplans wie in Bayern die belegte Semmel. Dann reihten wir uns in die lange Schlange am Reisebus nach Vitoria ein (eine Zugverbindung gab es schon auch, aber die brauchte fast doppelt so lang), ganz erstaunlich, wie viele Passagiere in einen passen.

In Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt der spanischen Autonomen Region Baskenland, war der Himmel dunkelgrau bedeckt, vor allem aber herrschten deutlich niedrigere Temperaturen. Umso zackiger marschierten wir die halbe Stunde vom Busbahnhof in die Altstadt.

Hier wie auch in San Sebastián und in Bilbao fiel mir die ambitionierte Fahrrad-Infrastruktur auf: Sie existiert auch hier offensichtlich schon ein paar Jahre und bietet auf großen Straßen und in Grünanlagen Radwege in beide Richtungen (an großen Straßen auf beiden Seiten, der Platz dafür immer den Autos abgezwackt, nicht den Fußgängern) und Fahrradampeln mit langen Grünphasen – das geht also.

Wir begannen die Altstadtbesichtigung an der Plaza de la Virgen Blanca.

Guckten uns im ältesten Teil der Stadt um.

Entdeckten, dass auch das Wäscheaufhängen vorm Fenster sich weiterentwickelt hat: Man hat Schirme drübergebaut.

Schöne Hauptpost.

Auf dem Stadtplan hatte ich entdeckt, dass es hier auch noch ein Kaufhaus des Corte Inglés gibt; da es eh ein wenig regnete, besuchten wir dort die Damenmode und die Haushaltswaren (Glasteller werden in Spanien noch lang nicht aussterben) – doch auch hier ist die Zeit der Kaufhäuser vorbei, das Sortiment sah kläglich aus.

Gegen vier hatte ich zwar immer noch keinen Hunger, dachte aber, dass ich mal was essen sollte. Doch ohne Appetit überforderten mich die vielen Möglichkeiten, ich ließ es bleiben (zumal ich weder Unterzucker spürte, Schwäche oder Schwindel).

Wir spazierten weitere Altstadtgässchen ab. Die Stadt wirkte nicht besonders belebt, doch das lag am Zeitpunkt unseres Besuchs: Zwischen 14 und 17 Uhr sind in solchen kleineren spanischen Städten immer noch die meisten Läden geschlossen.

Diese Pferdemetzgerei ist zwar geschlossen, doch wenige Meter weiter entdeckten wir noch eine in Betrieb (mit weniger malerischem Schild): Die baskischen Pferde Pottok werden nicht nur zur Deko gehalten.

Kuriosität in Vitoria-Gasteiz, das über einen Hügel gebaut ist: Überdachte Rolltreppen.

Wir fühlten uns beide nicht sehr energiegeladen und nahmen schon am späten Nachmittag einen Bus zurück nach San Sebastián. Dort war unerwarteterweise das schöne Morgenwetter verschwunden, es regnete. ABER! Es war ein paar spürbare Grad milder (18 Grad statt der 13 in Vitoria).

Herr Kaltmamsell würde uns Abendessen kochen, dafür musste eingekauft werden: Auf dem Heimweg also Einkehr im Supermarkt. Und eine halbe Stunde nach Ankommen in der Ferienwohnung standen Nudeln mit einer Tomaten-Oliven-Sauce auf dem Tisch, sehr köstlich. Nachtisch sehr, sehr viel Schokolade.

die Kaltmamsell

Lieblingstweets September 2022

Freitag, 30. September 2022 um 21:41

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 29. September 2022 – San Sebastián 14: Aquarium und feine, liebevolle baskische Küche

Freitag, 30. September 2022 um 9:59

Aufgewacht nach unguten Träumen (gemeinerweise hatten sich die schlechten Nachrichten aus der Arbeit dort eingeschlichen).

Wie angekündigt regnete es morgens heftig. Plan war, nach dem Bloggen dennoch eine Laufrunde einzulegen, war ja nur Wasser. Tatsächlich schreckte mich die intensive Greislichkeit des Draußens ab: Ich verschob die Laufrunde auf einen regenärmeren Tag, schwenkte um auf eine Runde Yoga.

Sonstiger Regenplan war ein Besuch den hiesigen Aquariums. Vorher machten wir einen Abstecher auf einen café con leche, dabei griff ich mir mal die ausgelegte Regionalzeitung El diario vasco. Auch hier hat sich der Begriff “violencia machista” für häusliche Gewalt gegen Frauen eingebürgert, den ich abends in den Fernsehnachrichten gehört hatte. Ein aktueller Femizid hat zu Demos von hunderten Nachbar*innen des Opfers geführt, die Regionalzeitung berichtete doppelseitig und versuchte Analysen – in Spanien ist man ganz offensichtlich weit über die Phase hinaus, in der Medien solche Gewalttaten als “Beziehungstragödie” bezeichnen.

Durch heftigen Regen spazierten wir zum Aquarium am Rand der großen Bucht von San Sebastián. Es herrschte reger Betrieb, an solch einem Schlecht-Wetter-Tag waren nicht nur wir auf diesen Zeitvertreib gekommen.

Der offizielle Rundgang (um dessen Einhaltung mehrfach mit Durchsagen beten wurde – ich nehme an zur kontrollierteren Verteilung der Besucher) begann in der obersten der drei Ebenen. Leider verpassten wir dadurch eine der drei Fischfütterungen pro Woche, denn die war in der untersten, wir hätten gleich bei Öffnung des Aquariums um 11 Uhr da sein müssen.

Wir sahen in einer zeitgemäßen, gut geführten und erzählten Weise die Geschichte der örtlichen Schifffahrt anhand von Modellen, erfuhren viel über die hiesige Fischerei (besonders rührend: die Ausstattung der letzten mobilen anchoas-Verkäuferin von San Sebastián, verstorben 2012, war neben einem Foto von ihr und Beschreibung ihrer Tätigkeit ausgestellt), über Piraten versus Freibeuter1, über verschiedene heutige Fischereitechniken mit Darstellung an Modellen inklusive ihrer Umweltverträglichkeit, über Meeresbiologie, alles mit interessanten Exponaten.

Zuletzt die riesigen Aquarien, davon das größte bestückt mit genau den Fischen, die es draußen vor den Mauern im Atlantik gibt – und mit einem begehbaren Tunnel.

Bild: Herr Kaltmamsell.

Unsere besonderen Freunde auch im Tierpark Hellabrunn: Die Röhrenaale.

Blick durch ein Fenster in die verregnete Bucht Ondarreta.

Auf Rückweg im Laden von Torrons Vicens eingekehrt (Turrones und Schokolade), Eskalation war erwartbar, der Gesamtbetrag reichte, dass ich einen Mandelnougat-Turrón dazugeschenkt bekam.

In der Ferienwohnung Frühstück um drei: Apfel, Brot mit Butter und mit Nocilla (nacheinander), Mandelnougat-Turrón (überraschend wenig süß).

Dann übte ich wieder für den kommenden Winter in München: Bei nassen 15 Grad Außentemperatur und nicht startbarer Heizung saß ich in zwei Paar Socken und zwei Pullovern unter einer, dann zwei dicken Decken auf dem Sofa und las Zeitung auf meinem Laptop auf dem Schoß, der dort zusätzlich heizte; so richtig warm war mir nicht.

Fürs Nachtmahl hatte ich auf eine Empfehlung hin einen Tisch im Bodegón Alejandro reserviert – und diese Empfehlung stellte sich als Volltreffer heraus: Ein liebevoll eingerichtetes Lokal, regionale, saisonale Zutaten, baskische Küche zeitgemäß umgesetzt – und das alles so aufmerksam, freundlich, mit vielen liebevollen Details, dass ich mich warm umarmt fühlte. Inklusive uns allerdings praktisch ausschließlich nicht-spanischsprechende Gäste; vielleicht kommt diese Art Küche, die ja auch ich präferiere, bei den Hiesigen einfach nicht an. Am Preis kann es eher nicht liegen: Wir zahlten etwa die Hälfte von dem, was ein solcher Abend in München kosten würde.

Wir entschieden uns für das Degustationsmenü mit Weinbegleitung.

Gruß aus der Küche war ein wirklich guter Gazpacho mit Körnerbrot-Chips.

Drei “Pintxos”: Rechts Selleriebrühe mit Herzmuschel – ganz hervorragend; auf dem Teller herrlich gewürzte Sardinen auf gerösteter Paprika, oben Taschenkrebs-Fleisch mit Pilpil-Schaum. Im Glas dazu ein Txakoli Hirutza, der vor allem zum Fischgeschmack hervorragend passte.

Ei mit Emmentalersauce – wunderbarer Ei-Geschmack. Dazu ein roter Txakoli Ilun – besonders spannend, weil jung und aus der hiesigen autochthonen Traube Hondarrabi beltza, hätte ich blind sehr wahrscheinlich nicht in Spanien verortet.

Bonito mit karamelisierten Zwiebeln und roter Paprika, sehr gut.

Das Fleisch wurde mit einem besonderen Zusatzmesser serviert: Archäologen haben Steinzeittechniken angewendet, um es aus Feuerstein zu reproduzieren. Ich folgte der Einladung, die Schweineschulter damit zu schneiden – ging mit Hilfe der (viel, viel später erfundenen) Gabel tatsächlich. Der Wein dazu war ein Ysios Tempranillo, Spezialabfüllung fürs Restaurant aus der Magnumflasche.

Erster Nachtisch: Feigen in Mandelsuppe – sehr fein, endlich erfüllte mir jemand meinen Dessertwunsch “gutes Obst!”. Dazu gab es ein Likörglas voll vom Haus aromatisierten Wein, nämlich mit Orangenschalen und Koriandersamen, gleich mal zum Nachbasteln gemerkt.

Zweiter Nachtisch: Torrija (hier ein armer Ritter aus Brioche) mit gebrannt-karamelisierter Oberfläche und ein herrliche süß-salziges Frischkäse-Eis.

Zum Café erbaten wir Brandy – der sehr großzügig eingeschenkt kam (ich erinnere mich ja noch an Zeiten, in denen in Spanien am Tisch eingeschenkt wurde – bis der Gast Stopp sagte; ich hätte deutlich vorher gestoppt).

Dazu stellte die bezaubernde Bedienung dieses Kästchen auf den Tisch: “Una sorpresa.” In den Schubladen Gebäck.

Das war ein rundum Herz und sonstige Sinne erfrischender Abend, wir spazierten vergnügt (und betrunken) heim.

  1. Darüber wusste ich Einiges aus jugendlicher Lektüre eines entsprechenden Geschichte mit Pfiff-Hefts – wie über so manche anderes historisches Thema, es ist ganz erstaunlich, wie viel daraus bei mir hängengeblieben ist, wirklich gut angelegtes Geld meiner Eltern. []
die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 28. September 2022 – San Sebastián 13: Wie ich einmal zu einem Gemälde fuhr

Donnerstag, 29. September 2022 um 8:41

Gestern versuchte ich, eines der wichtigsten Gemälde meiner Kindheit und Jugend in Echt zu sehen: „Mujeres de Sepúlveda“ von Ignacio Zuloaga. Ich wurde mit seinem Anblick groß, weil meine Mutter eine Postkarten-Reproduktion gerahmt an der Wand hatte, und den titelgebenden Ort kannte ich von Urlauben, weil meine spanische Oma von dort stammt. Mich hatte immer der Gegensatz der realistisch gemalten, starren alten Frauen im Vordergrund (der stechende Blick der rechten Frau auf die Betrachterin!) und der eigentümlichen Kleidung einerseits mit dem naiv-schematisch gemalten Ort im Hintergrund fasziniert – der dann doch ganz eindeutig und korrekt Sepúlveda zeigt. Auf der Terasse rechts steht bis heute das Lokal La Violeta, in den 1980ern eine Disco, in der ich legendäre Nächte verbrachte.

Irgendwann fand ich anhand eines Kunstbands heraus, dass das (mit 213 x 182 cm überraschend großformatige) Original nicht etwa in einem Museum hängt, sondern im Rathaus von Irún, der baskischen Grenzstadt. Entmutigend, da kommt man ja nie vorbei.

Außer man macht ein paar Jahrzehnte nach dieser Erkenntnis 17 Kilometer davon entfernt Urlaub, in San Sebastián.

Vorrecherche ergab: Ja, es hängt in der Pinacoteca des Ayuntamientos von Irún – wieder, denn 2021 wurde es für eine Zuloaga-Ausstellung an Estland verliehen. Was ich der Website des Irúner Rathauses allerdings nicht entnehmen konnte, war die Besichtigungsmöglichkeit. Aber ist ja wirklich nicht weit, gestern war zudem grausliches Wetter angekündigt: Wir fuhren einfach mal hin.

Der Regionalzug fuhr an einem Bahnhöfchen direkt hinter unserem Ferienwohnhaus ab; dass wir 25 Minuten darauf warten mussten, lag an der gründlichen Unzuverlässigkeit aller Online-Quellen für Abfahrtzeiten.

In Irún spazierten wir zum Ayuntamiento:

Nachfrage beim freundlichen Herrn an der Security-Schleuse (an seiner Uniform stand “Policía”) ergab: Eine Besichtigung der Ausstellungsräume (es gibt eine Sammlung baskischer Kunst) ist eigentlich nur an Samstagen im Sommer möglich – aber während er das sagte, stand er bereits auf, “um mal nachzusehen”. Ich erklärte ihm, um welches Gemälde es mir eigentlich ging, dass meine Familie aus Sepúlveda kommt, dass ich mit der Postkarte davon aufgewachsen bin.

Der Herr ging mit uns hoch zu den Räumen, öffnete mit seiner Smartcard vorsichtig die Tür zur Sala Capitular, in der der Zuloaga hängt – und schloss sie gleich wieder: Darin werde gerade gearbeitet, ob wir wohl in einer kleinen Weile („un ratito“) wiederkommen könnten? Aber klar! Wir vereinbarten einen ratito von einer Stunde. In dieser tranken wir café con leche am Rathausplatz und machten einen Spaziergang, ich war ziemlich wuschig vor Aufregung.

Als wir zurück ins Rathaus kamen, erwartete Herr Security uns schon. Der Raum, in dem vorher „gearbeitet“ wurde, stellte sich als der große Sitzungssaal des Rathauses heraus, mit holzgedrechselter Zuschauertribüne und allem. Wir bekamen sogar die Beleuchtung des Centerpieces des Saals angeschaltet und durften fotografieren (Beweisfoto für Mama!).

Da ich ja vor allem die Postkarte davon im Gedächtnis habe, kannte ich das untere Drittel des Gemäldes viel weniger. Im Gespräch mit Herrn Security erkannte ich, dass die abgebildeten Frauen einen Überrock als Umhang hochgeschlagen haben, der Unterrock der linken Figur besteht fast nur aus Flicken. Auch eine Überraschung: Das Bild ist deutlich dunkler als die Reproduktionen, die ich kenne. Ob es auch ursprünglich so ganz ohne das berühmte goldene Licht Kastiliens gemalt wurde (Zuloaga war ein großer Fan von El Greco) oder ob es schlicht restaurierungsbedürftig ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

An der gegenüberliegenden Wand hing das offizielle Bild des spanischen Königs Felipe VI., Rathaussaal halt. Herr Security, dem ich immer wieder herzlich dankte, bot sogar an, dass wir noch mehr Zeit mit dem Gemälde verbringen könnten, aber dafür hatte ich nicht die Ruhe. Zum Abschied betonte der Herr, dass wir jederzeit wiederkommen könnten, er oder einer seiner Kollegen am Eingang würden uns hereinlassen. Ich war sehr gerührt von seiner Freundlichkeit und Güte.

Das Gemälde “Mujeres de Sepúlveda” von 1909 ist in Spanien so berühmt, dass es an dem Punkt, von dem aus man diese Ansicht hat, einen Parkplatz „Mirador Zuloaga“ gibt. Ignacio Zuloaga (1870-1945) hat zu meiner Überraschung einen ungemein detailreichen Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia inklusive Forschungsstand bis 2019 und Zuloagas fragwürdige Rolle im frühen Franquismo.

Aber wie kommt das Gemälde nach Irún?

Zuloaga hat es der Stadt gewidmet/vermacht. (Wenn Künstler*innen bei solchen Gesten bitte bedächten, als Bedingung daran zu knüpfen, dass das Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?)

Spaziergang zurück zum Bahnhof mit ein paar Schleifen auf der Suche nach sowas wie Altstadtkern – gibt es nicht wirklich (was zu meinen inneren Bildern des Ortes passt, die vor allem mit Flüchtlingen vorm Nazi-Regime zu tun haben). Am Bahnhof trank ich zur Entspannung nach all der Aufregung ein Bier, Herr Kaltmamsell aß ein Stück Tortilla dazu.

Als wir nach San Sebastián zurückkamen, hatte auch ich richtig Hunger: Nach drei gab es in der Ferienwohnung zum Frühstück Apfel, Butterbrot und Feigen mit Joghurt.

Draußen regnete es lustig. In einer kurzen Pause schoss ich für ein paar Abendbrot-Einkäufe raus. Herr Kaltmamsell kochte nämlich den Rest Linsen vom Einkauf der Vorwoche mit Morcilla und Chorizo, dazu besorgte ich Zwiebel und Karotten. Schmeckte abends sehr gut (LINSEN!), Nachtisch Schokolade.

§

Nicole Diekmann macht sich beunruhigte Gedanken über Regeln/Gesetze für Online-Plattformen, die per Definition nicht an die eines Staats gekoppelt sein können:
“Gibt es guten Hass?”

die Kaltmamsell