Journal Donnerstag, 3. Februar 2022 – Morgenbegegnungen mit den Orange People

Freitag, 4. Februar 2022 um 6:29

Zerhackte Nacht, aber ich litt nicht sehr.

Straßen und Wege immer noch nass, aber es war nicht zu kalt.

Auf dem Weg in die Arbeit begegnete ich wieder den Orange People, den Herren in Orange von der Straßenreinigung in ihren und um ihre winzigen Besenwägelchen, diesmal fing ich mir aus einem im Vorbeifahren ein Lächeln vom Beifahrersitz des Besenwagerls (da passen sogar zwei Männer rein!). Ich begegne morgens gerne dieser Männerkameradschaft. Wenn mehrere Autochen in Leuchtorange zusammenstehen, hat das was von Herde am Wasserloch, die Männer stehen dazwischen und unterhalten sich in fremden Sprachen meist ruhig, manchmal aber auch im Tonfall heftiger Diskussionen; die Atmosphäre erscheint mir immer positiv. Wenn sie mich bemerken, grüße ich natürlich freundlich. (Aber glauben Sie mir mal besser kein Wort, im Lesen des Raumes bin ich schwere Legasthenikerin).

Im Büro wieder viele Info-Veranstaltungen, am Wassersprudler mit den wenigen Präsenzkolleg*innen Einordnung derselben, Jagd nach Erkenntnissen. Insgesamt ruhiger Arbeitsvormittag.

Zu Mittag gab es auf dem Arbeitsweg gekauftes Laugenzöpferl, ein Stück Käse und ein paar Essiggurken.

Nach der Arbeit war es draußen fast mild, ich hatte ein ganz klein wenig Winterabschied in der Nase. Heimweg über Einkäufe beim Vollcorner.

Daheim mahlte ich die am Wochenende blanchierten andalusischen Mandeln mit der Mikroreibe ganz fein, nächstes Wochenende wird damit gebacken.

Nochmal die Yoga-Runde vom Mittwoch, diesmal mit größerem Genuss, weil ich ja wusste, was kommen würde, und mich auf Details wie Gleichgewichthalten konzentrieren konnte.

Fürs Abendessen wusch ich den frisch geholten Ernteanteil-Feldsalat dreimal (gibt’s in unserer Spielberger Gärtnerei überhaupt noch genug Erde?) und machte ihn mit Kürbiskernöl-Dressing an, außerdem gab es den Rest Gemüsesuppe. Satt wurden wird davon natürlich nicht, zum Glück gab es sehr viele Süßigkeiten.

Übrigens: Wenn Sie das Kartoffelkombinat mal ausprobieren möchten – derzeit können wir wieder neue Mitglieder aufnehmen, Sie können sich für eine Testphase anmelden.

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novemberregen stellte am Mittwoch an sich Erschreckendes fest.

Während ich damit beschäftigt war, überfordert zu sein und mir Sorgen zu machen, hat sich ein Teil meines Kopfes selbstständig gemacht.

Die Schilderung erheitert mich, denn diese Stimme kenne ich auch, aber sie ist nur eine von den vielen, die in meinem Hirn aus praktisch jeder Entscheidung und Handlung einen hochkomplexem Prozess machen. Was mich davor bewahrt, eine Neurotikerin von Woody-Allen’schen Ausmaßen zu werden, ist meine gleichzeitig sehr starke Impulsivität. Die allerdings unterm Strich dazu führt, dass die vielen Stimmen impulsive Entscheidungen und Handlungen in Nachhinein umherwälzen und durchleuchten, Resultat ist meist Peinlichkeit und Scham. Vielleicht habe ich damit erklärt, warum ich so ungern existiere, warum es bis zum Lebensüberdruss anstrengend ist, ich zu sein?

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Hass im Internet, den man spezifisch als Frau abbekommen kann: Hier ein weiterer Artikel einer Betroffenen dazu, in diesem versucht Aubrey Hirsch das alles lustig zu finden – jede geht halt mir der konstanten existenziellen Bedrohung anders um.
“That’s How It Works When You’re a Woman on the Internet”.

Sometimes my boyfriend will say, “I know you’re used to this, but it isn’t even remotely ok that anyone is subjected to this kind of treatment.”

It’s actually helpful every time he says it. I don’t think anyone is fully immune to the brainwashing powers of the internet, even, or especially, people who are frequent targets. It becomes so easy to see this stuff as inevitable, or to not see it at all. You show it to your boyfriend, laughing, and he looks at you like you’ve grown three heads. “That’s really disturbing,” he says.

(Sollte Ihr Impuls sein “soll sie sich halt nicht öffentlich äußern, dann hätte sie ihre Ruhe”, sind Sie dem Ziel der Hasser, Niederbrüller und Beleidiger auf den Leim gegangen: Diese Frauen zum Verstummen zu bringen.)

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Auch wenn ich keine Fernsehserien gucke, interessieren mich Erzählstruktur und Erzähltechniken in jedem Medium – auch in Fernsehserien. Isabella Caldart untersucht:
“Ein Davor, ein Danach – Die Pandemie in Fernsehserien”.

via @alexmatzkeit

Für die Fiktion stellt die Pandemie eine klare Zäsur dar. Bisher war es möglich, das Jahr beziehungsweise die Epoche einer Serie, eines Films oder eines Romans eher vage zu halten und dadurch eine Form der Gegenwärtigkeit zu vermitteln. Fiktionale Werke, die größere gesellschaftliche Ereignisse oder Namen von etwa Politiker*innen nicht oder höchstens am Rande in ihre Handlung einbauten, hatten diese gewisse Zeitlosigkeit, bei der allein durch weniger relevante Faktoren wie Smartphone-Modelle oder Mode konkrete Jahre festzustellen waren. Ob (im US-Kontext) eine Serie nun 2010, 2015 oder 2019 spielte, machte keinen großen Unterschied. Es war immer ein diffuses „Jetzt“.

Seit Corona geht das nicht mehr. Die Pandemie unterteilt die Serien- und Filmwelt in ein eindeutiges Davor und Danach. In unserer Realität ist es auf die nächsten Jahre kaum denkbar, in geschlossenen Räumen mit großen Menschenmengen (wie etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln) keine einzige Maske zu sehen. Als Zuschauer*innen wissen wir natürlich, dass Serien und Filme fiktional sind – trotzdem lassen wir uns bei jenen Werken, die nicht in einer Fantasiewelt angesiedelt sind, bewusst auf die Illusion ein, sie würden eine Teilrealität abbilden, eine Art unausgesprochener Vertrag, den Produzent*innen und Konsument*innen miteinander eingehen. Diese Illusion wird jetzt durch die Hintergrundbilder in Szenen aber aufgehoben. Fehlende Masken sind deutliche Fiktionsmarker, die uns signalisieren: Diese Serie, dieser Film ist unrealistisch oder aber spielt vor dem Jahr 2020.

Das stellt vor allem die Drehbuch-Teams lange laufender Fernsehserien vor Probleme und Entscheidungen. Isabella Caldart sieht sie sich an.

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Relief-Karte von Deutschland.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 2. Februar 2022 – Keri Hulme, Autorin von The Bone People, Ende 2021 gestorben

Donnerstag, 3. Februar 2022 um 6:44

Beim morgendlichen Reinigen zerbrach meine Knirsch-Schiene. Na ja, ich nutze sie schon viele Jahre allnächtlich, andere zerknirschen eine pro Jahr. Und mein Jahrestermin bei der Zahnärztin steht eh an.

Draußen war’s nass, und als ich das Haus Richtung Arbeit verließ, setzte Regen ein. Ich kehrte um und nahm einen Schirm mit – was sich als nützliche Entscheidung erwies, denn der windige Regen wurde auf dem Weg immer stärker.

Eigentlich sprach alles für die Aussicht auf einen geordneten Arbeitstag. Der sich halt nicht einstellen konnte wegen neuem IT-System.
(Symboldialog: “Brauche Berechtigung für Vorgang X, bitte erteilen.”
“Nein, Sie brauchen die Berechtigung nicht, Vorgang X unnötig.”
“Hier offizielle Anleitung, in der steht, dass ohne Vorgang X Gesamtprozess A nicht möglich.”
“Vorgang X gehört gar nicht zu Gesamtprozess A”. Etc. pp.)
Verdacht, dass die Dezentralisierung des Personals durch pandemische Homeoffice-Anweisung Mob-Bildung verhindert.

Mittags ein wenig Brot, eine Orange, Hüttenkäse.

Die Arbeit beruhigte sich am Nachmittag. Auf dem Heimweg machte ich einen Abstecher zu Aldi und kaufte große Mengen Süßigkeiten, die ich noch nicht kannte (plus ein paar Posten von der Einkaufsliste).

Zu Hause eine neue Runde Yoga, wieder besonders spannend mit ungewohnten Bewegungsabläufen und Haltungen; auch diese möchte ich wiederholen.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Suppe aus Restgemüse und Gemüseresten (warm und gut), dazu Weißbrot, danach viele Süßigkeiten.

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Den Titel des Nachrufs hatte ich in englischsprachigen Medien aus dem Augenwinkel gesehen, doch den Namen Keri Hulme nicht gleich mit der Autorin eines der Meilensteine meiner Lese-Biografie in Verbindung gebracht: The Bone People, hier besprochen. Am 27. Dezember war Keri Hulme mit 74 Jahren in ihrer Heimat Neuseeland gestorben, die deutsche Presse hatte das wohl nicht vermeldet.

Auf der Booker Prize-Website (Hulme gewann den Preis 1985 als erste für ein Roman-Debut) eine ausführliche Würdigung von Buch und Autorin, mit vielen Details zu ihrem Werdegang, der Jury-Diskussion um die Preisvergabe und die Verleihung selbst (Hulme konnte nicht selbst teilnehmen, weil sie an dem Abend in Salt Lake City unterrichtete, den Preis nahmen ihre Verlegerinnen entgegen):
“How Keri Hulme’s The Bone People changed the way we read now”.

Sarah Shaffi looks back at the outsider who broke through the British establishment, and who forged a new literary lineage from Maori mythology and European tradition.

“Disturbing”, also verstörend, ist auch das erste Wort, das mir zur Beschreibung der Lektüre einfällt – doch anders als für die damalige Booker Prize-Jury hat das für mich noch nie gegen die literarische Qualität eines Romans (oder Films) gesprochen.

Keri Hulme wollte schon als Kind Künstlerin werden, schrieb und malte, lebte zuletzt in einem Haus, das sie selbst gebaut hatte, und verbrachte ihre Zeit, wie sie es sich von Kinderzeiten an gewünscht hatte: Mit Schreiben und Malen, Strandspaziergängen und Fischen.

The Bone People blieb ihr einziger Roman. Der lange keinen Verlag fand und dann vom feministischen Kollektiv Spiral praktisch von Hand veröffentlicht wurde, hier erinnert sich eine der Verlegerinnen, Marian Evans, ausführlich: “Keri Hulme’s ‘the bone people'”. Interessant sind für mich darin die vielen Details des Lektoratsprozesses (die veröffentlichte Version entspricht fast ganz dem Manuskript, an dem Hulme zwölf Jahre lang gearbeitet hatte), der Finanzierung, Produktion (die Titelillustration der Erstausgabe stammt von Keri Hulme selbst), Vermarktung. Evans erklärt sich den Erfolg des Romans so:

I think that its compassion for deeply damaged people is important; it gives space for readers to reflect on the pain in their own lives, including the pain they’ve caused, and to imagine what might bring healing.

Kommt gleich mal zu den Wiederlesen-Büchern.

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Geschwisterliebe, so schön! Ethan Coen bespricht das erste Einzel-Filmprojekt seines Bruders Joel Coen.
“Joel Coen’s ‘The Tragedy of Macbeth’, Reviewed by Ethan Coen”.

via @DonnerBella

In the interest of full disclosure, my editor has requested that I mention that I was Mr. Coen’s writing partner, producer, and creative collaborator on the aforementioned 18 films. I am also his brother. We parted ways prior to Macbeth in a split that the press described as completely amicable. Despite my prior association with Mr. Coen, I feel that I am entirely capable of reviewing his work in a fair and objective way.

Genau, geht klar.

The Tragedy of Macbeth is the work of a fraud and a narcissist, a man who deceives others to serve his own needs. These habits don’t emerge, fully formed, in adults; they can be found in childhood. Early childhood. For example: September 1963, when I happen to know that Mr. Coen borrowed a Lite Brite that a family member just gotten for his birthday, and then fucking broke it, and blamed it on the dog. And he didn’t even get in trouble for it!

(…)

In summary: Joel Coen’s The Tragedy of Macbeth is a bowl full of lizard jizz from history’s greatest sociopath. One wonders if a UN Resolution calling for the phrase “ART HOUSE HACK” to be forcibly tattooed on Mr. Coen’s forehead might be called for. Joel Coen has so thoroughly put his foot through this “piece of art” that it’s really more of a “piece of FART”, but this time, he can’t blame his fuckup on the dog.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 1. Februar 2022 – Unaufgeregter Februarstart mit Wind

Mittwoch, 2. Februar 2022 um 6:12

Recht unruhige Nacht, ich müsste aber insgesamt zu genug Schlaf gekommen sein.

Den allmorgendlichen Bank- und Seitstütz ließ ich ausfallen, diese Muskulatur war am Vorabend gründlich durch-yogiiert worden.

Kurz nachdem ich in die Arbeit aufbrach, setzte dichtes Schneetreiben ein, ich erreichte das Bürogebäude in Weiß.

Den Tag über versuchte ich der klimakterischen Körpertemperatur-Achterfahrt Komik abzugewinnen, wenn halt nur Jacke an / Jacke aus / Fenster auf / Fenster zu / Heizung hoch / Heizung runter nicht so viel Aufmerksamkeits-Energie kosten würden.

In der Mittagspause verließ ich das Haus für einen schnellen Abstecher zur Apotheke. Zurück am Schreibtisch gab es Linsen mit Roter Bete vom Vorabend, Orange und Granatapfelkerne.

Ich konnte geregelt durcharbeiten, hin und wieder ließ ich Online-Schulungen oder Info-Runden, die mit meiner Arbeit zu tun hatten, nebenher laufen.

Draußen war es sehr windig und düster, hin und wieder wirbelten vereinzelte nasse Schneeflocken am Fenster vorbei. Den Heimweg erweiterte ich bis knapp vor den Marienplatz, wo ich mit Termin das bestellte Ladegerät fürs neue Smartphone abholte.

Zu Hause eine neue Folge Yoga, diesmal wurde hauptsächlich gedehnt (tat gestern sehr gut), aber auf interessante neue Weise. Die Hüftschmerzen beim Gehen werden weniger, es sind halt irgendwelche Muskeln beleidigt.

Das Abendessen wurde anders als geplant: In der gestern gelieferten Kiste Avocados war keine einzige essreif, die vorsorglich gekauften weiteren Zutaten für Guacamole wurden also Bestandteil einer mexikanischischen Tomatensauce mit verlorenen Eiern, dazu Weißbrot. Danach viel Süßigkeiten.

Wäsche gewaschen und aufgehängt.

Beim Eintragen der 2021-Blogposts bei VG Wort werde ich zu jedem gefragt: “Handelt es sich um ein Gedicht?” Nach vielem mechanischen “Nein”-Klicken fing ich irgendwann an zu grübeln: “Oder vielleicht doch?” Vielleicht kann man ja versehentlich Lyrik produzieren?

die Kaltmamsell

Journal Montag, 31. Januar 2022 – Kippende Turbulenzen

Dienstag, 1. Februar 2022 um 6:20

Ich war ja gespannt, ob der späte Arbeitsstart am 10. des Monats den jedes Jahr schier endlosen Januar erträglicher machen würde: Ja, fühlte sich weniger lang an als sonst.

Abwechslung am Morgen: Der neue vom Arbeitgeber gestellte Corona-Schnelltest umfasst ein “Biohazard”-Mülltütchen.

Der heftige Wind war zurückgekehrt, auf dem Fußweg in die Arbeit biss mich die Kälte in die Wangen. Die Hüft-Po-Schmerzen rechts beim Gehen sind immer noch nicht weg. Zum Glück habe ich ja anderthalb Jahre lang Hüfthinken geübt, das verlernt man genauso wenig wie Schwimmen.

Vormittags schlug der Wind zusätzlich Regen an mein Bürofenster. In der Arbeit weiter Unruhe und Turbulenzen, jede kleine Lösung wieder lediglich ein kleiner Schmerz weniger.

Mittagessen bestand aus restlichem Kohlrabisalat, restlichen Cornichons, einer Mango und einer Grapefruit (am Vorabend kleingeschnitten und im Schraubglas dabei).

Nachmittag mit Software-Turbulenzen bis knapp vor Verzweiflung. Zum Glück kippte der Verlauf dank Komplett-Abstrusität einiger Details dann doch in WTF! hysterisches Gelächter.

Aufmunterungen:
– Der Blick auf die wunderschönen Schuhe, die ich gestern trug.
– Vorfreude auf die Kiste Avocados vom adoptierten Baum, die für Dienstag angekündigt wurde.

Auf dem Heimweg holte ich mein neues Handy ab. Ein paar Lebensmitteleinkäufe.

Daheim wiederholte ich die Yoga-Runde vom Vorabend, möglicherweise hatte sie ein wenig Muskelkater im seitlichen Rücken verursacht.

Herr Kaltmamsell hatte mein Gewinsel “Nie machst du mir Linsen!” erhört, in das ich immer zwei Tage nach der letzten Linsen-Mahlzeit ausbreche. Es gab sie mit Salzzitronen, roten Beten und Petersiliensauce (frei nach diesem Vorbild) – köstlich.

Nachtisch Süßgkeiten.

Einrichten wollte ich das neue Smartphone erst mit mehr Ruhe, aber aufladen wollte ich es schon mal – und musste feststellen, dass die Lieferung kein Ladegerät umfasste, das Kabel war inkompatibel mit meinem alten. Darauf hätte man mich, finde ich, im Laden hinweisen können. Ich bestellte also eines (Hüllen mit und ohne Bändel sowie eine für um den Oberarm zum Sporteln hatte ich schon vorher recherchiert und bestellt).

die Kaltmamsell

Lieblingstweets Januar 2022

Montag, 31. Januar 2022 um 20:07

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 30. Januar 2022 – Wintersturm

Montag, 31. Januar 2022 um 6:38

Endlich wieder eine gute, erholsame Nacht. Zwar wachte ich auch in dieser mehrfach auf, doch nach halb vier schlief ich bis sieben durch, wachte erfrischt zum ersten Glockenläuten des Tages von St. Matthäus auf.

Draußen stürmte es weiter, mir fiel ein, dass ich vor dem Aufbruch zum Schwimmen im Dantebad auf der Website sicherstellen sollte, dass es nicht wegen halber Bäume im Becken geschlossen war.

Ich packte nach dem Bloggen und Bettwäschewaschen (Frequenz wegen viel Schwitz derzeit wieder hoch) sogar noch meinem Sport-Rucksack, als ein weiterer Sturm- und Regenschauer die Wohnung verdüsterte und mir aufging, dass es vernünftig war, die Schwimmpläne ganz fahren zu lassen. Schon lag der Sonntag ganz anders vor mir.

Erstmal las ich sehr ausführlich Twitter, Blogs und Verlinktes, erlebte daheim die Entstehung einer Serie von Blogposts über Wolfgang Herrndorfs Sand und die damit verbundene Erschütterung mit (hier Teil 1), blanchierte und häutete ein paar Hand voll Mandeln vom adoptierten Baum in Andalusien, guckte aus dem Fenster in den Sturm mal mit Regen, mal mit Sonne, kümmerte mich mit Pömpel um den stockenden Abfluss der Badewanne, nahm ein seltenes Vollbad, pflegte und cremte mich, kochte für Herrn Kaltmamsell und mich Porridge, schälte dazu Orangen und entkernte einen Granatapfel. Um zwei frühstückte ich Porridge, Orangenmarmelade, Joghurt und viel Obst.

Nachmittags legte sich der Sturm langsam, das wollte ich von draußen sehen. Ich spazierte Richtung Theresienwiese, da diese aber gerade von einer mittelgroßen Impfgegner-Demo belegt war (insgesamt gab es in Bayern drei), umrundete ich große Teile in möglichst großem Abstand. Das ersparte mir nicht das Mithören der erstaunlich weit schallenden Demo-Reden, in denen es hieß “wir” seien “keine Minderheit” (belegbar falsch), in denen die Impfstoffe “weitgehend unerforscht” genannt wurden (belegbar falsch), und in denen es natürlich auch irgendwie um Kinder ging, doch ich schaffte es, für genaueres Verständnis wegzuhören. Was allerdings wirklich Respekt verdient: Das neben den Demos liegende Corona-Impf- und -Testgelände wurde bislang nie angegriffen.

Anders als geplant steuerte ich nicht den Westpark an, sondern bog ab zum Harras. Jetzt ging nicht mal mehr ein Wind, das Licht war wundervoll. Zurück nach Hause spazierte ich auf der Rückseite des Harras über die Kidlerstraße und dann auf Straßen parallel zur Lindwurmstraße.

Ich entdeckte mal wieder schöne Kunst am Bau.

Daheim eine Runde Yoga; auch die Folge 10 von “Move” fand ich sehr neu und spannend, möchte sie wiederholen.

Zu Abend kochte Herr Kaltmamsell Spaghetti Cacio e Pepe, ich verarbeitete den Ernteanteil-Kohlrabi zu Rohkostsalat – der mir überraschend schmackhaft gelang (Dressing aus Zitronensaft, Reisessig, Honig, Rotisseur-Senf, Rapsöl, Salz, Pfeffer, Oregano – zum Merken).

Früh ins Bett zum Lesen. Nach Langem habe ich dabei mit Granta 157, Should we have stayed at home? New travel writing mal wieder ein Papierbuch in der Hand – und stellte fest, dass das Licht meiner etwas entfernten Nachttischlampe nicht ausreicht (das eBook-Lesegerät bringt ja seine eigene Beleuchtung mit), ich musste das Deckenlicht anschalten.

§

LWS-Skoliose mit zwei Bandscheibenvorfällen, Hüftdysplasie beidseitig mit Arthrose, großes Gebärmutter-Myom, regelmäßige Blasenentzündungsschmerzen (das ist seit ein paar Monaten das neueste Feature: hatte ich vor Klimakterium über 30 Jahre nicht mehr) – glauben Sie mir, wenn ich von Beschwerden “untenrum” spreche, ist das nicht g’schamig, sondern effizient.
(Neues Karriereziel.)

§

Jetzt verstehe ich, warum ich in den vergangenen Jahren ehrgeizige Münchner Lokale wie das Broeding oder den Dantler weit lieber mag als die hiesige Sterneküche: Weil ich dort Speisen mit einheimischem Profil bekomme statt durchaus beachtliche Teller, die man aber gradsogut in Berlin oder Hamburg servieren würde.
“Stilkritik, Folge 4: Die Krake Mainstream”.

Das Gleiche zu machen wie andere Köche, widerspricht der kulinarischen Logik

Das, was Köche produzieren, hängt von vielen Faktoren ab – zunächst einmal in qualitativer Hinsicht. Wenn sie eine professionelle Ausbildung durchlaufen, werden ihnen nicht nur handwerkliche Techniken beigebracht, sondern gleichzeitig auch diverse Rezepturen und bestimmte Geschmacksbilder. Davon abzuweichen, kann den Erfolg der Ausbildung gefährden, sie müssen so kochen, wie das von ihren Ausbildern gewünscht ist und in das Programm des jeweiligen Restaurants passt. Bei diesem Verfahren (das weitestgehend unausweichlich ist) spielt die individuelle geschmackliche Grundlage kaum eine Rolle. Dabei kann es einen gewaltigen Unterschied machen, ob jemand aus einer Gastronomenfamilie stammt und schon als Kind in der Küche mitgeholfen hat, oder ob er frisch vom Gymnasium beschlossen hat, auch so ein toller Hipster-Starkoch zu werden wie XY. Und – auch individuell-physiologische Aspekte können eine Rolle spielen, also ob jemand eher hypersensibel oder hyposensibel schmeckt, sehr fein und differenziert schmeckt oder eben so, dass er sehr viel Würze braucht, um überhaupt etwas wahrzunehmen und gut zu finden. Kurz und gut: die Köche sind verschieden und bleiben dies auch zu einem großen Teil, selbst wenn sie die gleiche Ausbildung durchlaufen haben.

Wenn sie dann für eine Küche verantwortlich sind, würde es der kulinarischen Logik entsprechen, die eigenen Grundlagen und auch die Umgebung einzubeziehen und zu reflektieren, sich also etwa mit den Produkten zu beschäftigen, die sie sozusagen „unter Kontrolle haben“ und sich nicht wahllos aus dem Topf der internationalen Warenströme zu bedienen. Es würde zudem Sinn machen, die regionalen Traditionen zu bewahren, oder ihre Rezepte zu optimieren, zum Beispiel um eine Nähe zu den potentiellen Kunden herzustellen oder für Reisende attraktiv zu werden, weil man regional Spezifisches anbietet, das es so nur hier geben kann.

YES PLEASE.

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Andere hatten auch Sturm. Der schottische Fischer John A Buchan filmt von seinem Schiff aus mal aus Perspektive des Boots mit schwankendem Horizont, zum Vergleich mit fixem Horizont. (Grund 5567, das Internet und Twitter zu lieben.)

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 29. Januar 2022 – Auf dem Tegernseer Höhenweg in die Sonne

Sonntag, 30. Januar 2022 um 8:53

Eine besonders schlechte Nacht mit Aufwachen zu jeder Stunde und sehr unangenehmen Nebenhöhlenschmerzen.

Um sechs erklärte ich diese Nacht für beendet. Entsprechend erledigt hing ich über Bloggen und Mogenkaffee. Dann doch die bunte Sonderangebots-Sommerhose aus einem offenen Tab bestellt, Futter für die Illusion, den Winter verkürzen zu können.

Herr Kaltmamsell hatte dieses Wochenende frei. Und er war eisern entschlossen, es für eine Wanderung mit mir zu nutzen, Winter und Wetter egal. Das überraschte mich, ich kenne ihn eigentlich nicht so kompromisslos wanderbegeistert, doch ich erfüllte ihm gern den Wunsch. Als Strecke hatte ich eine am Tegernsee recherchiert, von der mir eine Freundin als Winterwanderung um Weihnachten erzählt hatte, nämlich den Tegernseer Höhenweg. Auf das abschließende Übersetzen per Schiff oder Ruderfähre mussten wir allerdings verzichten, da es derzeit auf dem Tegernsee gar keinen Schiffsverkehr gibt.

Ich packte einen Rucksack mit Getränken, Brotzeit holten wir uns am Bahnhof – an einem der wenigen dort verbliebenen Brotzeitstände, denn am Münchner Hauptbahnhof ist inzwischen fast alles außer dem Gleisbereich Baustelle.

Im Zug nach Tegernsee ein verräterisches Verbotsschild am Gepäckfach über den Sitzen:

Gestern allerdings sah ich nur einmal Mensch mit Snowboard auf der Hinfahrt, einen mit Ski zurückzu (der lustige Skistiefel-Gang! als Choreografin würde es mich drängen, einen Tanz daraus zu machen – ähnlich der Taucherflossen-Nummer in Mama mia). Alle anderen Passagiere sahen nach Wandern oder Spazierengehen aus. (Maskendisziplin 1A.)

Die Wettervorhersage hatte für Nachmittag Sonne angekündigt, und so war es dann auch: Wir wanderten unter düsterem Himmel los ins immer Sonnigere. Der Weg war gut ausgeschildert, ließ sich auf sulzigem Schnee in festen Wanderschuhen gut gehen (umfasste allerdings ein paar sehr steile Abstiege), wir begegneten nur wenigen anderen Menschen, Richtung Rottach-Egern immer weniger, und wir hatten immer wieder wundervolle Aussicht.

Blick rüber nach Bad Wiessee. Ich erkannte die Reha-Klinik, in der ich Ende 2019 nach meiner Hüft-TEP so schnelle Heilungsfortschritte machte.

Rottach-Egern mit Wallberg.

Nach zwei Dritteln machten wir kurz vor zwei Brotzeit auf einem Bankerl an der Rottach: eine mächtige Nussschnecke, dazu Kräutertee aus der Thermoskanne – sie hatte ihn wirklich heiß gehalten.

Jetzt wurde es herrlich sonnig und warm, schlagartig waren alle Wege und Bänke voller Menschen.

Blick vom Strandbad Point nach Rottach.

Kloster Tegernsee.

Tegernseer Rathaus.

Zurück nahmen wir einen Zug kurz vor vier (sie gehen zwischen Tegernsee und München zweimal in der Stunde – wirklich bequem). Das waren 14 Kilometer in knapp vier Stunden gewesen. Was ich Herrn Kaltmamsell bis zur Rückfahrt verheimlicht hatte: Beim Gehen schmerzte seit dem Aufstehen am Morgen meine einst kaputte Hüfte mit überraschender Heftigkeit. Ich wollte die Tour trotzdem probieren, und es ging dann auch gut, wirkliche Schmerzen hatte ich immer nur nach Aufstehen vom Sitzen.

Auf der Rückfahrt nutzte ich die Gelegenheit, mal ein Foto von der Großhesseloher Brücke aus auf Gleishöhe aufzunehmen statt beim Joggen ein Stockwerk tiefer.

In München kauften wir auf dem Weg nach Hause noch Zutaten fürs Abendessen. Ich fühlte mich nach der schlechten Nacht unverhältnismäßig erledigt, legte erst mal die Füße hoch.

Herr Kaltmamsell kümmerte sich auch gestern ums Nachtmahl und servierte aus Ernteanteil den letzten Lager-Knollensellerie und Gelbe Bete mit Zwiebeln vom Blech, ich rührte dazu Schnittlauchjoghurt und Tahini-Sauce (mit Meyerzitronensaft) an. Davor gab es Gin Tonic.

Nachtisch große Mengen Süßigkeiten.

Ich gab meiner Erschöpfung nach und war schon um halb zehn im Bett. Draußen hatten Sturm und Regen eingesetzt, wir hatten den richtigen Wochenendtag zum Wandern gewählt.

die Kaltmamsell