Journal Samstag, 13. März 2021 – Wiedersehen mit Schwiegers und Crosstrainer-Quietschprobleme

Sonntag, 14. März 2021 um 8:08

Gemischte Nacht, am schönsten war die Stunde vor dem Aufwachen kurz vor sieben.

Weiterhin zwischen Kisten und Zeugs, das noch seinen Platz sucht, aber endlich mal wieder möglich: Ein Stündchen Cardiotraining auf dem Crosstrainer. Er soll einmal in meinem Schlafzimmer stehen, doch dort ist vor Einbau des Wandschranks kein Platz, also haben wir ihn erst mal im Arbeitszimmer aufgestellt. Das Problem: Das Viech, ein Kettler Axos CrossM, quietscht, knackt und knarzt zum Gottserbarmen, immer schon. Gestern zog ich alle vielen Schrauben nochmal an, nach dem Transport eh eine gute Idee, doch auch diesmal blieb beim Aufsteigen das QuietschKlackerKnarz. Ich kann mittlerweile für jedes der Geräusche eine Quelle benennen: Das Quietschen kommt aus den Gelenken, das Klackern entsteht durch zu viel Spiel zwischen der Querverbindung der Griffstangen zum Mittelteil – nicht behebbar – und das Knarzen durch die Verwindung der Plastikteile bei Bewegung.

In der alten Wohnung lagen zwischen Crosstrainer und Schreibtisch Herr Kaltmamsell zwei Türen und die größtmögliche Entfernung, jetzt knarzquietsche ich anderthalb Meter davon entfernt – so kann der Mann unmöglich arbeiten. Doch solange die Schwimmbäder geschlossen bleiben und ich nicht wieder joggen kann (Letzteres zeichnet derzeit überhaupt nicht wieder ab), bleibt nur der Crosstrainer zum Auspowern. Wir haben ein Problem.

Eine Art Heimkommen: Ich sah ein Eichhörnchen in den Bäumen vorm Fenster herumklettern.

Beim Strampeln hörte ich Filmmusik, dazu gehörte auch “Delilah” von Tom Jones. Ich hörte zum ersten Mal auf den Text und bemerkte, dass hier der klassische Femizid beschrieben wird, und zwar vom Täter: “She stood there laughing, I felt the knife in my hand and she laughed no more.” Wie war das? Männer haben Angst, von Frauen ausgelacht zu werden. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen. Qed.

Wir waren zum Geburtstagskaffee bei den Schwiegers eingeladen und machten zur Sicherheit (denn ohnehin beide Symptom-frei und ohne Positiv-Fall in der Umgebung) vorher Corona-Schnelltests.

Ein Strich heißt negativ.

Ich ging noch schnell zum Basitsch für Obst und Milchprodukte, außerdem kaufte ich einen Happen Frühstück (Breze für ihn, Hanfkeks für mich). Ereignislose Bahnfahrt nach Ausgburg, dann sah ich nach über einem halben Jahr endlich wieder die lieben Schwiegers, Herrn Schwieger nach dreimonatigem Krankenhausaufenthalt. Das war sehr schön.

Es gab Sekt, Schokoladensahnetorte satt, vergnügte Stimmung, Corona-Frisuren-Vergleich: Den Herrn Schwieger hatte ich noch nie zuvor anders als mit ratzekurzen Haaren gesehen.

Daheim wartete ein Kistlein Avocados aus Málaga auf uns: Das gewünschte Ablegen vor der Wohnungstür hatte geklappt. Herr Kaltmamsell muss ab nächsten Montag wieder jeden Tag in die Schule zum Arbeiten (bei einem Inzidenzwert um die 60 im Schul-Landkreis, das sei nur der Chronik wegen festgehalten), Lieferungen wollen nun wieder gut geplant und meist an die Packstation gerichtet werden.

Die weichsten legte ich fürs Sonntagsfrühstück beiseite, die fünf zweitweichsten in eine Papiertüte mit Äpfeln zum schnelleren Reifen, die härtesten in den Kühlschrank für in zwei Wochen, knapp die Hälfte der Avocados blieb in der Kiste für dazwischen.

Vor dem Abendessen packte ich Bücherkisten aus, bestückte die Regalwand im Flur; mein Wochenendziel ist das Freiräumen einer Hälfte des Wohnzimmers, um zumindest dort angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Außerdem gehörten zu diesen Büchern unsere Kochbücher, in denen ich tatsächlich oft nachschlage und die ich entsprechend vermisst hatte.

Das Abendessen stammte aus der Hand von Frau Schwieger: Sie hatte Ochsenbackerl geschmort und uns zwei mit Soße mitgegeben. Herr Kaltmamsell schabte dazu Späzle vom Brett. Köstlich.

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Der schottische Astrophysik-Professor Dalcash Dvinsky erzählt, wie sich sein Alltagsrhythmus im vergangenen Jahr verändert hat – durch Hund und Pandemie.
“A day in my life”.

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kid37 gibt den Kunsthistoriker:
“1000 Meisterwerke”.

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Es hagelt Corona-Jahrestage, das ZDF Magazin Royale hat sich den Jahrestag Ischgl vorgenommen.

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https://youtu.be/89ww_8P-26s

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 12. März 2021 – Corona-Regel-Resignation

Samstag, 13. März 2021 um 8:02

Ausreichend und ausreichend tiefer Schlaf.

Das Wetter begann mit ein paar Regentropfen, wurde dann aber eher sonnig, weiterhin windig. Arbeitstag ohne Hektik, mittags Birne mit einem Stück Käse, Orange und Mandarinen.

Nach der Arbeit nahm ich eine U-Bahn (genug Platz, alle Münder und Nasen FFP2-bedeckt) zum Odeonsplatz, ging in goldener Sonne und angemessen frischen März-Temperaturen zum Viktualienmarkt. Ich besorgte fürs Wochenende Blut- und Leberwurst, weil der Ernteanteil endlich Sauerkraut enthalten hatte (plus Kartoffeln), fürs Freitagabendessen ein Porterhouse-Steak (nicht so dick geschnitten, wie ich es gern gehabt hätte, der Metzger scheint mir das “NOCH dicker” nicht geglaubt zu haben), dazu für Freitagabend grünen Spargel (überraschend schwer zu finden, ich hatte angenommen, dass der italienische grüne Spargel bereits Saison hat) und Kirschtomaten. Und da ich bereits Hunger hatte, kaufte ich für den Aperitif ein wenig eingelegte Oliven.

Viele Läden in der Innenstadt waren erleuchtet und in Betrieb – aber man konnte wohl nicht einfach reingehen, sondern musste sich vorher einen Einkaufstermin holen. Ist mir egal, ich habe nicht vor Läden zu besuchen; was die offiziellen Corona-Regeln angeht, habe ich inzwischen resigniert: Die Infektionszahlen entwickeln sich exakt wie es die Warnungen von Expertinnen und Experten vor Lockerungen prognostiziert hatten, ich folge lieber deren Empfehlungen. Alles Weitere nach der dritten Welle oder meiner Impfung, je nachdem, was früher eintritt. Wobei mir klar ist, welches Zeichen von Privilegien es ist, mir diese Resignation leisten zu können. (Allerdings wäre ich ein bisschen entspannter, wenn meine Eltern geimpft wären.)

Anke Gröner ist wohl an einen ähnlichen Punkt angekommen:

Ich will nicht mehr auf gute Nachrichten hoffen, ich lese jetzt einfach ein halbes Jahr keine Nachrichten mehr, warte ergeben darauf, dass mein Handy pingt und mir einen Impftermin nennt, von mir aus mit Sägespänen, ich kann dieses Gefühl nicht mehr ertragen, dass unser aller Gesundheit an Bürokratie, Dokumentationswahn und Logistik hängt.

Daheim ein wenig Werkeln: Duschkopf ausgewechselt, ich hatte den aus der alten Wohnung, vor ein paar Jahren in Berlin gekauft, entkalkt und gereinigt, konnte ihn jetzt gegen den eigenartig dünnstrahligen in der neuen Wohnung austauschen. (Herr Kaltmamsell hatte gestern Vormittag die Übergabe der alten Wohnung an die Hausverwaltung übernommen, keine Beanstandungen.) Dann gab’s Negroni und Oliven.

Die Beilage zum Abendessen bereitete ich zu: Grünen Spargel mit Kirschtomaten in Alufolie aus dem Ofen. Herr Kaltmamsell briet dazu das Porterhouse-Steak. Gestern war die erste Weinlieferung an die neue Wohnung eingetroffen, es gab ein Glas Rioja (Conde de Valdemar Reserva 2012).

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Zu #NotAllMen und warum es für das Bedrohungsgefühl vieler (zu vieler) Frauen irrelevant ist, dass ja nIcHt AlLE mäNnER Belästiger oder gar Vergewaltiger sind, schreibt Julien Cohen in einem Thread ein ganz normales Erlebnis auf, wie sie eines Abends in London von Fremden bedrängt wurde.

Die zentrale Aussage:

We can’t tell which men are safe because even the ones who are supposedly safe feel enabled to humiliate us for fun. No men are safe. Normal men aren’t safe. We are never safe because our society believes that the safety of women is not as important as the entitlement of men.

Das bedeutet nicht, dass jeder Mann sich schuldig fühlen muss. Sondern dass er die Situation der betroffenen Frauen ernst nehmen sollte und dieses Bedrohungsgefühl nicht durch “aber ich bin ja ganz anders” unberechtigt wird.

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Zum internationalen Tag der Frau, 8. März, ließ die Zeit “22 Frauen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport erzählen, wie sie Widerstände überwunden haben”.
“Erfolgreiche Frauen:’Mich treibt das Unterschätztwerden an'”.

Doch ich merkte, dass mich auch solche Artikel inzwischen müde machen.
Zwar freue ich mich sehr an erfolgreichen Frauen, und in der Reihe sind einige, die mich begeistern – doch ich weiß nicht so recht, ob sie sich für Erfolgstipps eignen. Die Ratschläge lesen sich mal wieder wie Rezepte, denen Frauen einfach nur folgen müssen, dann haben auch sie Erfolg. Die Gefahr ist groß, dass Entscheidungen oder Verhalten nachträglich zu Gründen für Erfolg definiert werden, wo es doch Persönlichkeitsaspekte waren, die dieses Verhalten erst ermöglichten. Eine Persönlichkeit kann man sich nicht einfach draufschaffen.

Am ehesten übertragbar auf alle Persönlichkeiten ist wohl der Appell, Verbündete zu suchen, eine Verbündete zu sein. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, wie wichtig Vor-Bilder sind: “If she can see it, she can be it” heißt das Motto des Geena Davis Institute on Gender in the Media.

Als Gegenbeispiel fällt mir immer die epochale Schriftstellerin Marieluise Fleißer ein, die eben keine Erfolgsgeschichte aufweisen konnte. Zwar von klein auf durch und durch Künstlerin und mit einer unkonventionellen Persönlichkeit ausgestattet, biss sie sich halt nicht durch, sondern gab auf. Keine Erfolgsstory hier, nachdem sie von Bertolt Brecht ihren eigenen Berichten zufolge praktisch zum Erfolg gepeitscht werden musste – und zwar überhaupt nicht zu ihren Konditionen. Nach einem guten Jahrzehnt Künstlerinnenleben gab Fleißer auf: Zweckheirat in Ingolstadt, Jahrzehnte im Tabakladen ihres Ehemanns. Es war Zufall, dass Faßbinder und Kroetz sie wiederentdeckten und sie spät noch anerkannt wurde. Was der Einzelgängerin vor allem in frühen Jahren auffallend fehlte: Verbündete. Fleißers Biografie erschien mir immer ein viel nachvollziehbares Künstlerinnenleben als die Erfolgsbeispiele zum Internationalen Tag der Frau.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 11. März 2021 – Abschluss Auszug

Freitag, 12. März 2021 um 6:29

Etwas unruhigere Nacht, um fünf weckte mich donnernder Herzschlag.

Der Fußweg in die Arbeit war wieder unangenehm kalt, außerdem wurde ich ein wenig angeregnet. Begegnung mit einem Arbeitskollegen von ganz früher in Ingolstadt, den ich hin und wieder beim Gassigehen sehe (heißt das überhaupt noch Gassigehen?).

Emsige Arbeit. Nachmittags eine hochinteressante Infoveranstaltung (seit Beginn der Pandemie-Änderungen im Arbeitsleben eine regelmäßige Einrichtung, die hoffentlich beibehalten wird), die als Videokonferenz besonders gut funktionierte.

Mittagessen: ein Glas eingelegter Süßmais, rote Paprika und Kidneybohnen, außerdem Orange und Mandarine. Nachmittags ein Stück schwarze Schokolade. Vor dem Bürofenster heftiger Wind, gleichzeitig war es milder geworden.

Auf dem Heimweg versuchte ich wegen bestimmter Wochenendpläne Covid-Schnelltests zu ergattern. Vier Apotheken, ein Aldi und ein Lidl später stand ich immer noch mit leeren Händen da. In einer Apotheke wurde ich informiert, ab Freitag gebe es den sowieso in allen Drogerien. Da bin ich ja mal gespannt.

Daheim wechselte ich schnell in bewegungsfreundliche Kleidung, denn es galt den Auszugsteil des Umzugs abzuschließen: In der alten Wohnung letzte Haken, Nägel, Lampen und Glühbirnen entfernt, letzte Dinge weggeräumt. Durchgesaugt hatte Herr Kaltmamsell schon, Freitag übernimmt er die Übergabe.

Abendessen: Die Kartoffeln aus Ernteanteil wurden Pellkartoffeln mit Kräuterquark (darin Kresse aus Ernteanteil), dazu gekochte Eier, außerdem Feldsalat aus Ernteanteil. Nachtisch Schokolade.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 10. März 2021 – Ein paar Schneeflocken

Donnerstag, 11. März 2021 um 6:27

Verschlafen: Als mich Herr Kaltmamsell weckte, musste mein Wecker bereits eine Viertelstunde vergeblich geklingelt haben, durch Ohrstöpsel und tiefen (hurra!) Schlaf hatte ich ihn nicht gehört.

Draußen war es nass und kalt, im Licht der Straßenlaterne segelte die eine oder andere Schneeflocke.

In der neuen Dusche liegen die Seifen noch nicht optimal, es wird dann doch eine zusätzliche Ablagefläche brauchen. Und ich fühle mich ultra-deutsch, wenn ich sofort nach dem Duschen und noch halb nass die (an sich wirklich praktische und willkommene) Glasabtrennung abziehe – Münchens sehr kalkhaltiges Wasser würde sie sonst sofort verblinden.

Auf dem trüben Weg in die Arbeit sah ich auf der Theresienwiese grasende Streifengänse, am Bavariapark Schneeflecken auf den Wiesen. Ich blieb aber trocken.

In der Arbeit viel Arbeit, teils auch recht anstrengend (gestern vor allem Korrekturlesen inkl. fact check).

Mittagessen war Quark, Joghurt, Birne. Nachmittagssnack Nüsse und Mandarinen.

Auf dem Heimweg (unangenehm kalt) Einkäufe beim Vollcorner, sowohl fürs Abendessen als auch Vorräte. Das Abendessen kochte Herr Kaltmamsell (Spaghetti mit Champignons, Petersilie, Crème fraîche), während ich endlich mal wieder eine Runde Yoga turnte – arg beengt durch Umzugskisten, beim nächsten Mal muss ich mehr Platz freiräumen.

Gute Nachrichten aus der Schwiegerfamilie, beide Schwiegers sind geimpft.

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Der Frankfurter Hotelier Ilhan Erdoğan nimmt Obdachlose auf und vermittelt ihnen Jobs (große Bewunderung):
“Hilfsbereiter Hotelier”.

Dem Hotelier kommt entgegen, dass eines seiner beiden Hotels speziell eine Unterkunft für Berufstätige auf Reisen ist. Auch in Corona-Zeiten buchen sich dort vor allem Handwerker ein, die teils monatelang an Bauprojekten arbeiten. Dort klappt die Aufnahme so gut, dass Erdoğan nun mit drei Logistikunternehmen verhandelt, Obdachlose als Lagerarbeiter anzustellen.

§

An Königshäusern interessieren mich wirklich nur die Klamotten und der Schmuck (DIADEME!) – die aber durchaus sehr. Das kann ich mir leisten, da ich weder persönlich noch kulturell involviert bin. Warum das Iren und Irinnen deutlich anders empfinden, beschreibt aus aktuellem Anlass nachvollziehbar Patrick Freyne mit diesem Einstieg zu einem Artikel in der Irish Times:

Having a monarchy next door is a little like having a neighbour who’s really into clowns and has daubed their house with clown murals, displays clown dolls in each window and has an insatiable desire to hear about and discuss clown-related news stories. More specifically, for the Irish, it’s like having a neighbour who’s really into clowns and, also, your grandfather was murdered by a clown.

Beyond this, it’s the stuff of children’s stories. Having a queen as head of state is like having a pirate or a mermaid or Ewok as head of state. What’s the logic? Bees have queens, but the queen bee lays all of the eggs in the hive. The queen of the Britons has laid just four British eggs, and one of those is the sweatless creep Prince Andrew, so it’s hardly deserving of applause.

§

Als hätten wir nicht genug schlechte Nachrichten, kommt jetzt noch eine aus dem Münchner Tierpark:
“Hellabrunner Fledermausgrotte bleibt dauerhaft geschlossen”.

Selige Erinnerungen ans Umflattertwerden in dieser Fledermausgrotte. Ähnliches erlebte ich nur an dem Abend im Madrider Parque del Retiro am Bosque des Recuerdo.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 9. März 2021 – Mal wieder geschöfft

Mittwoch, 10. März 2021 um 6:36

Weil Umzug noch nicht Abwechslung genug war, folgte ich gestern einer Ladung als Schöffin ans Amtsgericht, zum ersten Mal für zwei Verhandlungen hintereinander.

Schöner Morgenausblick.

Die erste Verhandlung begann um 9 Uhr, so konnte ich vorher ein Rezept bei meiner Hausärztin abholen. Allerdings verkalkulierte ich mich zeitlich ein wenig, in der neuen Umgebung brauchen die sonst so routinierten Handgriffe am Morgen dann doch mehr Zeit: Statt zu Fuß durch die Morgenluft zu gehen, nahm ich eine U-Bahn an den Stiglmaierplatz.

Die Richterin setzte beide Verhandlungen mit FFP2-Maskenpflicht an: Es gibt Bequemeres, aber es war zu machen. Wieder lernte ich sehr viel, unter anderem, wie man als drogensüchtige Touristin in fremden Städten Kaufmöglichkeiten findet (über Google) (kein Scheiß). Und dass man dabei mit Bitcoins zahlt.

Im zweiten Fall gab es einige Königlich-Bayerisches-Amtgericht-Momente, aber sonst wenig Erfreuliches. Ich erlebte einen Pflichtverteidiger in etwas, das ich als Zwickmühle empfinden würde, und eine Richterin inmitten hoher Stapel Akten, sah viele Zeuginnen und Zeugen. Zum ersten Mal las ich DNA-Analysen und lernte unter anderem: Wenn jemand mit einer gestohlenen Bankkarte am Automaten Geld abhebt oder das versucht, lautet das Vergehen Computerbetrug.

Eine Mittagspause gab es erst kurz vor zwei, bei Gericht muss man Hungerkünstlerin sein. (Wobei mir einfällt, dass alle Richterinnen und Richter, mit denen ich bislang als Schöffin zu tun hatte, dünn waren. Korrelation oder Kausalität?) Ich holte mir in der Cafeteria die größte angebotene Käsesemmel, aß sie unter großer Bröselei verboten maskenlos vorm Sitzungssaal.

Um drei waren wir durch (und ich erschöpft, das Aufpassen strengt bei so fremden Inhalten ganz schön an), ich ging zu Fuß ins Büro. Dort noch heftiges Arbeiten bis halb sieben, dabei genug übrig für den nächsten Tag.

Auf dem Heimweg über die Theresienwiese war es ganz dunkel, wieder biss ein böser Wind, diesmal hatte ich eine Mütze dabei.

Herr Kaltmamsell hatte tagsüber in Arbeitspausen weiter die alte Wohnung ausgeräumt. Er servierte als Nachtmahl Palak Paneer nach einem Rezept im Guardian: Ganz anders als meine cremige Version, nämlich gröber, interessant gewürzt und mit sehr knusprigem Paneer. Schmeckte sehr gut.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 8. März 2021 – Arbeitstag mit neuem Rahmen

Dienstag, 9. März 2021 um 6:42

Nacht mit ein wenig Unruhe, aber nicht allzu belastend.

Erstmals Aufbruch in die Arbeit aus der neuen Wohnung, fühlte sich durchaus anders an.

Ich genoss den Fußmarsch ins Büro in kalter Luft, dachte dabei weiter an der Illusion von Meritokratie herum. Kommt daher vielleicht die Anziehungskraft von Zuguck-Sport (abseits von Mannschaftssportarten)? Weil sportliche Höchstleistung ganz sicher nicht aus guten Verbindungen der Eltern resultiert? Und ist das zeitgenössische Influencer-tum im Web eine Nische, in der zumindest jetzt noch junge Menschen jeder Herkunft ganz groß rauskommen können?

Turbulenter Arbeitstag. Das sollte ich mir für Anfälle von Faulheits-Selbstbezichtigung im Büro merken: Wenn ich mal zwei Tage nicht da bin, sehe ich doch eigentlich am Liegenbleibenden und an der Hektik beim Wiederkommen, dass ich normalerweilse ziemlich was wegschaffe. Ich fürchte inzwischen, dass ich selbst dann mein Imposter-Syndrom behalten würde, wenn meine einzige berufliche Aufgabe Rumstehen wäre (andere stehen viel effizienter rum und die verdienen wahrscheinlich nur die Hälfte).
Im Grunde sollte ich Stolz auf meine Imposter-Syndrom-Spitzenleistung entwickeln.

Positive Überraschung des Tages: Die Bio-Blutorange, die ich Mittwochabend in meiner Schreibtischschublade vergessen hatte, also vier Tage zuvor, lag nicht wie erwartet in einem flauschigen Bett aus Schimmel und Matsch, sondern war nur ein wenig angetrocknet und durchwegs essbar. Mittags also Laugenzopf, rote Paprika sowie Orange mit Hüttenkäse.

Nachmittags nochmal einiges geklärt und strukturiert, nicht zu später Feierabend. Heimweg über die Post am Goetheplatz (beim Kreuzen der Theresienwiese biss mich eisiger Wind, eine Mütze wäre schön gewesen) um Pakete zum Buchversand zu kaufen.

Daheim nochmal vier Kilo spanische Bio-Avocados bei Crowdfarming bestellt, wir waren uns einig, dass sie uns nicht zu viel werden würden.

Zum Nachtmahl hatte ich mir Linsen gewünscht, Herr Kaltmamsell servierte sie als Eintopf mit Würschtln und mit Rösti aus den restlichen Pellkartoffeln vom Vorabend.

§

Ich weiß, Sie gucken alle das Interview mit den Ex-Royals (was völlig in Ordnung ist), aber vielleicht darf ich Sie für das Portrait von Stacey Abrams in der Marie Claire interessieren, von der Frau, die mit ihrer zehnjährigen Kampagne zur Wähler*innen-Mobilisation maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass der stockkonservative US-Bundesstaat Georgia an die Demokratie ging?
“The Stacey Abrams Effect”.

Being the daughter of working-class, sometimes working-poor, pastors prepared Abrams for a life of service, ingrained in her a sense of duty, and made her understand this fundamental thing about humans: We have to work together because we need one another. Nothing magic about that. Just math.

Und zur Erholung schreibt sie Romane.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 7. März 2021 – Zwischen-Ausruhen

Montag, 8. März 2021 um 6:39

Von gestern gibt es erfreulich wenig zu erzählen, es war Zeit für Ausruhen.

Nochmal eine gute Nacht, wieder grüßte morgens ein Halbmond über den Bäumen vorm Fenster, allerdings deutlich weiter links.

In aller Ruhe Morgenkaffee, nach Duschen und Anziehen ging es weiter mit Umzug: Das Kammerl in der alten Wohnung musste ausgeräumt, ein Platz für Putzmittel und -gerät gefunden werden, ebenso eine vorübergehende Heimat für meine Schuhe. Ich fegte ein wenig in der alten Wohnung herum, gründliches Saugen gibt es erst, wenn wirklich alles leer ist. Eine große Erleichterung für uns: Da die Wohnung grundsaniert wird, müssen wir keine Löcher in den Wänden verspachteln.

Ich ging raus und holte Frühstücksemmeln, es war kalt und trocken. Zwei Semmeln, Birne und Mandarine (ziemlich trocken, die Saison ist vorbei) zum Frühstück.

In der neuen Wohnung bestückte ich einen weiteren Schrank – vorläufig, der kommt bei verfügbarem Einbauschrank in meinem Zimmer woanders hin mit neuer Funktion. Dann war genug umgezogen für einen Sonntag, ich las die Wochenendzeitung auf einem Sessel am Fenster zwischen Bücherkisten.

Erste Möbel bestellt (neue Bücherschränke mit Glastüren fürs Wohnzimmer), Lieferzeit fünf bis sieben Wochen.

Ein Stündchen gebügelt; ich bin gespannt, wo sich in der dann eingerichteten Wohnung mein Bügelplatz ergeben wird. Liegengebliebene Zeitungen gelesen.

Nachtmahl wurde ein Kartoffelauflauf aus Ernteanteilkartoffeln, Zubereitung arbeitsgeteilt: Ich kochte und pellte die Kartoffeln, Herr Kaltmamsell stapelte, übergoss und buk (neuer Ofen noch verwirrend) sie zu Auflauf. Schmeckte in Ordnung, Nachtisch Schokolade.

§

Lange dachte ich, dass Meritokratie demokratisch sei, weil sie nach meiner Auffassung Aufstieg durch Anstrengung, Fleiß und Engagement bedeutete – mit dem Ergebnis, dass die Personen an die Spitze der Gesellschaft kamen, die sich besonders verdient gemacht hatten um die Gesellschaft. Ein Trugschluss, allein schon weil es keinen objektiven Maßstab für Leistung oder Verdienst gibt.

Ein Schlüsselmoment war, als ich eine besonders leistungsorientierte Frau aus gutem Hause sagen hörte, dass sie sich um ihr kleines Kind gar keine Sorgen mache: Selbst wenn es sich als faul und unbegabt erweisen sollte, hätte sie so gute Verbindungen, dass sie ihm sicher ein gutes Auskommen verschaffen könne. Herkunft schlägt (mit wenigen, dann oft erzählten Ausnahmen) Verdienste im Großen wie im Kleinen, an jedem Schritt im Leben.

In Republik macht sich Daniel Binswanger gründlichere Gedanken um Ursprung (eine Dystopie!) und Auswirkung des Konzepts Meritokratie und fasst die Überlegungen zusammen, die sich andere darum gemacht haben (Schreibung Schweizerisch):
“Gegen die Meritokratie”.

Was genau ist also Meritokratie? Es ist die Herrschaft derer, die es auch verdienen zu herrschen. Etwas technischer ausgedrückt: die Hierarchisierung der Gesellschaft gemäss dem objektiven Verdienst ihrer Mitglieder, gemäss ihren Fähigkeiten und Qualifikationen – oder eben ihren Meriten. Etymologisch leitet der Begriff sich ab vom lateinischen meritum, was Verdienst bedeutet. Praktisch bedeutet er etwas Simples: Die Hoch­qualifizierten und Kompetenten sollen oben in der Hierarchie stehen. Die Niedrig­qualifizierten und nicht durch geistige Brillanz Auffallenden sollen sich mit einem Platz am unteren Ende begnügen. Moralisch bedeutet dieses einsichtige Organisations­prinzip jedoch noch etwas anderes: Wer oben steht in einer solchen Hierarchie, der hat es auch verdient.

(…)

Es ist grossartig, wenn Talent sich entfalten kann und wenn die Fähigen und Hochqualifizierten geschätzt, gefördert und mit allen Mitteln vor Diskriminierung geschützt werden. Aber eine Frage wird damit nicht beantwortet: Was geschieht mit den weniger hoch Qualifizierten und den weniger Fähigen? Mit denen, die die Mehrheit bilden? Sie sind in der Tat «moralisch nackt». Dass sie in der meritokratischen Hackordnung auf der Verlierer­seite stehen, haben sie sich selber zuzuschreiben. Die Gesellschaft teilt ihnen nicht nur ein bescheideneres Los zu, sie straft sie mit Verachtung. Worauf soll der Respekt auch gründen für Bürgerinnen, die aus eigener Schuld, in eigener Verantwortung und aller wohlmeinenden Förderung zum Trotz Heraus­ragendes nicht leisten können?

(An diesem Problem kaue ich seit Jahren unter “Wohin mit unseren Deppen?”)

Elite­universitäten sind nicht das Sprung­brett für sozialen Aufstieg, sondern der Ort, an dem soziale Privilegien von einer Generation zur nächsten transferiert werden. Und das eigentliche Problem dabei ist, dass dies nicht hauptsächlich auf «gekaufte» Studien­plätze zurück­geführt werden kann, sondern vielmehr darauf, dass die meritokratischen Selektions­kriterien tatsächlich respektiert werden.

Die amerikanische Oberschicht ist nämlich dazu übergegangen, enorme Summen in die Ausbildung ihres Nachwuchses zu investieren. Das beschränkt sich nicht nur auf den Zugang zu Privat­schulen, die ihren Abgängern einen Startvorteil verschaffen, sondern erstreckt sich auch auf das jahrelange Coaching für die College-Aufnahme­prüfungen, das mittlerweile noch teurer werden kann als das Studium selber.

(…)

«Der meritokratische Erfolg hat eine paradoxe moralische Psychologie», schreibt Sandel. «Kollektiv und im Rückblick betrachtet, erscheint sein Resultat, wenn man sich die erdrückende Dominanz von Kindern aus reichen Haushalten an Elite­universitäten ansieht, fast vorher­bestimmt. Aber für diejenigen, die mitten im hyper­kompetitiven Kampf um die Zulassung zum Studium stehen, ist es unmöglich, Erfolg als etwas anderes zu betrachten als das Ergebnis ihres ganz individuellen Efforts und ihrer ganz persönlichen Leistung.»

Es ist gewissermassen das Leitmotiv von Sandels Buch: Die Meritokratie erzeugt tatsächlich leistungs­bereite und fähige Eliten, die aber selbstgerecht und überheblich werden. Sie ist eine permanente Aufforderung zur moralischen Hybris. Und das schafft politische Fakten.

Eine mögliche Konsequenz zieht John Rawls, der philosophischen Übervater des Links­liberalismus:

Es macht im Prinzip gar keinen Unterschied, ob soziale Hierarchien auf Klassen­unterschieden oder auf der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten beruhen: «Von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet ist beides gleich arbiträr.» Deshalb gibt es für Rawls auch kein Argument dagegen, dem Tüchtigen einen Teil seines Einkommens wieder abzunehmen und es an die weniger Tüchtigen zu verteilen.

Wichtige Beobachtung vor allem wenn es um die Zukunft der Arbeit geht:

Thomas Frank, der schon 2004 ein wichtiges Buch über den heraufziehenden Rechtspopulismus publiziert hat und den Sandel ausführlich zitiert, fällt ein harsches Urteil über die linksliberale Bekämpfung der Ungleichheit durch Bildungs­politik: «Das ist im Grunde gar keine Antwort auf das Problem. Es ist ein blosses moralisches Urteil, gefällt von erfolgreichen Menschen vom Stand­punkt ihres Erfolges aus. Die akademische Mittel­schicht definiert sich durch ihre Ausbildungs­erfolge, und jedes Mal, wenn sie dem Land wieder erklärt, dass es mehr Bildung braucht, sagt sie im Grunde nur: Die Ungleichheit ist nicht der Fehler des Systems. Sie ist dein Fehler.»

§

Dieser Link ist ganz speziell für meinen Bruder, einst alias Libellchen.

die Kaltmamsell