Journal Mittwoch, 7. Oktober 2020 – Komplettübermenschung

Donnerstag, 8. Oktober 2020 um 7:14

Abschiedsblick aus dem Klinikzimmer. Ich hinterließ den Kaffeekassen von Pflege und von Service ordentliches Danke-Geld.

Als der Fahrdienst in der Tür des Krankenzimmers stand, war ich bis ins Mark übermenscht von den ständig neuen und dann sofort intensiven Kontakten (Sie wollen meine Nagelhäute nicht sehen – blutig gefiesel). Und als der freundliche Herr vom Roten Kreuz im Auto dann AUCH NOCH Konversation machen wollte, hätte ich fast geweint. Zum Glück halfen meine kurzen, aber nicht zu kurzen und immer freundlichen Antworten, auf der Autobahn war es dann eh zu laut.

Regnerische Fahrt über Landstraße bis zum Tegernsee, auf den Wiesen einen Graureiher erspäht, später innerhalb von zehn Minuten fünf Marterl am Straßenrand – hier derrennt man sich wohl gern.

In der Rehaklinik übergab ich alle Unterlagen, die man mir in der Garmischer Klinik mitgegeben hatte – und stand vor einer weiteren Prüfung: Das Ergebnis meines Corona-Tests in der Klinik vorgestern sei nicht dabei, ich möge dort anrufen und es in die Rehaklinik faxen lassen. Ich brach ein kleines Bisschen zusammen und wurde vorübergehend ehrlich: Im Moment, so sagte ich, erschienen mir zwei Tage Isolation nach einem erneuten Test ausgesprochen verlockend, ob man nicht einfach das machen könne.

Natürlich übernahm letztlich doch der Business-Autopilot und rief über eine Stunde so oft in der Klinik an, bis ich die richtige Person dranhatte. Die mich informierte, dass das Testergebnis sehr wohl bei den Unterlagen sei, sie schilderte mir das genaue Aussehen des Blatts, auf dem “links unten” das Testergebnis stehe.

Bis dahin hatte ich bereits das medizinische Aufnahmegespräch gehabt, bei dem ein weiterer Abstrich genommen wurde, das aber aus ganz anderen Gründen wirklich nicht vertrauenseinflößend war. Meine Zeit im Medizinparadies Klinikum Garmisch-Partenkirchen war eindeutig vorbei.

Mein Mittagessen stand bei Ankunft kurz vor 12 bereits auf meinem Zimmer, doch ich war die Sorte von durch den Wind, die mir jeden Appetit nimmt. Ich aß zumindest das Salätchen als Medizin.

ABER! Einzelzimmer. Und es wäre doch gelacht, wenn ich die erfolgreiche Geselligkeitsvermeidung der Reha 2019 hier nicht wiederholen könnte. Es zirbelnusst und dirndelt zum Gottserbarmen in dieser Rehaklinik (die Anlage umfasst ein Gebäude namens “Therapiestadl”), mein ebenerdiges Zimmer geht auf den Parkplatz. Allerdings mit Balkon.

Neu durch Corona: Die Gespräche und Untersuchungen finden auf dem Zimmer statt. Es kamen also vorbei: Pflegerin (Aufnahme), Ärztin (Aufnahme), Pflegerin (Medikamente), Medizinische Fachangestellte (EKG).

Ich legte mich aufs Bett, um mich irgendwie zu sammeln und zu entspannen. Am besten kann ich das ja beim Sport. Oder mit Alkohol. Sonst fällt mir eigentlich nichts ein. Also versuchte ich es mit Musikhören (zu viel Reiz), döselte dann einfach zwei Stunden vor mich hin. Danach ging es mir tatsächlich besser.

Nach ein wenig Internetlesen hatte ich sogar Lust auf einen Krückengeh-Ausflug durch die Gänge, danach stand bereits das Abendessen in meinem Zimmer. Ich aß mit Appetit Karottensuppe, Schinkenbrot und Coleslaw, suchte mir aus den beigelegten Menükarten das Essen für die nächsten Wochen aus.

Ab morgen werde ich im Restaurant essen. Wegen SITUATION wird in zwei Schichten serviert, ich bin der späteren zugeteilt.

Noch wackelt mein Vertrauen in die Organisation der Einrichtung: Ausstattung wurde doppelt gebracht, eine Stunde, nachdem mir der Behandlungsplan für Donnerstagvormittag “Stationszimmer, Gewicht” angetragen hatte, klingelte das Telefon und die Stationsschwester fragte mich nach Körpergröße und Gewicht.

Abendunterhaltung nach einem ausgiebigen Telefonat mit meiner Mutter war Fernsehen, The Good Doctor.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 6. Oktober 2020 – Nach- aber auch Vorteile von Klinik-Mehrbettzimmern

Mittwoch, 7. Oktober 2020 um 7:36

Gestückelt aber doch geschlafen, unangenehme Rückenschmerzen um die Brustwirbelsäule, letztes Aufwachen um sieben.

Bevor ich mich duschen konnte, wurde ich bereits zum Röntgen geschickt – dass mir ein Rollstuhl nicht mal angeboten wurde, sehe ich als nonverbale Anerkennung meines Heilungsprozesses. Selbst die (wieder: freundliche, gelassene) Röntgenfachkraft hatte einen Bewegungstrick für mich Hüftpatientin bei der Hand.

In meiner Abwesenheit hatte es ein kleines Drama im Krankenzimmer gegeben um die Zimmergenossin, die gestern entlassen wurde – doch auch das löste das Personal aufmerksam, fürsorglich und professionell. Ich war verblüfft, wie schnell das hauseigene Labor die dazu nötigen Blutanalysen erledigte.

So ein Dreibett-Krankenzimmer kann über die Tage zu einer kleinen Zauberberg-Blase werden. Und manche beginnen gegenüber Fremden über Dinge zu sprechen, die sehr gut verräumt waren – auch aus den falschen Gründen verräumt.

Visite ergab nichts Neues, das vorher erstellte Röntgenbild wurde gelobt, alles bestens.

Besuch von Herrn Physio, der aus gegebenem Anlasse betonte, dass Treppengehen für uns keine Trainigsform sei, sondern er uns lediglich die Technik dafür beigebracht habe. Er erklärte meine Rückenschmerzen zum einen mit dem Zurechtjuckeln des gesamtem Muskelsystems mit der Endoprothese, zum anderen mit dem ungewohnten Krückengehen. Der Herr erläuterte auch nochmal detailliert, warum man sich nach der Hüft-OP eine Zeit lang nicht mehr als 90 Grad beugen soll: Weil während der OP das Hüftgelenk gewaltsam ausgekugelt werden muss und sich das Bänder-, Muskel-, Sehnensystem danach erst wieder stabilisiert.

Neue Zimmergenossin, neue Lebensgeschichten, neue Krankheitsgeschichten. Fürs Lesen musste ich mir die Zeit immer stehlen. Ich freue mich schon sehr auf mein Einzelzimmer in der Reha ab Mittwoch. Gleichzeitig wurde mir in diesen Kliniktagen in Garmisch klar, dass die Mehrfachbelegung eines Krankenzimmers nützlich ist: Die Patienten oder Patientinnen achten aufeinander, sehr wahrscheinlich selbst wenn sie einander nicht ausstehen können, sind mit Alarm viel schneller als der Pflegeruf, geben einander Tipps unter Leidensgenossinnen.

Mittags bekam ich eine Salatschüssel mit Ei und Käse, dazu Vollkornbrot. Ob abgepacktes Vollkornbrot wohl jemals nicht mehr nach nach Brigittediät riechen wird? (Drei Millimeter Butter sind wirksame Traumabekämpfung.)

Am frühen Nachmittag nochmal eine Einheit Gruppengymnastik Hüfte, der freundliche Physio erklärte viel. Direkt vor den Fenstern des Gymnastikraums im Erdgeschoß gibt es einen Weg mit verschiedenen Oberflächen von Rindenmull über Kopfsteinpflaster bis Kies, den durfte ich auch noch ausprobieren.

Nachmittag mit noch mehr erzwungenem Menschenkontakt, vielleicht gibt es in der Rehaklinik sogar einen Schweige-Trakt?

Zum Abendessen gab es neben Kräuterquark mein geliebtes Gemüse in Aspik.

Abendunterhaltung war die jüngste Folge von Die Anstalt, ein Spoof auf die BBC-Serie Sherlock, mit dem der Fall Julian Assange aufgedröselt wurde – ich erfuhr viel Neues. Hier in der Mediathek.

Als ich mich zum Schlafen fertigmachte, fiel mir ein, dass ich den Anamnesebogen der Rehaklinik, in die ich am nächsten Tag gebracht würde, noch nicht ausgefüllt hatte. Ich machte mich gleich daran – und wurde darüber leider wieder sehr wach. Unter anderem sollte ich in zahlreichen leeren Zeilen meinen gesamten beruflichen Werdegang auflisten. Ich schrieb quer drüber: “Wollen Sie mich einstellen oder behandeln?”
(Mir will wirklich nicht einfallen, wozu diese Angaben dienen sollen.)

Nachtrag, Geständnis: Ich habe am nächsten Morgen ergänzt “Ich sende Ihnen gerne meinen Lebenslauf mit allen 14 Berufsstationen als PDF.”

§

Kluge Gedanken von Falk Steiner zu Stand der deutschen Büroarbeit:
“Out of Office: Zeit für eine andere Arbeitskultur”.

§

Für “75 Jahre Süddeutsche Zeitung” schreibt Christiane Lutz über ihr Leben als Theaterkritikerin, oder, was ihr lieber ist, als “Journalistin, die sich mit der Kunst des Theaters beschäftigt”:
“Sehen, was gut war”.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 5. Oktober 2020 – WMDEDGT im Krankenhaus

Dienstag, 6. Oktober 2020 um 7:56

Am 5. jeden Monats sammelt Frau Brüllen Tagebucheinträge unter “Was machst du eigentlich den ganzen Tag?”

Sehr unruhige Nacht, aber gar nicht mal wegen Schmerzen: Ich wachte einfach oft auf, lag unbequem – auf meine gewohnte rechte Seite darf im mich ja bis auf Weiteres nicht drehen. Aber auch jetzt: Steigende Beweglichkeit des OP-Beins.

Ich erklärte schon vor sechs die Nacht für beendet, ging aufs Klo, finalisierte den Blogpost über den Vortag. Im dunklen Draußen prasselte Regen.

Erste Runde der Tagschicht Pflege: Ich bekam ein neues Pflaster auf die Wunde, ein ganz besonderes und teures, das bis zum Fädenziehen in ca. zehn Tagen drauf bleiben soll, UND! mir Duschen ermöglicht. Ich warf beim Wechsel einen vorsichtigen Blick auf den Schnitt: Länger als gedacht, ca. 20 cm, aber schön gerade und sauber. Um tatsächlich Duschen zu können, nahm mir die Pflegerin die Thrombosestrümpfe ab, sehr angenehm.

Visite: Der Chirurg, der mich operiert hatte, beschrieb nochmal, dass alles wunderbar verlaufen sei, dass die Vermessung meines Hüftgelenks ergeben habe, dass ein ideal passendes Endoprothesenmodell im Sortiment war. Er sei sehr zufrieden. (“Ich auch!”)

Vorher.

Nachher.

Im Vorbereitungsgespräch hatte mir die Chriurgin auf mein Stichwort erklärt, dass meine Röntgenaufnahme vom Vor-OP-Tag ausgemessen würde, eine Software (“der Computer”) aus den Daten die passende Prothese ermittle. Klang etwas professioneller als die rustikale Erklärung “Was nicht passt, wird passend gemacht!” des Chirurgen im Untersuchungsgespräch vergangenen Juni.

Vor dem ersehnten Duschen wollte ich aber noch frühstücken, um den leichten Schwindel wegzukriegen. Nur dass das ungewöhnlich spät serviert wurde, nämlich gegen halb neun. Ich genoss Müsli, Joghurt, eine süße Mandarine und eine reife Kiwi zum Tee.

Dann endlich Duschen. Da ich mich ja weiterhin nicht über 90 Grad beugen soll (Risiko Luxation des neuen Gelenks), musste ich mir für die Säuberung unterhalb Knie etwas einfallen lassen, auch fürs Abtrocknen. Mit Verrenken und Nutzung aller Gliedmaßen ging auch das.

Während ich mich noch fertig machte, hörte ich den Physiotherapeuten kommen. Er beschäftigte sich erst mal mit meinen Zimmergenossinnen. Meine Lektion war gestern Treppensteigen und Abwärtsgehen. Er erklärte mir zudem, dass ich eigentlich von Anfang an ohne Krücken gehen könnte, allerdings natürlich weiterhin humpelnd. Die Krücken sollen den Übergang zu einem gleichmäßigen Gehmuster erleichtern, Stolpern und damit Verletzungen verhindern, generell Vorsicht fördern. Herr Physio fragte eine schon länger operierte Zimmergenossin und mich, ob wir an einer Einheit Gruppengymnastik am Nachmittag im Haus teilnehmen wollten. (Raten Sie.)

Die beiden Damen in den Nebenbetten bekamen Blut abgenommen, von einem recht puschligen Medizinanfänger, ich machte mich auf eine Geh-Runde. Der Regen hatte schon vor einer Weile aufgehört – und war weiter oben offensichtlich Schnee gewesen.

Noch vor dem Mittagessen kam jemand vorbei und nahm einen Abstrich für einen weiteren Corona-Test zur Vorbereitung auf die Reha.

Zu Mittag gab es zwei Fleischklopse in einer wirklich guten Senfsoße (die hatte mich doch schon in Luxemburg so begeistert), dazu frisches Kartoffelpü, zum Nachtisch Fruchtcocktail aus der Dose – Kindheitserinnerungen.

Um halb zwei also Gymnastik. Der Aufzug dafür war zweimal mit Bettentransport belegt, dann wies eine Passagierin darauf hin, dass nur drei Personen reindürften und ließ uns nicht mitfahren. Also nahm ich die Treppe für die vier Etagen, ich hatte doch eben gelernt, wie das mit Krücke ging. Die 20 Minuten Gymnastik waren interessant und sehr anstrengend. Ich gewann noch mehr Vertrauen in die operierte Hüfte, manche Bewegung hätte ich mich ohne die Anweisung des Trainers nicht getraut. Es gab als Hausaufgaben Weichkneten von Sehnen an der Hüfte.

Sonstiger Nachmittag: Zeitunglesen (auf dem Laptop), sonstiges Lesen, eine Geh-Übungsrunde.

Zum Abendessen gab es Brot und Käse, Gemüsequark.

Abendunterhaltung war erst eine Dokumentation über Helga Feddersen, die sich als sehr interessant herausstellte – hätte ich doch nie vermutet, dass sie auch Drehbücher geschrieben hat. Außerdem ein Stück Fernsehgeschichte:

https://youtu.be/nSZrsdemtVo

Zweiter Teil der Abendunterhaltung: Romanlesen Rebecca Makkai, The Great Believers, das mir weiterhin sehr gut gefällt.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 4. Oktober 2020 – Erste echte Schritte

Montag, 5. Oktober 2020 um 6:37

Selbst nachts ging es aufwärts: Ich wachte zwar oft auf, doch bei jeder Lageänderung oder beim Klogang (ich durfte offiziell allein) konnte ich das operierte Bein mit weniger Schmerz und weniger manuellem Nachhelfen bewegen.

Nach dem Regentag ein schöner Sonnenaufgang vorm Krankenzimmer.

Dr. Ssissi! Dr. Frranz!

Noch vor dem Frühstück verabschiedete ich mich vom Verpuppungsstadium Nachthemd (mein eigenes hatte man mir schon kurz nach der OP angezogen – doch nur wenige Stunden später hatte ich es mit Erbrochenem aus dem Rennen geworfen und brauchte das zweite): Ich wusch mich mit Waschlappen und wechselte in T-Shirt und Sporthose. Mahnender Blick des visitierenden Stationsarzts, weil ich ohne Krücken aus dem Bad kam, auch wenn ich mich immer festhielt: Er wies auf die vielen Rückschläge von Patienten und Patientinnen hin, die “nur mal schnell” wollten. Mmmmnagut.

Der Venenkatheter an der linken Hand wurde entfernt, jetzt hinderte er mich im Bett nicht mehr am Umdrehen.

Das Frühstück Müsli, Joghurt, Obst aß ich diesmal fast ganz auf, um nicht wieder zu früh Hunger zu bekommen.

Konversation mit den Zimmergenossinnen, bei so intensiver Ansprache ist es schwer sich rauszuziehen. (In der Reha gibt’s Einzelzimmer.)

Besuch der Physiotherapeutin. Sie brachte mich zum ersten Auslauf mit Krücken (“Unterarmstützen” pft) auf den Stationsflur, gab mir Tipps, überwachte meine ersten Versuche. Ich war überrascht, wie schweißtreibend zweimal 50 Meter Krückengang sein können. (Jajaja.) Das sollte ich noch ein paar Mal am Tag wiederholen – die zweite Runde drehte ich noch vor dem Mittagessen.

Das Personal hier fällt überwiegend durch Kernigkeit und Wanderbräune auf – viele, das weiß ich aus Plaudereien, sind wegen der Berge hierher gezogen, aus allen Gegenden Deutschlands.

Mittags gab es Omelette mit Spinatfüllung und Salzkartoffeln, davor eine Flädlesuppe. Das Rhaberberkompott zum Nachtisch (BRRRRRR) gab ich an eine Rhabarber-liebende Zimmergenossin weiter, aß selbst einen Apfel vom Frühstück.

Lesen, Krückgehen, mehr Lesen, Physio-Übungen – wieder mit deutlichen Fortschritten, ich konnte das operierte Bein immer besser und mit immer weniger Schmerzen bewegen. Durch das Gehen auf dem Gang sah ich auch andere Patientinnen und Patienten: Ja, von denen war ich die jüngste. Am Nachmittag rückten die nächsten ein, sie hatten OP-Termine am Montag.

Dass ich keine 48 Stunden nach der OP bereits so dastehe und mit Krücken gehen kann, finde ich ziemlich sensationell (ein Hoch auf die High-Tech-Medizin!). Auf dem Dach vorm Fenster sah ich Bachstelzen beim Bad.

Besuch bekomme ich hier keinen, das war so geplant: Die Besuchsmöglichkeiten sind wegen der SITUATION eingeschränkt und kompliziert, würden zudem eine längere Anreise erfordern. Ich vermisse auch keinen Besuch – bei all den guten Wünschen, die Sie mir hier hinterlassen! Herzlichen Dank dafür. Außerdem führe ich Statustelefonate mit Herrn Kaltmamsell und Verwandtschaft.

Abendessen: Vollkornbrot, Kräuterquark, Käse, Trauben.
Nach der Tagesschau weiteres Lesen.

§

Ich freue mich, dass es bei der Süddeutschen auch eine Liebhaberin von Louis de Funès gibt, nämlich Nadia Pantel:
“Quatsch mit Pose”.

§

Großes Kichern auf Twitter: “Proud Boys” ist eigentlich eine besonders eklige, rein männliche Organisation von Rechtsextremisten vor allem in den USA. Durch ein Kapern des Hashtags #ProudBoys bewiesen allerdings Schwule, dass sie viel mehr aus der Bezeichnung rausholen können.

§

Wie konnte ich vergessen, wie verliebt ich in Jennifer Lawrence bin?
(Nix Neues, bin nur zufällig darüber gestolpert – ich kann mir viele Gründe vorstellen, warum sie nicht mehr so nahbar ist. Alle davon machen mich traurig oder wütend.)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/SOjwzWWR4lA

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 3. Oktober 2020 – Langsam aufwärts

Sonntag, 4. Oktober 2020 um 9:45

Stückerlweise ging die Nacht zu Ende, ohne weitere Abenteuer. Als ich beschloss, dass jetzt Morgen war, fühlte ich mich deutlich besser, aber immer noch schwummrig. Ich stand sehr nicht allein auf.

Der Vormittag war geschäftig:
– Frühstück (ich hatte auf den Tipp einer Pflegerin statt des Menü-Frühstücks Müsli, Joghurt, Obst bestellt, aß auch Joghurt und ein paar Löffel Müsli – spekulierte aber gleichzeitig, wie das wohl erbrochen aussehen würde)
– Pflegerin, die Temperatur und Blutdruck maß (mir daraufhin gleich mal die Blutdrucksenker aus meiner Tablettenschiene entfernte, niedriger solle er heute wirklich nicht werden)
– Arztvisite (leider kein Bild für mich, die Nachher-Aufnahme meiner Hüfte war aus irgendwelchen Gründen im falschen Stockwerk gelandet)
– Blutabnahme (ich fragte nach der Analyserichtung: Hämoglobin, Niere, Leber, um die Folgen der Narkose zur überprüfen)
– Physiotherapeutin, die mir erste Übungen im Bett zeigte, mich auf die Beine stellte (kein Übergeben! tapferer Kreislauf) und ins Bad brachte, wo ich ein wenig Morgentoilette machte und das Klo nutzte (Klogehen ist so super! ein völlig unterschätztes Vergnügen)
– Pflegerin, die mein gelbes OP-Bein wusch, mich zurückbrachte, mein Bett frisch überzog (das ich ja jetzt nicht mehr mit OP-Gelb versauen konnte) und mich mit Bewegungsanweisungen für den Tag versorgte

Noch ein wichtiger Punkt, der für diese hochprofessionelle Spezialklinik spricht: ganz viele Steckdosen auf dem Krankenzimmer. Nachdem ich zunächst immer an der einen bodennahen Steckdose neben der Tür abwechselnd geladen hatte, nutzte ich jetzt die Steckdosen über dem Krankenbett. Sollten sie tatsächlich für medizinische Geräte gebraucht werden, kann man Handy und Laptop wohl leicht ausstecken.

Mittags hatte ich Hunger. Die recht salzige Karotten(?)suppe ließ ich stehen, aß ein paar Gnocchi mit Käse-Salbei-Soße, Salätchen und eine Orange. Und trank nach Herzenslust Wasser, jetzt durfte ich ja allein aufs Klo.

Ruhiger Nachmittag mit Schläfchen und Zeitunglesen auf dem Laptop, während draußen der Landregen rauschte. Anweisungsgemäß machte ich immer wieder meine Übungen; während ich fast keinen Ruheschmerz hatte, war jede Bewegung natürlich ausgesprochen schmerzhaft.

Ich hatte mittags wohl nicht genug gegessen, denn mein Magen knurrte bereits lang vor Abendessen. Dafür hatte ich von der Bestellung aufnehmenden Pflegerin am Donnerstag den Tipp bekommen, dass man neben den Gerichten auf dem Speiseplan (sowohl für Mittag als auch für abends drei zur Auswahl) auch einen Salatteller haben könne – das war gestern Abend genau das Richtige.

Früh Licht aus zum Schlafen, die Beweglichkeit der operierten Seite stieg merklich. Erleichterung, dass ich die Erlaubnis zur Seitenlage links bekommen hatte. Allerdings musste ich doch nochmal nach der Nachtpflegerin klingeln: Die Schmerzmittel reichten nicht bis in die Nacht.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 2. Oktober 2020 – Der OP-Tag

Samstag, 3. Oktober 2020 um 11:07

Nacht diesmal zerstückelt nicht von Schmerzaufwachen, sondern von den Zimmergenossinnen: Gegen das Schnarchen der einen halfen meine Ohropax, nicht aber gegen den lautstarken Protest der anderen, der mich aus dem Schlaf riss, auch nicht gegen ihren nächtlichen Austausch mit dem Pfleger, den sie anscheinend gerufen hatte, um ihm alle medizinischen Abenteuer des Tages zu erzählen (ich hörte nicht zu).

Wieder hatte ich böses Kopfweh. Wie von der Pflegerin geraten, ging ich in die Dusche (nochmal desinfizierendes Duschgel rundum), während die beiden Zimmergenossinnen frühstückten, “damit’s Ihnen nicht so schwer fällt, dass Sie keines bekommen”. Zwar wusste ich, dass ich Frühstück nicht vermissen würde, lauerte danach aber auf den Moment, in dem mich das Trinkverbot zu quälen begann. Das war dann gegen neun.

Bis ich kurz vor eins zur OP abgeholt wurde, peinigte mich das Kopfweh so sehr, dass ich mir gar keine anderen Sorgen machen konnte. Und das Ende dieser Schmerzen durch die Narkose war dann die erfreulichste Aussicht.

Der OP-Bereich im Keller erstreckte sich weit und erschien mir unübersichtlich. Im weiträumigen Flur wurde ich auf das schmale OP-Brett gerollt, ein Pfleger und eine Pflegerin nahmen mir das Hemdchen ab und deckten mich zu. Nächste Station war der Narkose-Raum. Ein Pfleger und der Anästhesist nahmen die Spinalanästhesie vor, meine Beine ab Unterleib wurden taub. Zwei der Chirurgen stellten sich vor, den einen kannte ich von der Untersuchung im Juni. Dann ließ man mich einschlafen (per Infusion).

Der Aufwachraum war groß und geschäftig, während meine Vitalwerte vor sich hin piepsten und überwacht wurden – untere Körperhälfte war weiterhin taub -, hörte ich ein bisschen den Gesprächen zu – Ärzteserie live. Ein Pfleger versicherte mir, dass die OP gut verlaufen sei.

Zurück auf Station war ich um halb fünf, langsam wachten meine Beine auf. Auf das Abendbrot freute ich mich, schaffte aber nur eine Scheibe Brot mit Kräuterquark. Bis dahin hatte ich noch die Illusion, dass das ja wohl alles ein Spaziergang war und fühlte mich schon besonders brav, dass ich nicht allein schon mal aufs Klo ging.

Es war schon dunkel, als eine Krankenpflegerin kam, um mich nebens Bett zu stellen – ich bat darum, das gleich für einen Klogang zu nutzen. Brav befolgte ich ihre Anweisung, mich erst mal an den Bettrand zu setzen, und fand ihre Frage, ob mir jetzt schwindlig sei, eher überbesorgt: Nein, nein, mir war nicht schwindlig. Nächster Schritt Aufstehen. Ich plauderte noch mit der Pflegerin über die ungleiche Belastung der Beine, als mir wacklig wurde. Sie setzte mich in den Zimmerrollstuhl, doch jetzt verabschiedete sich mein Kreislauf gründlich. Ich wurde ins Bett gelegt, Beine hoch, Kopf runter, doch dann wurde mir übel. So peinlich mir das war: Ich verteilte das wenige Abendbrot großzügig über Nachthemd, Bett und Boden. Klogang war halt dann doch die gefürchtete Bettpfanne, und die (ungerührt gelassene) Pflegerin musste putzen und das Bett neu beziehen.

Und so rieb mir mein Körper über die nächsten Stunden rein, wie überhaupt kein Spaziergang dieser Eingriff gewesen war. Die Schmerzen quälten mich immer mehr, ich musste klingeln und um Medizin bitten. Die nur nichts nutzte, ich wurde richtig gebeutelt. Meine Zimmergenossinnen ermunterten mich, mich gerade jetzt kurz nach der OP immer mit dem Schwesternruf zu melden. Also tat ich das, jetzt bekam ich ein Schmerzmittel an den Tropf, das mich auch ein wenig schlafen ließ.

Weitere lustige Schmerzen, jetzt im Bauchraum, ein Klogang erschien mir sehr attraktiv. Ich wollte nicht schon wieder klingeln, machte mich ans Aufstehen – und wurde von der Pflegerin erwischt, die nach mir schauen wollte. Sie redete mir sehr freundlich und mit guten Argumenten ins Gewissen, dass ich bitte. nicht. allein. aufstehen solle. Sondern nach ihr klingeln. Gegen die neuen Schmerzen bekam ich eine Magentablette und legte mich wieder hin.

Beim nächsten Bedürfnis nach Klo klingelte ich also. Die Pflegerin schaffte es durch ihre wirklich freundliche und zugewandte Art, dass ich kein schlechtes Gewissen hatte. Wir verbrachten geschätzt ein nettes halbes Stündchen miteinander, bis ich vom begleiteten Klogang zurück war. Denn jeder Schritt der Aktion brauchte eine ausführliche Pause: Aufrichten, an den Bettrand setzen – nächstes Erbrechen, diesmal zielgerichtet und ohne Putzaktion. Lange Pause, bis ich mich wieder gesammelt hatte, ich plauderte mit der Pflegerin über Kindheitsgeschichten. Im Zimmerrollstuhl ins Bad, Kreislaufstabilisierung mit kaltem Wasser. Endlich Klogang, die Pflegerin machte mich darauf aufmerksam, dass ich mich dafür bis zu weißen Knöcheln festhalten musste. Ich war völlig zittrig und brauchte entsprechend lang, bis ich zurück im Bett war.
(Zur Beruhigung: Am nächsten Morgen ging’s besser.)

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 1. Oktober 2020 – Klinikaufnahme

Freitag, 2. Oktober 2020 um 7:45

Gut, dass die Nacht schon um 5 Uhr rum war, mehr davon hätte ich nicht gebraucht. Das Kopfweh, mit dem ich aufwachte, ließ sich mit Paracetamol bekämpfen.

Aufgeregte 60 Minuten, bis ich mich auf den Weg zum Bahnhof machte, unter sternenklarem Himmel, Riesenkoffer an der einen Hand, die Krücken in der anderen.

Bahnhfahrt mit viel wechselnder Besetzung, zum Teil sehr laut – ich legte mir Musik auf die Ohren (und nutzte den Mundschutz, um ausführlich zu lip-synchen). Draußen wurde es langsam hell, ich durchfuhr neblige Gegenden.

Schnelle Taxifahrt vom Bahnhof in die Klinik. In der Aufnahme ging erst mal alles wie’s Brezelbacken. Vor allem waren alle sehr herzlich, entspannt und zugewandt. Dank der eingesetzten IT (viele Tablets) wusste jede, was in der vorherigen Untersuchung herausgekommen war, das Orgateam behielt Überblick und schleuste mich von Station zu Station.

Es wurde eine Vorher-Röntgenaufnahme erstellt (während jemand bei meiner Hausärztin anrief und um das kürzliche EKG bat), dann setzte man mich in einen Untersuchungsraum, wo mich jemand erst mal mit viel Humor durch einige Formulare führte, mir eine andere einiges an Blut abnahm, wo sich die Anästhesistin ausführlich mit mir unterhielt (wir tauschten Sportabenteuer aus, bei der Untersuchung meiner LWS bescheinigte sie mir “gute Muskeln”) und mir die verschiedenen Narkose-Techniken darlegte – ich entschied mich auf ihre Empfehlung für Spinalanästhesie statt Vollnarkose und bin schon gespannt. Bis zum nächsten Gespräch wartete ich zwar ein Stündchen, aber ich hatte ja zu lesen dabei. Dann kam nämlich eine Chirurgin, untersuchte mich nochmal, erklärte mir nochmal die OP und malte auf den rechten Oberschenkel einen großen grünen Pfeil Richtung Hüfte (mit Smiley). Jetzt noch zur Funktionsanalyse ein Stockwerk tiefer, wo eine Fachkraft meine Wirbelsäule und mein Gangbild auf einem Laufband aufnahm, zudem die Zusammensetzung meines Körpers analysierte (Fettmasse, fettfreie Masse, Muskelmasse – auf dem Ausdruck grafisch dargestellt alles buchstäblich im grünen Bereich).

Mit der resultierenden Akte wurde ich “auf Station” geschickt. Auch dort ein freundliches Aufnahmegespräch, ich bezog meinen Platz im Dreibettzimmer. Prioritäten: Erst mal holte ich mir am Empfang unten meinen WLAN-Zugang, dann gab’s um halb zwei endlich etwas zu essen (Süppchen, Pastaschutta, Salätchen, Äpfelchen).

Ausblick durch große Fenster auf sonnenbeschienene Berge, aber ich musste Kontakt und Konversation mit den sehr geselligen Zimmergenossinnen machen.

Deutsches Abendessen: Mischbrot, Wurst, Käse, ein wenig Karottensalat. Wenig später informierte mich die Krankenschwester, dass ich am Freitag “als sechste” operiert werde, sie schätzte gegen Mittag. Vor dem Schlafen duschte ich mich mit antiseptischer Waschlotion, las dann noch ein Weilchen in Rebecca Makkai, The Great Believers.

die Kaltmamsell