Journal Donnerstag, 20. August 2020 – Kranker Urlaubstag

Freitag, 21. August 2020 um 6:27

Damit sich’s lohnte, war ich dann gestern ganz ausgeschaltet. Nach neun Stunden eigentlich guten Schlafs stand ich völlig erschlagen und mit weiterhin Kopfweh seit Mittwochnachmittag auf. Und nach Bloggen und Tee fühlte ich mich so elend, dass ich mich mit einer Ibu wieder ins Bett legte.

Dort verbrachte ich denn Rest des Tages, erst frierend und mit zusätzlichen Decken, dann in ein- bis zweistündigen Abschnitten schlafend. Das Kopfweh war nicht wegzukriegen, auch nicht nach einer weiteren Ibu nach einem Schüsselchen Pfirsich mit Joghurt gegen zwei. Wieder war ich erleichtert, dass ich mich dank Urlaub wenigstens nicht mit einem Arbeitstag arrangieren musste. Den nächsten Urlaub aber gerne wieder mit vollem Geh-Vermögen und ohne Migräne.

Draußen wurde der bewölkte Morgen zum angekündigten heißen und sonnigen Hochsommertag. Herr Kaltmamsell sah nach mir und gab bei meinen Zwischenaufstehen für ein Glas Wasser oder Klogang durch, was er eingekauft und erledigt hatte. (Konnte mir allerdings nicht alle Erledigungen abnehmen, die ich gestern eigentlich geplant hatte.)

Um halb sechs war ich soweit wiederhergestellt, dass ich nicht mehr im Bett bleiben musste. Für Duschen und Anziehen war es mir jetzt zu spät, ein echter Krankheitstag. Ich telefonierte mit meiner Familie (eigentlich bereiten nämlich im Moment andere Familienmitglieder Gesundheitssorgen), während Herr Kaltmamsell Ernteanteil-Salat fürs Nachtmahl wusch. Den gab es mit Tomaten und Tahini-Dressing. Der dieswöchige Ernteanteil ist der Jahreszeit angemessen überbordend, wir werden gut planen müssen. Ich aß mit Appetit.

Herr Kaltmamsell verschwand zu einer Verabredung – auch ich hatte mich auf dieses Wiedersehen gefreut, sah mich aber außer Stande. Erst an der Euophoriewelle, als es mir gegen 20 Uhr besser ging (aber immer noch Kopfweh), merkte ich, dass das wohl schlicht Migräne gewesen war. Meinen Kreuz- und Hüftbeschwerden schien das viele Liegen sogar gut getan zu haben.

Produktive Leistung des Tages: Das Pfund Aprikosen zu Kompott gekocht, das mir am Standl als “süß” verkauft worden war, sich dann aber als grün, knallhart und sauer herausgestellt hatte.

Früh mit Buch ins Bett, ich war schon wieder müde.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 19. August 2020 – Kränklicher Urlaubstag

Donnerstag, 20. August 2020 um 7:48

Die Nacht war ja eh gestört durch das Dauerblutdruckmessgerät, da war es fast schon egal, das sich morgens die Migräne meldete. Triptan half gegen das Schlimmste, aber ich blieb den ganzen Tag eingeschränkt – und war froh, dass ich nicht auch noch in die Arbeit musste.

Morgens statt Milchkaffee also auf ärztliche Anweisung zwei große Tassen entkoffeinierten Earl Grey, nicht gerade eine Aufmunterung. Kurz vor Mittag brachte ich das Messgerät zurück zur Arztpraxis, kaufte auf dem Rückweg Obst ein. Zum Frühstück etwas Weißbrot, außerdem einen Pfirsich und zwei Feigen mit Joghurt, dazu die Lektüre der gestrigen Süddeutschen.

Die Schmerzen im Kreuz und in der Hüfte plagten mich so, dass ich kaum sitzen, stehen, gehen konnte: Ich legte mich flach und schlief auch ein wenig ein. Danach war ich deutlich beweglicher.

Nächste Sabotage meines Körpers: Beim Abknabbern eines Hautfetzens brach ein Stück Schneidezahn ab (er hatte schon vor Jahren ein wenig gebröselt und war damals lediglich abgeschliffen worden). Jetzt reicht’s aber wirklich. Wenig überraschend ist die treue Zahnärztin noch die nächsten zweieinhalb Wochen in Urlaub.

Der Tag war gemischtwolkig und warm, ich las auf dem Balkon. Nachmittagssnack war ein Becher Hüttenkäse mit Johannisbeergelee.

Fürs Abendessen spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zum Flaucher-Biergarten. Wehmut beim Hinktrippeln entlang einer meiner früheren Standard-Laufstrecken.

Im Biergarten war wenig los, es gab die übliche leichte Kost.

Ich schaffte nur den Knödel nicht, die Schweinshaxe war besonders saftig und knusprig.

Zurück nahmen wir die U-Bahn, auch der Weg zur Station Thalkirchen war wunderschön in der späten, goldenen Sonne.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 18. August 2020 – Arztpraxisvormittag, Spaziergang und Cocktails

Mittwoch, 19. August 2020 um 9:06

Wieder Wecker auf sieben, diesmal für einen eigenen Arzttermin am mittleren Morgen. Der sich dann wegen des einen oder anderen Befunds hinzog und mit Überweisungen, zwei Folgeterminen und einem Langzeit-Blutdruckmessen endete (aus Kassenpatientinnen holen die halt alles… Moment). Das Blutdruckmessgerät bestand aus der vertrauten Manschette mit Schlauch in ein keines Kästchen, dieses Kästchen war an einem Gurt um meine Taille befestigt. Beim anschließenden Einkaufen erschrak ich immer fürchterlich, wenn das Gerät alle 15 Minuten ansprang und die Manschette aufpumpte. Vorbereitung auf einen der Folgetermine ist, dass ich drei Tage lang bestimmte Lebensmittel meiden soll, darunter Kaffee und Schokolade – ich möchte das bitte auf eine eventuelle Fastenzeit gutgeschrieben haben.

Arrangement an der Lederwerkstatt Antonetty.

Vom regenbetröpfelten Einkaufen kam ich mit Frühstück zurück: Ich hatte beim Bäcker Schmidt Walnusslaiberl mitgenommen – und dabei gleich mal vergessen, dass auch Nüsse zu den drei Tage lang zu meidenden Lebensmitteln gehörten. Frühstückte ich halt statt dessen vom ebenfalls besorgten Weißbrot, außerdem Gemüsereste vom Vorabend und Nektarinen mit Joghurt.

Nach einer Weile Lesen wurde ich sehr müde: Wie schön, dass ich Urlaub hatte und mich zu einer Stunde Siesta hinlegen konnte (die Nacht war ziemlich schlaflöchrig gewesen). Das Wetter war gestern sehr gemischt und wechselte zwischen knallblauem Himmel mit Sonnenschein, Regentröpfeln und heftigem Regen – englisch halt. In einer Sonnenphase machte mich zu einem Spaziergang auf, nahm aber einen Taschenregenschirm mit, und sei es als Talisman.

Alter Südfriedhof. Aus anderen Gegenden Deutschland lese ich bereits Meldungen von Herbstanzeichen – es mag der bayerische Rhythmus mit den späten Sommerferien sein, der mir das für Mitte August undenkbar macht. Ich sehe sattesten Sommer, in dem Kornelkirschen, Äpfel und Birnen reifen, die Hollerbeeren erst vereinzelt Farbe bekommen, das Laub der Bäume sein intensivstes Dunkelgrün.

Isar mit überraschend niedrigem Wasserstand – war sie nicht erst vor zwei Wochen überschwemmt?

Fast zwei Stunden war ich unterwegs. Als ich heim kam, war fast schon Zeit für meine Verabredung mit Herrn Kaltmamsell: Wir wollten endlich mal wieder Cocktails im Auroom trinken.

Auch vorm Auroom sind die Parkplätze zum Gastgarten geworden, wir saßen zum ersten Mal draußen. Die Cocktails waren gewohnt köstlich.

Zurück zuhause servierte Herr Kaltmamsell ein Fischcurry nach Goa-Art, das er schon lange auf seiner Liste gehabt hatte. Es war sehr scharf (nur ein klein wenig zu scharf) und sehr aromatisch.

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Ausgelesen: James Baldwin, Axel Kaun, Hans-Heinrich Wellmann (Übers.), Giovannis Zimmer. Sprache und Duktus des schmalen Romans um einen jungen Amerikaner im Paris der 1950er unterschieden sich so grundlegend von denen in If Beale Street Could Talk, dass ich der Übersetzung durchgehend misstraute – aber das Buch stand im Regal (keine Erinnerung an Erwerb), also las ich halt die Übersetzung. Mich erinnerte das Setting an die vielen US-amerikanischen Romane, die unter ziellosen Amerikanern aus mittelguten bis besseren Kreisen in Frankreich spielen (F. Scott Fitzgerald, Hemingway) – und die mag ich sehr. Besonders ist der Handlungshintergrund Schwulenmilieu, in vielen Details gezeichnet. Die ständigen melodramatischen Gefühlsausbrüche des Protagonisten, aus dessen Sicht personal erzählt wird, waren allerdings schon anstrengend.
Aus heutiger gesellschaftlicher Sicht wurde mir klar, mit wie viel Selbsthass das verfemte Schwulsein bis vor wirklich Kurzem fast immer verbunden war – und oft immer noch ist. Und ich kann mir jetzt das Klischee erklären, nach der die Schwulen ja eh nur immer kurze und rein auf Körperliches ausgerichtete Affären hätten: Wenn eine offizielle Partnerschaft gesellschaftlich unmöglich ist (wenn nicht sogar illegal), gehört schon viel dazu, sich auf mehr einzulassen.

Aus einem Artikel im New Yorker:

Baldwin (…) stated that his book was “not so much about homosexuality, it is what happens if you are so afraid that you finally cannot love anybody.”

Und Garth Greenwell in seiner sehr erhellenden und empfehlenswerten Besprechung im Guardian:

The whole novel is a kind of anatomy of shame, of its roots and the myths that perpetuate it, of the damage it can do.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 17. August 2020 – Urlaub in München: KZ-Gedenkstätte Dachau

Dienstag, 18. August 2020 um 8:22

Wecker auf sieben, denn wir hatten Pläne.
Die sich dann doch verschoben, denn Herr Kaltmamsell hatte morgens einen Arzttermin, der sich durch Warten deutlich länger hinzog als vorhergesehen. So war es fast elf, als wir uns auf den Weg machten: Nach Dachau in die KZ-Gedenkstätte. Ich war noch nie dort gewesen. Eigenartigerweise gehörte sie nicht zum Standard-Ziel unserer Schulausflüge, später hatte es sich nicht ergeben, und nun stand der Ort seit Jahren auf meiner Mal-im-Urlaub-machen-Liste. Mir war bang vor dem Besuch, auch wenn mir klar war, dass er nicht so schlimm werden würde wie die Station Auschwitz-Birkenau auf meiner Polenreise 2006.

Wir setzten uns mit Brotzeit (Käsebreze, Nussbreze) in die S-Bahn nach Dachau. Vom Bahnhof aus schaukelten wir 45 Minuten durch die Dachauer Peripherie, obwohl der Weg nur 2,5 Kilometer betragen sollte: Der Bus 726, der als Verbindung zur KZ-Gedenkstätte auf deren Website angegeben ist, den mir auch die MVV-Fahrplansuche als Zubringer für gestern genannt hatte, auf den zudem alle Hinweisschilder beim Verlassen des S-Bahnhofs zum Erreichen der Gedenkstätte weisen – dieser Bus 726 fährt derzeit wegen Baustellen nicht dorthin. Eine freundliche Einheimische mit diesen Geheimwissen sprach zwei weitere hilflos umherblickende Passagiere im Bus an, wo sie denn hinwollten, und als diese die KZ-Gedenkstätte nannten, informierte sie sie über die Fahrstreckenänderung und wie sie trotzdem an Ziel kommen könnten. Dieser Info folgten auch wir, ich kam allerdings gründlich verärgert an.

Im Besucherzentrum orientierten wir uns und gingen hinüber zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. Es war ein bewölkter, eher kühler Tag (aber noch weit von Jacke entfernt), jetzt begann es leicht zu regnen. Wir stellten uns also gleich mal am Eingang zur Dauerausstellung im ehemaligen Wirtschaftsgebäude an. Darin verbrachten wir die nächsten zwei Stunden.

Die Ausstellung war sehr informationsdicht, die Angaben und Exponate auffallend sorgfältig erklärt (was ist ein Original, was eine Replik? was wissen wir sicher, was ist eine Schlussfolgerung? wie war der genaue Ablauf und woher wissen wir das?). In fast allen Räumen lagen auf Pulten Ordner mit Kopien von Orginaldokumenten zum Durchblättern (derzeit allerdings wegen der Corona-Hygienemaßnahmen gesperrt). Ich hatte den Verdacht, dass bekannte Argumente von Holocaust-Zweiflern bis -Leugnern bereits mitbedacht waren und fühlte mich bedrückter als ohnehin in solch einer Umgebung.

Inhaltlich hatte die Ausstellung zwei Schwerpunkte: Sie schilderte zum einen das System und die Entwicklung von Konzentrationslagern in der NS-Diktatur (naheliegend, da das KZ Dachau das erste war, also das Pilot- und Vorbildprojekt, und zudem das einzige, das die ganzen zwölf Jahre betrieben wurde). Zum anderen wurde die Geschichte dieses konkreten Lagers in Dachau aufgeschlüsselt, in allen Phasen und mit vielen Einzelschicksalen (die meisten mit unbekanntem Todesdatum). Vieles wusste ich vorher (z.B. dass hier zunächst vor allem politisch Missliebige inhaftiert wurden, ich erinnere mich an Erzählungen von Zeitzeugen in meiner Kindheit, dass man bei politisch heiklen Äußerungen gescherzt habe “pass bloß auf, sonst kommst’ nach Dachau!”), vieles war mir nicht bewusst, unter anderem dass bis zur letzten Phase nur Männer in Dachau inhaftiert wurden, wie viele Spanier unter den Häftlingen waren, wie oft Häftlinge zwischen den Konzentrationslagern des gesamten Reiches transportiert wurden.

Daneben erklärten eigens gestaltete Schilder mit historischen Fotos die einstige Funktion der heutigen Ausstellungräume.

Als wir nach draußen traten, war es sonnig geworden und schlagartig heiß. Wir sahen uns auf dem Gelände um, besichtigten die religiösen Gedenkstätten (die der Christen sauber nach katholisch, evangelisch, russisch orthodox getrennt), den Krematoriumsbereich.

Auch wenn mir das Gehen mittlerweile ziemlich schwer fiel, wollte ich den Rückweg zum Bahnhof unbedingt zu Fuß machen: Dieser “Weg des Erinnerns” folgt “der Strecke, auf der ein Großteil der Häftlinge zu Fuß, in Zügen oder Lastwagen das Konzentrationslager erreichte”.

Ich war sehr froh, als ich mich im Zug zurück nach München setzen konnte. (Morgens war ich so beweglich und fit gewesen, dass ich zwei Paar Schuhe auf dem Boden sitzend geputzt hatte – MIT dazwischen schnell mal aufstehen!)

Zurück ins Leben und in die Gegenwart ließen wir uns mit einem Eisbecher beim Sarcletti am Rot-Kreuz-Platz holen. Daheim legte ich mich erst mal flach hin, um Hüfte und Kreuz zu entspannen.

Nachtmahl: Mediterranes Ofengemüse.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 16. August 2020 – Mehr Sommerurlaub am Balkon

Montag, 17. August 2020 um 7:55

Lang geschlafen, das war schön (am besten nach dem vierten Aufwachen um halb sieben). Aufgewacht zu einem Bomben-Sommertag, dessen blauer Himmel erst am späten Nachtmittag immer mehr Wolken zeigte und der nie böse heiß wurde.

Wieder ging ein Stündchen Crosstrainer am späten Vormittag.

Beim Semmelholen die berauschende sommerliche Farbkombination Knallgrün-Knallblau, hier über der Rothmundstraße. Frühstück kurz nach zwei. Der Nachteil dieses Tagesrhythmus’: Nach dem Frühstück ist bereits der halbe Nachmittag rum. Ich guckte auf dem Balkon die letzte verfügbare Folge Wild Bill und das eine oder andere Youtube-Filmchen, las James Baldwins Giovannis Zimmer. Ein geplanter Spaziergang war mir zu anstrengend: Ich hinkte mühsam, auch wenn sich die Muskeln meiner Lendenwirbelsäule langsam einkriegen.

Nachtmahl am Balkon, Herr Kaltmamsell servierte Salade niçoise.

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Seit ein paar Wochen läuft jede vierte Frau in meinem Gesichtsfeld in einem dieser Zeltkleider aus Palästinenertuchstoff in allen Farben herum. Ich fragte auf Twitter, ob es dafür wohl einen konkreten Anlass gebe, @misscaro kannte zumindest die Firma, die das Kleid als erste auf dem Markt brachte – und Kritik geerntet hatte:
“Danish fashion label promises to credit keffiyeh designs after cultural appropriation backlash”.
Doch es gefällt wohl zufällig derzeit sehr vielen Frauen – die vielleicht zu jung sind, um das Muster mit Pali-Tuch und seinen politischen Implikationen in Verbindung zu bringen?

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Kleines Filmchen zur Illustration von: Was ich im Kopf habe, wenn ich Yoga mache, versus was ich wirklich tue.

via @nicolediekmann

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 15. August 2020 – Kuchenbacken und Bügeln

Sonntag, 16. August 2020 um 9:29

Im letzten Schlafabschnitt schön geträumt: Ich war mit Freunden (niemand, den ich im echten Leben kenne) in einer weitläufigen Sport- und Freizeitanlage untergebracht, es gab Schwimmtraining und Volleyballspielen ohne Bewegungseinschränkungen. (Nur die Zimmer waren unangenehm weit weg, wenn ich etwas dort vergessen hatte, waren bis zum Wiederkommen die anderen schon mitten im Spiel).

Feiertag also. Es war gemischtes Wetter angekündigt, doch tatsächlich strahlte fast durchgehend die Sonne, und das ohne Hitze: Ich konnte Fenster und Türen fast durchgehend offen lassen und die frische Luft genießen, saß viel auf dem Balkon. Dass ich das Haus überhaupt nicht verließ, war Zufall (und der Vorstellung geschuldet, wie voller Menschen das Draußen sicher war).

Nach Morgenkaffee und Bloggen, aber noch vor Crosstrainer (die Gymnastik ließ ich lieber bleiben) backte ich mal wieder einen Kuchen aus David Lebovitz’ Ready for Dessert, den ich noch nicht ausprobiert hatte: Nectarine-Raspberry Upside Down Gingerbread Cake (hier nachgebacken). Ich haderte mit den 170 Gramm (!) Zucker, die ich allein schon für die Zucker-Butter-Mischung ganz unten verteilen sollte, reduzierte auf 140 Gramm, ich erhitzte auch nicht die Backform, sondern nur die Butter und träufelte diese über den Zucker, den ich auf den Springformboden mit Backpapier gestreut hatte. Meine Nektarinen waren sehr hart – wahrscheinlich zum Glück, denn sonst wäre das eine noch suppigere Angelegenheit geworden.

Beim Abnehmen der Form war der Himbeerduft umwerfend. Geschmack ok, doch mein liebster gestürzter Obstkuchen bleibt der erste, den ich je kennenlernte: Apfelkuchen mit Walnüssen.

Während der Kuchen im Ofen buk, strampelte ich auf dem Crosstrainer – wieder vorsichtig und eher langsam, wie es sich gut anfühlte. Nach dem Duschen und Anziehen war der Kuchen auf Frühstückstemperatur abgekühlt.

Den Nachmittag verbrachte ich auf dem Balkon, wo ich in der ZDF-Mediathek drei Folgen Wild Bill guckte: Wirklich, wirklich gut. Die dicke Figur von DC Muriel Yeardsley wird in der ersten Folge doch mal thematisiert: Sie wehrt sich energisch, dass diese etwas Negatives sein soll, bei drei Brüdern sei ihr Leben lang jedes Gramm wichtig als Kampfgewicht gewesen. Fertig. Ich liebte jedes Szene, in der Bronwyn James diese so unfertige Person zwischen Ehrgeiz, Hirn, Mitgefühl und Verunsicherbarkeit spielte.

Dazwischen bügelte ich Sommerkleidung von zwei Wochen weg, freute mich weiter an den aufblühenden Gladiolen im wechselnden Licht.

Zum Nachtmahl verwandelte Herr Kaltmamsell angesammelte alte Semmeln aus Monaten zu Semmelnknödeln und servierte sie mit Pilzrahm.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 14. August 2020 – Urlaubstag in der heimischen Großstadt, OP-Sorgen

Samstag, 15. August 2020 um 9:29

Auf den Balkonkaffee an Urlaubstag hatte ich mich gefreut, und dann schien auch noch die Sonne ohne Hitze. Vergessen hatte ich, dass an Wochentagen die Klinikbaustelle gegenüber in Betrieb ist und SEHR VIEL LÄRM MACHEN KANN! (Abschluss des Baus nach fünf Jahren Lärm war für dieses Jahr angekündigt, doch das kann ich mir beim Anblick der Baustelle nicht recht vorstellen.)

Ich versuchte mich an ein wenig Gymnastik, soweit es halt ging, und strampelte eine Weile auf dem Crosstrainer, was Hirn und Körper gut tat.

Einkaufsrunde mit Herrn Kaltmamsell: Wir gingen ausnahmsweise auf den Viktualienmarkt, weil ich Gürkchen zum Einlegen als Salzgurken suchte und es am Samstag Semmelnknödeln mit Pfifferlingen geben sollte. Das alles (auch wenn wir beim Anstehen von Pfifferlingen auf frische Steinpilze umschwenkten, weil wir die lieber mögen) bekamen wir ebenso wie weiteres Gemüse und Obst fürs Wochenende – es musste bereits am gestrigen Freitag alles eingekauft sein, da der Samstag Feiertag ist (Mariä Himmelfahrt, ich verstehe wirklich, dass man über die bayerisch-katholische Feiertagerei den Kopf schüttelt).

Dann bog Herr Kaltmamsell zu weiteren Lebensmittelkäufen ab, ich besorgte Frühstückssemmeln und Blumen (netter Plausch am Blumenstandl vorm Kaufhof am Marienplatz, zehn Gladiolen für fünf Euro, weil letzter Tag vor Sommerurlaub der Damen), ging außerdem einer besondes schönen Farbe nach, die ich im Schaufenster einer Bekleidungskette entdeckt hatte.

Daheim Frühstück und Häusliches.

Blöderweise wurden meine Schmerzen immer lächerlicher (Schonhaltung Hüftschmerz wurde verhindert durch LWS-Schmerzen und umgekehrt, ich wusste schlicht nicht, wie ich Raum in Luft einnehmen sollte), ich griff wieder zu Muskelrelaxanz und Ibu. Einfachen Bewegungsimpulsen nicht nachkommen zu können, und sei es nur die Absicht, schnell mal den Balkon zu kehren, machte mich fertig. Und schon bastelte ich mir die Sorge, dass ich in solch einem Zustand nach einer Hüft-Op ja nicht mal zu den notwendigen Reha-Übungen fähig bin. Ruhe und Bewegungslosigkeit heilen orthopädische Leiden praktisch nie, gleichzeitig bin ich ratlos, mit welchen Maßnahmen ich zu einer Verbesserung beitragen kann. Zum Glück wirkten die Medikamente und ich konnte wieder aufrecht gehen. Und nächste Woche habe ich einen Termin bei der Hausärztin und kann sie um Rat für diese Art von Op-Vorbereitung bitten.

Zwischen Liegen auf dem Boden zur LWS-Entlastung las ich die Wochenend-Süddeutsche.

Zum Nachtmahl bereitete Herr Kaltmamsell nochmal Nudeltaschen mit Ziegenfrischkäsefüllung zu, ich machte dazu grünen Salat.

Zur Abendunterhaltung durch die Fernsehprogramme geschaltet, auf ZDF Neo die Serie Wild Bill entdeckt – und alle beiden Folgen lang hängen geblieben. Unter anderem weil eine dicke Schauspielerin eine tragende Rolle hat (Bronwyn James als DC Muriel Yeardsley) und diese großartig spielt, ohne dass ihre Dickheit ein Thema ist.

§

Offensichtlich bin ich nicht die einzige, die von der Menschenverachtung und ethischen Haltlosigkeit reicher junger Leute, wie sie auch aus Christian Krachts Faserland sprechen, nicht amüsiert wird. Und der ins Gesicht springt, wie milde Behörden deren Entgleisungen behandeln.

“Reiche Hamburger Kids randalieren wie in Stuttgart – und wo bleibt der Aufschrei?”.

Es ist nicht verwunderlich, dass in Othmarschen, einem Stadtteil mit sechsstelligem Durchschnittseinkommen, kriminelle Jugendliche randalieren. Ganz ohne Ironie: Der Stadtteil ist ein Brennpunkt.

Im Hamburger Westen saufen Jugendlichen doppelt so viel wie in allen anderen Stadtteilen. Das ist schon seit Jahren klar. Ein empathisches Porträt der Generation im Abendblatt heißt “Zwischen Komasaufen und Einser-Abi” und auch die ZEIT analysierte den Sozialraum und kam zu dem Schluss, dass an all dem ziemlich sicher die Eltern Schuld sind.

(…)

Wo sich alle Stuttgarter Jugendlichen mit Migrationshintergrund vor Generalverdacht und Rassismus wegducken mussten und in der Folge sogar Schwarze Jugendliche in München das verstärkte Racial Profiling in Stadtparks zu spüren bekamen, passierte in Hamburg: Nichts. Kein Täterprofil: Gelfrisur, Balenciaga-Schuhe und eine Flasche Moët in der Hand, das für verdachtsunabhängige Personenkontrollen herangezogen wird.

die Kaltmamsell