Journal Freitag, 1. November 2019 – Schlachthofviertel und Beifang aus dem Internetz

Samstag, 2. November 2019 um 10:24

Den Allerheiligen-Feiertag verbrachte ich auch dieses Jahr allein (Herr Kaltmamsell ist beim jährlichen Rollenspiel), umso mehr kam ich zum Denken und Schreiben.

Nach Ausschlafen (gut!), Bloggen und Kaffeetrinken machte ich aus den Meyer Lemons vom Vollcorner Curd nach Ankes Rezept (ich beschloss, dass die zwei Winzlinge als eine Zitrone zählten). Und wer behauptet, ich hätte vor lauter geschäftigem Abspülen und Aufräumen nicht genug aufgepasst, bekommt eben nichts von meinem köstlichen süßen Zitronenrührei ab! (So schlimm war es gar nicht, die Creme enthält halt ein paar gestockte Eiweißfetzen.)

Duschen und Anziehen, dann holte ich mir Semmeln – und stellte fest, dass ich unter dem kalten Hochnebel durchaus eine Mütze vertragen hätte. Ich frühstückte zwei Semmeln, eine mit Butter und letzter Ernteanteil-Tomate, eine mit Curd.

Einziges Vorhaben für den Tag war ein Spaziergang durchs Schlachthofviertel: Die Route des Bus’ 62 hatte mich an interessanten Anblicken vorbeigetragen. Und so stromerte ich los.

Ich kam an der Alten Utting vorbei – ein Ausflugdampfer vom Ammersee, der jetzt ein zweites Leben als Kulturprojekt und Lokal auf einer Eisenbahnbrücke hat.

An der Lagerhausstraße.

Und schließlich an reichlich Street Art, die das eigentliche Ziel meines Spaziergangs gewesen war. Dort herrschte gerade Emsigkeit: Zwischen Dutzenden Spraydosen und Arbeitsmaterial standen Männer mit Mundschutz vor den Mauern und änderten oder erneuerten die Kunstwerke. Ich nehme an, dass sie zum Kulturprojekt Bahnwärter Thiel gehörten. Der Feiertags-ruhige Verkehr ermöglichte mir gute Fotografierpositionen von der Straße aus.

Eine weitere kleine Sammlung: Schlachthofviertel.

Steht leider leer – wo das doch der perfekte Ort für eine der derzeit angesagten Fleisch-Grillereien wäre.

Daheim aß ich das letzte Stück Engadiner Nusstorte. Zeitunglesen vorm Balkon (mit regelmäßiger Akrobatik-Einlage am Meisenknödel). Durch eine Nebenbemerkung im Lokalteil erfuhr ich, dass es das Lokal Walter & Benjamin seit August nicht mehr gibt – es bleibt die Weinhandlung gegenüber.

Ich setzte Rinderbrühe auf und machte es mir mit Bill Hayes` Insomniac City im Sessel bequem – kurz nach fünf war es bereits dunkel. Vor drei Jahre hatte ich Oliver Sacks Autobiografie On the move gelesen, das kurz vor seinem Tod mit 82 Jahren veröffentlicht worden war. Besonders berührt hatte mich, dass er nach lebenslangem Hadern mit seiner Homosexualität, nach Jahrzehnten der Einsamkeit, wenige Jahre vor seinem Tod die Liebe seines Lebens gefunden hatte: Eben diesen Bill Hayes, der sich in Insomniac City als feinfühliger, reflektierter und humorvoller Mensch zeigt – und für den wiederum Oliver Sacks die große Liebe war.

Ziemlich am Anfang fiel mir eine Passage auf (in meinem eBook sah ich, dass sie bereits von vielen anderen Leserinnen und Lesern markiert worden war):

I cannot take a subway without marvelling at the lottery logic that brings together a random sampling of humanity for one minute or two, testing us for kindness and compatibility.

Ich dachte sofort an den Hashtag #mitmir4, mit dem auf Twitter die Menschen einer Vierergruppe im Öffentlichen Nahverkehr geschildert werden.

Und mir fiel ein, wie ich vergangene Woche auf dem Weg zum Stachus einen Vierersitz mit zwei Frauen teilte, die eine etwas jünger als ich, zierlich und mit Hijab, die andere etwas älter, kräftig und mit sonnengegerbtem Gesicht. Der Moment von kindness and compatibility entstand, als der hörbar schlecht gelaunte Fahrer die Störung zwischen Sendlinger Tor und Kolumbusplatz durchsagte, offensichtlich nicht gewohnt, über Mikro frei zu sprechen, und die Info mit “do geht nix mehr!” abkürzte: Wir sahen einander an und lachten einvernehmlich, eine murmelte “kann man so sagen”, die andere “Hauptsache Transparenz”.

Zum Abendessen kochte ich mir Ernteanteil-Spinat (im Topf vorher Knoblauch in Olivenöl angebraten, dann gewaschene, gründlich geschleuderte Spinatblätter dazu und umgerührt, Deckel drauf und bei mittlerer Hitze zusammenfallen lassen), aß die Ernteanteil-Radieserln geschnipselt mit Salz, anschließend ein wenig gekochtes Rindfleisch und alles Suppengrün.

Ich setzte Brotteig für Samstag an, guckte Tagesschau, der Restabend gehörte Insomniac City.

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Neil Geiman schrieb 2017 seine kleine Ansprache zur Hochzeit zweier Freunde auf:
“Wedding thoughts: All I know about love”.

via Spreeblick-Newsletter, den man hier abonnieren kann (Empfehlung)

Gerade vergangene Woche waren mir Beziehungsweisheiten durch Kopf und Herz gegangen, nämlich nachdem ich bei Frau Nessy eine gelesen hatte, die Liebe langfristig nur mit “Arbeit” für möglich hält. Das scheint allgemein akzeptiert zu sein, gruselt mich aber ein wenig. Doch genau deshalb gefällt mir Neil Geimans Ansprache, denn: Ich weiß es doch auch nicht. Frau Nessy mag den Begriff “Entscheidung”, auch das trifft zumindest für mich nicht zu. Je länger ich so durch die Gegend lebe, desto klarer wird mir: Jede Beziehung ist anders, es gibt kein Patentrezept. Die einzigen empfehlenswerten Elemente, die ich für über-individuell halte, sind gegenseitiges Wohlwollen (also dem Gegenüber Gutes zu wollen) und Respekt. Ich sehe zwar immer wieder Beziehungen, denen ganz offensichtlich eins von beidem oder beides fehlt, und sie funktionieren doch auf eine für mich sehr schräge Art und Weise – aber ich bezweifle, dass die Beteiligten sie als glückliche Beziehung bezeichnen würden.

Und dann las ich gesern bei Bill Hayes, wie er eines Abends den erkälteten Oliver Sacks mit Tabletten und Tee versorgt:

I: “What else can I do for you?”
O: “Exist.”

So geht es mir halt auch.

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Die erfolgreichsten Websites 1996-2019 als dynamische Grafik. (Da ich ab ca. 1997 dabei war, krückstockfuchtelte sie, hatte ich einige “Ach richtig, die gab’s ja auch mal!”-Erlebnisse. Ich bin so lange im Web, dass ich mich an das Erscheinen von Google auf der Bildfläche erinnere – und wie sensationell dessen Geschwindkeit und Treffsicherheit war.)

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https://youtu.be/2Uj1A9AguFs

ebenfalls via Spreeblick-Newsletter

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Long-Read über Brot und Getreideanbau in UK.
“Flour power: meet the bread heads baking a better loaf”.

via @katha_esskultur

Denn es ist – mal wieder – kompliziert: Der industrielle Fortschritt in der Landwirtschaft hatte ja auch eine Menge positiver Folgen. Mehr Ertrag pro Hektar ist zum Beispiel per se nichts Schlechtes, oder?

We are only beginning to understand the importance of diversity and the complex systems that plants – and animals, and us – need to thrive. In an interview, Martin Wolfe once argued that value should be accounted not just according to the cash received for a crop, but to the effect of the plants on the soil and carbon sequestration, and wider effects “on mood, on beauty, on community”.

Nach der Lektüre weiß ich nicht nur viel mehr über Getreideanbau und Müllerei, sondern auch, warum das Mehl, das ich in der Hofbräumühle kaufe, eine verhältnismäßig kurze Haltbarkeit hat: Weil es besonders reichhaltiges und gutes Mehl ist.

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Eine kleine Vorbereitung darauf, was fast jeder mal blüht: Den Nachlass der Eltern zu bewältigen.
“Was ich lernte, als mein Vater starb”.

ebefalls via @katha_esskultur

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 31. Oktober 2019 – Schuhfreude

Freitag, 1. November 2019 um 8:47

Unruhige Nacht, jetzt aber wieder nur wegen Schmerzen.

Herrn Kaltmamsell ein letztes Mal Morgenkaffee gebracht, bevor er sich in die 1930er und metaphysischen Wahnsinn stürzt. Mit dem Rad in die Arbeit (Schal, Mütze Handschuhe), um Abends nach dem Reha-Sport schnell heim zu kommen.

Neues Kleid und neue Schuhe (Direktkauf von der britischen Tracey Neuls, von der ich mir vor Jahren in Brighton diese Prachtexemplare geleistet hatte, die sich als bequem und sehr hochwertig erwiesen). Die Stiefelchen bereiteten mir viel Freude – es passen sogar Einlagen rein! es war eine gute Idee, mir diesmal auf den Rat der Sprechstundenhilfe nach 15 Jahren Einlagen statt einem zweiten Paar für Sportschuhe ein zweites besonders dünnes Paar machen zu lassen. Doch das Kleid sitzt weder hinten (Ausbeulung auf Höhe Hohlkreuz) noch vorne (zu wenig Stoff auf Brusthöhe) – ich begehrte es beim Anprobieren wohl so sehr, dass ich die Mängel der Passform übersah.

Ein grauer Tag. Mittags Gurke und rote Paprika mit einem Stückchen Käse, Hüttenkäse mit ein paar Löffeln Latwerge. Nachmittagssnack ein Stück Eiweißriegel.

Reha-Sport begann wieder mit einer Einheit Progressiver Muskelentspannung. Diesmal legte ich mich auf eine der schmalen Liegen, doch die Anweisung, meine Gedanken zu “leeren”, “ganz bei sich” zu sein, funktionierten in der Umgebung nicht. Es ist vermutlich sinnvoller, ich übe die Technik daheim und in echter Ruhe – ohne grässliche Musik und ohne Programm im Anschluss. Das gestern aus einer Runde Gerätepark bestand, die ich so zügig wie möglich absolvierte, also mit nur fünf Minuten Aufwärmen, ohne im Zweifel weitere Wiederholungen draufzulegen, mit Abkürzung der Pausen zwischen den Sätzen – ich wollte nämlich bittegerne heim.

Beim Heimradeln dann doch noch ein schneller Abstecher in den Edeka: Milchvorrat, Suppengemüse. Ich hatte nämlich geplant, am Freitag aus dem angekündigten Ernteanteilschwarzkohl Caldo Verde zu bereiten, Herr Kaltmamsell hatte bereits Suppenfleisch besorgt. Doch daheim fand ich auch eine ordentliche unangekündigte Portion Spinat im frisch geholten Ernteanteil vor: Ich plante um, Freitag gibt es Spinat und frisch gekochtes Suppenfleisch, Caldo erst am Samstag. Gestern Abend gab es den Salat aus Ernteanteil mit Orangen-Tahini-Dressing, dann Sandwichtoast mit Butter und Orangenmarmelade.

Nachdem ich auf Twitter die verschiedenen Ausprägungen des deutschen Halloween-Feierns gelesen hatte (auf der Theresienhöhe waren zahlreiche Kindergrüppchen mit Erwachsenenaufsicht unterwegs), begann ich im Bett auf meinem Kindle das nächste Buch für die Leserunde: Bill Hayes, Insomniac City: New York, Oliver, and Me.

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Schon lange weisen Forscherinnen und Forscher darauf hin, dass gewalttätiger Rechtsextremismus immer massive Frauenfeindlichkeit enthält, dass Antifeminismus oft das verbindende Element beim Start der Radikalisierung ist. Auf Tagesschau.de fassen Robert Bongen und Katharina Schiele zusammen:

“Rechtsextremismus
Feminismus als Feindbild”.

Helm hat festgestellt, dass der Hass auf Frauen ein verbindendes Element in der Gedankenwelt von rechtsextremistischen Attentätern ist. Auch der Attentäter von Christchurch, der im März in Neuseeland 51 Menschen ermordet hatte und den der Täter von Halle als Vorbild bezeichnet, gab in seinem “Manifest” dem Feminismus die Schuld, dass Frauen nicht genug Kinder bekämen und es deshalb zu einem “Bevölkerungsaustausch” mit den Muslimen komme.

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“Die vergessenen Kinder des Krieges: Ajna Jusić wurde bei einer Vergewaltigung gezeugt”.

via @vonhorst

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Sie erinnern sich an Sean Spicer? Den früheren Trump-Sprecher? Dumme Frage, natürlich erinnern sie sich (allerdings vermutlich wie ich viel lieber an sein Alter Ego in Saturday-Night-Live, Melissa MacCarthy). Seit einigen Wochen nimmt Spicer an der Show Dancing with the stars teil – und schafft es, die vertrauten Mechanismen der Lüge und des Betrugs sogar in dieser harmlosen Unterhaltung wirkungsvoll einzusetzen (und Trevor Noah ist richtig gut geworden!):

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https://youtu.be/UW24yps3Ti4

die Kaltmamsell

Lieblingstweets Oktober 2019

Donnerstag, 31. Oktober 2019 um 21:02

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 30. Oktober 2019 – Beruhigung und Kälte

Donnerstag, 31. Oktober 2019 um 6:56

Dann halt doch wieder eine schlechte Nacht, zum einen wegen Hüft- und Beinschmerzen, zum anderen wegen Bürosorgen – Aktuelles erinnert mich an Schlimmes vor vier Jahren.

Die einzige Idee, die ich zur Beruhigung hatte, war: Listen. Wenn ich Panik vor Kontrollverlust habe, schreibe ich Projektpläne. Die interessieren zwar niemanden, doch das Erstellen eines Projektplans bedeutet, die Aufgabe einmal im zeitlichen Verlauf durchdacht zu haben, nach vergleichbaren Vorläuferprojekten zu recherchieren und daraus zu lernen, Fehler nicht nochmal zu machen (sondern ganz neue). Und im besten Fall das Ganze mit einer erfahrenen Kollegin durchzusprechen, die bereit ist mitzudenken.

Arbeitsweg per Bus, der Tag blieb düster grau, doch es regnete nicht. Meine Arbeitspanik konnte sich zum Glück legen.

Mittags Rote Bete mit Joghurtsoße, die ich mir am Vorabend aus Ernteanteil gekocht hatte und zum größten Teil verarbeitet – den kleineren Teil gab es zum Nachtmahl. Nachmittags nochmal ein Stück Nusstorte, immer noch sehr gut.

Nach Feierabend spazierte ich nach Hause, Abstecher beim Vollcorner. Mit meiner mitgebrachten Milchflasche stand ich vergeblich vor der stählernen Kuh: Sie war außer Betrieb und musste repariert werde. Es war ganz schön kalt geworden, es ist Zeit für Mütze und Handschuhe (die ich nicht dabei hatte und vermisste).

Das letzte Stück meines Heimwegs war dann wieder arg schmerzhaft und beschwerlich, ich will jetzt dann doch langsam bitte mal echte Besserung.

Abends hatte Herr Kaltmamsell auf meine Bitte Spaghetti mit Roter Bete gemacht, nach einem Rezept, das ich bei Frau Bruellen gefunden hatte.

Ich mochte es gern, dem Koch war es zu süß: “Das ist Nachtisch.” Dazu gab es ein Glas Abschiedswein: Ab Donnerstagabend verschwindet der Herr wieder auf ein tagelanges Rollenspiel-Abenteuer (CoC, Pen&Paper).

Im Bett Juan Moreno, Tausend Zeilen Lüge: Das System Relotius und der deutsche Journalismus zu Ende gelesen. Ein fesselndes Zeitdokument mit klugen Abschlusskapiteln zu Storytelling und der Berechtigung verschiedener journalistischer Gattungen.

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Vanessa Giese hat einen ausführlichen und nützlichen Serviceblogpost verfasst: Wie man als Freiberuflerin auf den passenden Tagessatz kommt.
“Eine Fahrt nach Frankfurt und ein #serviceblog-Beitrag: Wie man einen Tagessatz ausrechnet”.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 29. Oktober 2019 – Bürobelastung

Mittwoch, 30. Oktober 2019 um 6:38

Gut geschlafen, dennoch nach über acht Stunden aus tiefem Schlaf gerissen. Herr Kaltmamsell (der keine Grippeschutzimpfung hatte) tauchte sogar erst deutlich nach sieben auf – und das, wo er sonst auch in den Ferien mit mir wach wird (trotz fünf Metern zwischen unseren Zimmern). Irgendwas beutelt uns beide.

Ich entschied mich nochmal für wunden-freundlichen ÖPNV in die Arbeit. Auf den nächsten Bus hätte ich lange warten müssen (wie nützlich diese Echtzeit-Anzeigen sind, es stand auch gleich der Grund “Verkehrsunfall” dabei), also wechselte ich auf Tram und U-Bahn – 20 Minuten von Tür zu Tür.

Vormittags erfreute ich mich an einer langen Phase unbeschwerten, fast schmerz- und humpelfreien Gehens – ich klammere mich daran, dass das ein Indiz für die Möglichkeit einer Heilung ist.

Viel, dichte Arbeit ins Blaue hinein. Ein düsterer Tag, es regnete immer wieder.

Mittags eine Breze und ein Granatapfel mit Joghurt, nachmittags ein Apfel und ein Stück Engadiner Nusstorte.

Als ich gerade Feierabend machen wollte, kam noch ein Schwung Arbeit, die sehr wahrscheinlich zu einem Projekt wird, das mir Schlaf raubt.

Auf dem Heimweg große Unruhe am Sendlinger Tor, zu dem ein Feuerwehrauto nach dem anderen an-tatüt war; in der U-Bahn zum Stachus war bereits die Störung zwischen Sendlinger Tor und Kolumbusplatz durchgegeben worden: Eine U-Bahn war in der Wendeanlage aus dem Gleis gesprungen.

Einzelner Abend, da Herr Kaltmamsell aushäusig war. Nachtmahl für eine Person, das sich auch ohne große Vorräte machen lies: Rahmspinat aus der Gefriere mit löslicher Gemüsebrühe und Knoblauch zu einer Spinatsuppe erhitzt, zwei Eier darin stocken lassen. (Nicht Standard war das bisschen selbstgemachtes Harissa zum Verfeinern). Nachtisch: Sandwichtoast (ist auch nicht immer im Haus) mit Butter und Orangen-Marmelade.

Mein zustätzlicher Vorteil (neben einem gut ausgestatteten Zweierhaushalt) ist, dass ich allein gewohnt habe, seit ich 19 war und ab diesem Alter gerne und täglich für mich allein kochte. Ich hatte daheim nicht kochen gelernt, war aber neugierig auf all die unbekannten Supermarktdinge – und aß wirklich immer schon sehr gern. Dazu kamen ein knappes Budget: Ich kannte schon als Studentin kostensparende Tricks wie Hühnerbrühe aus dem gefrorenen Hühnerklein vom Penny (in dessen Kühltheke es auch günstige gefrorene Forellen gab) und hatte als Innenstadtbewohnerin Zugriff auf das geldbeutel-freundliche Obst und Gemüse der türkischen Händler. In meinem Freundeskreis zu Uni-Zeiten wurde oft reihum gekocht und eingeladen.

§

Die schönste Geschichte im Internet stammte gestern von Hystricidae – sie erinnert sich an ihre katholische Kleinkindheit im bayerischen Hinternirgends ($Strunzöd).
“Der Ort, an dessen Rand ich aufwuchs, war klein und umgeben von noch kleineren Orten, deren Namen es nur in gelb auf grünem Grund gab.”

die Kaltmamsell

Journal Montag, 28. Oktober 2019 – Erster Spaghettikürbis

Dienstag, 29. Oktober 2019 um 6:51

Unruhige Nacht, unter anderem weil ich mich sorgte: Die genähte Wunde des kleinen operativen Eingriffs vom Montag wollte nicht heilen. Sie nässte, schmerzte und hatte am Sonntag wieder geblutet – sechs Tage nach Schnitt und obwohl meine Wundheilung sonst überdurchschnittlich schnell ist. Spätestens beim Bluten entschied ich, dass ich damit am Montagmorgen zur verantwortlichen Ärztin gehen würde; Sepsis-Bilder aus Weltkriegsfilmen (das schöne englische Wort gangrene) vor meinem inneren Auge ließen es mir egal sein, möglicherweise wegen Anstellens ausgelacht zu werden.

Ich schickte morgens eine E-Mail ins Büro, um meine Verspätung anzumelden – und sah bei dieser Gelegenheit, dass in meinem Berufspostfach zahlreiche Bomben eingschlagen waren. Auch das kein Gemütsaufheller.

In der Nacht hatte wie angekündigt das Wetter umgeschlagen: Es regnete und war deutlich kühler.

Dieses Motiv läuft auf meinem instagram unter #wazifubo (Wartezimmerfußboden).

Doch in der Artpraxis nahm man mich sofort ernst und schob mich ein (beim Warten hörte ich zwei Angestellte abwechselnd verzweifelt am Telefon und direkt erklären, dass es wegen verschiedener Ausfälle bis Januar keine Termine mehr gebe), die Ärztin war freundlich und geduldig. Ergebnis: “Kein Grund zur Sorge”, “keine Wundinfektion”, “leicht entzündet”, “kein Antibiotikum nötig”. Ich verließ die Praxis beruhigt und mit einem Rezept für Desinfektionsgel. (Am Sonntag hatte ich in Ermangelung von sowas zu Rasierwasser gegriffen. Nein, sehr schmerzempflindlich bin ich wohl wirklich nicht.)

In der Arbeit dann Turbulenzen, doch es ging einiges voran. Mittags nutzte ich zum ersten Mal die im Haus bereitgestellte Mikrowelle: Ich hatte mir vom vorabendlichen Wirsing, Kartoffelpü und Bratwurst mitgenommen, das wäre selbst mir kalt nicht so recht gewesen. Nachmittagssnack war ein Stück Engadiner Nusstorte.

Ich fühlte mich matschig und müde, nachmittags inklusive Kopfweh. Um halb fünf so sehr, dass ich Visionen von Hinlegen untern Schreibtisch hatte. Zumindest strich ich den Fußweg nach Hause, auf dem ich ein wenig einkaufen hatte wollen. Statt dessen setzte ich mich in einen Bus, machte lediglich einen Abstecher zur Apotheke.

Als Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell den Spaghettikürbis aus Ernteanteil. Bei dieser ersten Begegnung hielt er sich an die Anweisung des beiliegenden Newsletters “Kartoffeldruck”: Er halbierte den Kürbis und buk ihn bäuchlings auf Blech im Ofen. Dann lockerte er das Kürbisfleisch zu den namengebenden Streifen, servierte es mit Salz, Pfeffer, Butter, Parmesanspänen.

Ich war sehr fasziniert: Das Kürbisfleisch schmeckte fruchtig-aromatisch und leichter als das von Butternut oder Hokkaido, am besten ließ es sich mit dem Löffel aus der Schale holen, ausgekratzt wurde es spaghettiförmig. Der halbe Kürbis war viel zu viel: Nach langem überfraß ich mich mal wieder, es passte kaum noch Schokolade hinterher.

Ins Bett ging ich sehr müde schon kurz nach neun, las aber noch eine ganze Weile.

§

Wer sich so richtig deprimieren lassen möchte: @derkutter hat sich in einem Twitter-Thread kluge Gedanken zu diesem Punkt gemacht.

U.a.

Während sich die politische Lage in den drei Ländern, die zuletzt gewählt haben, als außerordentlich unterschiedlich herausstellt, gibt es nur eine Konstante: stabile Ergebnisse für eine faschistische Partei, die mittlerweile von rund einem Viertel der Wähler gewählt wird.

und

Diese Betrachtung soll kein Ost-Bashing sein. Einiges spricht dafür, dass die ostdeutschen AfD-Wähler eine Art Türöffner-Wähler sind: Jeder Wähler, der seine Hemmung verloren hat, eine faschistische Partei zu wählen, senkt die Hemmschwelle für jene, die noch nicht so weit sind.

(…)

«Fascism does not need a majority – it typically comes to power with about 40 per cent support and then uses control and intimidation to consolidate that power. So it doesn’t matter if most people hate you, as long as your 40 per cent is fanatically committed.» (Fintan O’Toole)

(…)

Je stärker die AfD wächst, desto normaler wird sie und desto näher erscheint sie der normalitätsbesoffenen Mitte. Und desto ferner und degoutanter erscheint der Mitte die fortgesetzte Ruhestörung derer, die sich als antifaschistisch verstehen. Die sind die neuen Ewiggestrigen.

(Ein vorsichtiger Blick in die Twitter-Kommentare zeigt ein Muster, das die AfD schon lange nutzt: Die Analyse wird als “Hass” bezeichnet, obwohl nichts daran solcher ist. So wie Gauland am Wahlabend behauptet hat, seine Faschisten hätten ihr Wahlergebnis im Kampf gegen “Hass und Hetze” errungen. Wieder wird einfach das Gegenteil der Fakten behauptet, eine Taktik, mit der Trump seit Jahren erfolgreich ist.)

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 27. Oktober 2019 – Abschied vom Oktobersommer

Montag, 28. Oktober 2019 um 7:03

Schlaf wieder eher zerstückelt, aber bei zehn Stunden brutto blieb genug netto.

Morgens erst mal die Uhren alle auf Winterzeit zurückgestellt, also Backofenuhr, Baduhr, Wecker (dabei Herrn Kaltmamsell ferngehalten mit der Ansage: “Zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen mit solchen Problemen.”).

Der Sonntag brachte nochmal Spätsommer. Ich bloggte und las gemütlich, bevor ich mich duschte und anzog. Das Semmelnholen verband ich mit einem Spaziergang durch die wundervollen Farben über den Südfriedhof (sechs! Eichhörnchen gesehen!). Allerdings fühlte ich mich irgendwie gar nicht gesund, es wollte doch wohl nicht der Infekt zurückkommen?

Locken heißen auf Bayrisch ja auch “Schneckerlhaar”, ein lockenhaariger Mensch ist “g’schneckerlt”. Drum.

Nach dem Frühstück setzte ich mich in einem Sessel auf den sonnigen Balkon und las die Wochenend-SZ. Dann half alles nichts, ich machte ich mich nochmal ans Bügeln: Zum einen bügelte ich Winterkleidung auf, zum anderen aktuelle T-Shirts etc. Das waren nochmal zwei Stunden Lebenszeit, ich hoffe, bis zum nächsten Wechsel Sommer- gegen Winterkleidung wird’s nie mehr so viel auf einmal. Dabei hörte ich einen lange offenen Tab weg: Eine SWR2-Sendung von 2018, Vertonung eines sehr klugen und geschickt argumentierten Essays von Margarete Stochowski:
“Das größte Rudel der Welt: Einige Gedanken über sexuelle Belästigung”.

Hier der Text des Features zum Nachlesen.

Allerdings bin ich hochgradig verdutzt von dem Stephen-Fry-Zitat, das hier verwendet wird: In welchem Zusammenhang mag er sich nur bemüßigt gefühlt haben, Aussagen über weibliche Sexualität zu machen, noch dazu so dumme?

Nachmittagssnack: Engadiner Nusstorte, die mir sehr gut schmeckte.

Nächstes Buch angefangen: Juan Moreno, Tausend Zeilen Lüge: Das System Relotius und der deutsche Journalismus. Und wieder ging es mir wie mit bislang allen Texten von ihm, die ich seit mindestens 15 Jahren lese: Ich lachte an einigen Stellen besonders laut, weil ich ein Zwinkern von Kind eines spanischen Gastarbeiters zu Kind eines spanischen Gastarbeiters spürte – auch wenn wahrscheinlich sowohl sein andalusischer als auch mein madrilenischer Vater sich dagegen verwahren würden, als selbe Sorte Spanier wahrgenommen zu werden.

Es wurde schon arg früh dunkel, aber wir werden uns gewöhnen.
Abendessen kam diesmal wieder von Herrn Kaltmamsell: Er hatte Wirsing aus Ernteanteil verarbeitet, dazu fränkische Bratwürst, Direktimport, aus der Gefriere geholt. Und Kartoffelpü. Also nochmal richtig gut essen, bevor uns die Wahlergebnisse aus Thüringen auf den Magen schlugen.

§

Maximilian Buddenbohm schreibt Wahres:

Das Pflichtgefühl erreicht Stellen im Hirn, da kommt Entspannung gar nicht hin.

die Kaltmamsell