Journal Dienstag, 8. Januar 2019 – Der Grieche, der eine angehende Bühnenbildnerin durchfütterte
Mittwoch, 9. Januar 2019 um 6:57Wieder eine Scheißnacht. Das Gute daran: Als der Wecker besonders früh klingelte, weil Sportpläne, war ich richtig froh.
Die Sportpläne setzte ich in Form von Bauch- und Rückentraining um, tat gut. Die Herausforderung im Winter ist ja, das Wohnzimmer für meine Übungen von der vorherigen Frühstücksbeheizung auf Turnhallentemperatur zu kühlen, damit ich schnaufen kann und nicht zu sehr schwitze,
Die Wege zu Arbeit waren weitgehend freigeschmolzen, am Tag wechselten sich Regen und Schneeregen ab, bei kräftigem Wind.
Zum Abendessen war ich mit Herrn Kaltmamsell in der griechischen Taverne Anti im Glockenbachviertel verabredet. Ich wollte schon ewig dort mal wieder essen. “Mal wieder”, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich vor fast 30 Jahren schon mal dort gegessen habe. Ich besuchte damals eine Freundin in München – studierte ich bereits in Augsburg? War das noch während meines Zeitungs- und Radiovolontariat in Ingolstadt und Eichstätt? Diese Freundin kannte ich aus dem Jugenkammerchor, sie machte in München irgendwas mit Bühnenbild, studierte später Bühnenbild in Graz. Und sie wohnte in dem Haus, in dem unten die Taverne Anti lag und in der wir bei diesen Besuch abends zusammensaßen. Der Wirt kannte sie offensichtlich gut und mochte sie (nicht schwer, die Freundin war ausgesprochen bezaubernd); mangels Geld hielten wir uns über Stunden an unserem ersten Getränk fest – bekamen aber von ihm immer wieder frisches Brot dazugestellt.
Die Freundin und ich schrieben einander noch ein paar Jahre Briefe – ich war auf Wörter angewiesen, doch sie gestaltete ihre Briefe immer wieder atemberaubend mit Zeichnungen. Dann verlief sich der Kontakt. Bühnenbilder macht sie wohl bis heute.
Heutzutage wird auch in dieser urigen Boaz reserviert (in München reserviert man inzwischen sogar, wenn man sich auf einen Kaffee verabredet). Wir bekamen nur noch einen Tisch für 45 Minuten, die aber für ein Abendessen reichten.
Nach eigenen Angaben gibt es das Lokal seit 1984, also auch zur Zeit meiner Erinnerung – zumindest dieses Detail könnte stimmen.
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In der Mittagspause Kopfschütteln beim Lesen der Süddeutschen über eine Reportage (€) des sonst so sorgfältigen Werner Bartens über “Internet-Abhängigkeit”. Tatsächlich, so stellt sich heraus, geht es um Spielsucht – die halt im Internet ausgelebt wird. Was bitte soll “Internet-Abhängigkeit” sein? Der Artikel liefert nirgends seine Definition von “Sucht” oder “Abhängigkeit”, sondern bedient Jahrzehnte alte Vorurteile.
“Die Spiele sind gar nicht immer das Hauptproblem”, sagt Bert te Wild, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen. (…) “Viel schlimmer kann sein, was man verpasst, während man am Computer sitzt. Körperliche, sinnliche und soziale Erfahrungen fehlen, und in der Jugend natürlich wichtige Entwicklungsschritte.”
Ersetze “Computer” durch “Buch” – gilt das dann immer noch? Oder durch durch das Gerät, das bis vor 20 Jahren als der Verderber der Kinder und Jugend Nummer 1 galt: Fernsehen? Auch sonst enthält der Artikel die üblichen Versatzstücke wie “digitale Scheinwelten” und die Aufzählung von Situationen mit schädlicher Versenkung in Inhalte auf einem Gerät – die es bis bis vor Kurzem genauso gedruckt gab. Bislang hatte ich Bartens nicht zur (immer wieder widerlegten und massiver methodischer Unsauberkeit überführten) Manfred Spitzer-Fraktion gezählt. Ich konnte kaum glauben, dass ich ausgerechnet in der Süddeutschen eine ganze Seite Drei mit unfundierten (nur eine Expertenquelle, das Leben eines Einzelnen als einziges Beispiel) und unhinterfragten Vorurteilen las.
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Wie man die Erfahrung Einzelner, nämlich seine eigene, sauber anbieten kann, zeigt Miriam Vollmer mit einem Artikel über ihr Modell zur gerechten Aufteilung von Arbeit in einer Partnerschaft: Sie und ihr Mann schreiben mit, wie man es von der Zeiterfassung in Agenturen und Kanzleien kennt.
“Halbe, Halbe”.