Archiv für November 2012

Mein Hamburger Kiez: Ludwigsvorstadt-Kliniken in München

Mittwoch, 21. November 2012

Maximilian Buddenbohm (früher Merlix) hat angefangen, indem er versuchte zu erklären, warum er nirgendwo wohnen möchte als in seinem Hamburger Kiez. Dann lud er dazu ein, andere Hamburger mögen ihre Wohnviertel beschreiben. Die Grenzen Hamburgs wurden immer großzügiger ausgelegt, bis Helga Birnstiel kurzerhand München Hamburg zuschlug und über ihren Kiez Neuhausen schrieb. Zwar kann ich mir durchaus vorstellen, in anderen Teilen Hamburgs zu leben. Aber in meinem Eck der Münchner Ludwigsvorstadt wohne ich schon sehr gerne.

Viertel ohne Image

Ich glaube, der Bezirksteil 7 Ludwigsvorstadt-Kliniken des Stadtbezirks Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt hat in München gar kein Image. Zumindest habe ich noch nie jemanden in welcher Weise auch immer über das Viertel sprechen hören. Halt! Einmal doch: Bei der Wahl im März 2008 nannte eine ortsfremde Wahlhelferin die Gegend ein Glasscherbenviertel („des Glasscheamviertl do“), in dem sie lieber nicht allein herumlaufe. Da war ich dann doch sehr stolz auf uns hier. Zumal der Park zwischen Lindwurmstraße und Nußbaumstraße schon auch mal von Lokalzeitungen zum gefährlichen „Hot Spot“ erklärt wird und darin regelmäßig Polizisten und Polizeiautos patroullieren. (In die Schlagzeilen kam der Park allerdings durch eine Amokprügelei externer Besucher vor drei Jahren.)

Wenn mich jemand fragt, wo in München ich wohne, sage ich also nicht „Ludwigsvorstadt“, das ist zu wenig bekannt. Isarvorstadt können die Leute einordnen, das Glockenbachviertel eh. Die Ludwigsvorstadt liegt genau im toten Winkel dazu zwischen Sendlinger Tor und Bahnhof. Meist sage ich, dass ich am Sendlinger Tor wohne.

Meine emotionalen, subjektiven Ausmaße des Viertels, in dem ich zu Hause bin: Die Straßenblöcke zwischen Lindwurmstraße, Goethestraße, Bayerstraße und Sonnentraße. Richtig gewohnt wird hier eigentlich nicht, vielleicht hat deswegen die Gegend kein richtiges Profil. Und wenn überhaupt luxussaniert wird, entstehen keine Wohnungen, sondern Hotels und Pensionen, der Nähe zum Bahnhof geschuldet.

Münchens Klein-Istanbul

Bild aus dem Jahr 2005, das Hotel Goethe sieht aber immer noch so aus.

Es ist hier sehr lebendig, und zwar auf eine in München einmalige Art und Weise: Ausgerechnet die Goethestraße ist nämlich Münchens Klein-Istanbul (west-östlicher Diwan, anyone?). Zwischen Bahnhof und Beethovenplatz reihen sich Süpermarket an Import-Export und wieder an Süpermarket, im Süden wird diese Einkaufsmeile abgeschlossen von der Bäckerei Sultan Backparadies (besonders empfehlenswert sind das Urfa Pide und Baklava) und von einem großen Geschäft für türkische Braut- und Festmode. Vor allem am Samstag wuselt es hier von Menschen, die nach Türkei aussehen, nach Nah-Ost, nach Balkan. Verkehrssprache ist Deutsch…isch. Und da die Goethestraße in diesem Bereich eher schmal ist, in beide Richtungen von Autos befahren wird, da die Gehsteige zwar überdurchschnittlich breit sind, aber zur Hälfte von Gemüse- und Obstkisten belegt, ist am Samstag zwischen 11 und 19 Uhr kein Durchkommen. Auch nicht in und an den Süpermarkets, denn ein ausführlicher Einkauf von unübersehbar riesigen Mengen TomatenPaprikaGurkenPetersilieLammkeulePideJoghurtRotbarbe wird nur mit einem ausführlichen Schwatz perfekt. Mittendrin knien und hocken auf dem Gehsteig rumänische Bettlerinnen und wimmern: „Entschuuuuldigung … Entschuuuuuuldigung … Biiiitte … Biiiiitte …“

Ich wunderte mich lange, warum ausgerechnet hier Münchens Klein-Asiens blüht, wo doch die Kundschaft ganz sicher nicht hier wohnt. Bis ich las, dass das Viertel mindestens zehn Moscheen unterschiedlichster muslimischer Glaubensrichtungen beheimatet, in Hinterhöfen und Obergeschoßen. So skeptisch ich gegenüber Religiosität bin, mag ich es doch sehr, inmitten von Protestantismus (St. Matthäus), Judentum (Synagoge am Jakobsplatz) und Islam zu leben. Eine wirklich sichtbare Moschee fände ich noch schöner.

Medizintourismus

Das orientalische Element zieht sich bis hinauf in die Pettenkofer, die Nußbaum- und die Ziemssenstraße: In meinem Viertel liegen zahlreiche Kliniken und Institute der medizinischen Fakultät der Münchner Uni. Und im Sommer flanieren hier deshalb die Angehörigen der Medizintouristen aus der arabischen Welt, in weißen Kleidern und mit MBT-Schuhen die Herren, in bodenlangem Schwarz von Kopf bis Fuß die Damen. Ganzjährig hasten Weiß- und Grünkittel über die Straßen, sehe ich Pulks von Medizinstudentinnen auf dem Weg zum Seminar, werde ich von Passanten nach dem Weg gefragt: „Können Sie mir sagen, wo hier das Krankenhaus ist?“ (Ich reagiere je nach Laune sachlich: „Welches genau?“ oder albern: Ausladende Armbewegung und „Suchen Sie sich eins aus!“)

Diese Innenstadtkliniken sorgen für ein etwas seltsames Straßenbild. An meiner Haustür ziehen immer wieder Raucher in Bademantel und Hausschuhen vorbei, ihren Infusionsständer vor sich her rollend. Und einige ambulante Patienten der Psychiatrischen Klinik sind mir inzwischen so vertraut, dass ich bei Begegnungen ahne, wie es ihnen gerade geht: Der junge, aufgeschwemmte Mann, der immer ein Handtuch über der Schulter trägt (es hat ihn wohl immer noch kein Raumschiff mitgenommen) sah vorgestern gar nicht gut aus und trug nur einen Schuh. Im Frühjahr war er einmal so munter gewesen, dass er fast entgegenkommenden Passanten ins Gesicht gesehen hätte.

Nicht missen möchte ich die täglichen Treffen der Johanniter-Krankenwagen an der Kreuzung Nußbaum-/Ziemssenstraße (bis zu acht gezählten): Sie behindern zwar den Radverkehr, geben aber immer ein kuschliges Rudelbild ab.

Matthäus und Motetten

Zu meinem Viertel gehört auch die frei stehende Kirche St. Matthäus, deren frühbetonische Architektur aus den 50ern ich sehr mag. Ich profitiere davon, dass der exzellente Münchner Motettenchor hier zuhause ist (regelmäßige Umzingelung der Kirche durch Wagen des Bayrischen Rundfunks): Im Sommer lassen die Sänger und Sängerinnen machmal beim Proben die Fenster auf, und ich kann sie bis in mein Schlafzimmer hören.

Einen sensationellen Anblick bietet die Kirche jedes Jahr im Mai: Dann treffen sich auf dem Platz davor die Evangelischen Motorradfreunde St. Matthäus München (I kid you not) zu ihrem Corso und lassen die Chromteile ihrer mächtigen Maschinen um die Wette glitzern mit den Nieten auf ihren Jeansjacken.

Versuche in Bahnhofsviertelatmosphäre

Die größte Anstrengung in Sachen Bahnhofsviertelatmosphäre unternimmt München in der Schillerstraße, wo sich Computerbastelläden mit Striplokalen und Spielkasinos abwechseln, eingestreut ein paar Dönerbuden – mehr bekommt München an Verworfenheit nicht hin. Dazu passen leider die Tagelöhner aus den neuen EU-Ländern, die an den Ecken Landwehrstraße/Goethestraße und Landwehstraße/Schillerstraße ihre Arbeitskraft anbieten.

Möglicherweise in die Kategorie Bahnhofsviertel/Vergnügungsviertel fällt die Sonnenstraße. Dass hierher zahlreiche Münchner Clubs gezogen sind, weiß ich aus der Zeitung. Aus eigenem Erleben kenne ich die hiesigen Kinos City, Atelier, Eldorado. Sie zeigen Arthouse-Filme, ein paar davon unsynchronisiert, und das City-Kino gehört zu den dreien (?) in München mit handgemalter Kinoplakatfront.

Gleichzeitig ist die Sonnenstraße das Münchner Tanzschulzentrum: Mindestens ein halbes Dutzend hat sich hier angesiedelt – ob das am nahe gelegenen Deutschen Theater (mit eigener Tanzschule, derzeit in Komplettrenovierung) liegt? Ebenfalls definitorisch für die Sonnenstraße: Regelmäßige Sperrungen wegen Trachtenumzügen/Stadtläufen/Demonstrationen.

Anonymität mitten im Menschenstrom

Nein, ich kenne niemanden persönlich, auch wenn ich seit 13 Jahren hier lebe. Zwar hätte ich einen Blumenladen um die Ecke, doch der Besitzer ist mir nach ein paar fremdenfeindlichen Bemerkungen so unsympathisch, dass ich nicht bei ihm einkaufen möchte. Am nächsten kam ich noch dem Besitzer des Zeitschriftenladens, bei dem ich oft meine Zigarretten holte, als ich noch rauchte. Was ich seit zehn Jahren nicht mehr tue. Der winzige Buchladen daneben hat schon vor vielen Jahren dicht gemacht und wurde durch einen gesichtslosen Backshop ersetzt. Und für das Sortiment der putzigen Läden in der Landwehrstraße (u.a. Foto-Equipment, Lampenschirme) habe ich keinen Bedarf.

Weil man hier eigentlich nicht wohnt, gibt es auch keinen typischen Bewohner. Das Fehlen einer Gruppe, zu der ich gehören oder von der ich mich abgrenzen wollen könnte, entspannt mich ungemein. Wie ja überhaupt die Anonymität inmitten von Menschen. Die Einkaufsmöglichkeiten sind auch abseits von Klein-Istanbul hervorragend, der zentralen Innenstadtlage als Shopping-Gegend geschuldet (Kaufhäuser, Geschirr- und Bekleidungsgeschäfte). An der Sonnenstraße gibt es sogar eine richtige Post, am Stachus einen Tengelmann, in der Erdbeer-Saison gehe ich zum wechselnden Obststand am Sendlinger Tor. Am dortigen Blumenstandl kaufe ich auch meine Blumen ein. Was mir zusammen mit dem Bahnhof und der MVG-Drehscheibe Sendlinger Tor den größten Luxus überhaupt ermöglicht: Ich brauche kein Auto. Nie.

Gute Restaurants? Gibt es in meinem eigentlichen Viertel nicht so richtig, das vegane Max Pett noch am ehesten. Ansonsten schwärme ich zum Essen oder für ein Stündchen im Café in angrenzende Straßen aus, die ich innerlich nicht völlig zu meinem Zuhause-Viertel zähle: Thalkirchnerstraße und angrenzendes Glockenbachviertel (z.B. Aroma, Rothmund), Jakobsplatz (Stadtcafé), Hackenviertel (Lemar).

§

Doch, ich lebe sehr gern hier, in dieser Mischung aus viel Grün, Internationalität, touristischer Innenstadt und Historischem (die zwei verhassten Wochen Ende September, Anfang Oktober mal ausgenommen). Vielen Dank an Maximilian und Helga für den Anlass zu dieser Erkenntnis!

Morgen Abend in Lörrach: Die vier Damen aus dem Internet lesen Spam

Freitag, 16. November 2012

Gleich mache ich mich auf den Weg nach Freiburg, um mich mit den drei weiteren Damen aus dem Internet zu treffen und letzte Feinheiten einzuüben. Denn morgen Abend stellen wir uns beim Burghofslam in Lörrach auf die Bühne und lesen Spam. Sogar noch mehr als auf der diesjährigen re:publica.

Theater: Gift. Eine Ehegeschichte.

Donnerstag, 15. November 2012

Auf diesen Theaterabend in den Kammerspielen hatte ich mich gefreut, allein weil Elsie de Brauw eine der beiden Hauptrollen spielte, die mich in Angst so umgehauen hatte: Gift. Eine Ehegeschichte Doch dann wurde es das erste Mal, dass ich eine Pause nicht vermisste, weil ich darin lustwandeln hätte können, sondern weil ich darin gerne gegangen wäre.

Zwei geschiedene Eheleute treffen sich nach zehn Jahren zum erstem Mal wieder, weil ihr gemeinsamer, vor der Trennung gestorbener Sohn, umgebettet werden soll.
Es ist mir ein Rätsel, warum Intendant Johan Simons solch ein Stück als fast konsequenten Klamauk inszeniert.

Elsie kommt fuchtelnd, stolpernd, rudernd auf die Bühne, grimassiert das ganze Stück hindurch grotesk, zappelt und hüpft herum.
Steven van Watermeulen als ihr Ex-Mann spricht seinen Text immer wieder leiernd entfremdet und gekünstelt überschlagend.

Das Bühnenbild ermöglicht viel Bewegung, die beiden wechseln ständig ihre Plätze – jajaja, damit können Unruhe, die Haltung der Figuren zueinander dargestellt werden. Was eigentlich alles bereits im Text steckt, der auskomponiert ist wie ein Barockkonzert. Die Türen zum Foyer blieben in den ersten zwei Dritteln offen, dadurch liefen die Figuren auch mal hinaus und sprechend durchs Foyer. Tatsächlich originell, von mir aus Punkte in der B-Note.

An drei Stellen singt Steve Dugardin (laut SZ Lieder von Dowland). Countertenöre mit ihrem druckvoll hohen Gesang sind wohl wirklich nichts für mich: Da konnte ich versuchen, konzentriert zuzuhören, meine Zehennägel rollten sich trotzdem auf.

Das Stück selbst war vermutlich sogar ganz gut. Der Text war realistisch angelegt, mit vielen “Hm”s und Hasplern sogar hyperrealistisch. Er bestand hauptsächlich aus stereotypem Pärchengezicke (“Was ist denn?” “Ach nichts.” “Aber du hast doch was.” / “So hab’ ich’s nicht gemeint.” “Warum hast du’s dann so gesagt.” – Symbolausschnitte), dessen ich schon beim wirklichen Hören sehr, sehr überdrüssig bin. Ich weiß um die typische Paar- und Konfliktdynamik, die das Stück abbildet. Doch muss ich gestehen, dass sie bei mir immer, on- und offstage, heftigstes Augenrollen hervorruft.

Als ich schon hoffte, das Stück sei aus, begann das letzte Drittel, in dem die beiden sich dann tatsächlich unterhalten. Das fand ich inhaltsreich und interessant.

Mit meinem Missmut scheine ich allerdings recht allein zu stehen. Der Zuschauerraum war auch über ein Jahr nach der Premiere voll, was auf gute Rezensionen und positive Mundpropaganda deutet. Und der Applaus stürmte, inklusive Bravo-Rufen. Was habe ich übersehen?

Auszeitjournal bis Dienstag, 13. November 2012 – Kindheit

Mittwoch, 14. November 2012

Heiterer Austausch auf Twitter, wer alles als Kind von seinen Eltern womit verprügelt wurde, nachdem @bov dies getwittert hatte:

Und das, wo ich kurz zuvor auf das Wort “die versehentliche folter der kindheit” von @engl gestoßen war, das mich mächtig traf.

Gleich mal die Assoziation weitergeführt und nach “This be the verse” von Philip Larkin recherchiert.

Auf eine Vertonung von Anne Clark verwiesen worden.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/iMlkt4NovRE

§

Die #609060-Reihe der letzten Tage.

Radel-kompatibel:

Ohne die geringste Absicht, das Haus zu verlassen:

Zur Geburtstagsfeier:

In aller Herrgottsfrühe ins Olympiabad radeln:

Gemisch aus Fahrrad-tauglich und Heimbüro:

Über die weite Verbreitung von geschütteltem Wasser und von Stärkekugeln

Dienstag, 13. November 2012

Bislang war ich davon ausgegangen, dass zumindest die Vernünftigen unter den Apothekerinnen homöopathische Produkte aus Geschäftemacherei anbieten: Wenn d’ Leut so blöd sind, bitte. Denn alles, was sie im Studium gelernt hatten, so nahm ich an, widersprach auch nur der entferntesten Möglichkeit einer Wirksamkeit.

Irrtum: Homöopathie gehört in Deutschland zu den Lerninhalten des Pharmakologiestudiums. Erfahren habe ich das über einen Artikel in den Scienceblogs: „Homöopathie in der Pharmazie; eine Bestandsaufnahme“.

Schon bald nach Studienbeginn wurde ich, im Chemie-Seminar, mit den drei in Deutschland gültigen Arzneibüchern vertraut gemacht und traute meinen Ohren kaum: das Europäische Arzneibuch, das Deutsche Arzneibuch und… das Homöopathische Arzneibuch, das, neben allgemeinen Herstellungs- und Prüfverfahren sowie Stoffbeschreibungen aus der Homöopathie, auch Anweisungen zur Anthroposophischen Medizin und der Spagyrik (ja, Alchemie) enthält.

Beispielsweise steht in einer solchen Monographie, daß man für ein bestimmtes „Arzneimittel“ auf keinen Fall die Deutsche Küchenschabe bis zur Unkenntlichkeit in Ethanol und Wasser verdünnen darf, sondern ausschließlich die Orientalische Küchenschabe. Des weiteren finden sich darin Potenzierungsvorschriften und mathematische Gleichungen um die Zusammensetzung von Urtinkturen zu berechnen.

Wer verbricht ein solches Buch? Wieso muß (!) jede Apotheke in Deutschland es in ihrem Schrank haben? Die Antwort ist traurig und erschreckend: unser eigenes Gesundheitsministerium gibt das Homöopathische Arzneibuch heraus.

Da blieb mir erst mal die Spucke weg. Und ja: Die Inhalte werden im Staatsexamen geprüft.

Weiter berichtet die Autorin Claudia Graneis von ihrem Praktikum in einer Apotheke:

Schon am ersten Tag dort erspähte ich gleich ein riesiges Poster mit Anleitungen zur Beratung von Patienten, die beabsichtigen, sich eine Reiseapotheke zusammenzustellen. Dort waren ausschließlich homöopathische Präparate aufgeführt (auch bei durchaus unangenehmen oder gar gefährlichen Konditionen wie hohem Fieber, schweren Durchfällen oder nässenden Ekzemen).

Ein wenig erleichtert es mich, dass aus den Kommentaren hervorgeht, dass das nicht an allen Unis und nicht in allen Apotheken so ist. Ich empfehle ausdrücklich die Lektüre der Kommentare, unter anderem weil dort einige der typischen Gegenargumente der Homöopathiegläubigen auftauchen und weil ein paar der typischen logischen Fehlschlüsse beim Argumentieren genannt werden.

Zudem berichten Kommentatoren und Kommentatorinnen über die derzeitige Geschäftsstruktur deutscher Apotheken. Kurzfassung: Ohne den Verkauf homöopathischer Mittel würden sie wahrscheinlich pleite gehen, sie sind die größten Gewinnbringer. Meine Schlussfolgerung: Die Zulassung und Förderung dieser Mittel durch den Staat verstärken die strukturellen Missstände im Gesundheitswesen.

Recht weit unten im Kommentarstrang (tut mir leid, ich habe keine Funktion entdeckt, einen Kommentar dort direkt zu verlinken) geht Claudia Graneis auch kurz auf die sogenannte „Erfahrungswissenschaft“ ein, auf die sich wohl viele Ärztinnen und Ärzte berufen – die keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhält (Auswahl der Studiengruppe, Nachweis von Kausalität) und ohnehin massiv durch mindestens personal bias verzerrt wird.

In einem weiteren Artikel berichtet Claudia Graneis, dass sie im Gesundheitsministerium nachgefragt hat.

Die Antwort des Ministerium bestätigt detailliert und in Zirkelargumentation, dass sich Apotheker gründlich in Homöopathie auskennen müssen, weil „es sich bei der Homöopathie um eine in Deutschland seit 1978 anerkannte Besondere Therapieform im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) handelt“.

Graneis dazu:

Diese Antwort wirft weitere Fragen auf, und zwar diejenigen nach den Regelungen und Modalitäten in Deutschland in Bezug auf homöopathische Arzneien. Da wäre zunächst das bereits genannte SGB V. In diesem Buch, das sich mit den Regelungen der gesetzlichen Krankenkassen auseinandersetzt, wurde in einer Debatte um die Kostenübernahme für homöopathische Mittel erstmals der Begriff der Binnenanerkennung geprägt. Diese bezieht sich ausschließlich auf die sogenannten „Besonderen Therapierichtungen“ und legt fest, daß die Vertreter der jeweils betroffenen Behandlungsmethoden, in diesem Fall der Homöopathie (aber auch Anthroposophie, Spagyrik und Pflanzenheilkunde), selbst Beurteilungen zur Wirksamkeit und zur Güte der Methode an sich abgeben dürfen. Für ein konventionell-medizinisches Präparat wäre ein solches Vorgehen undenkbar.

Bitte lesen Sie den vorletzten Satz des Zitats nochmal langsam und sorgfältig durch.
Das wurde erreicht, wie solche Sonderregeln nunmal in einer Demokratie erreicht werden: durch Lobbyarbeit (die ich zunächst neutral sehe; dass Interessensgruppen ihre Themen und Interessen an Politiker herantragen, ist erst mal völlig in Ordnung). In ihrem Posting erläutert Graneis detailliert, mit welchen Mitteln die Homöopathie-Lobby arbeitet, bei Politikern, an Unis, bei Apothekerinnen und medizinischem Personal. Mit meinen persönlichen Erfahrungen deckt sich (bei Kolleginnen, Freundinnen):

Am dramatischsten ist der Einschlag dieser Maßnahmen vielleicht bei den Hebammen zu spüren: Eine Schwangerschaft ist eine empfindliche Phase im Leben einer Frau, in der sie höchst bedacht darauf ist, ihrem Kind keinen Schaden durch eventuell toxische Stoffe zuzufügen. Eine unerfahrende werdende Mutter benötigt in dieser ungewohnten Situation die Begleitung und Anleitung einer kompetenten und vertrauenswürdigen Bezugsperson. Dies ist in vielen Fällen eine Hebamme – leider ist in dieser Berufsgruppe die Affinität zu alternativmedizinsichen Verfahren wie Homöopathie und Akupunktur besonders verbreitet und die entsprechende Einflussnahme auf die Schwangeren massiv. In der Folge nehmen etwa 70% der Frauen während der Schwangerschaft Globuli ein – ein Start in eine homöopathische Selbstmedikationskarriere.

Graneis schließt mit einigen Empfehlungen für erste Schritte, hier ganze Artikel. (Die Kommentare sind hier nicht ergiebig.)

Ich halte es ja immer noch für eine pragmatische Lösung, Homöopathie als religiöse Glaubensrichtung einzuordnen und gesellschaftlich so zu behandeln. Und umgekehrt dürften dann Apotheken auch Wallfahrten und gesegnete Kerzen als Heilmittel anbieten. Win-win!

Nachtrag 14.11.2012, 22.40 Uhr: Die Standardargumente der Homöopathiegläubigen (die fast alle auch hier in den Kommentaren aufgetaucht sind) entkräftet Florian Freistetter am Ende dieses Posts kurz und knapp.

Münchner Verkehrsbriefe

Montag, 12. November 2012

Liebe Fußgänger,
bitte prüfen Sie vor dem Queren eines Radwegs, ob er gerade von Radlern befahren wird.

Liebe Radler,
bitte beachten Sie zumindest die Hälfte der Straßenverkehrsordnung. Rechtsverkehr wäre ein schöner Anfang. (Ampeln kriegen wir später.)

Liebe Kraftfahrer,
BITTE BLINKEN SIE VOR DEM ABBIEGEN.

Vielen Dank und herzliche Grüße
die heute mehrfach zu Tode erschrockene Kaltmamsell auf dem Radl

Ein Schwung frischer Lieblingstweets

Sonntag, 11. November 2012


Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen