Archiv für Juli 2005

Blogplatz

Montag, 18. Juli 2005

Ich habe zwei Blogplätze, nämlich daheim und in der Arbeit. Viel aufgeräumter als auf den Fotos ist es da selten.

via überall

Der Kocherlball

Sonntag, 17. Juli 2005

Als ich um 5:39 Uhr am Sendlinger Tor in die Straßenbahnlinie 17 steige, kommt mir tatsächlich ein Schwung schicker junger Männer auf dem Heimweg vom samstagnächtlichen Ausgehen entgegen, dem Geruch und unsteten Gang nach zu urteilen ziemlich betrunken. Herrlich, so habe ich mir das vorgestellt. Ich hatte mich bereits darüber gefreut, dass mit mir und dem Mitbewohner ein gutes Dutzend Leute auf die Straßenbahn warteten, die trachtenartige Gewänder trugen und deshalb ganz eindeutig dasselbe Ziel wie wir hatten: den Kocherlball am Chinesischen Turm im Englischen Garten.

Der Münchner Kocherlball geht auf das 19. Jahrhundert zurück: Damals, so heißt es, trafen sich die Dienstboten und Hausangestellten im Sommer jeden Sonntag am Chinesischen Turm zum Tanzen – vor ihrem Dienst, also um 6 Uhr. Sie tanzten und feierten, bis sie gegen 9, 10 Uhr wieder arbeiten mussten. Anfang des 20. Jahrhundert wurden diese Tanzveranstaltungen aus Gründen der Sittlichkeit verboten. 1989 wurden sie zurückgeholt, allerdings nur einmal jeden Sommer. Das Abgefahrene daran: Der Kocherlball beginnt auch in seiner aktuellen Version um 6 Uhr in der Früh.

Nachdem ich die vergangenen Jahre immer erst durch die Nachberichterstattung vom Termin erfahren hatte, lag ich diesmal seit Januar auf der Lauer, um den Kocherlball endlich mal nicht zu verpassen. Groß angekündigt wird das Datum nämlich nicht, man muss schon selbst die Augen offen halten.

Auf dem Weg zur Haltestelle Tivolistraße füllte sich die Straßenbahn nach und nach mit Kocherlballgängern, darunter ein schöner alter Mann in einer historischen Straßenbahnschaffneruniform. Am Maxmonument stiegen drei Herren zu, von denen der eine ein dezentes, aber sehr kurzes Dirndl trug, die anderen beiden unauffällige Wickelröcke. Ich war schon gespannt, welche Tanzpaar-Konstellation sich wohl daraus ergeben würde. Da wusste ich ja noch nicht, was ich jetzt weiß: Die wenigsten Leute gehen auf den Kocherlball um zu tanzen. Mit wenigen Ausnahmen besteht das Vergnügen der Ballbesucher darin, an Biertischen zu sitzen sowie hin und wieder an die Tanzfläche zu treten und den Tänzern zuzuschauen. Das verstehe ich zwar nicht, begrüße es aber, denn so kann man auf dem Kocherlball trotz mehrerer tausend Besucher gut tanzen.

Bayrische und alpenländische Volkstänze wurden gespielt, von ganz ausgezeichneten Musikanten. Die Landler, Polka, Walzer, Boarische sind eh nicht schwer zu tanzen, außerdem gab Tanzmeister Willi Poneder von der Bühne aus Anweisungen. Manchmal brauchte es für einen Tanz Aufstellung in Reihen und Kreisen – das überforderte dann doch die meisten Tänzer. Besonders schade fand ich das beim „Jägermarsch“: Die Herren gehen nach einigen Tanzschritten in Tanzrichtung vorwärts, die Damen klatschend rückwärts, dann tanzen die Leute miteinander, die zufällig voreinander zu stehen kommen. Genau solche Sachen machen Volkstanz so spaßig, denn ein paar Wörter redet man ja dann doch mit dem unbekannten Menschen, den man tanzend im Arm hat. Das System funktioniert allerdings nur, wenn der Tanzkreis geschlossen ist; war er heute nicht, so standen immer wieder Damen in der einen Gegend mit leeren Händen da, in der anderen Gegend Herren. Völlig hilflos bin ich weiterhin beim Zwiefachen: Der Mitbewohner und ich hören verbissen auf die Musik, um den Rhythmus herauszufinden, in dem Dreiviertel- und Zweihalbe-Takt wechseln – haben es aber noch nicht ein Mal geschafft. Da muss es einen Trick geben.

Das Publikum heute Morgen war herzerfrischend gemischt. Viele junge Leute hatten ganz offensichtlich durchgemacht und hielten sich mit glasigem Blick an ihren Masskrügen fest. Andere waren bei unserer Ankunft kurz vor sechs wohl schon einige Zeit da: Sie hatten ihre Biertische schön gedeckt und Kerzen aufgestellt. Einige trugen Kleidung im Stil des 19. Jahrhunderts, manche waren als Köche oder Dienstmädchen kostümiert. Bei Sonnenaufgang war die Gastronomie bereits voll in Betrieb, allerdings gab es statt Schweinsbraten und Riesenbrezen heute Kiachal (also Auszogne oder Kniekiechle – keine Ahnung, ob es für diese fettgebackenen Hefeteigscheiben ein hochdeutsches Wort gibt), Kaiserschmarrn, Wienerl, Weißwürscht. Getrunken wurde Kaffee oder Bier, und ich stellte fest, dass sich eine Radlermass morgens um halb acht bald wie das Normalste der Welt trinkt.

Mehr als die Hälfte der Frauen trugen Dirndl oder eine ähnliche Oktoberfest-Verkleidung, ganz wenige sogar halbwegs authentische Tracht. Mein halbherziger Versuch, am Vortag nach 20 trachtenfreien Jahren noch schnell ein Dirndl zu kaufen, war an den Ladenöffnungszeiten der entsprechenden Fachgeschäfte gescheitert (die Münchner Dirndlsupermärkte hingegen waren zwar geöffnet, richten sich aber eher an Touristen und wussten mit meinen Wünschen nichts anzufangen). So trug ich zum Lokalkolorit der Veranstaltung lediglich ein Detail bei, das unterhalb der Bühne fast nicht vorkam: bayrischen Dialekt. „Na suach da hoit a andre, stenga doch gnua rum!“, wies ich also den jungen Burschen an, der eigentlich den Boarischen mittanzen wollte, der gerade vom Tanzmeister angesagt wurde, aber dem verzweifelt suchenden Blick nach zu urteilen seine Partnerin verloren hatte. Woraufhin der Jüngling in T-Shirt und kurzen Treckinghosen tatsächlich eine der umstehenden Einzeldamen spätmütterlichen Alters in die Reihe holte.

Die bessere Gesellschaft hat auch auf dem Kocherlball ihr Reservoir: Vor dem „Restaurant am Chinesischen Turm“ kann man für viel Geld (ich hörte den Betrag 200 Euro) einen Tisch reservieren. Dann halten einem Dutzende scharfe Security-Menschen das feiernde Volk vom Hals (ich weiß das, weil mir einer der Wachmänner sogar den Durchgang durch diesen Außenbereich verwehrte, da ich kein weißes VIP-Babybändel ums Handgelenk trug). Aber zumindest darf man die VIPs über den Zaun besichtigen; das lohnt sich, weil dort die schönsten historischen Gewänder sitzen, auch wenn die herrschaftlichen Träger und Trägerinnen erst weit nach acht aufkreuzen.

Wir blieben nicht bis zum Schluss (ca. 11 Uhr), da es schon um 9 Uhr ganz schön heiß und plötzlich sehr voll wurde. Zumindest habe ich jetzt genug Informationen fürs nächste Jahr gesammelt. Bis dahin beschaffe ich mir ein anständiges Dirndl im Stil meiner Geburtsstadt (schwarzer Brokat mit hellblauer Seidenschürze), besuche ein paar Volkstanzkurse, suche mir einen Schwung Leute zum Mittanzen und reserviere einen einfachen Tisch im großen Biergarten.

Hier gibt’s mehr Bilder:

(mehr …)

Freund der Bahn

Freitag, 15. Juli 2005

Ich möchte gerne die Auszeichnung „Freund der Bahn“ / „Freundin der Bahn“ einführen. Und natürlich selbst verleihen. Wer sie dreimal bekommen hat, darf fortan selbst andere damit auszeichnen. Ich habe auch schon eine Vorstellung, wie sie aussehen sollte: Eine bunte Anstecknadel, auf der man den Oberkörper einer Cartoon-Frau sieht, die liebevoll und innig eine moderne Lokomotive umarmt. Für den Herrn gibt’s die Nadel mit Cartoon-Mann. (Tut mir leid, ich kann immer noch nicht zeichnen.) Aufkleber mit dem Motiv kann man dann auch gleich machen.

Umgehend und sofort zur „Freundin der Bahn“ würde ich Frau Chronistin ernennen. Allein schon für diese Ausführungen: Öffentlicher Verkehr.

Die Idee dazu formte sich heute morgen: Am anderen Ende des EC-Großraumabteils bemerkte ich eine Diskussion, deren Inhalt ich nur in Bruchstücken verstand. Anscheinend hatte ein Passagier seine Bahncard vergessen, und die lässige, freundliche Schaffnerin, mit der ich kurz zuvor noch gescherzt hatte, akzeptierte deshalb seine Fahrkarte nicht. Dagegen protestierte der Passagier wortreich. Die Schaffnerin wies ihn erst geduldig darauf hin, dass er keinen gültigen Fahrschein hatte. Nach einigen Minuten der Auseinandersetzung auch weniger geduldig. Bald verlegte sich der Passagier auf allgemeines Bahn-Bashing; ich hörte die Satzfetzen „kann doch nicht sein, dass“, „wenn Sie nicht mal“, „ich möchte einmal erleben“ sowie „wollen Sie mir etwa sagen“.
Bis sich ein Mitfahrer entschieden und gelassen einmischte: „Sie belästigen hier das ganze Abteil. Hören Sie endlich auf. Die Sachlage ist ja wohl eindeutig: Sie müssen nachzahlen.“
Daraufhin hörte ich nur noch ein zaghaftes „Aber die kann doch nicht…“ Dann war Ruhe.

Und da wäre ich gerne aufgestanden und hätte dem Ruhestifter die Nadel „Freund der Bahn“ ans Revers geheftet.

Die Zeitung von gestern

Freitag, 15. Juli 2005

Nach anfänglichem Ärger und Widerwillen habe ich mich daran gewöhnt, morgens im Zug die Zeitung von gestern zu lesen. Vielleicht hat der SZ-Austräger in meinem Stadtgebiet gerade Urlaub und eine unerfahrene Vertretung. Oder er wurde von einer Frühaufsteherin am Ende seiner Route bestochen, damit er sie vorzieht. Auf jeden Fall liegt meine Süddeutsche seit zwei Wochen nicht mehr auf dem Fußabstreifer vor meiner Wohnungstür, wenn ich um 6:18 Uhr das Haus verlassen, sondern wird im Lauf des Vormittags gebracht.

Wenn ich die Zeitung im Zug auffalte, kenne ich die Inhalte der Titelseite also schon durch ihre Besprechung in den Nachrichtensendungen des Vortags und überblättere sie. Halt: Das „Streiflicht“ schaue ich an. Die Themen, die auf der Zwei („Themen des Tages“) und der Drei (Reportagen) breit abgehandelt werden, bleiben länger als 24 Stunden interessant, gut. Die Meinungsseite hingegen überholt sich erstaunlich schnell. Die Nachrichten aus dem Ausland sowie der Wirtschaftsteil wiederum können besonders spannend sein, wenn sie vom Vortag stammen: Im Büro schaue ich auf News-Websites nach, wie es weiter- oder ausging.

Schön ist es nachzuschlagen, was am Vorabend im Fernsehen gekommen wäre – kaum ein Unterschied zum Lesen der tagesaktuellen Fernsehseite, auf der ich mich informieren, was mich am selben Abend interessieren könnte, nur um dann doch wieder nach der Tagesschau zum Laptop zu wechseln.

(Und wenn es die Tante-Jolesch-Konkordanz gäbe, könnte ich jetzt die Geschichte des Kauzes nachschlagen, der abgelegte Zeitungen aus Kaffeehäusern einsammelte und daheim stapelte, deren Lektüre dann meist im Abstand von mehreren Monaten nachholte. Die Pointe der Geschichte war, glaube ich, dass er einen Flüchtling vor dem Naziregime fragte, ob er glaube, dass Hindenburg abtreten werde.)

Ausblick heute

Mittwoch, 13. Juli 2005

(mehr …)

Die Leibchenfrage zur Tour de France

Dienstag, 12. Juli 2005

Bis vor Kurzem war meine Informationsquelle zur Tour de France der gleichnamige Asterixband. Doch beeinflusst durch den grandiosen Film Höllentour (riesigen Dank an Anke für den Hinweis!) interessiere ich mich dieses Jahr tatsächlich für die Frankreich-Tour.

Woraus ich allerdings nicht schlau werde, ist die Sache mit den Sondertrikots für Führung im Gesamtklassmoh / Etappensieger / Obersprinter / Bergmeister: Woher kommen die? Haben die Veranstalter die Trikots dabei? Dann müsste es ja wohl einen Sonderlaster dafür geben, um allen Größen zur Hand zu haben. Und für jedes Team eine Variante mit den entsprechenden Sponsorenlogos. Bekommt gar ein Radler, der den Titel mehrere Etappen hintereinander trägt, jedesmal ein neues? Oder haben die Teams für jeden ihrer Radler Trikots in allen Gewinnerfarben dabei, weil dann die Sponsorenlogos garantiert richtig sind?

Ich erinnere mich, dass Rolf Aldag in Höllentour einen ganzen Stapel Punkteleibchen auf seinem Schoß glattstreicht, als er die Bergwertung anführt: Hat er die vom Veranstalter bekommen oder gleich im eigenen Gepäck dabei gehabt, weil er ein Kandidat für diesen Titel war?

Arroz con leche

Dienstag, 12. Juli 2005

Zu den wenigen Gerichten, die meine spanische Yaya überliefernswert gut zubereitete, gehört ihr arroz von leche, also Milchreis. Was ich mich nicht ins Rezept schreiben traue, ist allerdings, wie ich diesen spanischen Milchreis immer unbedingt jedes Mal servieren muss – weil ich es so aus Spanien kenne. An sich lautet nämlich der erste Satz meines Rezepts: Man nehme eine große, weiße Servierplatte aus Keramik.

Zu jeden Spanienbesuch mit meiner Familie gehörte ein ausgedehnter Aufenthalt im Geburtsort meiner Yaya, in El Olmo. Arroz con leche wurde dort mit selbst geholter Milch auf dem Gasherd zubereitet und dann auf solch eine Platte (span. fuente) geschüttet. Die Platte stand auf dem kleinen Resopal-Küchentisch, und jeder, der Lust auf Milchreis hatte, holte sich einen Löffel aus der Schublade des Tischchens und aß aus der fuente. Im Stehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass arroz von leche jemals serviert worden wäre, in Schüsselchen gar. Bis zur nächsten Mahlzeit war die Platte längst leer.