Allie Brosh, Hyperbole and a Half
Samstag, 30. November 2013Als ich dieses Strichmenschlein zum ersten Mal sah – und es ist so anders, dass ich es nicht übersehen konnte -, fand ich es doof und war abgestoßen: Dieses Gekrakel gruselte mich in seiner Unbeholfenheit und kompletten Unniedlichkeit (diese Glubschaugen, diese Insektenarme), und was sollte bitte das gelbe Hütchen auf dem Kopf?
Doch zum einen ist der Stil derart einprägsam, dass jedes Auftauchen auffällt, zum anderen passte er erstaunlich gut zu hochemotionalen Situationen. Irgendwann begegnete mir die seltsame Figur fast wöchentlich irgendwo in Blogs oder auf Twitter – ohne dass ich wusste, wer sie erfunden hatte oder dass sie zu einem Blog gehörte.
Erst als ich auf die Geschichte “Adventures in Depression” stieß und damit auf das Blog von Allie Brosh, konnte ich langsam das seltsame gelbe Hütchen einordnen: Die Rückansicht des Kopfes deutete darauf hin, dass das wohl ein stilisierter Pferdeschwanz ist. (Der Mitbewohner assoziiert mit der Figur etwas Fischiges, Kaulquappiges und sieht das gelbe Dreieck deshalb als Flosse.)1
Allie Brosh hat einige ihrer Geschichten vor Kurzem als Buch veröffentlicht, und sie funktionieren in dieser Form ausgezeichnet. Die Krakelzeichnungen bleiben befremdlich, auch wenn schnell klar wird, dass nichts daran unbeholfen ist, sondern jedes Detail Wirkung hat. Die Bilder und ihre Zwischentexte müssen genau so kombiniert sein, das eine ohne das andere ginge nicht. Vor allem aber liefern die gemalten und geschriebenen Geschichten von Allie Brosh ungewöhnlich luzide Perspektiven – ihrer eigenen Kindheit, des Verhaltens von Hunden, des Umgangs mit sich selbst. Die Kindheitsgeschichten verbinden die Sicht des seltsamen Kinds, das sie mal war, die Sicht der Erwachsenen, die sich über das seltsame Kind amüsiert, und die der Erwachsenen, die das damalige Kind vor den Auswirkungen dieser Seltsamkeit schützen möchte. Über ihre Hund erzählen die Geschichten ähnlich. Wenn das bizarr klingt, trifft es das Buch recht gut.
Auf einer sehr persönlichen Ebene freute mich, dass ich mit meiner lächerlichen dreifach verdrehten Selbstzerfleischung nicht allein bin. Und dass es eine Künstlerin gibt, die dafür eine Ausdrucksform gefunden hat, über die ich auch noch gnädig schmunzeln kann. Beispiel:
Wenn Sie die Autorin selbst ein wenig kennenlernen möchten: Die New York Times (OMG!) hat ein Portrait über sie gemacht.
- Beim Nachlesen der FAQ auf Allies Blog stellte ich fest, dass wir beide Recht haben: “What is that yellow thing on your head? – It’s a ponytail. You may also think of it as a shark fin if you wish.” In diesen FAQ findet Allie übrigens auch wirklich freundliche Worte für Menschen, die mit ihren Geschichten oder auch nur ihren Zeichnungen nichts anfangen können. Nur falls Sie dazu gehören. [↩]