Twitterlieblinge im Oktober
Freitag, 31. Oktober 2014Lasst uns das mal mit den bekanntesten Zitaten aus dem kleinen Prinzen ausprobieren!
Nachtrag: Anderer Leut’ Lieblingstweets hat wieder treu und ehrlich Anne Schüßler gesammelt.
Lasst uns das mal mit den bekanntesten Zitaten aus dem kleinen Prinzen ausprobieren!
Nachtrag: Anderer Leut’ Lieblingstweets hat wieder treu und ehrlich Anne Schüßler gesammelt.
Der Tag war so ereignisarm (Kaffeetrinken, Duschen, zu Fuß in die Arbeit, erst sehr hektisches, dann ruhiges Arbeiten, auf dem Heimweg Bananen gekauft, zum Nachtmahl Feldsalat und gebratenen Mangold aus Ernteanteil, dazu einen spanischen Weißwein aus der Traube Xarello – schön frisch), dass ich Sie mit einem Traum langweilen werde:
Ich begleitete meine Freundin Amy Adams zur Oscarverleihung, ging mit ihr von hinten bis auf die Bühne. Bevor sie das Rednerpult erreichte, trat von rechts ein spilleriger Teenager im blauen Abenkleid und Stoffbeutel an sie heran und gab ihr einen handgeschriebenen Zettel. Amy Adams war einen Blick darauf, brach in Tränen aus, steckte mir den Zettel zu und lief nach rechts vorne von der Bühne. Die Show wurde abgebrochen, bis sie wiederkommen würde.
Um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich raus, was die Innnenstadt meiner Geburtsstadt Ingolstadt war. Ich saß mit ein paar altbekannten Bloggern und Bloggerinnen zusammen, wir rätselten, ob die Oscarverleihung nun überhaupt stattfinden würde. Und berieten, ob wir nachsehen sollten, was auf dem Zettel stand. Ich war dagegen.
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Sehr eigenartige Selbstbilder einer Fotokünstlerin. Wirken sie so verstörend, weil die Frau dick ist?
“iiu Susiraja’s body talking Selfies”.
Zum ersten Mal diese Saison wieder die Warnweste zum morgendlichen Radeln übergezogen.
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Kraftttraining bei einem bislang unbekannten Vertretungsvorturner, dessen Stunde mir gut gefiel: Er war sehr gut vorbereitet, gab präzise Anweisungen zum richtigen Zeitpunkt, hatte die Gruppe jederzeit im Blick (es gibt durchaus Vorturner und Vorturnerinnen, die 60 Minuten nur mit sich beschäftigt sind), korrigierte geschickt und fokussiert.
Zum ersten Mal erlebte ich, dass ein Vorturner oder eine Vorturnerin mich für die Haltungskorrektur bei einer Übung explizit fragte, ob er mich anfassen darf. Es genügte eine Sekunde Geste, Blick, “darf ich?” – vorbildlich.
Dass der Herr anfangs erst mal fünf Minuten mit der Musikanlage kämpfte – mei. Bei solch einem Kampf barmen mich besonders Aushilfskräfte: Ist die Anspannung vor einer völlig unbekannten Gruppe, die jemand anderen gewöhnt ist und erwartet hat, sicher ohnehin groß genug.
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Bislang fand ich es lediglich merkwürdig, wenn Menschen als Profilbild auf Social-Media-Plattformen Aufnahmen von sich mit Partner/Partnerin verwenden. Seit gestern habe ich auch sachliche Argumente dagegen: Ich sollte einem Ansprechpartner (oder einer Ansprechpartnerin) in Indonesien antworten und wollte herausfinden, wer das ist. Oder auch nur, was an dem zweiteiligen Namen Vor- und Nachname ist. Auf Facebook gab es einen exakt übereinstimmenden Eintrag – mit einem Heteropaar als Profilbild. Wem von beiden gehörten wohl der Account und der Name?
Ich entschloss mich zur international anerkannten Kapitulationsgeste und schrieb den Menschen mit beiden Namen an (“Hello Erstername Zweitername”).
Ebenfalls gestern lernte ich, dass es in Indonesien Menschen mit nur einem Namen gibt – ich hatte zur Verifizierung eine Kopie des Passes vorliegen.
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Abends mit dem Mitbewohner eine weitere Pizzeria ausprobiert: Wo viele Jahre ein kleines französisches Restaurant war, ist jetzt The Italian Shot. War mir beim Vorbeiradeln sympathisch, weil auf dem selbstgemacht aussehenden Schild lediglich “Pizza & Bar” steht, den genauen Namen des Lokals entnahmen wir erst dem Kassenzettel. Mir schmeckte die Pizza mit Schinken, Feigen, Walnüssen, Ziegenkäse, Ruccola gut (hieß “Sicilian Shepherd”), das Glas Primitivo sogar ausgezeichnet (wenn auch seine Temperatur auf die nahende Glühweinsaison hinwies).
Die Einrichtung ist ein weiterer Schritt in Richtung Prenzlauerbergisierung des Glockenbachviertels, die ich versuche, so neutral wie möglich zu registrieren. So war unser Tischgespräch auch die Berliner Art des Prätentiösen im Vergleich zur Müncher Art: Der Münchner, so behaupte ich, ist offen und vordergründig prätentiös – wenn der angeben will, dann MERKT MAN DAS! Das Prenzlauerbergberlin ist hermetisch prätentiös, sein Angeben ist codiert und richtet sich nur an einen winzigen, als Peergroup anerkannten Kreis, der Metzgerkacheln an der Wand und abgeschlagene Milchkanne auf dem Tresen entziffern kann.
(Wie wir Sortierungen und Schubladisierungen lieben!)
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Haarsträubende Geschichte wird Kinofilm, Folge unzählbar:
Sehr erfolgreicher, kommerzieller Maler war gar keiner: Die Bilder hatte alle seine Frau angefertigt.
“The big-eyed children: the extraordinary story of an epic art fraud
In the 1960s, Walter Keane was feted for his sentimental portraits that sold by the million. But in fact, his wife Margaret was the artist, working in virtual slavery to maintain his success. She tells her story, now the subject of a Tim Burton biopic”
via @journelle
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Die Idee, dass man nicht in erster Linie Frauen beibringen sollte, wie sie sich vor Vergewaltigung schützen, sondern Männern beibringen, nicht zu vergewaltigen, sollte nicht revolutionär klingen.
Und doch ist es ungewöhnlich und berichtenswert, dass in Oxford alle Colleges “Sexual Consent Workshops” veranstalten:
“What I learned in a sexual consent class at Oxford”.
Broaching the subject with new Oxford students has provoked an almost universal choreography of dismissive jerks and sighs, rolling of eyes, and exasperated tutting.
“Isn’t sex ed for schoolchildren?” they ask me, rhetorically. And “surely if someone is monstrous enough to want to rape someone, they won’t also be reasonable enough to be talked out of it?”. And also, “how can you ‘teach’ someone not to rape?”
Their questions played on my mind: what chance did a bunch of well-meaning students have of turning the tide of sexual violence, armed with only pamphlets, whiteboard markers and clipboards?
Wieder ein Tag allein im Büro, voller Arbeit. Ich nahm mir aber die Zeit für eine kleine Mittagspause mit aufgewärmtem Wirsing mit Würstl vom Freitag. Zum Glück hatte ich morgens crosstrainergestrampelt, zum Bewegen, also Treppenlaufen, kam ich untertags schon deshalb nicht, weil ich das Firmentelefon dafür hätte allein lassen müssen.
Ein kalter, grauer Tag, eigentlich schon Mützenwetter (so schnell hatte ich mich nicht umgestellt).
Abends machte der Mitbewohner Shakshuka, worüber ich mich sehr freute.
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Der Text, der gestern am häufigsten in meinem Internet herumgereicht wurde: Hakan hat bei kleinerdrei darüber geschrieben, wie sein Vater ihn verliert und darüber depressiv wird:
“Bruchreif”.
Es kostete mich beim Lesen viel, nicht zu weinen. Aber bei diesem Absatz am Schluss war meine Beherrschung dahin:
Ich habe meinem Vater diesen Text vorgelesen. “Ich wünschte, Du hättest nur einen Hauptschulabschluss”, habe ich gelesen, ich klatsche ihm diesen Satz ins Gesicht und hole tief Luft für den nächsten, aber meine Stimme versagt. Ich hole Luft, atme langsam ein, langsam aus, arbeite mich Absatz für Absatz durch.
Das Thema Menschen, die ihre Heimat und sich aufgegeben haben, damit ihre Kinder es mal besser haben als sie, steht mir halt schon arg nahe.
Nun kommt mein spanischer Vater erheblich besser damit zurecht, dass seine Tochter dieses “besser” selbst definiert und anders als er. Ich bin ziemlich sicher, dass es genau diese Wahlmöglichkeit ist, die er mir durch sein Abrackern verschaffen wollte.
Doch anders als Hakan habe ich den Verdacht, dass ich eine Verlängerung des Arbeitsethos meiner Eltern bin, mich in der Pflicht sehe, wie sie bis zum Umfallen zu malochen – und das aber nur als inhaltsleere Pose, da ich ja nicht mal Ziele habe wie ein besseres Leben der Kinder, ein eigenes Haus.
Und ständig bin ich mir dessen bewusst, dass ich im Vergleich zu meinem Vater im gleichen Alter richtiggehend auf der faulen Haut liege: Er hatte damals zwei Jobs (Vollzeit in der Fabrik plus, ahem, freischaffende Elektroinstallationen in Neubauten), ich bloß einen. Habe meinen Eltern gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht glücklich bin.
Ich verstehe nicht, warum ich mich davon nicht befreien kann – wo ich es doch so klar sehe.
Der Samstagvormittag gehörte dem Zubereiten der Schokoholics Pralinentarte aus Nicole Stichs Sweets und einem ausführlichen Einkauf bei Verdi: Der Mitbewohner hatte sich für den Abend Gäste eingeladen, und die sollten Tintenfischsalat bekommen, mit Lammhack gefüllte Quitten (aus Ottolenghis Jerusalem) sowie die Schokoladentarte mit Papaya.
Wechsel der Jahreszeitenkleidung heißt immer: Aufbügeln. Diesmal ergänzt von einem eh schon vorhandenen Bügelberg, zusammen eine mit Podcasts erträgliche Samstagnachmittagsbeschäftigung.
Nach Langem mal wieder Brotbacken geplant, die ersten Stufen der dreistufigen Sauerteigführung für einen Frankenlaib getätigt.
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Das Abendessen war köstlich. Der Tintenfisch hatte einen Tick zu viel Biss (ist mir allerdings so lieber als total labbrig), das Untermischen von Kartoffelwürfeln war ein einmaliger Versuch (macht das Gericht pomfig), das Quittengericht war aromatisch und scharf, die Tarte genau so schokoladig wie erhofft.
Zum ersten Mal erlebt, dass sich jemand in kleiner geselliger Runde fast konsequent in den Blick auf sein Smartphone zurückzog.
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Sonntägliches Aufstehen in Dämmerung, vom Balkon aus gleich mal zwei Kaninchen gesehen.
Der Mitbewohner hatte nach der Sommerpause den Meisenknödel aufgehängt, der Balkon belebte sich innerhalb kürzester Zeit – inklusive Amseln auf dem Balkonsims, die sich wohl daran erinnerten, dass wo Meisenknödel, da auch Rosinen für sie (den ganzen Sommer über hatte ich sie nicht auf dem Balkon gesehen). Diese Erinnerung gleich mal durch Rosinenausstreuen aufgefrischt.
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Brotteig weitergeführt, zum Milchkaffee über Annes Wizoreks Buch geschrieben.
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Der Mitbewohner übernahm das Formen und Verladen des Teiglings ins Gärkörbchen für die Stückgare sowie das rechtzeitige Vorheizen des Ofens, damit ich Laufen gehen konnte. Nach einem ziemlich regnerischen Samstag schien die Sonne, ich genoss das Draußensein (Wasserstand der Isar überraschend hoch), war aber durch meine leichte Erkältung ein wenig am Schnaufen gehindert.
Das Brot wurde ganz hervorragend im neuen Ofen.
Nachmittags das goldene Herbstlicht genossen und Zeitung gelesen.
Zum Nachtmahl Ossobucco aus der Lameng, weil keine Karotten im Haus waren, dafür aber eine kleine Sellerieknolle und Tomatensaucenreste weg mussten.
tl;dr – Endlich!
Nachtrag: Jetzt auch mit Blog zum Buch.
Als Anfang vergangenen Jahres die Diskussionswelle um #aufschrei anschwoll, wagte ich bald zu hoffen, dass dies nun endlich wirklich echt ehrlich den Feminismus zum gesellschaftlichen Thema machen könnte. Ihn rausholen aus der Ecke, die in den etablierten Medien allerhöchstens zu etwas altmodischen Schlammcatch-Shows um Alice Schwarzer diente, ansonsten aber zur gegenseitigen Versicherung, man sei ja keine Feministin, denn man sei ja gerne eine Frau / habe nichts gegen Männer / es gebe schließlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Und all so geschah es.
Meine Mutter hat mich als Feministin erzogen: Von klein auf brachte sie mir bei, Geschlechtsstereotypen nicht einfach gelten zu lassen. Ich hörte sie die Hausmeisterin zurechtweisen: “Warum darf ein Mädchen das nicht?”, wenn diese blöde Kommentare zu meiner Baumkletterei machte. Wuchs damit auf, dass mein Bruder ebenso Putzen und Bügeln beigebracht bekam wie ich (und es sogar mit deutlich weniger bockigem Unwillen tat als ich). Hörte meine eigentlich religiöse Mutter konsequent die frauenfeindliche Haltung der katholischen Kirche kritisieren. Wie fortschrittlich Mama Kaltmamsell damit vor allem in ihrer Arbeiter- und Kleinbürgerumgebung war, konnte ich erst sehr viel später einschätzen.
Das setzte ich im Gymnasium konsequent um: Wenn ein Lehrer es für eine gute Idee hielt, eine Biostunde über Nahrungsmittelgifte mit “Das wird jetzt die Mädchen und künftigen Hausfrauen besonders interessieren” einzuleiten, hatte er umgehend eine Diskussion mit mir über diese Rollenzuweisung am Hals. Den lieben, gütigen, lustigen Herrn Graßl brachte ich angeblich wirklich zum Nachdenken (erzählte er zumindest laut meiner Mutter in einer Elternsprechstunde): Er hatte vor sich hingescherzt und -geprustet über diese Frauen, die mit dem Gesetzbuch zur Gleichberechtigung wedelten, während ihnen auf dem Herd ihr Essen verbrenne. Und ich hatte sofort gefragt, warum das denn bitte nur “ihr Essen” sein soll.
Es muss in der 11. Klassen gewesen sein, als ich die Früchte dieses konsequenten Gemeckers erntete (so kennt und fürchtet man uns Feministinnen ja, gell – als Dauermeckerinnen): Im Unterricht fiel wieder eine frauenfeindliche Bemerkung, und zwei Drittel der Klasse drehten sich sofort zu mir um (ich saß rechts im hinteren Drittel des Klassenzimmers). Diese zwei Drittel feixten und freuten sich darauf, dass es jetzt gleich wieder Rabatz geben würde, doch ich registrierte in erster Linie: Sie haben’s begriffen. Sie merken selbst, dass das sexistisch war und sehr wahrscheinlich die Feministin vom Dienst etwas dagegen einwenden wird.
Ähnlich sehe ich derzeit den ersten Erfolg der neu belebten Sexismusdebatte: Es werden weiter sexistische Bemerkungen gesagt und geschrieben, aber auffallend häufig mit einem “aber das darf man heute ja gar nicht mehr sagen” – noch beharren sie auf ihrem Recht auf Sexismus, bemerken ihn aber zumindest.
Damals vor anderthalb Jahren war auch ich überwältigt von der Tragweite von #aufschrei. Und schwerst beeindruckt, dass Anne Wizorek sich damit und dafür als Person sichtbar machte und sich zu einer Teilnahme an der Fernseh-Talkshow von Günther Jauch bereit erklärte – sie war schließlich nicht erst seit gestern mit dem Thema Feminismus unterwegs und wusste, dass sie damit zur Zielscheibe unvorstellbarer Niedertracht und Gemeinheit aus allen Rohren würde. Und dann war ihr Auftritt auch noch unglaublich souverän, inhaltlich wie persönlich. Bis heute möchte ich regelmäßig eine Runde Konfetti über Anne werfen, wenn sie mal wieder Interviews gibt und die immer gleichen anti-feministischen Fragen und Angriffe ruhig und groß beantwortet. (Unter anderem weil ich selbst schon lange nicht mehr wie noch als Schülerin beim Registrieren von Sexismus automatisch die Hand hebe und protestiere, sondern überdrüssig und müde geworden bin.)
Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie diese versprengten Ansätze und Argumente bündelt, den heutigen Stand des Feminismus aus ihrer Sicht festhält: Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute. Und es war wirklich sowas von Zeit für dieses Buch. Seit ich Jessica Valentis Full Frontal Feminism verschlungen habe (meine Güte, das ist schon sieben Jahre her?), fühlte ich schmerzhaft die Lücke, die Anne jetzt geschlossen hat – deutlich und explizit beeinflusst von Valenti und den US-Feministinnen um feministing.com und in anderen Blogs, gleichzeitig aber ganz klar verortet im Hier (Deutschland Ost und West, mit globaler Anbindung über das Internet) und Jetzt (third wave feminism).
Und das hat sie so frisch und zugänglich gemacht, dass ich die Hoffnung wage, in absehbarer Zeit könnte der deutsche Feminismus nicht mehr einzig und allein Alice Schwarzer (in Person und ihrer Generation) zugeordnet werden. Anne Wizorek präsentiert die heutige Generation von Feministinnen da draußen im echten Leben. Also auch abseits der akademischen Diskussion – die es unbedingt ganz dringend braucht, die aber nun mal leicht ausgrenzend wirkt. Der Feminismus, den Anne schildert und für den sie sich einsetzt, ist ein einschließender.
Dieser Feminismus berücksichtigt mehr als je zuvor alle Frauen, nicht nur implizit die weiße, gebildete Mittel- und Oberschicht der vorherigen feministischen Ansätze. Er schließt die Anliegen unter anderem von LGBTQI ein, Nicht-Weißer, Behinderter – kurz Mehrfachdiskriminierung. Und er wirbt in allen Nuancen um Männer als Verbündete, sei es mit dem Appell an Eigennutz (auch Ihr werdet durch Geschlechterstereotypen eingeschränkt!) oder an Gerechtigkeitssinn (Ihr könnt doch da nicht einfach zusehen!). Zentrale Aufforderung ist: Zuhören! Und das gilt selbstverständlich auch für Feministinnen. Meine Beispiele (nicht die von Anne): Kopftuch-tragende Musliminnen nicht stereotyp zu Opfern erklären, sondern mit ihnen reden, ihnen zuhören, ihre Anliegen verstehen. Sex-Workerinnen nicht aus der Porno- und Prostitutionsdebatte ausschließen, sondern… genau: Mit ihnen reden, ihnen zuhören, ihre Anliegen unterstützen. Aus dem Behindertenaktivismus kenne ich den Slogan: No discussion about us without us.
Ich fand besonders interessant, welche Themen Anne Wizorek in ihrem Buch in den Mittelpunkt stellt – also aus den unzähligen feministischen Themen priorisiert:
In Teil 1 greift Anne tagesaktuelle Diskussionen auf, angefangen vom Mythen und Missverständnissen zu Feminismus über Geschlechterquote, Pille danach, Unterdrückung durch Schönheitsideal1, die Wertung von care work bis zu LGBTQI-Rechten.
Teil 2 dreht sich dann konkret um den Fall #aufschrei: Wie es dazu kam, wie er verlief, was daraus geworden ist. Einen Kampf allerdings hat sie wohl leider verloren: Wir alle Beteiligten können noch so oft wiederholen, dass die Veröffentlichung des Brüderle-Artikels NICHT der Anlass für #aufschrei war. Erst letzte Woche erklärte die SZ das Phänomen Hashtag, nannte als ein Beispiel #aufschrei (gut!) und erklärte ihn – mit dem Brüderle-Vorfall. Als Nebenfachhistorikerin weiß ich: History is what came down to posterity. Und wenn sich die posterity einig ist, dass genau das die Kausalität war, ist das halt die historische Wahrheit.
Das zweite Kapitel nutzt Anne auch für einen kurzen geschichtlichen Abriss des Feminismus (immer mal praktisch zum Nachschlagen) und um die Rolle des Internets für den heutigen Feminismus zu erklären. Auch hier war ich von ihrer Klarheit und ihrer Professionalität beeindruckt: Aktivismus hat wirklich eine beachtliche Entwicklung durchgemacht, keine Sprecherin für ein Anliegen bildet sich mehr ein, er reiche, dieses Anliegen aus tiefstem Herzen zu vertreten. So ließ sich Anne zum Beispiel auf ihren Auftritt bei Jauch von zwei Fernseh-geübten Feministinnenfreundinnen an der US-Ostküste, Deanna Zant und Jaclyn Friedman, über Google Hangout vorbereiten und auch mit frischem Zahlenmaterial versorgen. Was wiederum nur ein Beispiel für den Community-Effekt des Internets auch beim Thema Feminismus ist.
Das Leben und Diskutieren im Internet wirkt sich auch auf die Form von Annes Buch aus: Gleich in der Einleitung thematisiert sie, wie sehr sich das Schreiben für ein gedrucktes Buch von dem im Web unterscheidet. Im Web belegen wir Verweise durch Hyperlinks, illustrieren Stimmungen durch Bilder – Anne besonders gern und pointiert durch GIFs. Und wie schon in Anke Gröners Buch Nudeldicke Deern wirkt sich das in Hunderten von Fußnoten aus: Es würde sich wie unseriöses Rumbehaupten anfühlen, Argumente, Zitate, Verweise nicht nachprüfbar zu belegen.
Zum Schluss gibt es auch noch einen Serviceteil mit Erklärung von Schlüsselbegriffen sowie Lese- und Hörtipps.
Ich bin ungeheuer gespannt, wie es nun weitergeht – und wünsche Anne und allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern genug Souveränität und Energie, gegen Niedertracht, Unsachlichkeit und Diffamierung durchzuhalten.
Zur Einstimmung zwei Interviews mit Anne Wizorek:
1 – Im Stern: “Die Erkenntnis aus #aufschrei? ‘Sexismus existiert'”.
(Lieblingssatz: “Ich glaube nicht, dass ich Ihnen eine Betriebsanleitung fürs Mannsein liefern muss.”)
2 – In Wired: “Aktivistin Anne Wizorek im Interview: ‘Der Weg zu Gleichberechtigung ist eben unbequem'”.
Lassen Sie uns über die Kugelform der Erde sprechen. Vielleicht sind Sie Astrophysikerin und können detailliert auseinandersetzen, dass unsere gesamte Existenz davon abhängt, dass es diesen Planeten ohne Kugelform im Universum überhaupt nicht gäbe und uns schon gleich gar nicht. Vielleicht sind sie Grafikerin und sich zumindest dessen bewusst, dass das Wissen um diese Kugeligkeit verhältnismäßig neu ist, haben sich aber nie damit auseinander gesetzt.
Lassen Sie sich von einer Sekretärin sagen: Für das moderne Businesskaspertum in einer globalisierten Unternehmenswelt ist die Kugelform der Erde ein Fluch! Spätestens wenn Sie, wie ich gestern mal wieder, einen Termin zwischen Teilnehmern vereinbaren sollen, die in Deutschland, Japan und an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika sitzen. Irgendwer schläft immer!
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Der Biergarten unterm Büro macht langsam dicht.
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Abends die Kisten mit den Winterklamotten aus dem Keller geholt. Und verifiziert, was mir seit einiger Zeit durch den Kopf spukte: Meinen Wintermantel in Schutzhülle, den ich im Frühling an ein Regal im winzigen Kellerabteil gehängt hatte – war der bei meinen seltenen Besuchen der vergangenen Monate im Keller überhaupt noch dort gehangen? Nein, war er nicht.
Dieses Kellerabteil hatte ich in unseren 15 Jahren hier im Haus nie verschlossen: Es gelangen nur Hausbewohner ins Untergeschoß, da der Zugang mit zwei Türen versperrt ist. Selbst den Aufzug bringt man nur mit dem Hausschlüssel zu einer Fahrt bis in den Keller. Und doch, so stellte ich gestern bestürzt fest, hat mir jemand meinen Mantel gestohlen.
Abgesehen davon, dass ich mir mal wieder naiv denke: Wer macht den sowas? Abgesehen vom Schmerz, dass sich diese höchste Ausgabe, die ich je für ein Kleidungsstück getätigt habe, nun doch nicht amortisiert (ich hatte den Mantel mindestens zehn Jahre tragen wollen, und seine Qualität hätte das sicher ermöglicht). Abgesehen von all dem habe ich nun keinen warmen Mantel für den Winter.
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Was kosten handgefertigte Dinge, deren Herstellung nicht in Billinglohnländer verschoben wurde? Ich werde immer wieder sturzwütend, wenn Menschen solche realen Preise reflexartig mit Abzockertum erklären (und sich selbst ohne Nachdenken nicht wundern, dass die Villen am Stadtrand keineswegs Schuhmacherinnen, Täschnern, Goldschmiedinnen, Korbflechtern, Töpfern oder Schneiderinnen gehören).
Deshalb freut mich sehr, dass Ella sich die Mühe gemacht hat, die Herstellung ihrer Quilts detailliert zu schildern: Was erfordert welche Arbeitsschritte, wie lange dauern sie etwa?
“‘Und was kostet sowas?’ – Ein Einblick in die Preisgestaltung meiner Quilts.”
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Zwar haben viele den Eindruck, Facebook oder Twitter würden ihre Hinweise auf gefährlichen Inhalt ignorieren. Doch tatsächlich beschäftigen alle Online-Plattformen Hunderte von Menschen, sich genau darum zu kümmern. Haben Sie sich jemals Gedanken gemacht, wie so ein Job aussieht und was er mit diesen Menschen macht?
“The Laborers Who Keep Dick Pics and Beheadings Out of Your Facebook Feed”.
So companies like Facebook and Twitter rely on an army of workers employed to soak up the worst of humanity in order to protect the rest of us. And there are legions of them—a vast, invisible pool of human labor. Hemanshu Nigam, the former chief security officer of MySpace who now runs online safety consultancy SSP Blue, estimates that the number of content moderators scrubbing the world’s social media sites, mobile apps, and cloud storage services runs to “well over 100,000”—that is, about twice the total head count of Google and nearly 14 times that of Facebook.