Archiv für Dezember 2019

Journal Donnerstag, 12. Dezember 2019 – Das war Eis

Freitag, 13. Dezember 2019

Ich hörte noch direkt hinter mir radelndes kleines Schulkind 1 einem radelndem kleinen Schulkind 2 zurufen: “Das ist Eis!” Da lag ich schon der Länge nach bäuchlings auf selbigem und konnte die Schulkinder informieren: “Ja, das ist Eis.” Auf dem Platz beim Deutschen Verkehrsmuseum war das zudem schmelzendes Eis, das meine Hosenbeine gründlich nass machte. Schulkind 1 erkundigte sich fürsorglich, ob alles in Ordnung sei (ich war überrascht und gerührt). Nachdem ich wieder stand und mich einmal geschüttelt hatte, konnte ich versichern: “Ja, alles in Ordnung.”

Die Hose war nach nicht mal einer Stunde im Büro wieder trocken, und künftig werde ich die Mahnung des umsichtigen Schulkinds 1 berücksichtigen, das ich beim Weiterradeln sagen hörte: “Lieber schieben.”

Im Lauf des Tages stellte sich allerdings heraus, dass dann doch ein paar Rippen rechts und das rechte Knie beleidigt waren. Und immer beleidigter schmerzten. Zudem: Ich weiß ja nicht genau, wie sich Schleudertrauma anfühlt, aber ich kann mir vorstellen, dass der zugehörige Nacken dabei so zieht.

Eigentlich war ich beim Radeln gerade in weiteren Gedanken über das Theatererlebnis am Vorabend gewesen, das mir immer besser gefiel. Mir wurde klar, dass ich im Grunde zum Thema Robotik das häufige OH MEIN GOTT WIR WERDEN ALLE STERBEN erwartet hatte. Dabei ist es doch immer wieder die Kunst, die grundlegende Technikwandel mit Neugier umarmt und künstlerisch durchprobiert. (Im Gegensatz zum Feuilleton.) Außerdem freute ich mich daran, Theater darin erlebt zu haben, was nur Theater kann Es brauchte diesen realen Raum und das direkte Erleben des Malle-Automaten, um darauf reagieren zu können, es brauchte die Konventionen des Verhältnisses Bühnengeschehen-Zuschauer.

Im Techniktagebuch-Redaktionschat, wo ich von der Aufführung schwärmte, wies jemand auf die besondere Bedeutung des Begriffs Maschine im Zusammenhang mit Theater hin. Fürs Techniktagebuch schrieb ich das Erlebnis nochmal auf.

Zum abendlichen Reha-Sport ging ich trotzdem, ich wollte den Abschluss des Programms Ende Januar, den ich herbeisehne, nicht durch eine Absage des Termins verzögern. Eine Runde sanfte Gruppengymnastik auf Wackelkissen: ging. Bei meiner Runde in der Gerätehalle musste ich nur die Beinpresse sofort abbrechen, zu diesem Zeitpunkt wollte sich das beleidigte Knie nicht mehr biegen lassen. Dieser Umstand machte auch das Heimradeln beschwerlich.

Zuhause erwartete mich Herr Kaltmamsell mit gefüllten Kartoffelplätzchen, die ich mir nach Lesen des Rezepts gewünscht hatte: Wohlschmeckend und sehr sättigend. Aber ein wenig albernes Speiseeiserl passte schon noch hinterher.

Bewegen war mittlerweile eine ziemliche Anstrengung geworden, ich machte mich auf eine schlimme Nacht gefasst.

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Auf Twitter wurde am Mittwoch gefragt:

Ich antwortete schon am Mittwoch ohne viel Nachdenken:

Soziologie studieren, einen Hund haben, Freunde in ganz Deutschland besuchen, mit dem Schiff nach Tel Aviv reisen, mit dem Zug nach Lissabon.

Das stimmt auch mit viel Nachdenken noch. Zudem: Mich nach weiteren Ehrenämtern umsehen (Wahlhilfe und Schöffinendienst weitermachen), vielleicht E-Bass lernen. Und mir fallen noch mehr Reiseziele ein, die ich mit so viel Zeit klimafreundlich langsam erreichen könnte, datunter Stockholm, Istanbul. Was ich ganz sicher nicht unter den oben beschriebenen Umständen täte: erwerbsarbeiten.

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Expertinnen meines persönlichen Dunstkreises weisen ja schon seit Jahren faktenreich darauf hin, dass die Furcht vor Aluminium in Deos unbegründet ist. (Und dass die eigentliche anti-transpirante Wirkung davon abhängt.) Aber Körperpflegeprodukte “ohne” lassen sich heutzutage halt einfach besser verkaufen. MedWatch hat sich die Studienlage angesehen:
“Bloße Panikmache? Alu-Deos sind laut neuen Studien sicher”.

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Geht doch:
“Merriam-Webster Singles Out Nonbinary ‘They’ For Word Of The Year Honors”.

Journal Mittwoch, 11. Dezember 2019 – Theater?

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Unglaubliche Spannung schon seit dem Vorabend: Würde ich es rechtzeitig aus der Arbeit schaffen, um noch genug Energie für einen Theaterbesuch aufzubringen? Würde ich es zum Theater schaffen? Würde die Vorstellung tatsächlich stattfinden? Mein Leben könnte von Robert Zemeckis geschrieben sein.

Davor aber: Frühes Aufstehen für eine Runde Crosstrainer, Dehnen, Bankstütz. Auf dem Crosstrainer hörte ich Musik und fühlte mich so wohl, dass ich viel länger strampeln hätte können – und mich sehr bewusst daran erinnern musste darauf zu achten, ob da irgendwas weh tut. Paradoxerweise führt leichte sportliche Bewegung offensichtlich bei mir dazu, dass ich meinen Körper vergesse.

Radeln in die Arbeit unter klarem Himmel. Auf der Theresienwiese gefrorene Pfützen umsessen von vereinzelten Krähen, darüber zogen Möwen.

Ruhige Arbeit, mittags ein Kopf Radicchio mit Balscamico-Ahornsirup-Thymian-Dressing. Spannungslösung 1: Ja, ich schaffte es deutlich früher als sonst das Büro zu verlassen.

Beim Heimradeln bemerkte ich riesige Lust auf eine Bratwurst. Und da ich erwachsen bin und genug Geld habe, konnte ich einfach mein Rad abstellen, zum Christkindlmarkt am Sendlinger Tor spazieren und eine Rengschburger spezial kaufen. Die mir ausgezeichnet schmeckte.
Davor hatte ich wie geplant einen Abstecher zum Spanischen Früchtehaus an seiner Übergangsadresse Rosental gemacht und erfahren, dass der Laden Ende Januar zurück ins Ruffinihaus zieht.

Daheim Brotzeit für Donnerstag zubereitet: Karottensalat (wenn auch ohne Koriander).

Herr Kaltmamsell war beruflich unterwegs, also machte ich mir zum Nachtmahl selbst ein paar Nudeln, die ich mit frische roter Paprika und Joghurt vermischte.

Spannungslösung 2: Ja, ich ich ging ins Theater, Kammer 3, gemütlich zu Fuß (auch wenn ich ab der Hälfte der Strecke ahnte, dass ich meine Hüfte mal wieder überschätzte). Und Spannungslösung 3: Die Vorstellung fand statt. Ich sah Unheimliches Tal / Uncanny Valley.

Der Titel ist ein Fachbegriff aus der Robotik und bezeichnet den scheinbar paradoxen Effekt, dass Menschen “hochabstrakte, völlig künstliche Figuren mitunter sympathischer und akzeptabler [finden] als Figuren, die besonders menschenähnlich bzw. natürlich gestaltet sind” (Das und mehr bei Wikipedia.). Die einstündige Performance setzte das um.

Autor Thomas Melle hielt einen Vortrag – nein, eine Maschine, die ihm nachgebildet war und ihn mit “ich” verkörperte, hielt mit seiner aufgezeichneten Stimme einen Vortrag: über Thomas Melle und Alan Turing, über die Fehlerhaftigkeit des Menschen (zum Beispiel in Form der bipolaren Störung, an der Melle erkrankt ist) und über die Alternativen, die Maschinen dazu bieten können. Auf einer Schultafel-großen Leinwand wurden dazu Interviews gezeigt zu maschineller Unterstützung (hier tauchte @ennopark mit seinem Cochlea-Implantat auf, ich war versucht zu winken), zu den Grenzen maschineller Selbstbestimmung. Und es wurde als Film gezeigt, wie die Thomas-Melle-Maschine entstanden war, die wir gerade vor uns sahen.

Immer wieder thematisierte der Vortrag die konkrete Situation in dieser Vorführung, sprach die Stimme uns Zuschauende an, wies abschließend darauf hin, dass wir ruhig applaudieren könnten – auch wenn wir das in dieser Situation ja nur für uns selbst täten.

Entsprechend herrschte nach einer Stunde leise Ratlosigkeit, ob die Vorführung nun zu Ende war. Die Inszenierung half uns nicht mit Licht, das den Zuschauerbereich erhellt hätte, statt dessen errichteten zwei Bühnenarbeiter eine Absperrung um den Aktionsbereich auf der Bühne. Nach und nach standen Zuschauerinnen und Zuschauer auf und sahen sich die Melle-Maschine (die immer noch blinzelte und leichte Handbewegungen machte) genauer an.

Eine sehr anregende Stunde (und genau richtig lang) mit klugen und offenen Überlegungen zur menschlichen Psyche, die Formbarkeit von Erinnerung, zu menschlichen Schwächen, Maschinentum – Empfehlung. Auch wenn der Altersschnitt im Publikum wie immer hoch war, sah ich Menschen, die ich zumindest auf unter 30 schätzte – allerdings neige ich dazu, diese Altersklasse sofort als Fachpublikum aus Studium oder Beruf einzustufen.

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Behind the scars: Eine Website (Fotoprojekt), auf der Menschen die Geschichten ihrer Narben erzählen.

via @formschub

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Ein instagram-Account macht mir Lust auf Sticken: nämlich die Landschaften von chromato_mania.

Journal Dienstag, 10. Dezember 2019 – Auffassungen von “gemeinsam kochen”

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Der Dezember wird wieder lang, selbst wo ich diesmal ein paar Tage früher in Ferien gehe.

Kalter Tag, viel Arbeit, viele Besprechungen, Sorgen. Mittagessen Nudeln mit Kürbis und Salbei vom Vorabend (in der Mikrowelle erwärmt, ich kann Mikrowelle!), die Kerne eines großen Granatapfels.

Beim Heimradeln kehrte ich in den Vollcorner ein, um fürs Abendbrot einzukaufen, nämlich für wärmendes Comfort Food Shakshuka.

Das kochten Herr Kaltmamsell und ich gemeinsam, also er schnippelte, briet und rührte, ich trank den restlichen Weißwein vom Vorabend (die Luft hatte ihm gut getan, schmeckte vielfältiger), machte ein bisschen an der Geschirrspülmaschine herum, die mal wieder einen Reinigungsdurchlauf brauchte. (Herr Kaltmamsell deutete an, dass er das nicht für “gemeinsam kochen” hielt.)

Ich genoss das Essen sehr. Zur Nachspeise eine abgefahrene Eissorte von Ben & Jerry’s mit rose Schokoladenherzen drin, nett.

Lustiger Austausch mit einer Kalt-Verkäuferin auf instagram: Kein Kontakt von mir, das Konto mit einer Frau im Profilbild hatte mich mit einer Nachricht kontaktiert “Ich würde dich gerne was fragen” (Smiley, natürlich). Auf mein “Ja bitte?”: “2019 neigt sich ja dem Ende zu und da wollte ich dich fragen, ob du motiviert wärst nochmal Vollgas für deine Gesundheit und körperlichen Ziele zu geben, um voll motiviert ins neue Jahr zu starten?” (Gefolgt von drei Emoticons.)
Meine Rückfrage: “Sind Sie Spam?”
“Ich bin Micro-Influencerin. Kein Spam.” (Nur ein Smiley.)
Ich wieder: “Welches Micro influencen Sie denn?”
“Also Micro-Influencer sind ja Menschen wie ich, die über Socialmedia mit einer Kooperationsfirma zusammen arbeiten. Wir sind Ambassador der Company, d.h. wir empfehlen deren Produkte und Konzepte weiter, mit dem wir Menschen helfen, ihre Ziele zu erreichen. Hast du denn ein körperliches Ziel.” (Zwei Emoticons. Alle Schreibungen genau so.)
Daraufhin fragte ich, ob sie auch Produkte gegen Bandscheibenvorfälle und Hüftschmerzen verkauft. Und merkte an, dass sie mich sehr an die Verkaufsstände in der Fußgängerzone erinnere, die den neuesten Gurkenhobel anpreisen. (Keine Reaktion mehr.)
Werde diese Verkaufsstände ab sofort RL-Micro-Influencer nennen.
(Ob es wohl genug davon gibt, dass Lektorat und Korrektorat für Influencer-Texte ein Geschäftsmodell wäre?)

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Ich habe der Einrichtung “Best Practice” früh zu misstrauen gelernt: In einem früheren Leben, in dem ich noch Managerinnen-Fortbildungen absolvierte, entdeckte ich in jeder dieser “Best Practice”-Fallgeschichten unzählige Umstände, die nur für dieses Beispiel galten, nicht übertragbar waren und im Beispiel zum Erfolg geführt hatten.
Deshalb: Diese BVG-Kampagne ist hinreißend – aber sicher kein Vorbild für irgendwen anders.

https://youtu.be/1Pipy_7nyr0

Journal Montag, 9. Dezember 2019 – Lange Winterschatten

Dienstag, 10. Dezember 2019

Nach mittelguter Nacht noch vor dem frühen Wecker aufgewacht. Genug Zeit für seliges Crosstrainer-Strampeln und eine Runde Dehnen plus Kräftigung.

Radeln in die Arbeit durch einstellige Plusgrade.

Mittelschlimme Arbeit, dazwischen zu Mittag ein paar Kürbischnitze vom Vorabend mit einem Stück Käse und einer Breze. Nachmittags zwei Orangen.

Kurzer Hofgang – so lang sind winterliche Schatten um halb zwei.

Langer Arbeitstag, an dessen Ende ich erledigt und fertig mit der Welt war. Dennoch überwand ich mich, auf dem Heimweg einen kurzen Einkaufsstopp einzulegen: Obst und Gemüse für Brotzeit, dazu Eiscreme für alle Fälle.

Daheim den Plätzchenteig zu Schneeflocken verarbeitet.

Dann freute ich mich sehr auf Alkohol: Es wurde ein nordspanischer Weißwein Marisa, von dem ich mir erhoffte, dass er gut zu dem Abendessen passen würde, das Herr Kaltmamsell zubereitete – auf meinen Wunsch hin Nudeln mit Kürbis und Salbei.

Das Gericht schmeckte sehr gut, der Wein passte aber nicht so recht – obwohl auch er gut schmeckte.

Neues Erstaunen über Kosmetikverkauf. Ich war morgens verdutzt gewesen, dass die teure Augencreme zur Neige zu gehen schien: Da ich davon ja immer nur winzige Tupfer brauche, hält eine Packung normalerweise sehr lang, und die sah auch noch besoners groß aus.

(Zahnbürstenköpfe als Größenvergleich.)

Als ich den Behälter aufschraubte, um an den Rest zu kommen, stellte ich fest, dass die tatsächliche Tube darin winzig war.

Ich weiß nicht, was mich mehr abstößt: die Materialverschwendung oder die optische Schummelei.
Die nächste Augencreme (im Gesicht verwende ich sonst nur Gesichtswasser) wird wieder eine Tube.

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Oh! Feministing macht zu! (Und andere feministische Web-Plattformen.)
“A Farewell to Feministing and the Heyday of Feminist Blogging”.

Bei dieser Gelegenheit merke ich durchaus, wie selten ich in den vergangenen Monaten dort gelesen habe. Aber in meiner persönlichen feministischen Geschichte hatte dieses Online-Magazin eine Schlüsselrolle. 2004/2005 nahm ich die Website noch als Gemeinschaftsblog wahr – und was für eines! Hier lernte ich jungen Feminismus einer neuen Generation kennen: Einen, der Missstände klar benannte, strukturelle Ursachen analysierte – und endlich alle Frauen meinte, von und vor allem mit allen Frauen sprach, der herausarbeitete, dass es strukturelle Mehrfachdiskriminierung gibt (u.a. Frauen of colour, behinderte Frauen, Frauen aus der Arbeiterschicht). Der die Selbstbestimmung von Frauen als Ziel in den Vorergrund rückte und sich auch solidarisch erklärte mit selbstbestimmtem Hijab-Tragen und selbstbestimmter Sexarbeit. Kurz: Feministing machte meinen Feminismus zu dem, der er heute ist. (U.a. 2007 das Buch von Gründerin und Autorin Jessica Valenti, Full frontal feminism.)

Tief empfundener Danke dafür. Viele, viele Autorinnen arbeiten und schreiben heute in den Redaktionen etablierter Medien. Time to move on.

Journal Sonntag, 8. Dezember 2019 – Rückreise durch drei Länder

Montag, 9. Dezember 2019

Aufgewacht nach sehr gutem (!) Schlaf, vom Wecker geweckt zu einem sonnigen Tag.

Frühstück bei den Gastgebern vom Vorabend. Es war sehr schön, erst jetzt Abschied nehmen zu müssen.

Bus zur Bahn, Zug zurück nach Zürich. Abenteuer 1: Ein Klo, durch dessen Schüssel man auf die Gleise sehen kann, hatte ich schon sehr, sehr lang nicht mehr gesehen. Abenteuer 2: Am letzten Bahnhof vor Zürich stieg eine Frau zu, der beim Abfahren auffiel, dass sie ihre Handtasche im Vorgängerzug vergessen hatte, mit Geldbeutel, Fahrkarte, allem. Sie fragte uns um Rat, Herr Kaltmamsell versuchte Personal zu finden, das den anderen Zug hätte verständigen können, doch es war kein Schaffner, keine Schaffnerin da. Uns fiel auch keine andere Lösung ein, als sich im Zürcher Bahnhof ans Bahnpersonal zu wenden.

Wir hatten noch Zeit, uns am Zürcher Bahnhof Brotzeit zu holen (Panini, Schokocroissant), spazierten zum Busparkplatz.

Auf der Rückfahrt las ich Kathrin Passig, Vielleicht ist das neu und erfreulich und freute mich mal wieder an ihrem Aufspüren von Haltungen hinter den Haltungen, sich selbst gegenüber mindestens so skeptisch.

Abenteuer 3: Wenige Minuten nach der österreichisch-deutschen Grenze hielt der Bus in einer Bucht, Passkontrolle der (sehr freundlichen) Polizei – auch das hatte ich viele, viele Jahre nicht mehr erlebt. Das Sitzen wurde minütlich unangenehmer, ich versuchte mich wenigstens im Gang halb aufzurichten und kurz ein wenig anders hinzudrehen.

Kurz vor München der erste Stau der Reise, so trafen wir mit 15 Minuten Verspätung am ZOB ein. Die Luft war mild, ich genoss es, zu Fuß heim zu gehen.

Zu Hause Ausbruch von Häuslichkeiten: Zwei Maschinen Bettzeug und Handtücher, Plätzchenteig für Schneeflocken nach Frau Mutti.

Telefonat mit meiner Mutter: Seit einem Jahr essen die Nifften ja kein Fleisch und keinen Fisch mehr, sie sucht nach vegetarischen Rezepten, auch für Weihnachten. Ich gab gleich mal zwei meiner Favoriten weiter: Krautstrudel aus Österreich vegetarisch, die seit über 25 Jahren bewährte Linsen-Moussaka aus Delia Smith’s Complete Cookery Course musste ich erst mal übersetzen.

Zum Nachtmahl Spalten vom Butternut-Kürbis (Ernteanteil) aus dem Ofen, dazu servierte Herr Kaltmamsell Omelett mit Manchego-Käse. Im Fernsehen lief ein wirrer Polizeiruf (ich hatte von nicht-realistischen Erzählen gelesen und durchaus deshalb hingeschaltet), der so gewollt und aufgesetzt wirkte wie manche zeitgenössische Theater-Inszenierung.

Wohnungräumen mit schwerem Herzen, weil eine weitere unangenehme Arbeitswoche anstand.

Journal Samstag, 7. Dezember 2019 – Geburtstagsfeier in bei Basel

Sonntag, 8. Dezember 2019

Frühes Aufstehen, um vor dem Aufbruch noch bloggen und bankstützen zu können.

Herr Kaltmamsell wollte gerne sehr rechtzeitig am Zentralen Omnibusbahnhof ZOB sein, also hatten wir noch reichlich Zeit zum Brotzeitbesorgen und uns umzusehen. Der IC Bus, den uns die Deutsche Bahn sowohl online als auch am Schalter als Bahn(!)-Verbindung verkauft hatte, stellte sich als eine von neun Direktverbindungen zwischen Städten heraus, die die Deutsche Bahn jetzt per Bus bedient. Die alternative Verbindung über Lindau und Friedrichshafen (Zug, Bus, Zug) hätte einmal Umsteigen und anderthalb Stunden Fahrtzeit mehr bedeutet. (Außerdem ist Reisebus tatsächlich das CO2-freundlichste Reisemittel, umso mehr, wenn er voll besetzt ist.) Wir zahlten für zwei Personen hin und zurück (beide Bahncard 25), als Supersparpreis 75 Euro.

Der Reisebus war zweistöckig, das Personal trug Bahnuniformen und war lässig freundlich, alle Plätze waren besetzt, es gab WLAN. Ich las die Wochenend-Süddeutsche und das SZ-Magazin vom Freitag, guckte aber auch viel aus dem Fenster.

Bodensee bei Rohrschach, der Tag war grau und regnerisch. Der am deutlichsten spürbar Unterschied zur Zugreise: Man kann nicht ganz aufstehen, sich strecken, dehnen, ein wenig auf und ab gehen. Dreieinhalb Stunden Sitzen fiel mir arg schwer.

Zürich erreichten wir pünktlich und problemlos, mussten uns allerdings erst ein wenig orientieren: Der Busbahnhof war ein unbedachter, eher kleiner Parkplatz, von dem aus wir zehn Minuten zum Bahnhof spazieren mussten.

Aber wir bekamen Sonnenschein.

Ich hatte mittlerweile gemerkt, dass ich nur die Hälfte meines Schminkzeugs in den Kulturbeutel geworfen hatte – egal, genau Lidstrich und Wimperntusche gingen eh gerade zur Neige und wir hatten noch Zeit beim Umsteigen. Im Bahnhof fand ich einen Laden, in dem ich nachkaufte (zu Schweizer Preisen, Vergesslichkeit muss bestraft werden).

Am Zielort richteten wir uns im Pensionszimmerchen ein, ruhten aus, lasen: Joël hatte uns einen Kurzgeschichtenband einer preisgekrönten luxemburger Autorin geschenkt, Elise Schmit – las sich sehr gut weg. Bis wir uns für die abendliche Geburtstagsfeier fertig machten und zu ihr spazierten.

Es gab Wiedersehen mit großem Hallo, Köstlichkeiten aus Kürbis, Roter Bete, Blaukraut, Sellerie, ein besonders bemerkenswerter Pilz-Pie mit cremiger Linsen-Champignon-Füllung, Süßigkeiten, Winzersekt, Basilikum-Drinks, zu all den Gesprächen durfte ich auch noch zwei Katzen streicheln. Zudem: Zu meiner großen Freude eine Einladung für nächsten Mai.

Nach Langem gehörte ich (UND Herr Kaltmamsell!) zu den letzten Gästen.

Journal Freitag, 6. Dezember 2019 – Überraschender Nikolaus

Samstag, 7. Dezember 2019

Frisch und munter nach einer guten Nacht aufgewacht (dank Ibu?), in der ich viel von der bevorstehenden Geburtstagsfeier am Samstag geträumt hatte.

Früher Wecker, um nochmal sporteln zu können: 25 Minuten Crosstrainer, Dehnen, Ortho-Bankstütz, seitliche Bauchmuskeln (den Seitstütz, den mir Dr. Orth2 auftragen wollte, verweigerte ich noch vor Ort – zu starke LWS-Schmerzen; aber es gibt ja Alternativen).

UND! Im Wohnzimmer stand neben meinem Laptop ein Schokoladennikolaus, mit dem mich Herr Kaltmamsell wirklich überraschte – ich hatte dieses Jahr völlig vergessen, ihm mit Zaunpfählen zu bedeuten (transparente Kommunikation, so wichtig in Beziehungen), dass er besser mal für einen Nikolaus an Nikolaus sorgen möge. Der Zaunpfahl von 2018 war wohl groß genug für ein paar Jahre.

Ein Twitterer (und gleichzeitig eine Internet-Bekanntschaft, seit er noch in der Schule war – mittlerweise hat er sogar einen Dr.) formulierte gestern treffend, wie ich durchs Leben gehe, das ich ja als Last empfinde: Die Suppe in den Haaren suchen.

Sonniger Tag, morgens frostig, doch über den Tag wurde es ein wenig milder. Mittags eine Breze und Quark mit Apfel, nachmittags ein wenig Schokolade aus dem Adventskalender, den mir ein Dienstleister geschenkt hatte.

Sehr pünktlicher Feierabend, ich hatte noch Dinge vor. Erst mal kaufte ich Abendessen ein: Im Vollvorner sah ich mich an der Fleischtheke um und entschied mich für “Lamm-Steaks” (sah mir nach Scheiben von der Keule aus), dazu Romanasalatherzen.

Zu Hause “erst die Pflicht, dann das Vergnügen” (einer der ehernen Sprüche, mit denen ich erzogen wurde): Bügeln. Eigentlich hatte ich nur das Nötigste für die nächsten Tage bügeln wollen, doch dann bügelte ich den ganzen Podcast lang, den ich mir dafür ausgesucht hatte:

Katharina Borcherte, einst Lyssa, inzwischen Chief Innovation Officer bei Mozilla, wird eine Stunde für den Zeit-Podcast Frisch an die Arbeit interviewt.
“Katharina Borchert: ‘Mir ist bewusst, dass das Leben sehr kurz sein kann'”.

Ich erfuhr einiges Neues über ihre journalistische Karriere und wurde überzeugt, dass ihr der superanstrengende Arbeitsstil, den sie seit Antritt bei der WAZ 2006 hat, wirklich, wirklich Spaß macht. (Menschen sind verschieden!)

Als Snack vorab hatte Herr Kaltmamsell den Grünkohl aus Ernteanteil zu Chips verarbeitet, dann gab es das Lamm mit dem Salat (Knoblauchjoghurtmajo, drübergestreut den Ruccola aus Ernteanteil), dazu Luxemburger Cremant Alice Hartmann.

Absprachen zur samstäglichen Fahrt nach Basel, wohin die Deutsche Bahn uns diesmal erst mit dem Bus nach Zürich schickt. (?)

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Auf dem Blog Textile Geschichten die sehr interessante Geschichte der “Gelbsterne” Anfang des 20. Jahrhunderts, gleichzeitig Historie des Kleidungskaufs:
“Probierdamen und Idealmaße 1900”.

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Zum Thema des gestrigen Blogposts Misshandlung hatte ich erst am Abend zuvor einen Text im aktuellen Granta gelesen. Der schwedische Psychiater Ulf Karl Olov Nilsson schreibt über das, was schweres Trauma mit Menschen anrichtet – und was das für den Umgang mit Flüchtlingen bedeuten kann.
“The Poetics of Trauma”.