Archiv für Januar 2021

Journal Sonntag, 17. Januar 2021 – Schneetag drinnen

Montag, 18. Januar 2021

Zerstückelte Nacht, dennoch fühlte ich mich beim Aufwachen kurz vor sieben erfrischt.

Ich meldete mich online zur Covid-19-Impfung an, für Bayern geht das auf dieser Website. Dazu muss man sich erst mal registrieren, dann mit diesen Daten einloggen, Online-Formular ausfüllen (der Risikofaktor Bluthochdruck verbirgt sich hinter dem Fachbegriff “arterielle Hypertension” – ich hatte den Verdacht, das sollte ein aktives Verstecken sein, weil der wohl auf viele zutrifft), abschicken.
Bestätigungsmail: “Ihre Anmeldung zur COVID-19 Impfung wurde erfolgreich entgegengenommen.”
Jetzt heißt es warten, bis ich in ein paar Monaten dran bin. Doch sehr wahrscheinlich komme ich durch aktive Anmeldung schneller an eine Impfung als durch Warten, dass man mich findet.

Sport war gestern eine Stunde Reha-Kraftsport. Ich hoffe, es wirft mich nicht in der Heilung zurück, wenn ich ihn nur einmal die Woche schaffe.

Draußen schneite es ein wenig, eigentlich den ganzen Tag über.

Gegen Mittag machte ich einen vereinbarten Abstecher zu den Mietern unserer künftigten Wohnung, um ein paar Wände auszumessen (einmal für den Schreiner, der den Einbauschrank anfertigen soll, zum anderen für Herrn Kaltmamsells Buchregalplanung). Der Ausblick aus meinem künftigen Schlafzimmer:

Zum Frühstück gab’s Brot aus eigener Fertigung (auch am Tag nach Backen sehr gut) mit Butter und Schinken, eine Schüssel Granatapfelkerne.

Einen unangenehmen Brief geschrieben, um den ich mich seit Wochen drücke (es geht um die Einforderung einer ausstehenden Rückzahlung). Ehrlich gesagt seit Monaten. Wenn das nicht funktioniert, muss ich mich nach professioneller Unterstützung umsehen.

Im Sessel die Wochenend-Zeitung gelesen, immer wieder raus in den Schnee geschaut. Ich beschloss, dass mir das so gefiel: aus dem gemütlichen Drinnen rauszuschaun. Und nach Langem mal einen Tag nicht rauszugehen.

Statt dessen bügelte ich ein Stündchen, mehr hatte sich in den vergangenen Wochen nicht gesammelt. Dabei hörte ich ein Stück Podcast Plötzlich Bäcker von Lutz Geißler mit Holger Klein, es ging um “Faule Brote für faule Bäcker”.

Im bereits Dunkeln gönnte ich mir eine Runde Yoga, die Einheit 8 bestand aus purer Sanftheit (mache ich nicht ein zweites Mal, hebe ich mir für Bedarf nach Entspannung auf).

Als Nachmittagssnack ein Schüsselchen Zwetschgen – ohne Teig, ganzganz ausnahmsweise warfen wir gestern ein Lebensmittel weg.

Ich las weiter in Bernardine Evaristo, Girl, Woman, Other, das mir sehr viel Vergnügen bereitet. Passend dazu stand anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung im jüngsten SZ-Magazin ein Interview mit ihr (€):
“‘Ältere Frauen sind viel interessanter als junge Leute'”.
Unglücklich gewählte Überschrift, dass ist sicher nicht die zentrale Aussage des Interviews: Evaristo geht es viel mehr um das Sichtbarmachen nicht-weißer Menschen in der britischen Gesellschaft – wie sie schon nach der Auszeichnung mit dem Booker Price 2019 betonte.

Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell die spanischen Wurstwaren aufgebraucht, die ich vor Monaten gekauft hatte und dann im Kühlschrank vergessen: Es gab Kutteln auf Madrider Art (Callos a la Madrileña).

§

Antje Schrupp dröselt auf, wie wir so tief ins Pandemie-Schlamassel geraten konnten:
“Warum Corona tödlicher ist als Ebola”.

Bei einem Virus wie Corona haben Chefs ein persönliches Interesse, ihre 100 Mitarbeiter:innen ins Büro zu holen. Denn selbst wenn dort Corona zirkuliert und sich die Hälfte der Leute ansteckt, stirbt statistisch nur einer oder zwei. Ein Risiko, das viele bereit sind, einzugehen. Würde es sich hingegen um Ebola handeln, müsste der Arbeitgeber damit rechnen, dass im Fall eines Ausbruchs die Hälfte der Belegschaft hinterher tot wäre – dieses Risiko wird er nicht eingehen, nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus reinem betrieblichem Eigeninteresse. Wäre Corona Ebola, wären längst alle im Homeoffice, die das nur irgend könnten.

(…)

In Europa herrscht eine Art Common Sense darüber, dass es falsch ist, moralische Ansprüche an Menschen (also zum Beispiel auch sich selbst) zu stellen, dass es in ethischer Hinsicht völlig okay ist, egoistisch zu handeln, solange man nichts Illegales tut. Aus diesem illusionären Traum wurden wir nun von Corona unsanft geweckt. Corona hat uns gezeigt, dass unsere Kultur, in der es als moralisch legitim gilt, in erster Linie die eigenen Interessen zu verfolgen, solange es im Rahmen einer formal-demokratischen Rechtsstaatlichkeit geschieht, nicht in der Lage ist, externe Herausforderungen zu bewältigen.

Journal Samstag, 16. Januar 2021 – Hefeteig-Fiasko und Winterspaziergang

Sonntag, 17. Januar 2021

Ausgeschlafen, nach einem Aufwachen um fünf aber nur bröckerlweise.

Den Vormittag im Haushaltswirbel verbracht:
– Zwei Maschinen Wäsche waschen, in Aufhängen und Trockner sortiert, entsprechend verarbeitet.
Abend-Brot in allerlei Einzelschritten gebacken.
– Zwetschgendatschi aus dem letzten Tiefkühl-Paket elterlicher Zwetschgen zubereitet.
– Bank- und Seitstütz, eine Runde Cardio auf dem Crosstrainer mit Blick in einen hellen Wintertag, an dem ganz selten die eine oder andere deko-hübsche Schneeflocke trudelte.

Das Brot geriet hervorragend.

Der Zwetschgendatschi aber nicht: Seltener Fall von komplett totem Hefeteig (Hefe war frisch und hatte im Brot gewirkt, Milch nicht zu heiß). Er hatte sich auch nach 90 Minuten Gehen im Warmen nicht einen Millimeter bewegt, und während ich mich selbst in diesem Fall sonst auf eine Reaktion im Backofen verlassen konnte, blieb der Teig auch nach 40 Minuten bei 180 Grad flach. (Jajaja, der Bäckervater von Novemberregen lehrt, dass man dem Hefeteig einfach genug Zeit lassen müsse, irgendwann werde er sich schon rühren. Doch ich hatte nicht unendlich Zeit, weil ich mit Herrn Kaltmamsell zum Spazierengehen verabredet war.)

Diesmal stimmte nicht mal “schmeckte trotzdem”: Der Teig hatte die Konsistenz einer dicken gekochten Lasagneplatte, und das war unter Zwetschgen schon arg seltsam. Im schlechten Sinn.

Zum Frühstück aß ich Birchermuesli mit Joghurt und zwei echten Mandarinen (köstlich, aber voller Kerne).

Für einen Spaziergang nahm ich Herrn Kaltmamsell mit zu der Strecke überm Isartal, die ich schon mal nach Weihnachten gegangen war. Wir ließen uns von einer (entspannend leeren) S-Bahn durch die Sonne nach Großhesselohe fahren und gingen los.

Am Isarfräulein.

Anders als bei meinem letzten Spaziergang stiegen wir in Pullach eine Treppe hinunter zur Isar (zum Glück mit Geländer zum Festhalten, sie war durch Schnee und Eis sehr rutschig) und spazierten auf dem Damm zwischen Isarwerkkanal und Isar zurück.

Burg Schwaneck.

Wir sahen einen Bussard im schrägen Sonnenlicht auf einer Nadelbaumspitze landen, nach einer Umschau nochmal auffliegen, wieder landen – ganz schön beeindruckend.

Auf der Rückfahrt trug ich wie schon auf der Hinfahrt erstmals eine FFP2-Maske (beide Bestellungen sind mittlerweile eingetroffen, ich kann den Anbieter Siegmund Care empfehlen). Bloß: Das ist schon eine ganz andere Nummer als die leichten OP-Masken, die ich in der Arbeit oder auf meinen Wegen durch die Innenstadt fast nicht spürte. Damit sie ordnungsgemäß abschließen kann, sind die Bänder der Maske eng und drücken hinter den Ohren, durch den deutlich dickeren Stoff fällt das Atmen schwer – ich fühlte mich sehr unwohl und bekam Kopfschmerzen. Mal wieder höchsten Respekt vor dem medizinischen Personal, das seine ohnehin anstrengenden Arbeitstage dadurch erschwert. Allerdings werde ich wohl für längeres Tragen ein Band über den Hinterkopf verwenden, das sollte bequemer sein.

Ich freute mich wieder an der Temperatur: Beim Spazierengehen war mir in ganz normaler Winterkleidung (gefütterte Stiefel, Jeans, T-Shirt und Wollpulli, Mantel, Schal, Mütze, Fäustlinge) wohlig warm. Daheim begann ich trotz Heizung zu frieren und musste mir heißen Tee kochen. Wie praktisch, dass das Gewebe um die lange OP-Narbe immer wieder heiß wird und ich meine rechte Hand daran wärmen kann.

Im Abendlicht aß ich Zwetschgen…dings, kein echter Genuss, aber sättigend.

Gestern fand der erste CDU-Parteitag im Internet statt. Meine Twitter-Timeline schien ihn zu einem großen Teil zu verfolgen – was mich überraschte. Ich bilde mir ein, dass Nicht-CDU-Wähler die Bestimmung eines neuen Parteivorsitzenden bislang nicht in allen Details so mitnahm (es wurde Armin Laschet).

Herr Kaltmamsell sorgte fürs Nachtmahl, es gab aus Ernteanteil Rote-Bete-Suppe, dazu frisches Brot und aufgetauten Weihnachtsschinken. Dazu die letzte Flasche Gut Oggau Atansius 2013.

§

Nach dieser Berechnung (via Crocodylus) und Berücksichtigung meines Bluthochdrucks ist das meine Aussicht auf Covid-19-Impfung.

Damit kann ich gut leben.

Journal Freitag, 15. Janaur 2021 – Ende der ersten vollen Arbeitswoche

Samstag, 16. Januar 2021

Wieder ein recht eisig-rutschiger Arbeitsweg, ich bewunderte vor allem die Radlfahrerinnen und Radler.

Eisiger und schöner Nebel über der Theresienwiese, dann wurde es sonnig, blieb allerdings kalt.

In der Arbeit nützlich gewesen, das ist ein gutes Gefühl. Vormittags eine Butterbreze, mittags eine Breze, Joghurt mit Orangen, nachmittags Kekse.

Auch der Heimweg war eisig, doch wieder litt ich nicht unter der Kälte. Zu Hause setze ich zwei Sauerteige fürs samstägliche Brotbacken an, es wird Abend-Brot aus dem Plötzblog geben. Weizen- und Roggensauerteig hatte ich Donnerstagabend aufgefrischt. Dazu bin ich in letzter Teig übergegangen: Die Sauerteige nicht alle paar Tage zu füttern und dann wegen seltener Verwendung große Mengen wegzuwerfen, sondern sie vor ihrem Einsatz aufzufrischen – das verbraucht weniger Mehl (macht sie aber wahrscheinlich auch weniger triebstark).

Meine erste Ganztages-Fünftagewoche seit Ende September war gut erträglich, aber vor allem in diesen Pandemiezeiten kein wirklich schönes Leben. Auf jeden Fall werde ich versuchen, den einen oder anderen Tag die Woche von daheim zu arbeiten, irgendwie meine damit kompatiblen Tätigkeiten dafür zu sammeln – das sind mir im Büro dann doch zu viele Kontakte.

Zur Feier des Wochenendes gab’s Prosecco zu lustiger Unterhaltung mit Herr Kaltmamsell, als Thekenersatz in der Küche an die Arbeitsfläche gelehnt (ergab sich so).

Das Nachtmahl, wieder von Herrn Kaltmamsell serviert: Kalbsleber mit Apfel und Zwiebel, Bratkartoffeln, dabei Zwiebeln und Kartoffeln aus Ernteanteil.

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Ein Podcast über seltene und sehr seltene Tiere (in idealer Länge von sechseinhalb Minuten), in dieser Folge:
“Kreaturen Podcast – Folge 16: Die Bayerische Kurzohrmaus mit Kathrin Passig”.

Bereits in der ersten Minute rief ich zweimal “NEIN!”, denn 1. wurde diese Maus vom Leiter der Vogelwarte Garmisch entdeckt, die es also wirklich gibt (mein seinerzeitiger Standardscherz beim Melden am dauerklingelnden Stationärtelefon von Kolleg*innen: “Vogelwarte Garmisch.” BRÜLLER!), 2. wurde auf dem Fundort des Viecherls das Klinikum Garmisch gebaut, dem ich mein neues Hüftgelenk verdanke. Möglicherweise ist die Bayerische Kurzohrmaus mein Patronus.

Journal Donnerstag, 14. Januar 2021 – China Miéville, The City and the City

Freitag, 15. Januar 2021

Die Nacht war wieder ein bisschen besser, ich arbeite mich an Normal heran.

Temperatur knapp über Null, dennoch vorsichtiger Arbeitsweg, weil genau bei diesem Wetter der Boden gerne mal mit Glätte überrascht. Abkürzung des letzten Wegstücks durch die U-Bahn-Unterführung Heimeranplatz.

Nachdem schon seit Wochen auf den Werbeflächen unten an den Gleisen nur Eigenanzeigen der Stadtwerke zu sehen waren (die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG gehört zu den Stadtwerken), gibt jetzt auch niemand mehr Geld aus für die Großflächenplakate in den Gängen. Wieder ein bisschen apokalyptisch.

Der Tag blieb sehr düster, es regnete, wurde kälter und schneite einmal gründlich.

Aus dem Augenwinkel sah ich durchs Fenster immer wieder einen großen Krähenschwarm, der ein wenig murmurierte, sich dann wieder auf einem riesigen malerischen winterkahlen Baum niederließ.

In der Arbeit fühlte ich mich sehr wie eine siegreiche Kriegerin, als ich auf einer völlig überlasteten Website etwas Berufliches bestellte – mich Web-Oma konnte kein zerschossenes Layout abschrecken. Gleich drauf hätte ich mich für eine kleine Änderung in ein unbekanntes CMS eindenken müssen: Ich suchte statt dessen nach einer HTML-Ansicht, darin ging’s schnell und verlässlich. WIR HABEN UNSERE ERSTEN BLOGS JA NOCH MIT BINDFADEN UND HAMMER GEBAUT!

Mittags gab es ein Butterbrot und eine Kiwi, nachmittags eine Scheibe trocken Brot.

Heimweg über eine festgetretene Schneedecke, die an vielen Stellen verdächtig glänzte: Ich ging wieder vorsichtig und mit stabil angespanntem Rumpf. Einkaufsabstecher zum Vollcorner, ich arbeitete unsere Liste ab.

Herr Kaltmamsell hatte den ersten Ernteanteil des Jahres abgeholt. Nach einer Runde Yoga war daraus das Abendbrot Radicchio als Salat mit Balsamicodressing, außerdem Käse, Brot.

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China Miéville, The City and the City hatte ich am Wochenende ausgelesen. Ein Krimi in einen utopischen Set-up: Er spielt in einer Stadt, die aus zweien besteht, Besźel und Ul Qoma. Geografisch sind sie an exakt derselben Stelle, exisiteren aber in parallelen Wahrnehmungswelten. Die Menschen haben von klein auf gelernt, die jeweils andere Stadt zu ignorieren, to unsee, selbst wenn sie die Straße oder den Park mir ihr teilen. Sprache und Kultur sind so unterschiedlich, dass es Spezialitätenrestaurants der einen Stadt als exotische Ausgehmöglichkeit in der anderen gibt. Um von der einen in die andere Stadt zu kommen, muss man durch ein riesiges Amt, die Visumsmodalitäten sind streng und komplex – um am Ende das Amt geografisch am selben Ort zu verlassen. Die Einhaltung dieser Wahrnehmungsfarce überwacht eine Institution, die über beiden Polizeien und Regierungen steht: Breach. Einwanderer dürfen die Städte erst nach wochenlanger Schulung betreten, selbst Touristen müssen belegen, dass sie über die Grundzüge Bescheid wissen.

Die Krimihandlung beginnt, als in Besźel eine Leiche aus Ul Qoma auftaucht. Der Inspector Tyador Borlú übernimmt die Ermittlungen, muss dazu aber auch mit seinem Gegenstück in Ul Qoma zusammenarbeiten, mit Senior Detective Dhatt. Ihre Recherchen entlarven einige Schwachstellen des Systems.

Ich fand das Set-up so attraktiv, dass ich den Roman unbedingt lesen wollte. Allerdings stellte ich im Lauf der Lektüre fest, dass ich mich immer weniger hineinfallen lassen konnte – anders als in andere utopische Realitäten. Je weiter ich las, desto häufiger stolperte ich über die schiere Hanebüchenheit dieses unsee, des eisernen Ignorierens der eigenen Wahrnehmung. Auch bekam ich zu wenige Hinweise, wodurch sich die Menschen der einen von denen der anderen Stadt unterschieden, sodass ihre Zugehörigkeit jederzeit eindeutig war. Ich konnte mir die erfundene Welt immer weniger statt immer besser vorstellen. Dewegen war ich schlussendlich enttäuscht: Das Konstrukt hielt der Nutzung durch die Krimihandlung nicht stand.

Interessant ist der Grundgedanke des Romans weiterhin. Für mich rief er von Anfang an: “ALLEGORIE!” Am ehesten eine Allegorie auf Rassismus, genauer: auf Segregation. In einer segregierten Gesellschaft, zum Beispiel der in den USA der jüngeren Vergangenheit, teilten sich die weiße und die nicht-weiße Bevölkerung den geografischen Raum, es gab wie im Roman getrennte und gemeinschaftlich genutzte Bereiche. Gleichzeitig lebten sie in verschiedenen Welten, ignorierten einander. (Unterschied zu The City and the City: Die nicht-weiße Bevölkerung schwebte in ständiger Gefahr von Gewalt durch Weiße.)

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Das Jahr ist noch jung, doch ist es nicht nur sofort stürmisch in Negativ-Konkurrenz zu 2020 getreten, sondern hat bereits einen musikalischen Internet-Star (vor zwei Wochen schon mal vorgestellt). Sollten Sie diesem Ohrwurm bislang entkommen sein, klicken Sie NICHT hierauf. Sollten Sie den Wellerman ohnehin seit Tagen vor sich hin summen, ist’s eh schon wurscht. (Inklusive historischem Hintergrund.)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/auI9Cx8SGX4

Ach, wenn wir schon dabei sind: Sieben Minuten Rechercheergebnisse zu #SEASHANTYTOK und der Geschichte von Sea Shantys.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/huwJ4a8FpTo

Journal Mittwoch, 13. Januar 2021 – Befang aus dem Internet

Donnerstag, 14. Januar 2021

Fast durchgeschlafen.

Rutschiger Weg in die Arbeit, weil es am Vorabend getaut hatte und dann überfror. An manchen Stellen ein Hauch Neuschnee. Der feste Blick auf den Meter Fußweg vor mir verhinderte, dass ich sonst etwas mitbekam – fast: Einmal blieb ich stehen, mitten auf der Theresienwiese, um die Weite und den langsam morgenhellen Himmel zu genießen.

Reichlich Arbeit, verlangsamt durch technische Probleme.

Mittags Scheiben vom letzten selbstgebackenen Brot aus der Gefriere (am Wochenende darf ich wieder backen!), Grapefruit mit Joghurt. Nachmittagssnack Eiweißriegel.

Auch auf dem Heimweg war ich sehr vorsichtig unterwegs: Zu dem glatten Untergrund kam in der Dunkelheit schlechte Sicht.

Als Sport hatte ich mir eigentlich eine Cardio-Einheit auf dem Crosstrainer vorgenommen, doch schon am Nachmittag gemerkt, dass ich mich dazu nach der Arbeit nicht würde aufraffen können. Also statt dessen eine halbe Stunde Yoga, hauptsächlich Dehnen.

Bei einer weiteren empfohlenen Quelle FFP2-Masken bestellt. Hier ein Forschungsergebnis der FH Münster, wie man sie im Privatgebrauch möglichst lange und dennoch hygienisch benutzen kann.

Das Abendessen ließen wir aushäusig zubereiten: Herr Kaltmamsell holte Gerichte vom bewährten Vietnamesen Chi Thu, ich genoss Reisnudeln mit gebratenem Tofu, frischem Gemüse und vielen frischen Kräutern.

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“Deutschland jetzt mit höherer Corona-Todesrate als die USA”.

Wie Prof. Drosten vergangenen Sommer erklärte: Wir haben in Deutschland in der ersten Welle vor allem Glück gehabt. Glück, dass die ersten Infektionen entdeckt wurden, bevor es den ersten Toten gab. Und Glück, dass hier der weltweit erfahrendste Spezialist für Coronaviren forscht und die Bundesregierung seine Expertise in Anspruch nahm. In der zweiten Welle hatten wir das nicht mehr.

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Andere Gegenden haben andere schlimme Vergangenheiten zu bewältigen. Irland arbeitet seit Jahren die insitutionalisierte Misshandlung unverheirateter Mütter und ihrer Kinder auf. Nachdem inzwischen der Bericht des Untersuchungsausschusses zur Beteiligung des Staats am System der Magdalen Laundries vorliegt, wurde diese Woche der Untersuchungsbericht zu den “Mother and Baby Homes” veröffentlicht, die ebenfalls die katholische Kirche betrieb, bis in die 1990er (!) (!!), und in denen jedes siebte Kind starb. (Harter Tobak, eher in einer stabilen und ruhigen Minute zu lesen.)
“‘I was born in a jail and I spent years in a jail. I got no love, no care, no education’ – harrowing testimonies from inside Mother and Baby Homes”.

Ich bin immer wieder fassungslos, wie lange und mit welch weitreichenden Auswirkungen uneheliche Schwangerschaften auch bei uns stigmatisiert wurden (werden? würde ich es mitbekommen, wenn das in bestimmten Teilen meiner eigenen Gesellschaft immer noch so wäre?).

§

Wieder mal Respekt vor den Feministinnen, die dieselben Argumente unermüdlich wiederholen, täglich auf dieselben unsachlichen Einwände. Margarete Stokowski fasst nochmal den Stand zur geschlechtergerechten Sprache zusammen.
“Auch durch Astronautinnen ändert sich nicht alles”.

Sagt doch einfach, dass es euch nervt, »zu gendern«, wie man umgangssprachlich sagt, was aber natürlich nicht ganz richtig ist, denn auch Texte, in denen für alle Personengruppen die männliche Form benutzt wird, sind »gegendert«, nur halt: männlich.

(…)

Niemand glaubt, dass sich durch gerechtere Sprache alles ändert. Aber auch durch Frauenquoten, kostenlose Tampons auf öffentlichen Toiletten oder Interviews mit Astronautinnen ändert sich nicht »alles«. Es wurde millionenfach erklärt, warum es richtig und notwendig ist, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, unter anderem weil man aus Studien weiß, dass Menschen sich unter der männlichen Form einer Gruppenbezeichnung eben nicht alle Geschlechter vorstellen.

(…)

Auch das Argument, dass die ganze Unterstrich- und Sternchensache ja nur fürs Schriftliche gedacht sei und mündlich nicht funktioniere, haut nicht hin, denn erstens gibt es eben die Möglichkeit, eine kurze Pause zu sprechen (Stichwort »Glottisschlag«, klingt komplizierter als es ist, es klingt dann einfach wie »Lehrer innen«). Und zweitens: Selbst wenn es nur schriftlich üblich wäre, wäre das kein Gegenargument, denn auch Dinge wie »Mit freundlichen Grüßen…« oder das Semikolon finden in der gesprochenen Sprache nicht statt und niemand will sie abschaffen.

§

Noch was Lustiges, gell. Frauengespräche beim Aussuchen einer passenden Wandfarbe (mit schottischem Akzent).
via @katzentratschen

Journal Dienstag, 12. Januar 2021 – Alltag in der Pandemie

Mittwoch, 13. Januar 2021

Die lustige Körpertemperatur-Achterbahn hat derzeit eine noch nie dagewesene Amplitude: Sie reichte von Schweiß-Rinnsalen in der Nacht auf Montag und auf Dienstag bis zu Eiszapfen-Gefühlen, mit denen ich Montagabend nach Yoga bei aufgedrehter Heizung erst mit Nickyhose über Gymnastikhose, Wollsocken, mit Winterjacke über Sportoberteil und Hoodie warm wurde.

Der Nachtschlaf war eigentlich gut – bis er um 4 Uhr endete.

Auf dem Weg in die Arbeit sah ich noch schönes Morgen-Pink hinter mir auf der Theresienwiese – und mitten im Westend auf einer Kreuzung ein Kaninchen um ein Häusereck hoppeln (sehr weit weg von irgendwelchen Grünanlagen). Doch danach blieb der Wintertag grau und windig, ab Vormittag stöberten Schneeflocken, die sich immer deutlicher in Regen verwandelten.

Zackiges Arbeiten. Vormittags packte mich der Hunger, den ich mit einer Hand voll getrockneten Aprikosen bekämpfte. Mittags gab’s einen Rest weiße Bohnen vom Wochenende, außerdem Granatapfel mit Joghurt.

Ich bekam eine Nachricht vom Friseur, den ich bereits seit zwei Wochen herbeisehne: Der bereits beim letzten Besuch vereinbarte Termin am 20. Januar wird ja aus Pandemiegründen nichts, ab jetzt kann ich mich auf einen im Februar freuen. (Wenn der klappt, die Infektionszahlen geben keine Entwarnung.)

Nachmittags getrocknete Feigen und getrocknete Aprikosen, dennoch eine Stunde später schon wieder Magenknurren.

Nach nicht zu spätem Feierabend nahm ich eine U-Bahn an den Odeonsplatz: Ich steuerte von dort aus (in superekligem Wetter) den Hofbräuhausmühlenladen an, um meine Vorräte an diversen Mehlen aufzufüllen.

Die bayerische Staatsregierung macht ab nächsten Montag FFP2-Masken verpflichtend für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und das Betreten von Geschäften. Mit den leichten OP-Masken bin ich bestens ausgestattet, FFP2 hatte ich zwar letzte Woche bestellt, doch die wurden vom Anbieter noch nicht mal abgeschickt. Im DM-Drogeriemarkt auf dem Heimweg gab es keine mehr; in den zwei Minuten, die ich mit anderen Einkäufen an der Kasse anstand, fragten drei Kunden danach. Das könnte lustig werden.

Daheim stürzte ich mich wieder umgehend in Yoga, dasselbe Programm wie Montagabend – wieder sehr anstrengend. Herr Kaltmamsell hatte als Abendessen aus Vorräten einen Kichererbsen-Erbsen-Tomaten-Eintopf gezaubert, darin Eier stocken lassen: wunderbares Gemütsessen. Ebenso wie die anschließende Schokolade.

Angesichts der Mühen von Menschen mit Kindern natürlich eine Petitesse, aber diese Pandemie-Einschränkungen wirken sich schon auch auf meine Partnerschaft aus. Die gewohnten Gelegenheiten zum Austausch, zum Näherkommen, fürs Teilen von Erlebnissen, Wahrnehmungen, Gefühlen waren bei uns ausgedehnte Restaurantbesuche oder Wanderungen, auch gemeinsame Zugfahrten ließen uns ins Reden kommen, selbst wenn es nur eine Stunde zu Familientreffen ging. Das fällt alles seit Monaten weg, uns muss etwas Neues einfallen.

Journal Montag, 11. Januar 2021 – Wohin wir umziehen

Dienstag, 12. Januar 2021

Das Haus in der Münchner Innenstadt, in dem wir seit nun 21 Jahren wohnen, wurde Ende 1950er / Anfang 1960er gebaut. Unsere Wohnung gehört zu den beiden von 16, die seither nie grundsaniert wurden – und das merkten wir immer unangenehmer: Das Riemchenparkett war nicht nur an vielen Stellen unansehnlich, sondern begann zu splittern, beim Staubsagen lösten sich Klötzchen; die sanitären Einrichtungen, vor allem das Bad, wurden immer ekliger. Doch eine Renovierung mit voller Möblierung und während wir drin wohnen, stand für mich nicht zur Diskussion (zumal eine Grundsanierung laut Hausbesitzer auch ein Entfernen der Küche samt Boden für das Verlegen neuer Leitungen und das Rausreißen der Holzabtrennung zum Wintergarten bedeutet). Gleichzeitig wollten wir sehr, sehr gern in diesem Haus wohnen bleiben.

Also schrieb ich im Dezember 2018 einen Brief an die Hausverwaltung, in dem ich die Situation schilderte und vorschlug, dass wir bei Freiwerden einer der bereits grundsanierten Wohnungen im Haus umziehen könnten, damit unsere jetzige Wohnung grundsaniert werden kann. Die ernüchternde Antwort der Hausverwaltung war damals: Gerne, wir setzen Sie auf die Warteliste. Ich rechnete also nicht mit dieser Möglichkeit in absehbarer Zeit.

Doch Anfang Dezember sprach eine Nachbarin Herrn Kaltmamsell an: Sie zögen im Frühjahr weg, und die Hausverwaltung habe auf unser Interesse hingewiesen. Diese Wohnung liegt nicht nur ein paar Stockwerke höher, sondern auch auf der anderen Seite des Treppenhauses (im Haus zwei Wohungen pro Etage) nach Süden und Westen, hat ein halbes Zimmer mehr. Im ersten Moment war ich überfordert, doch auf genau dieses Signal hatten wir ja gewartet.

Mittlerweile haben wir die Wohnung angeschaut (die Aussicht ist noch umwerfender als von unserer jetzigen), haben die Zimmer verteilt (mit Beratung der Gesamt-Einrichtungsberaterin Kaltmamsell senior), haben uns damit abgefunden, dass wir unsere jetzige Küche nach sechs Jahren schon wieder aufgeben müssen (in der neuen Wohnung ist eine noch neuere eingepasst, sogar mit Induktionsherd) – und haben den Mietvertrag unterzeichnet. Herr Kaltmamsell stimmt sich mit dem Umzugsunternehmen ab (auch wenn wir nur ein paar Stockwerke umziehen, werden wir nicht Kisten schleppen und Möbel ab- und aufbauen, außerdem muss ja die Küche raus und – hoffentlich für die Nachmieter – in der Nähe zwischengelagert werden), ich habe eine Schreinerei kontaktiert (Empfehlung meiner Eltern), die für mein Schlafzimmer einen Einbauschrank schreinern soll (sehr schönes und persönliches Gespräch mit freundlichem Plaudern, wegen hoher Auslastung wird es allerdings ein paar Monate dauern, bis der Schrank existiert).

Bocksfuß ist, dass wir dann doch ein paar Dinge ersetzen wollen (u.a. Bücherregale, Esstisch) oder neu brauchen (Schuhregal, Sofa, Barschrank, Lampen, Garderobe – letztere kann uns vielleicht auch der Schreiner einbauen) – und derzeit die Läden geschlossen haben. Am liebsten würde ich mich erst mal in der Halle 2 umschaun, also im Gebrauchtwarenkaufhaus der Stadt München. Auch zu. Nicht wirklich schlimm, wohnen wir halt erst mal in dem, was wir haben plus Umzugskisten und mit Glühbirnen: Wir haben eine Küche und ein neues Bad, zudem Betten – damit geht’s ja wohl erst mal.

Die Miete ist natürlich in einer grundsanierten Wohnung mit ein paar Quadratmetern mehr deutlich höher, im Moment sehe ich uns künftig von Ernteanteil und Margarine leben. Plus Haferflocken. Und wenn nicht jetzt, dann spätestens in der Rente. Doch sehr wahrscheinlich wird sich auch das einrütteln.

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Die Nacht auf gestern war wieder eher mittel, aber ich genoss den Fußweg in die Arbeit. Es ist weiter kalt (aber nur knapp unter null). In der Arbeit gab es vielfältige Arbeit mit reichlich Menschenkontakt. Zu Mittag geräucherte Forelle, ein Laugenzöpferl, eine rote Paprika, nachmittags ein Stück Marmorkuchen.

Ich ließ es nicht zu spät werden, das soll gar nicht erst wieder einreißen. Auf dem Heimweg (es war kälter geworden) kaufte ich noch im Rewe ein, von der Einkaufsliste und für nächste Brotzeiten.

Daheim heizte ich gleich mal ein und stürzte in Sportkleidung. Hurra, ich schaffte eine Runde Yoga nach der Arbeit. Hoffentlich der Anfang einer Reihe.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell den Rest Füllung des Steak&Kidney Pies mit Nudeln, das war gut und wärmend.