Wandern

Journal Montag, 14. August 2023 – Dritter St. Brück des Jahres mit Hochsommerwanderung

Dienstag, 15. August 2023

Auch an diesem Brückentag (yay!) vorm bayerischen Feiertag Mariä Himmelfahrt1 ließ ich mich von Weckerklingeln wecken: Wir wollten mal wieder von Tutzing nach Herrsching am Ammersee wandern und möglichst noch vor der Hitze los. Ich hatte mir diesen Werktag zum Wandern erbeten, weil ich auf wenig weitere Wanderer hoffte, vor allem aber auch möglichst wenige Radler*innen, die mittlerweile zu weit über der Hälfte mit Elektro-Antrieb diese Strecke (durchaus als Radstrecke ausgewiesen) durchrasen.

Nochmal Balkonkaffee, ich habe etwas nachzuholen.

Und ich wollte vorher noch auf den Viktualienmarkt, weil ich auf instagram Blaubeer-Erntebilder gesehen hatte: Vielleicht hatten sie es dort an einen der Pilz- und Beerenstandln geschafft.

Unterwegs eine sensationelle Entdeckung: Gleich am Anfang der Sendlinger Straße wird ein Madam-Chutney-Imbiss eröffnen! Jetzt gegen 9 Uhr zeigte das Thermometer am Juwelier Fridrich noch 23 Grad an (die nächtlichen Gewitter hatten gut abgekühlt), ich drehte meine kleine Einkaufsrunde sehr entspannt.

Erfolg auf dem Viktualienmarkt: Es gab an einem Stand wunderbar frische Wildheidelbeeren; das Kistl was so klein, dass sie sehr wahrscheinlich eine Stunde später bereits weg gewesen wären. Im Supermarkt besorgte ich gleich noch Sahne dazu. Bestätigung am heimischen Briefkasten: wieder keine Zeitung.

Ordentlich sonnengecremt, Rucksack mit zwei Wasserflaschen, Brotzeit und Wanderjacke (wegen evtl. Gewitter) gefüllt, ab in einen Zug an den Starnberger See.

Auf die Schicht Sonnencreme kam kurz nach Start in Tutzing eine dichte Schicht Anti-Brumm, das Wander-Erlebnis von vor zwei Jahren wollte ich wirklich, wirklich nicht wiederholen.

Die Temperatur war auch jetzt noch angenehm, Boden und Straßen waren noch nass vom nächtlichen Regen und kühlten. Es wurde eine schöne Wanderung, mit Tiersichtungen (unter anderem ein Reh weit vor uns auf dem Weg, das Büsche knabberte, zwei Frösche in einer der vielen Pfützen im Wald, eine besonders schön gezeichnete Mönchsgrasmücke, Schwalben, Kühe verschiedener Rassen), an meinem Körper muckten nur ein wenig die hinteren Oberschenkel. Erst das letzte Drittel des Wegs wurde hochsommerlich warm, doch es gab immer Schatten. Und meine Rechnung ging auf: Wir begegneten gar keinem anderen Wandersvolk und nur sehr wenigen Radler*innen, diese zwar mit E-Antrieb, aber gemütlich unterwegs.

Blick zurück auf den Starnberger See.

Auch dieses Mal mussten wir uns die Umrundung der Deixlfurter Seen erkämpfen, der auf der GPS-Karte eingezeichnete Weg war ein kaum sichtbarer Pfad durch alle möglichen Arten von dichter Vegetation. Eine halbe Stunde lang bereute ich die kurze Wanderhose eh, dann führte der letzte Abschnitt auch noch alternativlos durch ein Brennnesselfeld. Jetzt kenne ich die Folgen: Meine Beine bitzelten den ganzen Tag wie aufwachende eingeschlafene Füße. (Auch die Stellen an den Armen, die ich nicht ganz aus dem Weg brachte.)

Kein Einkehren in Gut Kerschlach, das Lokal Tagesbar war (wie erwartet) geschlossen. In den Liegestühlen davor machten wir kurz nach eins die erste Pause, ich frühstückte Apfel, Vollkornbreze, Pfirsiche. Doch ich vermisste eine Trinkwasserquelle, das tat ich aber auf der ganzen Strecke: Schon jetzt hätte ich gerne Wasser nachgefüllt, gestern wurde ein Tag mit knapp fünf Litern Wasserbedarf.

Lassen Sie sich nicht von der geringen Größe der Hütte täuschen: Sie war randvoller Kühe.

Am Kloster Andechs kamen wir nach drei an, machten im Schatten nochmal Pause.

Die restlichen anderthalb Stunden der Tour führten uns durch schattigen Wald an den Ammersee, den wir ein schönes Stück entlang gingen. Der See war hitzedunstig verhangen, an den Kiesbuchten lag viel Badevolk. In Herrsching besorgten wir nach 21 Kilometern Wanderung Getränke-Nachschub (dem Seewasser hatte ich dann doch nicht genug getraut).

Fahrt zurück mit einmal Umsteigen, weil derzeit die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Pasing und Ostbahnhof wegen Bauarbeiten gesperrt ist (irgendwann müssen die halt sein).

Daheim meine derzeit tägliche Yoga-Folge, dann gründliches Abduschen der Sonnencreme-Mückenspray-Schweißschicht. Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell morgens aus gesammelten Gemüseresten und Parmesanrinde aus Gefriere Brühe gekocht, darin gab es ein Mitbringsel eines gebürtig Ulmer Freundes: Maultaschen vom Bunk in Ulm.

Hervorragend. Zum Nachtisch servierte ich Blaubeeren mit halb geschlagener Sahne, Schokolade passte aber auch noch hinterher.

Gestern Abend blieb die Hitze in der Stadt: Als ich zu Bett ging, ließ ich Fenster und Balkontüren der Wohnung noch geschlossen.

  1. Nehmen Sie diesen Feiertag nicht auf die leichte Schulter, hier ein wenig Bildungsbloggen, wenn ich schon als Ungläubige davon profitiere: Der katholischen Kirche (der offiziellen – die einzelnen Katholik*innen legen sich ihre Glaubensinhalte erfahrungsgemäß ja ganz individuell und unverbindlich zurecht) ist die Himmelfahrt Mariens, wenn auch nirgends in der Bibel erwähnt, sogar eines der seltenen Dogmen wert:

    Die römisch-katholische Kirche hat in der Frage der leiblichen Auferstehung ein Dogma, also eine unfehlbare Entscheidung des Papstes für die römisch-katholische Glaubenslehre, erlassen. 1950 erklärte Papst Pius XII. die “leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel” zum verbindlichen Glaubensinhalt.

    Quelle und mehr Hintergrund []

Journal Montag, 10. Juli 2023 – Brighton 7 mit Ausflug in die South Downs und spannendem Gemüse

Dienstag, 11. Juli 2023

Ultragenervt und erledigt aufgewacht nach wüsten Träumen: Mein Hirn hatte sich eine hochkomplexe Fernseh-Spielshow ausgedacht (W!T!F!), die bei Nacht im Wasser stattfand und in der auch das Studio-Publikum mitspielen durfte, ich war zuständig für die Orga des ganzen und entsprechend hochgradig angespannt.

Das Draußen eher düster, jeder Sonnenstrahl machte umgehend heiß. Meine Reaktion auf das kontinuierliche Möwen-Geplärr war gerade gereizt, das schwankt bei diesem ausgedehnten Brighton-Aufenthalt immer wieder.

Als Tagesprogramm hatte ich eine kleine Wanderung in den South Downs angeregt (laut Vorhersage schönstes Wetter unserer restlichen Urlaubstage), bevor wir abends bei unserer Reservierung in einem immer großartigen Restaurant testen würden, ob es auch diesmal so großartig war.

Herr Kaltmamsell suchte in unserem abgeschraddelten Wanderbüchl (richtig, einst wanderten wir nach Büchl) eine der Standard-Runden mit Start in Southease aus, das sich bequem in einer halben Stunde vom Brightoner Bahnhof aus mit einem Bummelzug erreichen ließ. Vorher nahmen wir einen weiteren Abschied vom einstigen Lieblings-Café Redroaster, das sich auch diesmal nicht wundersamerweise von der schicken Edel-Bruncheria ins Nachbarschafts-Café für Hippies und Hundegassiführer*innen zurückverwandelt hatte.

Nachdem nicht mal mehr der Cappuccino (einst der beste meiner Welt) nach meinem Geschmack war (zu sauer), sollte ich wirklich, wirklich einen Haken daran setzen.

Zug nach Southease, hier hatte sich nicht viel verändert. Unterwegs las ich Süddeutsche – und musste bei der Seite Drei zu den anstehenden Parlamentswahlen in Spanien (€) wieder heftig den Kopf schütteln.

Lange dachte man, in Spanien hätten rechte Populisten keine Chance.

Nee, Frau Madrid-Korrespondentin Janker, das dachten eigenartigerweise die deutschen Spanien-Korrespondent*innen, noch dazu mit dieser seltsamen Begründung:

Spanien galt lange als immun gegen Rechtspopulismus. Man hätte denken können, das Land hat aus dem Franquismus gelernt.

Man sieht doch an Deutschland, dass selbst die allerschlimmsten Erfahrungen mit einer Nazi-Diktatur nicht immunisieren. Und in Spanien gab es bis heute keinerlei Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit, die Nation ist sich nicht mal darüber einig, dass es sich um eine Diktatur handelte.
Ich kann mir diese Realitäts-ferne Sicht nur damit erklären, dass niemand mit spanischen Politolog*innen, Historiker*innen, Politikjournalist*innen gesprochen hat. (Oder auch nur mit meiner überzeugten Franco-Anhängerin tía Luci, aber die zählt zurecht nicht.)

In herrlichem Sonnenschein (gegen den, wie sich am Ende des Tages herausstellte, mein Eincremen nicht genug schützte) und in leichtem Wind gingen wir drei Stündchen über die Hügel der South Downs, sahen unter anderem Kühe, Schafe, Falken, Dohlen, Krähen, Feldlerchen, Spatzen, am Fluss Ouse Bachstelzen, Graureiher, Silberreiher, Kormoran. Gegen zwei machten wir Brotzeitpause mit Aussicht, ich aß zwei Eiweißriegel und einige Nüsse.

Der Brightoner Bahnhof mit Eisenkonstruktion.

Der Halt in Southease immer noch mit komplizierter Gebrauchsanweisung.

Das Weingut Breaky Bottom.

Saltdean und Rottingdean im Sommerdunst.

Kurz vor Ende unserer Wanderrunde rief das Lokal mit der abendlichen Reservierung an: Es habe ein Gasleck gegeben, sie könnten leider nicht öffnen.
Selbstverständlich hatte ich Verständnis, vor allem bedauerte ich den anrufenden Wirt wegen des Schlamassels. Aber ich war tief enttäuscht, hatte beim Wandern schon überlegt, welche spannenden Weine mir wohl diesmal empfohlen würden (hier hatte ich unter anderem den spanischen Gewürztraminer Enate entdeckt, beim letzten Besuch einen kroatischen Rotwein), welche Überraschungen die Speisekarte bieten würde.

Während der halben Stunde Warten auf unseren Zug zurück nach Brighton fiel mir aber eine Alternative ein, auf die ich bei meinen Recherchen für unseren Urlaub gestoßen war: The Flint House, das ein interessantes Chef’s Menu mit Weinbegleitung anbot.

In der Ferienwohnung Ausruhen und Lesen, bis wir uns für den Abend frisch machten – und der ganz hervorragend ausfiel.

Wir ließen uns an der Theke zur offenen Küche platzieren, denn das alternative Angebot war ein Tisch auf der Dachterrasse – dafür war es mir deutlich zu frisch (mir graut immer mehr vor der Bruthitze in München bei unserer Rückkehr).

Das Chef’s Menu bestand in jedem Gang aus mehreren kleinen Tellern zum Teilen und war zu meiner großen Freude deutlich Gemüse-lastig.

Es ging los mit Thunfisch-Tartare mit Tomaten und Nori, außerdem mit Ofensellerie-Scheiben und Apfel auf einer sensationellen Haselnusscreme. Aperitif war ein Schaumwein mit Lavendel-Gin, sehr gut.

Zweiter Gang: Gruyere-Schinken-Kroketten mit Safran-Majo, Mais-Fritters auf Pfeffer-Ajoli. Wein dazu ein frischer Vinho Verde.

Dann gab es Rote (gekochte) und Gelbe (knackige) Bete mit Miso-Dressing und Dill – diese Kombi war großartig. Außerdem gebratene Makrele mit gewürztem Birnenpüree und besonders gutem rohem Sellerie-Salat.

Der Wein dazu ein Rosé Languedoc-Roussillon.

Drei Hauptgänge (von unten): Zucchini a la plancha mit Labneh, Minze und Sumac (wundervolle Kombi), confierte Kartoffelblätter mit Pfeffer-Aioli, langsam gegarter und gebratener Schweinbauch mit roter Zwiebel und Pickle. Dazu mein Lieblingswein des Abends, ein überraschend leichter Boheme Primitivo Salento aus Apulien.

Dessert: Erdbeer-Sahne-Parfait mit Hollerblüten-Zitronen-Creme, außerdem weißer Schokoladen-Fudge mit Salz und Pistazie. Dazu trank Herr Kaltmamsell einen süßen Sherry, ich ließ mir abschließend noch einen Espresso-Martini mixen.

Umsorgt wurden wir von einem zauberhaften Herrn mit sehr eigenem Humor, Unterhaltung während des Essens waren vor allem die Abläufe in der Küche vor uns, die wir durch die unsichtbare vierte Wand (das Personal ignorierte uns natürlich) intensiv verfolgten.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre, frisch aus der Stadtbibliothek heruntergeladen: Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit – auch der las sich trotz “Roman” gleich mal sehr autobiografisch.

Journal Montag, 3. Juli 2023 – Cotswold Way 7 von Old Sodbury nach Bath, mit Pub-Kultur-Erschütterung

Dienstag, 4. Juli 2023

Ich will ehrlich sein: Die eigentliche Überraschung war gestern nicht, dass wir dann doch auf über 30 Kilometer Wanderung kamen (Herr Kaltmamsell hatte 28 angekündigt) und knapp 130 Stockwerke. Sondern wie locker ich das schaffte. Da ich echt nichts dafür kann, weil Veranlagung und in meinem Alter einfach Glückssache, klopfe ich meinem 56-jährigen Körper hiermit erstaunt auf die Schulter: Respekt, vor allem wenn ich daran denke, wie zerschlagen er sich manchmal schon nach 100 Minuten Joggen an der Isar anfühlt.

Unsere letzte Etappe Cotswold Way war so lang, weil sie zwei zusammenfasste, dazwischen hatten wir keine Unterkunft mehr bekommen – was übrigens nicht nur an unserer überstürzt späten Buchung im April lag: Der Landlord unserer Unterkunft in Old Sodbury erzählte, dass sich die Zahl von Zimmern auf der Strecke über die Corona-Zeit halbiert habe, von etwas über zweistellig auf deutlich einstellig.

Das mit dem Frühstück ließ ich Appetit-gemäß wieder bleiben, Herr Kaltmamsell orderte Full English – die Köchin hatte freundlich darauf hingewiesen, dass alles nach seinen Wünschen zubereitet werde, er möge also nur bestellen, was er wirklich essen wolle. Es war ohnehin ein sehr erfrischender und aufschlussreicher Plausch mit den Gastgeber*innen.

Wir brachen eine halbe Stunde früher auf als sonst, wir hatten schließlich Einiges vor uns – nämlich nicht nur die Doppeletappe, sondern auch eine Schlossbesichtigung. Gestern erst, am Ende unserer Wanderung, stellte sich bei mir endlich der Augenblicksgenuss des Wanderns ein; aus wahrscheinlich teuflischen Gründen war ich an den Tagen davor nie richtig aus dem Modus des (durchaus freudigen) Hinter-mich-bringens gekommen.

Old Sodbury.

Eingang zu Dodington Park. Hier machte der Besitzer James Dyson (ja, genau der) sehr klar, noch viel klarer als vor sechs Jahren, nämlich mit massiven Zäunen samt Stacheldraht und vielen bösen Schildern: Ich muss Sie aus rechtlichen Gründen durchlassen, aber ich möchte Sie hier wirklich, wirklich nicht haben.

Während der halben Stunde, die wir wie im Käfig durch sein Anwesen wanderten, stellte ich mir vor, wie man mit so einem public footway durchs eigene Gelände auch umgehen könnte, zum Beispiel freundlich und willkommend, bei eh viel Geld zum Beispiel mit Personal, das statt Stacheldraht aufs Gelände aufpasst, und mit Bewirtschaftung der Flächen – der Park sah mittlerweile sehr steril aus (ordentlich durchgesaugt, was?).

Fasane hörten wir auf der ersten Hälfte unseres Wegs gestern immer wieder, sahen aber keinen einzigen.

Wir machten Halt bei Dyrham Park. Vor sieben Jahren hatten wir nur die Außenanlagen ausgiebig besichtigt, diesmal konnten wir rein.

Da wir bis zur Öffnung des Schlosses um halb zwölf noch ein wenig warten mussten, machten wir im schönen tea room Rast mit Tee und Cappuccino.

Interessante Art des Informationsangebots auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Medien: Pro Raum eine Porzellantafel (Delfter Porzellan war ein Hauptthema) mit dem Allernötigsten, ein Pult mit einer Tafel, die mehr Info-Text lieferte, dazu Materialien aus dem Raum zum Anfassen, im Pult eine Mappe “Room Book”, das Zeichnungen und ganz tiefe Infos zu Details lieferte. In einigen Räumen standen auch Personen, die bereitwillig Dinge erklärten – oder Spinett mit Musik aus der Zeit spielten.

Der Schwerpunkt der Erzählung lag zum einen auf der Person des Erbauers um die Wende 17./18. Jahrhundert William Blathwayt, seiner damalige Rolle in Gesellschaft und Politik. Zum anderen wurden historische Hintergründe und zeitgenössische Bewertungen genannt.

Küche aus dem frühen 19. Jahrhundert mit der vielfältigen Nutzung einer einzigen Hitzequelle. Besonders gefiel mir auch ein Raum, in dem die Renovierungs- und Wartungsarbeiten am und im Haus erklärt wurden.

Während unserer Schlossbesichtigung hatte es geregnet, wir warteten den letzten Ausläufer des Schauers ab. Im Folgenden regnete es noch das eine oder anderem Mal sehr kurz, sonst war das Wetter des Tages geprägt von starkem Wind, der uns auch große Äste über den Weg geworfen hatte.

In Cold Ashton hatte diese Etappe 2016 geendet, gestern wanderten wir weiter.

Kurz nach drei machten wir auf dieser raren Bank Brotzeitpause – recht windumtost, aber bequemes Sitzen mit Lehne war uns das wert. Ich aß aus dem Lunchpaket eine Banane, eine Vollkornsemmel mit Schinken und eine mit Käse.

Herr Kaltmamsell hatte nicht so viel Glück mit seinem Körper wie ich: Ihn plagte ein Fuß, er wechselte hier in Turnschuhe, die er vorsichtshalber eingesteckt hatte. (Mit Fitness hatte aber auch er keinerlei Probleme.)

Selfie vor den letzten Meilen, Bath bereits im Hintergrund.

Gegen 17 Uhr meldete sich unsere Unterkunft in Bath telefonisch bei Herrn Kaltmamsell, wann wir denn nun kämen. Da hatten wir aber noch eine gute Stunde vor uns.

Dass es selbst nach Überschreiten der Stadtgrenze von Bath nochmal ordentlich bergauf und -ab ging, nahm ich dann aber persönlich (jajaja, alternativ hätten wir wahrscheinlich Straßen langgehen müssen, was ich noch viel weniger mag).

Vor der Kathedrale in Bath der offizielle Endpunkt des Cotswold Ways – 160 Kilometer geschafft! (Kommen wir jetzt in den Himmel? Ich war auf dem Weg eh ständig versucht, entgegenkommenden Wander*innen “buen camino!” zuzurufen.)

Über den Avon spazierten wir zu unserem zentral gelegenen B&B in wunderschönem historischen Haus, ruhten uns aber nur kurz aus.

Denn Hunger hatten wir jetzt sehr, wir spazierten zehn Minuten in den Pub, den wir auf Empfehlung auch vor sieben Jahren besucht hatten: The Salamander.

Hier bestätigte sich, was wir mehrfach in der vergangene Woche erlebt hatten, eine erschütternde Veränderung in der britischen Pub-Kultur (also Kultur): Man zahlt im Pub nicht mehr gleich beim Bestellen an der Theke, man bekommt auch Getränke an den Tisch serviert. Auch gestern wurde ich beim Bestellen von Bier und Essen gefragt: „Shall I leave that open?“ Ich konnte also abschließend alles zusammen bezahlen.
(Das hätt‘s unter der Queen nicht gegeben.)

An Bier ließ ich mir erst ein helles Stout empfehlen (Prognose der Chefin: wird man diesen Sommer noch öfter sehen), außerdem ein IPA (ich hatte um etwas Hopfiges, Bitteres gebeten) mit deutlichen Hollerblüten-Anklängen. Herr Kaltmamsell schloss sich jeweils an.

Zu Essen gab es Lamb Pie mit Gemüse und chips für den Herrn, ich hatte Auberginenröllchen mit Tofu-Füllung bestellt (deren Geschmack in der eingekochten Tomatensauce leider unterging) – zu meiner Freude auch als kleine Portion angeboten, denn ich wollte unbedingt noch Dessert schaffen.

Herr Kaltmamsell bekam frittierte Pudding-Schnitten mit Rhabarber-Dip, ich hatte Banana STP (Sticky Toffee Pudding), genauso knallsüß wie erhofft.

Ordentlich angetrunken und satt spazierten wir in unsere Unterkunft, bei mir passte noch ein wenig Schokolade hinterher.

Journal Sonntag, 2. Juli 2023 – Cotswold Way 6, Wotton under Edge nach Old Sodbury / Anne Rabe, Die Möglichkeit von Glück

Montag, 3. Juli 2023

Nach guter Nacht überredete ich mich wieder zu Frühstück: Toast mit Butter und Marmelade, Joghurt. Aber diesmal lag es mir beschwerlich im Magen, vielleicht nicht immer eine gute Idee?

Gestern als sechste unseres Cotswold Ways nochmal eine kürzere Etappe mit knapp 22 Kilometern in sechs Stunden – dabei hatten wir im letzten Drittel extra getrödelt, um nicht zu früh an unserem B&B anzukommen. Doch uns erwischten beide dann doch Blasen an den Füßen – ohne dass eine Druckstelle im Stiefel zu identifizieren war. In meinem Fall ist es eine kleine Blase an der linken großen Zehe links neben dem Zehennagel, da war aber in all den Tagen nichts außer der Nebenzehe, ich checkte gestern beim ersten Zwicken extra nochmal auf Falten im Socken. Aber ich hatte in der Vergangenheit ja auch schon Blasen an der Unterseite von Zehen vom schieren Druck des Gehens, auf so lange Strecken an so vielen Tagen hintereinander sind meine Prinzessinnenfüßchen halt nicht ausgelegt.

Das Wetter wurde prima: Anfangs hatte ich noch gefröstelt und war in meine Jacke geschlüpft, doch schon nach dem ersten Aufstieg brauchte ich sie nicht mehr. Wie angekündigt wurde es gestern recht windig, doch die meiste Zeit wärmten sonnige Abschnitte.

Abschied von unserer Unterkunft in Wotton under Edge.

(Foto: Herr Kaltmamsell)

In die Kirche, in der ich beim letzten Besuch die vielfältigen Knie-Kissen fotografiert hatte, linsten wir nur kurz rein, wurden sofort von der Sonntagsgemeinde darin eingeladen, dankten herzlich und flohen.

Argument gegen kurze Hosen – und Zeichen, dass so viele Leute dann doch wieder nicht auf dem Cotswold Way unterwegs sind, sonst könnten die Wege nicht derart zuwachsen. Am gestrigen Sonntag begegneten wir besonders vielen Spaziergänger*innen, die meisten mit Hund unterwegs, aber auch jugendlichen Wandergruppen mit Übernachtungsmatten an ihren Rucksäcken, auch am Samstag waren uns schon solche entgegen gekommen (Ferienaktionen?).

Das hier sind genau die Wegabschnitte auf Straßen, vor denen ich mich fürchte: Wenn mir hier ein SUV begegnet, ist praktisch kein Platz zum Ausweichen. Was ein Radler wie der auf dem Foto machte, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Monument für einen Robert Edward Somerset (?).

Schicke Häuser hier.

Weil wir so schnell gewesen waren, machten wir schon um halb zwei Brotzeitpause in dieser windgeschützten Senke. Es gab die Sandwiches aus dem Lunchpaket, das wir in der Unterkunft bekommen hatten, und die sich als ausgezeichnet herausstellten: Dicke Scheiben brown bread, darauf einmal dick Schinken und Käse sowie Pickle, einmal dick Käse und Zwiebelmarmelade – wir teilten uns beide. Davor je ein Apfel, danach Ingwerkekse.

Zum Trödeln sahen wir uns die Kirche und den Kirchhof von Little Sodbury an (19. Jahrhundert, aber exakt im Stil der tausendjährigen Kirchen). Darin viel Geschichte zum Ersten Weltkrieg, der in England deutlich lebendiger gehalten wird als in Deutschland. Das Besondere in Little Sodbury, “Thankful Village”: Alle sechs Dorfbewohner, die in den Krieg zogen, kehrten lebend zurück.

Unsere Unterkunft für die Nacht.

Ein gutes Zimmer. Die Kriterien:
1) Platz für offenen Koffer (bei täglichem Wechsel wird nicht ausgepackt)
2) Schreibtisch
3) Aussicht
4) Badewanne (nicht im Bild)
Ordentliches WLAN gab’s auch, großartig.

Wir nutzten beide die Badewanne, eine las, einer guckte englisches Fernsehen (“Das perfekte Dinner” auf Englisch: Hier sind die Ansprüche an die Gerichte deutlich niedriger, dafür wird mehr über die menschliche Seite gesprochen, und es werden party games gespielt).

Fürs Abendessen war im örtlichen Pub reserviert.

Ich hatte mich auf die lamb shanks gefreut, bei all den Schafen auf den Weiden hatte ich ungeheuer Lust auf Lammfleisch bekommen (ich fürchte, “wie kann man diese niedlichen Tiere töten und essen?” hat bei mir noch nie funktioniert, auch nicht zu Kinderzeiten). Schmeckte hervorragend, auch wenn ich keine Illusionen habe, dass es sich um lokales Lamm handelte, war aber zu viel. Davor ein Pint Guiness, das ich sehr genoss, das mich aber recht betrunken machte.

§

Samstagabend hatte ich Anne Rabe, Die Möglichkeit von Glück ausgelesen, von Anfang an gefesselt (auch auf unangenehme Art), sehr interessiert, aber durchgehend irritiert von der Einsortierung “Roman” auf dem Buchtitel, also Fiktion. Dieser Roman also erzählt aus der Perspektive einer Frau, die fast alle biografischen Eckdaten mit der Autorin teilt, vom Aufwachsen in einer ostdeutschen Seestadt als jemand, die wenige Jahre vor dem Fall der Mauer geboren wurde, als jemand, die aus einer stramm linientreuen DDR-Familie stammt. Außerdem erzählt er von der Suche nach der Biografie des geliebten Großvaters, vor allem nach seiner Rolle im Nazi- und im SED-Regime.

Klar kann die ganze Geschichte ausgedacht sein, doch in der Danksagung (ja, ich lese Bücher wirklich von ganz vorne bis ganz hinten) dankt Rabe Archivaren und Archivarinnen, und sie hat genau beschrieben, unter welchen Voraussetzungen man Einsicht in biografische Details von Verstorbenen wie den Romanfiguren nehmen darf: als nahe Angehörige.

Also entscheide ich hiermit, dass weitgehend Nicht-Erfundenes erzählt wird, wenn auch Vieles anonymisiert (mich würde sehr interessieren, wie es zum Verkaufen als “Roman” kam), und dann ist das Buch besonders lesenswert: Ich lernte eine Menge über diese Generation von Menschen aus Ostdeutschland, wie, womit und mit wem sie nach der Wende Schulunterricht hatten, wie vormals kadertreue Menschengruppen die neue Welt wahrnahmen.

Und ich kam durch Rabes Schilderung der Härte bis Brutalität ihrer Mutter, ihrer eigenen bodenlosen Einsamkeit dabei, mal wieder ins Nachdenken darüber, wie unterschiedlich die Sicht auf Kindergroßziehen und Erziehung aus Elternperspektive (vor allem Mutter-) und aus der Perspektive der betroffenen Kinder ist. Wie entsetzlich Maßnahmen und Haltungen angekommen sein können, die aus Elternsicht wohlüberlegt, das Allerbeste und wunderbar waren. Mich gruselt deshalb manchmal, wenn ich Eltern erzählen höre oder lese, wie großartig sie das mit ihren Kindern machen, und ich frage mich, was diese Kinder wohl in 20 bis 30 Jahren darüber erzählen.

Jounal Samstag, 1. Juli 2023 – Cotswold Way 5, Leonard Stanley nach Wotton under Edge

Sonntag, 2. Juli 2023

Eine gute Nacht, doch morgens gab es kein warmes Wasser in der Dusche. Ich kalkulierte durchaus ein, dass wir uns beide mit diesem schon wieder neuen Armaturen-Konstrukt gleich blöd anstellten, doch beim Frühstück hörte ich einen anderen Hotelgast auf dasselbe Problem hinweisen.

Seit dem Vorabend hatte ich mich darauf vorbereitet, an diesem Morgen etwas zu essen, ein bisschen was würde doch wohl gehen. Dass dieser Plan auf das mit Abstand liebloseste Frühstücksangebot unseres ganzen bisherigen Aufenthalts traf, war halt Pech (wie überhaupt diese Unterkunft Lieblosigkeit atmete – was mich vor allem in der Gastronomie und Hotelerie richtig runterziehen kann): Das Buffet-Angebot bestand vor allem aus aufgerissenen Packungen Gastro-Großgebinde, die Breakfast-Lady war mit dem kleinen, sich jetzt aber schnell füllenden Frühstücksraum komplett überfordert. Herr Kaltmamsell wagte sich dennoch ans Full English: “War ok.”

Ich aß zwei Scheiben Toast mit Butter und Marmelade, sowas wie Muesli (die Aufschrift auf dem Glas war fast nicht mehr zu lesen) mit sowas wie Pfirsich-Joghurt (wenn ein fettfreies Diät-Fabrikprodukt mit Pfirsich-Aroma diese Bezeichnung verdient). Das machte mich bis deutlich nach Mittag satt. Meinem Bauch geht’s wieder gut, er ist zurück bei der gewohnten Reiseverstopfung (Augenroll-Emoji).

Eigentlich hatten wir Lunch-Pakete gebucht, man hatte uns bei der Ankunft gesagt, wir sollten einfach die Breakfast Lady darauf ansprechen – doch wir wollten ihren Stress nicht noch vergrößern und verzichteten.

Abschied von Leonard Stanley.

Es war für den Tag Sonne angekündigt, zunächst merkten wir das vor allem an mehr Wärme. Angenieselt wurden wir trotzdem am Anfang. Doch dann wurde das Wetter tatsächlich besser, ich hatte die Sonnencreme nicht umsonst aufgetragen. Obwohl es gestern sehr oft auf und ab ging, fühlte ich mich fit und gelassen, das Frühstück mag wirklich eine gute Idee sein.

Archäologie-Schilder-Archäologie.

Und echte Archäologie: Das eisenzeitliche Grab Nympsfield.

So viele verschiedene Blumen!

Nach knapp drei Stunden kamen wir ins Städtchen Dursley.

Auch in England gibt’s Friseurhumor. Wir spazierten durch die Fußgängerzone, blieben besonders lang vor der Auslage einer Metzgerei stehen – an einem Samstag besonders reichhaltig (ein Schild bot auch Ziegenfleisch an).

In einem empfohlenen Pub trank Herr Kaltmamsell ein Pint Bitter, Tee gab’s dort nicht, also sah ich ihm nur zu.

Blick zurück auf Dursley.

Auf Stinchcombe Hill, hauptsächlich als Golfplatz genutzt, gab’s sogar ein steinernes Schutzhäuschen.

Im Hintergrund der Turm ist Tyndale Monument, dort gingen wir hin.

Angekommen. Schon seit fast zwei Stunden hatten wir es gehört, jetzt sahen wir es auch (rechts unten): Nibley Festival, mit Musik, Commedy, Familienvergnügen, Camping.

Hier machten wir gegen halb drei Brotzeit, jetzt hatte ich wieder Hunger: Gemischte Nüsse, getrocknete Feigen.

Auf dem letzten Stück bis Wotton under Edge wurden wir immer wieder von Joggern mit Wettkampfschildchen überholt, offensichtlich fand auf dem Cotswold Way ein Rennen statt.

An dieses eigentümliche Denkmal mit eingezäunten Kiefern erinnerte ich mich noch gut von 2016. Seit gestern Mittag sind wir ja auf der Südhälfte des Cotswold Way, die wir schon kennen, gleichen immer wieder unsere Erinnerungen ab.

Hier das 2022 erneuerte Erklärungschildchen.

Nach knapp 25 Kilometern in gut sieben Stunden und über 150 Stockwerken auf und ab kamen wir an unserem Ziel an. Vor Beziehen der Unterkunft besorgten wir in einem mittelgroßen Coop-Supermarkt Abendessen.

Unterkunft diesmal von der aufmerksamen, liebevollen Sorte, sogar unsere Koffer waren bereits in das Dachzimmer des schön renovierten, sehr alten Inn getragen worden. Dass es klein ist und ohne Schreibtisch, war da unwichtig. Nach unseren Lunchpakt-Wünschen wurden wir bereits beim Einchecken gefragt, das stimmte mich zuversichtlich.

Füße hoch. Weil ich mich klebrig verschwitzt auf dem frischen Hotelbett seltsam fühlte, ging ich unter die Dusche. Sie tat richtig gut: Sauberes, geschmackvolles Bad, warmes Wasser, wohlriechendes Shampoo und Shower Gel.

Nachtmahl: Hummus mit Schnitzen von gelber Paprika als Löffel, Nudelsalat mit Spinat und Pinienkernen, englische Erdbeeren, Schokolade. Dabei lief im Fernsehen, BBC Sport, Frauen-Cricket – ich war sehr enttäuscht über das Fehlen der weißen Pullunder mit V-Ausschnitt. (Mal wieder tiefer innerer Dank an Helene, die Engländerin, die mir während meines Auslandsstudienjahrs die Grundzüge von Cricket nahebrachte, sich aller Absurditäten bewusst, und die betonte: “It’s not that boring to watch Cricket. It’s more boring to watch paint dry!”)

§

Wundervolle Seite Drei in der Wochenend-Süddeutschen:
“Danke, stimmt so”.

Kaum jemand weiß, dass die Bundesrepublik ein Spendenkonto hat. Wer will, kann dem Staat Geld schenken, damit der seine Schulden tilgen kann. Die Frage ist nur: Wer macht denn so was – und warum? Eine Fahndung.

Am Tonfall merkt man, dass die Autoren Boris Herrmann und Cornelius Pollmer einen Heidenspaß daran hatten.

(Bei dieser Gelegenheit sah ich zum ersten Mal den Knopf “Artikel verschenken” auf der Website – OHO! Dahinter steckt Folgendes:

Verschenken Sie Artikel aus unseren digitalen Projekten über den „Artikel Schenken”-Button am Anfang des Artikels. Sie erhalten pro Artikel und Empfänger einen exklusiven Geschenk-Link und können diesen ganz einfach per E-Mail, Text-Nachricht oder Social Media teilen.

Empfängerinnen und Empfänger des Geschenk-Links können den Artikel nach einer kurzen Registrierung lesen – so oft und so lange wie gewünscht. Über den Geschenk-Link kann der Artikel immer wieder aufgerufen werden.

Sie wollen den Artikel mehreren Freunden schenken? Kein Problem – Sie können so viele Geschenk-Links generieren wie Sie möchten. Beachten Sie aber, dass ein Geschenk-Link immer nur von einer Person eingelöst werden kann und nicht an mehrere Personen gleichzeitig geschickt werden sollte.

Ein Anfang, hurra! Das mit der “kurzen Registrierung” geht vielleicht noch technisch weg, ebenfalls die Vereinzelung – dann klappt das irgendwann auch mit dem Verschenken über mein Blog! Wofür ich, Sie erinnern sich, auch bereitwillig zahlen würde.

Bis dahin: Wenn Sie den Artikel lesen möchten, e-mailen Sie mir doch an die Kontaktadresse links, dann schicke ich Ihnen einen Geschenk-Link.)

§

Martin Parr hat beim Glastonbury-Festival 2023 fotografiert, wie immer sehenswert.

Journal Freitag, 30. Juni 2023 – Cotswold Way 4, Birdlip nach Leonard Stanley im Trüben

Samstag, 1. Juli 2023

Sehr gut und tief geschlafen, hätten gerne mehr als die neun Stunden bis Weckerklingeln sein dürfen.

Am Vorabend hatte ich noch gehofft, dass das wenige Essen am Donnerstag zu Frühstücksappetit am Freitag führen würde – ich finde Frühstücksappetit großartig und denke immer wieder gerne an diesen einen Morgen in Sepúlveda beim Großfamilienurlaub zurück, wie herrlich Brot, Schinken, Kuchen schmeckten. Doch leider schüttelte es mich auch gestern Morgen allein beim Gedanken an nur einen Bissen. Schwarztee mit Milch und Zucker genoss ich aber.

Herr Kaltmamsell ließ sich auch in Birdlip ein Full English braten, aß es mit Genuss. Besonderes Feature hier: eine Rösti-Ecke.

Ein dunkelgrauer, kühler und windiger Tag, einige Male wurden wir auch heftig angenieselt. Dass ich zu wenig gegessen hatte, merkte ich dann doch beim Start unserer vierten Etappe Cotswold Way: Mir war schwach und schwindlig. Nach einer knappen Stunde zwang ich mich also zu einem Eiweißriegel, der half.

Gestern führte der Weg meist durch Wald. Es gab eher wenige Aussichten, die auch noch durch Regen verschleiert, das Ganze fühlte sich eher nach Sporteinheit an.

Unordentliche Vögel hier, die ihre Kleidung überall rumliegen lassen.

Nach drei Stunden Wanderung waren wir in Painswick, dem Start unserer Cotswold-Way-Wanderung 2016. Wir kehrten in einem Pub ein: Pint of Cider für Herrn Kaltmamsell, Tee für mich.

Und da hier so ziemlich der einzige Supermarkt auf dem Weg lag (nicht viel größer als ein Corner Shop), holten wir uns schon mal Abendessen.

Um halb drei auf einer der sehr raren Bänke und mit Aussicht Brotzeitpause, ich traute mich gemischte Nüsse und getrocknete Feigen. Bauch war nicht völlig einverstanden.

Am Ende dieser Weide mussten wir zwei Kühe freundlich bitten, das Gatter freizumachen, sie standen direkt davor, halb drin. Ich bin weiterhin für die großen Tiere zuständig und erledigte das, Sprechen reichte. (Herr Kaltmamsell beim Passieren: “Sie hat mich angeschnuppert!”)

Kurz vor Stroud der Weinberg, den wir vor sieben Jahren im Anfangsstadium passiert hatten.

Unterkunft diesmal eine halbe Fußstunde ab vom Cotswold Way in Leonard Stanley. Mein Tracker hatte gut 25 Kilometer in knapp acht Stunden gemessen. (Walking nine to five…)
Falls Sie sich (wie wir ein bisschen) wundern, dass wir so lange für diese Strecken brauchen: Es geht ganz schön rauf und runter. Mein Bewegungs-Tracker kann keine Höhenmeter, er zählt aber Treppenstufen: Das waren am Donnerstag und am Freitag jeweils über 100.

Herr Kaltmamsell bereitete mich darauf vor, dass die nächsten Tage ähnlich lang werden. Bis auf den siebten, den letzten Wandertag: Der wird noch länger. Allerdings hatte er während der Absprachen mit der Agentur schon früh angekündigt, dass wir uns mit dieser Wanderung, die die Strecke von neun Wandertagen in sieben unterbringt (es waren bei unserer eher kurzfristigen Buchung nicht mehr Unterkünfte zu bekommen), übernehmen. Eine Nebenwirkung: Wir halten uns nur kurz bei Sehenswürdigkeiten am Wegesrand auf. Herr Kaltmamsell liest vorher ein paar Informationen dazu vor, wir gucken kurz, dann schnell weiter.

Unterkunft in einem Guest House in einem gar nicht so kleinen Ort, alte Eigenheime, neue Eigenheime, sehr alte Kirche. Und null Infrastruktur: kein Laden, keine Wirtschaft, keine Arztpraxis. Das hatte Herr Kaltmamsell vorher recherchiert, deshalb ja der Einkauf unterwegs. Mein Nachtmahl war eine Salatgurke und ein großes Stück Cheddar (auf künftige Packlisten für Wanderurlaube setzen: Brotzeitbrettl, diesmal musste das Wanderbüchl als Unterlage fürs Schneiden herhalten), Nachtisch Schokolade. Die nächste Mahlzeit, die Genuss verspricht, ist auf Sonntagabend terminiert: Herr Kaltmamsell hat in einem Pub in Old Sodbury reserviert.

An englischen Hotelzimmern schätze ich ja die Zuverlässigkeit, mit der Wasserkocher, Teebeutel und Zucker bereitstehen: Die zwei Tassen Kamillentee taten der Körpertemperatur und dem Bauch gut. Ansonsten ein eher schraddliges Zimmer: Damit die Tür nicht bei jedem anderen Türöffnen auf dem Flur bumperte, mussten wir sie mit einem Hocker verkeilen.

Draußen regnete es inzwischen ausdauernd und windig, wir hatten mit unserem Wanderwetter Glück gehabt.

Journal Donnerstag, 29. Juni 2023 – Cotswolds Way 3 von Cleeve Hill nach Birdlip, und verschärfte Umstände

Freitag, 30. Juni 2023

Wieder deutlich zu früh aufgewacht. Aber wir hatten das Frühstück eh auf frühe 8 Uhr gelegt, um zeitig zu dieser langen Etappe loszukommen.

Herr Kaltmamsell bestellte auch hier zum Frühstück das Full English, war sehr zufrieden. Wie schon am Vortag bei der Anweisung, erstmal die Wanderschuhe im Stiefelraum auszuziehen, hatte die Unterkunft eine sachte Alpenverein-Note. Am Frühstücks-Buffet ebenfalls viele Anleitungen zum Selbermachen, auf dem Zimmer Anweisungen, sehr freundlich formuliert, für alles Mögliche inklusive fürs Lüften bei Abreise.

Ein ganzes Wanderhotel voller Memmen wie uns, die ihr Gepäck fahren ließen.

Aufbruch!

Blicke auf Cheltenham, das wir mit viel Mäandern und vor allem auf Höhenwegen an diesem Tag fast umrunden würden – wir sahen die Stadt nahezu von allen Seiten. Erstmal aber verließen wir das ausgedehnte Cleeve Common, nicht nur ein Naturschutzgebiet, sondern ein Rest des Allmende-Systems, das die englische Landwirtschaft einst prägte und von den enclosures beendet wurde.

Das Wetter war ganz wunderbar, mild mit viel Sonne, immer wieder gemischten Wolken, die Strecke war spannend, zudem sportlich lang. Dass sie besonders anstrengend wurde und ich nicht allzu viel davon mitbekam, lag aber an überraschender gesundheitlicher Unpässlichkeit.

Etwa zwei Stunden nach Aufbruch begannen meine Därme Samba zu tanzen und zu schmerzen, ich wünschte mir sehr innig ein Klo. Doch das lag ein ganzes Stück entfernt in einem Pub, es wurden dorthin die längsten 70 Wanderminuten meines Lebens. Im Schweinsgalopp.

Nach besuchtem Klo setzte ich mich in diesem Pub noch mit Herrn Kaltmamsell auf eine Tasse Schwarztee (er hatte ein Pint Cider), fühlte mich ganz schön wackelig. Doch vom Sitzenbleiben, so war ich sicher, würde mir auch nicht schneller besser, ging ich halt wackelig weiter.

Dazu kam: An Essen mochte ich dann nicht mal denken, die sportliche Anstrengung des Tages musste also ohne Nahrungsaufnahme auskommen (großen Dank für meinen nahezu unerschütterlichen Blutzuckerspiegel). So war ich bei all den schönen und immer wieder neuen Aussichten vor allem mit Durchhalten beschäftigt. Selbstverständlich bot der navigierende Herr Kaltmamsell Abkürzungen an, aber ich wollte doch den Cotswolds Way gehen! Das tat ich dann auch, ohne wirklich zu leiden.

Viper’s Bugloss (Gewöhnlicher Natternkopf?). Und Schmetterlinge gab’s gestern! So viele verschiedene und schöne!

Pferde-Ampel in Seven Springs, beachten Sie auch den Druckknopf auf Sattelhöhe.

Nach drei machten wir nochmal Pause am Crickley Hill Information Center.

Unbekannte Distel-Schönheit.

Nach exakt acht Stunden und knapp 26 Kilometern kamen wir an unserem Hotel im Zielort Birdlip an.

Dort fiel ich in unserem angenehm geräumigen Zimmer erst mal aufs Bett und rührte mich eine halbe Stunde nicht (davon hatte ich seit Stunden geträumt). Dann nutzte ich die überraschende Badewanne für ein Vollbad – und stellte am ablaufenden Wasser sowie am anschließend nicht mehr blütenweißen Handtuch fest, dass die Wanderung mich ganz schön dreckig gemacht hatte.

Gegen das Hungerzwicken im Bauch versuchte ich es mit Essen und packte das Lunchpaket aus, dass wir morgens vom Hotel bekommen hatten: Apfel, Käse-Gurken-Sandwich (eher trocken), Eiweißriegel. Der Bauch rumpelte nur wenig, und ich wurde satt.

Ich versuchte mich bis nach neun wach zu halten (um längeren Nachtschlaf wahrscheinlicher zu machen), unter anderem durch Bloggen. Herr Kaltmamsell guckte auf BBC Four eine sehr spannende Doku über die filmische Begleitung der britischen Kohleförderung ab den 1950ern, “The Mining Review”.