Journal Mittwoch, 2. September 2020 – Schräger werdende Sonnenstrahlen

Donnerstag, 3. September 2020 um 6:17

Wieder eine recht gute Nacht, allerdings drehten sich alle Träume, an die ich mich erinnere, um Arbeitsdinge (sowas wird dann wieder nicht auf bezahlte Stunden angerechnet).

Ich wagte eine Runde Bankstütz – und trauerte der Form hinterher, in der ich Ende Juli gewesen war.

Frühes Radeln in die Arbeit, es war trocken. Mein Plan, durch Arbeitsstart vor allen anderen zackig Dinge zu erledigen, klappte nur halb: Überraschend viele andere waren auch früh da und brauchten etwas von mir.

Mittags Linsensalat vom Vorabend: Immer noch ein großer Genuss. Den Nachmittag verbrachte ich mit vielerlei Arbeit, es wurde weniger anstrengend.

Stand und Farbe des Nachmittagslichts verraten: Bald werden die Blätter bunt.

Auf dem Heimweg stoppte ich im Vollcorner, um Obst und sonstige Brotzeit für die nächsten Tage zu besorgen.

Daheim verschloss ich mein Fahrrad wieder am Ständer vor dem Haus: Seit Hexenschuss schaffe ich das Rauftragen in den ersten Stock nicht mehr, weil ich mich zum Treppensteigen meist festhalten muss.

So weit kommt die sinkende Sonne nur zu dieser Jahreszeit in unseren Flur: Früher im Sommer steht sie zu hoch, später wird sie von Häuserdächern verdeckt.

Herr Kaltmamsell hatte den Nachmittag in der Küche verbracht und servierte a recipe:
Corn cakes with beetroot and apple salad von Ottolenghi.

Es schmeckte selbst für den hohen Standard des Herrn besonders köstlich. Doch der Koch selbst machte beim Essen lediglich “hm, hm” – was bedeutet: Wenn ich das nochmal essen möchte, muss ich es selbst kochen.

Zum Nachtisch gab es eine der eben gekauften Melonen, die für mich immer die Standard-Honigmelone sein wird, weil sie meine Kindheitssommer in Spanien dominierte: Die grüne, Football-förmige Piel de sapo. Ich erinnere mich an enorme Berge davon am Rand der kastilischen Landstraßen, wo sie direkt von den Bauern und Bäurinnen verkauft wurden.

§

U.a. mit vielen Hinweisen von Katharina Seiser: Ein ORF-Hörstück über schnelle Küche – noch bis Freitag nachzuhören.
“Schwerpunkt ‘Tempo! Leben mit Geschwindigkeit'”.

Mir wurde durch Kathas Erklärung klar, dass es für schnelle Küche nicht nur braucht, kochen zu können: Man muss genug gute Sachen schon mal gegessen haben! Um überhaupt auf Ideen zu kommen.

§

Ein Twitter-Faden über schlittenfahrende Krähen. (Erntsthaft. Mit Filmchen.)

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 1. September 2020 – Arbeit mit Menschen

Mittwoch, 2. September 2020 um 6:41

Wenig unterbrochener Schlaf, das war schön.

Fürs Crosstrainerstrampeln vor der Arbeit brauchte ich erstmals wieder Licht. Draußen regnete es.

Wegen desselben Regens nahm ich die U-Bahn in die Arbeit. Auch wenn ich vor der Hauptpendelzeit unterwegs war, saßen deutlich zu viele Leute in der Bahn (alle mit Mund-Nasen-Schutz), als dass ich mich sicher gefühlt hätte. Wenn die Menschendichte nach Ferienende noch höher wird, lasse ich mich also nicht mehr durch Regen vom Radeln abhalten.

Viel und intensive Arbeit in der Arbeit, die meiste mit Menschen. Mittags Paprika, Gurke, Tomaten aus Ernteanteil mit Manouri, nachmittags zwei Hand voll geschmacksneutrale Zuckeraprikosen. Dann mehr Arbeit mit Menschen, und um mir den Mittwochvormittag für Brockenarbeit freizuschaufeln, arbeitete ich anderes vor. Es wurde spät.

Als ich heimkam, war ich in einer Art erledigt, dass ich erst mal einen Schnaps brauchte. Herr Kaltmamsell reichte im Schnapsglas Tequila an: Erstaunlich aromatisch, der braucht sich nicht hinter Grappa verstecken. Er schlug noch ein Glas Rotwein vor, doch mit dem Stamperl war mein medizinischer Alkoholbedarf gedeckt.

Auf dem Abendbrot-Teller wurde es herbstlich:

Den Mais hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch gegrillt, dazu einen aufwändigen Linsensalat nach Ottolenghi gemacht, unter anderem mit gelben Beten, Ruccola, Koriander, Radiserln, Croutons – sehr gut.

Früh ins Bett mit neuer Lektüre: George Orwell, Nineteen Eighty-Four, das ich schonmal auf Deutsch gelesen hatte, nämlich 1984, als es alle lasen. Wie meist bei sogenannter Weltliteratur sah ich ab der ersten Seite allein schon an der handwerklichen Qualität, warum das Werk Weltliteratur geworden ist.

§

Citizen Science gibt’s nicht nur beim Sterne- und Vogelzählen: Das Foto-Archiv des Bayerischen Rundfunks bittet um Unterstützung bei der Identifizierung von Menschen.
“Mitmach-Projekt zur Erschließung des rundfunkhistorischen Fotobestandes des BR
Kennen Sie diesen Mann?”

Kennen Sie sich mit Schauspielerinnen oder Schauspielern, Musikerinnen bzw. Musikern, Filmen, Persönlichkeiten aus Politik und Zeitgeschehen aus oder haben Sie generell ein gutes Namensgedächtnis? Wenn ja, helfen Sie uns doch dabei, unseren umfangreichen Fotobestand besser zu erschließen und wichtige Informationen zu den Fotos zu ergänzen.

via @Hystri_cidae

§

Kluge Krähe.

Coole Möwe.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 31. August 2020 – Unkompetitiv

Dienstag, 1. September 2020 um 6:21

Nachts mehr als vier Stunden am Stück geschlafen, hurra!

Es regnete nicht mehr, aber mein Fahrrad stand ja beim Büro. Ich nahm also Tram und U-Bahn.

Leichte Beruhigung in der Arbeit: Der unangenehme Brocken wurde von “nicht machbar” zu “zu 30% unabsehbar und komplexe Arbeit”.

Mittags aß ich eine daheim vorbereitete Mango und Maracuja mit Joghurt und Quark – köstlich. Nachmittags eine Hand voll getrocknete Aprikosen.

Für den Heimweg nutzte ich mein Fahrrad, mit nackten Beinen zum Kleid fror ich ein wenig. Beim Überqueren der Theresienwiese sah ich zum ersten Mal dort Bachstelzen.

Daheim wechselte ich umgehend von kurzärmligem Kleid in Schlumpfklamotten inklusive Socken und warmem Sweatshirt – zack! nicht mehr gefroren (Herr Kaltmamsell trug dicke Strickjacke). Zum Nachtmahl bekam ich Tagliatelle mit Zucchini, Basilikum, Zitrone (ein altes Jamie-Oliver-Rezept), war ok. Danach Süßigkeiten.

Wenn ich behaupte, ich sei nicht kompetitiv veranlagt, misstraue ich mir ja schon. (Wie ich mir in fast allen Details meines Selbstbilds misstraue, und selbst der Aufrichtigkeit dieses Misstrauens misstraue ich.) Aber dann fällt mir wieder meine Turniertanz-Karriere mit 17/18 Jahren ein, genauer: ihre Abwesenheit. Sehr wahrscheinlich war ich ohnehin nicht gut genug für eine solche, vor allem aber wollte ich weiter mit meinem bisherigen Tanzpartner tanzen: Nicht nur verstanden wir einander ausgezeichnet und waren gut befreundet, er war auch ein begnadeter Tänzer. Nur halt im falschen Körper: Der junge Mann war etwa so groß wie ich, hatte aber nur 70 Prozent meiner Beinlänge, zudem neben breiten Schultern auch ein breites Becken – eine eher quadratische Figur, die auf dem Turnierparkett unerwünscht ist. Deshalb wollte man mir fürs Turniertraining einen aus Wettbewerb-Sicht passenderen Partner zuweisen. Ich weigerte mich, weil mir doch das Tanzen mit eben diesem Partner so viel Spaß machte. Die Unterstützung der Tanzschule versiegte. Vielleicht bin ich wirklich echt ehrlich nicht auf Gewinnen angelegt.

§

Als Jüdin in Deutschland sieht Juna die rechts-geprägten Proteste am vergangenen Wochenende mit Angst:
“Die Mitläufer:innen der ‘Hygienedemos’ oder Wir haben von nichts gewusst.”

Feinde, es braucht Feinde, Feindbilder, um die autoritären Machtstrukturen von Diktaturen etablieren zu können. Der Feind natürlich steht immer außen, er kommt nicht aus den eigenen Reihen, wie es die neuen Nazis tun. Der Feind kommt von draußen. Gelang es nicht, das Feindbild ab 2015 in Form von schutzsuchenden Menschen zu etablieren, so hat man jetzt einen vermeintlichen Clou gelandet: Ein Virus. Noch weniger verständlich, noch besser nutzbar und noch viel besser in alte Muster von Verschwörungen einbaubar. Das ganze wird nun als Kampf um eine Freiheit verkauft, die letztlich nur in Unfreiheit führt. Doch soweit zu schauen, das können und vor allem wollen jene, die nicht nur gestern offen mit Nazis mitlaufen, nicht. Ach diese Déjà-Vus.!

Sie treibt diese Sehnsucht, gegen irgendwas „Widerstand“ zu leisten, sei es nur einem einfachen Hilfsmittel, das Menschen vor einer Krankheit zu schützen, die wir noch immer nicht vollständig verstehen und die Leben kostet, Familien zerstört. Sie leisten Widerstand dagegen, dass sie ein Mal nicht in den Urlaub ins Ausland fahren können, sie leisten Widerstand dagegen, dass wegen ihnen Menschen ihre Existenz verlieren, weil sie durch sie ihre Geschäfte und Restaurants wieder schließen oder gar nicht erst wieder öffnen können. Diese unerklärliche Sehnsucht nach Widerstand, die nur dann nicht auftaucht, wenn es darum geht, Menschen vor Rassismus zu schützen, sich für einen konsequenten Umweltschutz einzusetzen, vielleicht wirklich einmal ein Risiko einzugehen.

(…)

Wer mit Nazis marschiert, wer meint, dass das keine Rolle spielt, hat nicht verstanden, wie Faschismus funktioniert. Sie, die sie dort mitlaufen, Sie, die Sie auch nur Sympathien für die hegen, die dieses lächerliche gefährliche Schauspiel gestern ablieferten, Sie gehören dazu. Sie sind keine Außenstehenden mehr. Sie sind die, die Faschismus unterstützen, ihn tragen und sagbar und lebbar machen. Sie sind die Täter:innen unserer Zeit. Sie geben denen Rückenwind und Unterstützung, die die Freiheit, in der wir leben dürfen, gefährden. Und sie werden es sein, die sagen, sie hätten von nichts gewusst.

§

Außensicht: Im Guardian beschreibt Philip Oltermann:
“How Angela Merkel’s great migrant gamble paid off”.

Mir wird mal wieder bewusst, dass “Flüchtling” keine brauchbare Kategorie für mehr als kürzestfristige Maßnahmen ist, denn diese Menschen haben viel zu unterschiedliche Hintergründe. Neuer Augenöffner waren die Hinweise des Soziologen Aladin El-Mafaalani (€): Eine Flüchtlingsfamilie, die aus Armut kommt, wird sehr viel wahrscheinlicher erst mal materielle Statussymbole anstreben (großer Fernseher, Auto) und Bildungs-/Sprachangebote ohne direkten Nutzen nicht attraktiv finden als eine Mittelstandsfamilie – selbst wenn auch diese komplett mittellos in Deutschland angekommen ist. Schon 2015 zeigte sich sehr schnell, dass die syrische Apothekerin fast nichts gemein hat mit einem eritreischen Bauernjungen. Und es deshalb wenig hilfreich ist, ihnen dieselben Maßnahmen anzubieten.

die Kaltmamsell

Lieblingstweets August 2020

Montag, 31. August 2020 um 18:10

Krude Mischung aus Kalauern, voll Deepem, Kürzestgeschichten und Politischem – aber das sind Sie ja gewohnt.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 30. August 2020 – Offene Tabs aufräumen

Montag, 31. August 2020 um 6:30

Zerstückelte Nacht, wenigstens keine längeren Schlafpausen.

Nach dem Bloggen fand ich endlich die Ruhe, mir die zehn Tage alte Folge maiLab zu “Corona im Herbst | Ändern Schnelltests alles?” anzusehen. Zentral war für mich der Abschnitt über Statistik, der unter anderem erklärte, warum ein Antikörper-Test ein recht unbedeutender Baustein in der Pandemie-Bekämpfung ist. Ich konnte die Erklärung nachvollziehen, doch sie ist (für mich) leider zu komplex, als dass ich sie als Argument in einer Diskussion wiedergeben könnte. So oder so: Wieder war ich bestens unterhalten von den vielen schönen Elementen der klug aufgebauten Präsentation (u.a. ganz leise im Hintergrund Begleitmusik aus der Oper Carmen, deren Abschluss-Tusch auf eine Pointe abgestimmt ist – <3). Empfehlung.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/czzrPQIg54Q

Zeit für eine Stunde Crosstrainer. Zunächst hörte ich einen kurzen Podcast aus der BR-Mediathek mit Kleinaktionärsvertreterin Daniela Bergdolt (vielen Dank an Kommentator Wolfgang für den Hinweis!).

Die Einblicke, die Bergdolts Anworten in diesem Format nur anreißen konnten, hätte ich gerne in einem Anderthalb-Stunden-Format vertieft (u.a. Aktienmarkt-begeisterter Vater, der sie mit zehn Jahren aufforderte, sich ihren erste Aktienkauf zu überlegen, Mitinitiatorin des Fachanwaltsabschlusses für Bank- und Kapitalmarktrecht).

Ihre naive Aussage, sie sehe “keine Farben” und “kein Geschlecht” fiel mir natürlich auf; ich erkläre sie mir damit, dass sie sich mit dem Thema nicht tiefer auseinandergesetzt hat. Eine andere Art der Naivität gefiel mir nämlich sehr gut: Dass Bergdolt ihren Erfolg auf rein faktenbasierte, sachliche Argumentation und 300-prozentige fachliche Vorbereitung ihrer Auftritte auf den Hauptversammlung von Unternehmen zurückführt. Genau deshalb hat sie mich zu MAN-Zeiten schon auf den ersten Blick so beeindruckt. Gerade weil ich sonst im Arbeitsleben so darunter litt und leide, dass Inhalt und Fachliches selten den Ausschlag geben.

Herbsteinbruch beim Frühstück: Ich hatte Lust auf etwas Warmes und kochte mir Porridge. Das gab es mit griechischem Schafsjoghurt und Zwetschgenkompott.

Weiter im Aufräumen offer Tabs: Ich sah mir die ZDF-Irland-Doku von 2019 “Blutige Grenze” an (via Crocodylus). Eine nützliche Übersicht, gerne angesehen.

Mich störte allerdings, dass die historischen Aufnahmen nicht erklärt wurden, zum Beispiel schien mir, dass zu den troubles in Nordirland, dem Bürgerkrieg, Bilder aus den 1970ern und 1980ern wahllose durcheinander geschnitten wurden, Hauptsache sie zeigten gewalttätige Auseinandersetzungen. Kommt da zu stark die Nebenfachhistorikerin in mir durch, dass ich lieber einen bedeutungstragenden Einsatz des Materials gesehen hätte, am liebsten mit eingeblendetem Schriftzug Datum, Ort? Schon vorher war in einer Sequenz von Belfast die Rede – doch unter den illustrierenden Bildern zeigte man auch welche von der Halfpenny Bridge in Dublin. Bei solch einem brenzligen Thema sollte keine Bildredakteurin mit der Kategorie “Hauptsache Atmo” hantieren.

Treffen mit Freundin zu KaffeeundKuchen im Café Luitpold. Es regnete gerade nicht, ich spazierte langsam dort hin. Im Café war Kuchen uns zu kompliziert, nachdem die Bedienung ohnehin eher sporadisch war; ich entschied mich für eine Eisschokolade.

Den Rückweg schaffte ich wieder zu Fuß, wieder in einer Regenpause. Daheim ein Stündchen Bügeln, befreites Gefühl. Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell nochmal aus Ernteanteil Gazpacho gemacht, es schmeckte hervorragend. Dann restliches Ossobuco. Nachtisch Schokolade.

§

Die Berichterstattung um die Demo am Samstag in Berlin, vorgeblich gegen Corona-Maßnahmen, aber geprägt von rechtsradikalen Symbolen und Aussagen, verfolge ich mit Interesse. @nicolediekmann war als Berichterstatterin fürs ZDF vor Ort und twittert in einem Thread ihre persönlichen Eindrücke.

Alle, mit denen ich gesprochen habe, eint: ein Selbstbewusstsein, eine Hybris, in der sie sich gegenseitig bestärken, es besser zu wissen als die da oben. Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Journalist*innen.

Und ein stolzer Trotz, sich einem eigens mental geschaffenen Konstrukt von vorgeschriebenem Denken zu widersetzen.

Das ist meiner Meinung nach zentral und so gefährlich: Dass explizit gegen etwas protestiert wurde, was gar nicht existiert, sondern unterstellt wird, z.B. Besuchsverbot bei Oma, Covid-19-Zwangsimpfungen, die Weltverschwörung von Bill Gates, Internierung Infizierter. Auf dieser Basis ist keinerlei Diskussion möglich.

§

Echidna, australischer Ameisenigel.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 29. August 2020 – Mittelgutes Schwimmen, gutes Ossobuco

Sonntag, 30. August 2020 um 7:55

Ungute Nacht, mit bösem Kopfweh aufgewacht, das aber nach zwei Aspirin und Morgenkaffee nahezu weggedämpft war. (Die anschließende Euphorie legt allerdings eine weitere Migräne nahe.) Draußen rauschte der Regen, es war so kühl geworden, dass ich alle Fenster im Wohnzimmer schloss.

Im Haus einem gewissenhaften und bereits recht erschöpften Postpaketler geholfen. Der deutlich hörbare Nicht-Deutschmuttersprachler suchte auf den Klingelschildern des Hauses vergeblich nach dem Vornamen der Adressatin: Die Adresse war Nachname Vorname geschrieben. Ich erklärte ihm, wie die Empfängerin tatsächlich heißt und wies ihm den Weg.

Seit Tagen freute ich mich aufs Schwimmen im Olympiabad, der Hexenschuss hat sich mittlerweile fast völlig aufgelöst. Es machte mir nicht mal etwas aus, dass es weiterhin ausdauernd in wechselnder Stärke regnete und ich die U-Bahn nehmen musste. Und fast nichts, dass die U-Bahn-Fahrt durch die Bauarbeiten am Sendlinger Tor und an der Münchner Freiheit umständlich und lang war.

Schwimmen war ok, bereitete mir aber nicht so viel Freude wie erhofft (Hüfte, Nacken); ich beließ es bei 2.500 Metern.

Gehen ging gestern leider sehr schlecht. Ich überlegte lange, an welcher Bäckerei ich auf dem Rückweg Frühstück und Weißbrot holen sollte, um dabei möglichst kurze Wege zu haben – wo ich eigentlich meine Strecken am liebsten daran auslege, wo es schön oder spannend ist. Treppensteigen kann ich inzwischen fast gar nicht mehr: Entweder ich steige nur mit der gesunden Seite und ziehe die wehe Seite Stufe für Stufe nach oder ich brauche ein Treppengeländer als Krücke. Rolltreppen, die ich fast Zeit meines Lebens ignoriert habe, sind jetzt hochwillkommen – und gar nicht so weit verbreitet, wie ich bislang angenommen hatte. (Noch fünf Wochen.)

Am Hauptbahnhof kaufte ich beim Rischart Semmeln, Weißbrot und zwei Stück Zwetschgendatschi: Auf letzteres hatte ich seit Tagen Lust, entschied mich aber gegen Selbstmachen, weil ein Blech im Rahmen unserer weiteren Koch- und Essenspläne zu viel gewesen wäre. Frühstück um halb drei waren also Semmeln und Datschi mit Sahne.

Fürs Abendessen sorgte ich: Es gab nach langem mal wieder Ossobuco, dazu cremige Polenta (gutes Rezept: die Idee mit dem Mitkochen von Lorbeerblatt und Knoblauch merke ich mir, die Kräuter zum Schluss ließ ich weg).

Sehr gut gelungen, am besten schmeckte mir das viele Gemüse mit Polenta (und das Knochenmark).

§

Angeln.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 28. August 2020 – Arbeitsbrocken explodiert, Beifang aus dem Internetz

Samstag, 29. August 2020 um 9:23

Diesmal nützte das Novalgin nicht so viel, ich hatte wieder eine zerstückelte Nacht mit Schmerzenspausen.

Dennoch kam ich bei Weckerklingeln gut aus dem Bett, rechtzeitig für eine halbe Stunde Crosstrainer-Strampeln. Radfahren in die Arbeit weiterhin asymmetrisch, weil ich nur links wirklich treten kann, rechts Schmerzen.

Wegen Überweisung durch die Hausärztin einen Augenarzttermin festgemacht, diesmal funktionierte das angebotene Online-System zur Terminvereinbarung und ich erhielt eine Bestätigung.

Sie wussten natürlich: Wenn man einen Brocken unangenehmer Arbeit auf kurz vor knapp verschiebt, stellt sich beim panischen Anpacken heraus, dass irgendeine Voraussetzung nicht funktioniert und erst freigeschaltet (o.ä.) werden muss. Wissenschaftliche Freude: Das konnte ich gestern verifizieren. Leider stellte sich bei näherer Betrachtung des Brockens, dessen größte Teile ich von jemandem übernommen hatte, nach und nach heraus, dass ich ihn unmöglich bewältigen kann, zum Teil wegen fehlender Fertigkeiten (Beispiel: ich hätte fließendes Neugriechisch benötigt), zum Teil wegen hint’ und vornd’ fehlender Kapazitäten. Bis ich genug Überblick hatte, um zu diesem Schluss kommen zu können, war ich am Nachmittag bereits über meinen Vorsatz eines pünktlichen Feierabends hinaus. Es wurde spät.

Mittags hatte ich die Panik erst mal weit genug weggeschoben, dass ich sogar Pause machte: gelbe Tomaten aus Ernteanteil, eine Schüssel Joghurt und Hüttenkäse mit Marajuca. Nachmittagssnack war ein Stück Eiweißriegel zur Hungerberuhigung.

Nach einem sonnigen Morgen und Mittag zogen am Nachmittag immer dunklere Wolken herauf. Kurz vor meinem eigentlich geplanten Feierabend begann es heftig zu regnen. Ein Blick auf den Regenradar zeigte mir, dass auch der ungeplant späte Feierabend mich nicht retten würde: Das Regenband bewegte sich in nordöstlicher Richtung längs genau über München hinweg. Nachdem ich der Wettervorhersage entnommen hatte, dass es auch am Wochenende durchregnen würde und ich mein Fahrrad sehr wahrscheinlich nicht nutzen würde, ließ ich es stehen und stieg in die U-Bahn. Meine geplanten Einkäufe im Süpermarket erledigte ich dennoch, indem ich bereits an der Theresienwiese ausstieg und zu Fuß weiter hinktrippelte. (Das mit dem Regen ist noch ein Glück: Die Infektionszahlen COVID-19 sind in München so stark gestiegen, dass die Stadt ein gestaffeltes Alkoholverbot verhängt hat – bei Feiermöglichkeit draußen befürchtete ich Krawalle.)

Daheim freute ich mich nach zehn Tagen Pause auf Alkohol: Es wurde Rieslingsekt von Buhl zur Feier des Wochenendes.

Herr Kaltmamsell servierte viererlei Röllchen:

Mangold gefüllt mit Hühnerhack, gedämpfte Schweineröllchen mit Pflaumenfüllung, Sushi (Gurke und eingelegte Zucchini), Frühlingsröllchen (gefroren gekauft). Das war alles sehr gut, besonders mochte ich, dass die selbstgemachten Sushi deutlicher nach Algen schmeckten als die gekauften. Zum Nachtisch wieder Süßigkeiten.

Im Bett begann ich die Lektüre von Halldór Laxness, Hubert Seelow (Übers.), Das gute Fräulein. Hatte ich in einer meiner Ecken ungelesener Bücher gefunden, keine Erinnerung, wie es zu mir kam. Das erste Kapitel gefiel mir gleich mal.

Neben sonstigen Veränderungen meines Körpers zieht jetzt auch meine Sehkraft nach: Nachdem ich jahrelang gut mit Brille absetzen (Bücher, Zeitung, Ausdrucke auf Schreibtisch, Pediküre, Näharbeiten) und aufsetzen (alles sonst ab Entfernung Computerbildschirm) zurecht kam, ertappte ich mich vergangene Woche zum ersten Mal bei der verräterischen Geste der Altersweitsichtigen: Die Buchstaben des Buchs vor mir waren nicht scharf, erst ein Weghalten um zehn Zentimeter schärfte sie. Weiterer Punkt auf meiner Liste post-OP und nach stationärer Reha: Neuvermessung Sehvermögen, neue Brille.

§

Ich bin ja nicht gläubig, habe aber durchaus etwas übrig für bizarre religiöse Rituale (und seien wir ehrlich: ohne Glauben wirkt praktisch jedes religiöse Ritual bizarr). Wieso wurde eigentlich die Götterwelt der Antike abgeschafft? Mit der könnte ich mich anfreunden. Der Kreis ist jederzeit erweiterbar (man weiß ja nie, ob’s nicht bei anderen auch Götter und Göttinnen gibt, die man halt einfach noch nicht kennt – echte Inklusion), keinerlei Illusionen von Allmacht, internes Gehakel, wie’s halt immer ist, die Menschen sind göttlicher Willkür ausgeliefert (haben also immer eine Erklärung/Entschuldigung, Scheitern war halt Hybris gegenüber dem göttlichen Plan, wundern sich über nichts). Und die Rituale: Opfer auf Tempelstufen darbringen, gebetet wird nur laut (um sicherzustellen, dass man nicht heimlich die Nachbarin verflucht). Treffen Sie mich demnächst vor dem römischen Pantheon (erst mal alle anbeten, in die Details gehen wir später).

§

Künstler/Künstlerin/Kunstkollektiv Banksy finanziert ein Flüchtlingsboot:
“Banksy funds refugee rescue boat operating in Mediterranean”.

“Hello Pia, I’ve read about your story in the papers. You sound like a badass. I am an artist from the UK and I’ve made some work about the migrant crisis, obviously I can’t keep the money. Could you use it to buy a new boat or something?”

§

Falls Sie Tagebuchblogs mögen oder auch nur Erzählblogs der Alten Schule (EAS): Herzbruch hat wieder angefangen. Hier ein empfehlenswerter Einstiegspost, der unter anderem Kinderniedlichkeit enthält:
“When I’m 64”.

§

Schönes Online-Projekt eines Teams um den Münchner Rom Radoslav Ganev mit Unterstützung der Stadt München:
Romanity.

via @mosaikum

die Kaltmamsell