Journal Donnerstag, 23. Juli 2020 – Zielgerade zur neuen Hüfte in Sicht
Freitag, 24. Juli 2020 um 5:50Gestern also der Klinik-Termin, auf den ich fast drei Monate runtergezählt hatte. In dieser Zeit hatte ich den Tag bereits so minutiös geplant und bis ins Untersuchungszimmer visualisiert, dass ich auf Autopilot lief – und befürchtete, unaufmerksam zu sein und etwas Wichtiges zu übersehen.
Hatte ich dann auch, nämlich den Umstand, dass das Bayernticket erst ab 9 Uhr gilt, ich aber schon um halb neun in der Regionalbahn saß. Nun, nicht wirklich wichtig, dann kaufte ich halt ein Ticket fürs erste Stück nach, die Schaffnerin erließ mir sogar den Bord-Zuschlag.
Draußen war Sommer und Voralpenlandschaft, ich sah viel aus dem Fenster, das half gegen meine Anspannung.
Im Krankenhaus waren alle sehr nett zu mir. Ich kannte das Gebäude ja schon von den Aufenthalten meiner Eltern, am Eingang musste ich meine Kontaktdaten hinterlassen und bekam ein Bändel mit Datum ums Handgelenk. Zum Untersuchungstrakt der Klinik fand ich gut.
Nachdem ich meine (selbstverständlich kompletten) Unterlagen abgegeben hatte, wartete ich zwar noch anderthalb Stunden, doch ich hatte eh nichts vor. Der Arzt nahm sich dann sehr ausführlich Zeit für Untersuchung, meine Unterlagen, mein Befinden, meine Fragen. Ich wollte halt schon sehr genau wissen, was da in meiner Hüfte verbaut wird (Dr. Chirurg ging eigens raus, um die drei Einzelteile zu holen), wie genau (ein Hüftmodell mit Muskeln war zur Hand) und wie das mit meinen konkreten Normabweichungen zusammenspielt. An einem Punkt meine der Arzt zwar: “Sie sind ja eine kritische Patientin,” was mich ein wenig verunsicherte, aber ich beteuerte, dass ich seiner Expertise vertraue und dass ich lediglich so funktioniere, dass mir Detailwissen Sicherheit verleiht. Ebenfalls Sicherheit verlieh mir, dass er die MRT- und Röntgenaufnahmen genau mit mir besprach, mir unter anderem zeigte, wo der Knorpel bereits völlig weg ist, wo man schon Dellen im Gelenkkopf sieht, wo sich Knochensporne gebildet haben – die Sicherheit, dass ich mich wirklich, wirklich nicht einfach nur anstelle.
OP-Termin ist Anfang Oktober – oder früher, ich ließ mich auf eine “Joker-Liste” setzen. Mir fiel auf, dass man mich den Eingriff explizit erbitten ließ. Der Arzt fragte nach Untersuchung und Besprechung: “Und was möchten Sie jetzt?” Worauf ich sagte: “Ich möchte bitte gerne eine Hüft-Prothese.” Obwohl die Klinik nichts anderes macht als Knie und Hüften, war die allererste Frage auch gewesen: “Was führt Sie zu mir?” Beides gefiel mir.
Eine herzliche Angestellte gab mir einen dicken Packen Unterlagen mit Details und zur Vorbereitung mit, nach zwei Stunden war ich fertig.
Und hatte jetzt Zeit, meine Freundin ein paar Stockwerke höher zu besuchen: Die Engländerin, die ich im Studium kennengelernt hatte, war zu einer Urlaubswoche in den Bergen gewesen und wäre eigentlich gestern Mittag heimgereist. Nur dass sie vorgestern auf einer Wanderung blöd abgerutscht war und sich den Knöchel gebrochen hatte – so gründlich, dass operiert werden musste. Ich hatte sie natürlich gefragt, ob ich ihr etwas mitbringen könne, Obst vielleicht? (Meiner Erfahrung nach gibt’s das sehr wenig im Krankenhaus.) Doch sie antwortete, ob Apfelschnecke als Obst gelte? Eine Apfelschnecke hatte ich also morgens im Bahnhof beim Rischart besorgt. Die Freundin war wohlauf, wir freuten uns beide sehr über den Zufall, der das Wiedersehen ermöglicht hatte. Und wir vereinbarten, dass wir uns mit unseren respektiven Heilungen so anstrengen, dass wir in einem Jahr zusammen Wandern gehen können.
Zurück in München holte ich mir ein ausführliches Eis mit Sahne (wer im Krankenhaus war, bekommt ein Belohnungseis für Tapferkeit, so lautet das Gesetz), davor hatte es nur am späten Mittag zu einem Käse-Bagel gereicht.
Auf der Hinfahrt hatte ich die Süddeutsche gelesen, auf der Rückfahrt weiter im Kinky Friedman: Nachdem ich mich während der ersten Seiten noch gefragt hatte, ob ich die hard boiled-Attitüde albern finde, erkannte ich jetzt, dass der Erzähler sie ja selbst albern findet – und las mit Vergnügen. („Sometimes you gotta find what you like and let it kill you.“ Es gibt also Kalendersprüche, die mit zusammengebissenen Zähnen wiederzugeben sind.)
Nachtmahl war ein großer Romanasalat aus Ernteanteil mit Pfirsich und Tomate.










