Journal Dienstag, 14. Juli 2020 – Kürzere Tage

Mittwoch, 15. Juli 2020 um 5:56

Schon wieder Weckerstellen vergessen, diesmal hätte ich schwören können. Aber ich wachte nur eine halbe Stunde später als geplant auf (bei Blick auf die Uhrzeit hatte ich erst ein schlechtes Gewissen, weil der Wecker ja seit einer halben Stunde die Nachbarn beschallt haben musste, dann erst drang durch, dass er gar nicht klingelte). Also Bloggen und Kaffeetrinken zackiger als geplant, Sportprogramm gekürzt um Hantelübungen für Oberkörper.

In der Arbeit wieder Befassung mit den derzeitigen Auswirkungen der Pandemie auf den internationalen Postverkehr (wenn es Sie interessiert: hier die Infos der Deutschen Post).

Mittags Birchermuesli mit Kefir und Aprikosen, nachmittags eine große Hand voll Nüsse und schwarze Schokolade.

Auf dem Heimweg Einkäufe im Supermarkt und beim Bäcker. Herr Kaltmamsell hatte Hummus gemacht, ich steuerte Tomaten mit Basilikum bei, dazu gab es Focaccia, Rehsalami, Scamorza – eine sehr freie Interpretation von Deutschem Abendbrot.

Die Juni-Folge von Die Anstalt nachgeholt – unterhaltsam und sehr meta.

Im Bett begann ich Margaret Atwoods frühen Klassiker Surfacing und war von der ersten Seite an gefangen in den Beschreibungen aus dem Augenwinkel, mit denen sie aus Details Atmosphäre und Welten erwachsen lässt.

Ich möchte mich bitte darüber empören, dass die Tage bereits wieder kürzer werden.

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Ein Blogpost, wie es in unserer Kartoffelkombinat-Gärtnerei aussieht:
“Statusbericht von der Gemüsefront”.

Ob das für die Hobbygärtnerinnen interessant ist, kann ich nicht beurteilen: Im Kartoffelkombinat müssen wir 1600 Haushalte versorgen, da denkt die Gärtnereimannschaft in anderen Dimensionen und Mechanismen, und ich finde sie hochinteressant. Vor zwei Wochen hat ein Hagelschauer unsere Gärtnerei erwischt, der Erntanteil vergangene Woche war entsprechend klein – aber so ist das halt in der Landwirtschaft. Und wir leben so privilegiert, dass niemand deshalb hungern muss.

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Das Münchner Kulturreferat lädt zum “Bavarian Line Dance” (kontaktlos!), und ich sag ja: Echte Folklore kann sich auf jede Änderung einstellen.
(Und Tanzen steht auf der Liste NHO – Nach Hüft-Op.)

die Kaltmamsell

Journal Montag, 13. Juli 2020 – Die Röntgen-Diagnose

Dienstag, 14. Juli 2020 um 6:32

Geweckt zu bösen Kopfschmerzen, die von Übelkeit begleitet wurden. Ich füchtete bereits Migräne, doch eine Ibu half.

Auch die halbe Stunde auf dem Crosstrainer tat gut, dito das Radeln in die Arbeit durch frische Sonne.

In der Mittagspause beim Orthopäden eine Kopie des Befunds vom Hüftgelenkröntgen abgeholt, und es stand “mittelgradige Koxarthrose” drauf (Kox ist Hüftgelenk auf Medizinisch).

An meiner tiefen Erleichterung wurde mir klar, dass ich ein kleines Bisschen befrüchtet hatte, man könnte mich in der Klinik wieder fortschicken, denn schließlich hatten zwei Orthopäden auf der Röntgenaufnahme vom September keinen Verdacht geschöpft. Und dass ich mich halt doch einfach bloß anstelle. (Gegen diesen grundlegenden Verdacht helfen auch keine Ultraschalldiagnose Entzündung im Gelenk und MRT-Diagnose Arthrose plus Zyste, die ich seit Februar habe – solange es noch die geringste Möglichkeit gibt, dass ich selber schuld sein könnte, greift mein niederträchtiges Selbstbild danach.) Jetzt habe ich die Unterlagen für die Klinikuntersuchung beisammen, noch zehn Tage Warten.

Mittagessen war eine Breze, außerdem Quark und Joghurt mit Aprikose und Maracuja. Bei dieser Gelegenheit eine Empfehlung von Maracuja aus dem Bioladen: Die sind viel voller und aromatischer als die konventionell angebauten. Und falls Sie es noch nicht wussten: Je runzliger und faltiger, desto reif. Nachmittags noch eine Breze.

Auf dem Heimweg Einkaufsstopp am Drogeriemarkt und beim Vollcorner.

Daheim endlich mal wieder Roggensauerteig und Lievito Madre aufgefrischt. Herr Kaltmamsell hatte die Aubergine aus Ernteanteil auf meine Bitte zu Parmigiana verarbeitet.

Telefonat mit meiner Mutter, Verabredung und Pläne für den August.

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Es gab nach Langem wieder einen Spreeblick-Newsletter, und daran merkte ich, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Sie können ihn hier sehen und abonnieren. Dann sind wir halt inzwischen eine seltsame Rentnerband, wir alten Ins-Internet-Schreiberinnen und -Schreiber, aber ich fühle mich allen davon nahe.

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Schöne Beobachtung zur ewigen Frage nach dem Nutzen von Bildung aus einer QI-Sendung. Stephen Fry fragt darin zurück, warum anscheinend die Menschen, die sich für Informationen, Bildung und Wissen um ihrer selbst Willen interessieren, so viel besser durchs Leben kommen als die, die bei allem einen Nutzen einfordern.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 12. Juli 2020 – #12von12

Montag, 13. Juli 2020 um 5:54

Ausgeschlafen, gemütlicher Morgenkaffee.

Alle paar Minuten stand ich auf und ging zu Herrn Kaltmamsell hinüber, um ihm eine weitere Sache zu erzählen, die ich am Vorabend aus dem Gespräch mit der Freundin gelernt hatte. Unter anderem, wie man ausgemusterte oder sogar kaputte Dinge bei ebay Kleinanzeigen verschenkt. (Die Details über die Nacht vor dem MAN-Übernahmeversuch von Scania behalte ich aber für mich. Nur so viel: Die Corporate-Welt ist wirklich nicht auf Frauen eingestellt.)

Ich dachte rechtzeitig daran, dass ich an diesem freien Sonntag ja an #12von12 teilnehmen konnte und begann zu fotografieren. (Hier alle Teilnehmende dieses Monats.)

1 – Für einen Balkonkaffee war es trotz sonnigem Wetter zu kühl.

2 – Fertig fürs Radeln zum Olympiabad.

3 – Schwimmen: vorher und nachher. Schwimmen lief gut, ich wurde immer wieder bahnenweise mit Selbstvergessenheit beschenkt und gönnte mir 2700 Meter. Gerne hätte ich die Duschen in Pandemiezeiten fotografiert, mit dem Absperrband über jeder zweiten Dusche – aber es war immer jemand da.

4 – Der Olympiapark war gut besucht, auch von grasenden Gänsen. Fürs Heimradeln brauchte ich keine Jacke mehr.

5 – Zum Frühstück gab’s ein Schälchen Okroschka, Aprikosen und Pfirsiche, Zimtschnecken, Tee mit Milch. Das war zu viel, nach sehr Langem überfraß ich mich mal wieder.

6 – Maniküre. Ich habe festgestellt, dass ich bei geschminkten Fingernägeln vorerst weniger an meinen Nagelhäuten fiesle. Und zu ihrer Information: In Wirklichkeit hat der Nagellack „get a mauve on“ natürlich die Farbe Rotweincreme, aber die kennt Essie wahrscheinlich einfach nicht.

7 – Nachmittag auf dem Balkon, mittlerweile war es warm genug zum Draußensitzen.

8 – Am späteren Nachmittag spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zur nächstgelegenen Eisdiele in der Landwehrstraße und holte einen Malagabecher.

9 – Wunderschönes abendliches Hochsommerlicht.

10/11 – Zum Nachtmahl gab es Spaghetti mit Agretti und Gurkensalat mit Frühlingszwiebel, beides aus Ernteanteil.

12 – Nancy Mitford, The Blessing ausgelesen. Der dritte Roman des Sammelbands Nancy Mitford in unserem Haus (hier habe ich unten über The Pursuit of Love geschrieben), 1951 veröffentlicht.

Wieder spielt die Handlung in der frivolen Atmosphäre der reichen, alteingesessenen Elite Englands und Frankreichs. Im Mittelpunkt diesmal die (auch hier) hübsche, gutherzige aber ungebildete und hohlköpfige Grace aus reichem Hause, die im zweiten Weltkriegs den hochadligen Franzosen Charles-Edouard heiratet, weil er sie amüsiert. Mit dem bald geborenen Sohn ziehen sie nach Paris, wir lesen vom reichen, geselligen Leben dort. Unkonventionell und witzig ist die Titelfigur: Als „the Blessing“ bezeichnet seine Mutter nämlich den Sohn Sigismond. Und den baut Mitford zum herrlichen Gegenstück des Little Lord Fauntleroy aus (das Stück wird explizit erwähnt): Als nämlich seine Eltern sich trennen (Grace hat ihren Mann im Bett mit einer anderen gesehen) und seine Mutter nach England zurückgeht, erkennt der dann siebenjährige Sigismond, der durchaus nicht unsympatischer geschildert wird als die anderen Figuren, dass er in dieser Konstellation das beste Leben hat. Seine beiden Eltern setzen alles daran ihn zu verwöhnen, er bekommt jeden noch so absurden Wunsch erfüllt – während die beiden zu guten Zeiten hauptsächlich miteinander beschäftigt waren und wenig Aufmerksamkeit für ihn übrig blieb. Also versucht er durch Lügen und Intrigen sicherzustellen, dass die beiden nicht wieder zueinander finden. Dass ist wunderbar wider die Konventionen solch leichter Romane gemacht und passt zum hintergründig bissigen Tonfall der detaillreichen Schilderungen. Vergnügliche Lektüre.

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Ganz speziell für meine Samstagabendverabredung:
“Conspiracy theorist died of coronavirus after trying to catch it at Covid party to prove it was a hoax”.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 11. Juli 2020 – Sandeln und Abend in Haidhausen

Sonntag, 12. Juli 2020 um 9:07

Um sechs aufgewacht, entschlossen nochmal eingeschlafen. Um sieben aufgewacht, dem Regenrauschen zugehört – und prompt nochmal bis kurz vor acht eingeschlafen.

Beste Idee beim Morgenkaffee: Weder zum Schwimmen zu fahren, noch eine Crosstrainerrunde einzuplanen – meine Freude über die Idee bewies, dass ich einen Tag Rumsandeln brauchte. Und schon entsprangen der Freude neue Ideen:

Schwedische Hefeschnecken der trockeneren Art gemacht, als Wiedergutmachung an Herrn Kaltmamsell für die SCHRECKLICHEN, SCHRECKLICHEN saftigen Zitronenschnecken kürzlich. (Diesen Affront muss ich ihm selbstverständlich so konsequent unter die Nase reiben, dass er sich niemals mehr traut, meiner Einschätzung von Gebäck, auch noch selbst erstelltem, zu widersprechen. Geheimnis einer funktionierenden Partnerschaft, Teil 877.)

Krafttraining absolvierte ich trotzdem: Ich horchte in mich und erkannte, dass es mir danach sehr gut gehen würde. Ich hatte sogar Vergnügen an einigen Extra-Übungen Oberkörper und Arme.

Na gut, zwar die erste Mahlzeit des Tages, aber die nenne auch ich Mittagessen: Ein großer Teller Okroschka, einige Zimtschnecken, Aprikose und Pfirsich.

Den Nachmittag selig versandelt mit Zeitunglesen und Romanlesen. Draußen hatte der Regen geendet, der Himmel riss auf. So stand meinem Plan nichts im Weg, zu meiner Abendverabredung nach Haidhausen zu Fuß zu gehen. Schön langsam wackelte ich hinauf in den Preysinggarten.

Die Ludwigsbrücke ist völlig eingerüstet, sie wird komplettsaniert.

Schöner Abend mit Freundin, die ich seit Januar nicht gesehen hatte. Unter anderem erfuhr ich, wie die Schule ihrer beiden Kinder die Fernbeschulung gemeistert hatte, Freundin (die beruflich viel mit IT/Internet zu tun hat und ebenfalls zweieinhalb Monate von daheim arbeiten musste) war beeindruckt. Ich lernte, dass es Mütter gibt, die sich keineswegs zu Heimunterricht verpflichtet fühlten, sondern Schule und Lehrpersonal als Ansprechpartner für Rückfragen der Kinder sahen.
Zu Essen gab es Canneloni mit Ricotta-Spinat-Füllung.

Auch nach Hause ging ich zu Fuß, allerdings unbeabsichtigt. Auf meine Tram hätte ich laut Anzeige zehn Minuten warten müssen, also spazierte ich los zur nächsten Haltestelle – um zwei Minuten später von der Tram überholt zu werden. Ich spazierte weiter (meine Hüfte erlaubte mir dieses Mal sogar etwas höheres Tempo als Trippeln), immer die Tramlinie entlang, doch die nächste holte mich erst fünf Minuten vor meinem Ziel ein. Ich genoss das nächtliche Passieren von belebten Plätzen und Lokalen, musste allerdings oft Haken schlagen, weil niemand Abstand hielt.

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Richard C. Schneider über die Katastrophe, in die sich Israel gerade reitet – nach seiner Darstellung weil die Regierung sich auf die Umsetzung ihrer Anexionspläne konzentriert, statt die Corona-Krise in den Mittelpunkt zu stellen:
“Das große Versagen”.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 10. Juli 2020 – Hitze weggewittert

Samstag, 11. Juli 2020 um 9:17

Das war eine lange Woche.

Beim morgendlichen Yoga, eine entspannende Folge, spontaner Tränenausbruch, als ich mich nicht mal zur Schlussentspannung auf den Rücken legen konnte, ohne dass die rechte Hüfte schmerzend aufbrüllte.

In Sommerkleidchen und Sandalen in die Arbeit geradelt, sonnenbeschienen. Von draußen kam es heiß herein, ich schloss die Fenster und ließ mein Büro durch die offene Tür kühlen. Zäher Wochenabschluss, zumindest ohne Schrecken. Mittags Rote-Bete-Nudeln vom Vortag, Kefir mit Mango und Maracuja.

Früher Feierabend. Draußen war es heiß und stürmisch, eine eigenartige Kombination, bei der der Wind nicht kühlte. Ich radelte für Einkäufe zum Viktualienmarkt, die ohnehin Radverkehr-feindliche Schwanthalerstraße ist derzeit durch Baustellen für Radlerinnen das Gegenstück zu Motocross – Sehnsucht nach einem Ganzkörper-Schutzanzug. (Seit ich weiß, dass die Straße bis in die frühen 1930er feudale Vorgärten hatte, denke ich bei jedem Befahren daran.)

Auf dem schwül-heißen Viktualienmarkt kaufte ich im Wild- und Geflügelladen ein: Wildschweinbratwürste als Ergänzung des Abendessens, Rehsalami. Ich suchte nach österreichischen Marillen und fand sie, wenn auch nicht sehr schöne, nahm auch Pfirsiche mit. Nach Basilikum ohne Topf musste ich fragen, an den Ständen sah ich nur Töpfe; der Bund wurde mir aus der Kühlung geholt. Der Markt war deutlich leerer als sonst um die Jahreszeit und bei diesem Wetter: Es sind immer noch kaum Touristen in der Stadt.

Zuhause hatte ich mit Herrn Kaltmamsell Essen auf dem Balkon verabredet, statt mich mit ihm im Biergarten zu treffen: Wir wollten die neue Bank ausgiebig testen. Doch der Himmel wurde immer dunkler, der angekündigte Wetterumschwung kam schon jetzt.

Wir hielten an der hochsommerlichen Essensplanung fest, dann halt drinnen. Da sich die eben erworbenen Pfirsiche als überreif bis matschig heraustellten, gab es sie als Aperitif mit Prosecco aufgegossen. Zu Essen hatte Herr Kaltmamsell Okroschka gemacht, die kalte russische Kefirsuppe mit Gemüse und Kräutern (Wurst lassen wir seit dem ersten Versuch als überflüssig weg).

Sehr köstlich und den immer noch hohen Temperaturen angemessen. Als zweiten Gang gab es die Wildschweinbratwurst, die für unseren Geschmack grober und lockerer hätte sein dürfen.

Abendunterhaltung war aus der ZDF-Mediathek der Fernsehfilm Endlich Witwer mit Joachim Król: Überraschend gut gemacht (auch wenn das Fest, das die Set-Designer und Kostümmenschen gefeiert haben müssen, ein wenig stark im Vordergrund stand, jetzt ist mal wieder gut mit 70er-instagram-Filter).

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Winziges Glücklichmach-Filmchen mit Insekt.

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Kunst mit Mund-Nase-Maske.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 9. Juli 2020 – Beifang aus dem Büro

Freitag, 10. Juli 2020 um 6:17

Ich schlief wieder unterbrochen, aber das belastete mich nicht. (Auch wenn ich wirklich, wirklich nichts gegen mal wieder eine Nacht tief und durchschlafen hätte, idealerweise auch noch aus-.)

Von draußen kam herrlichste frische Sommermorgenluft herein.
Standard-Kraftübungen, Crosstrainertraining.

In der Arbeit stürzte ich mich sofort in diese, ich hatte sehr viel zu tun. Dennoch zwang ich mich zu einer echten Mittagspause (rote Paprika und Ernteanteilgurke mit einem Stück Käse) mit Zeitungslektüre.

Am frühen Nachmittag von Ferne vielminütiges, vielstimmiges und sehr irre machendes LKW-Hupen. Die Oktoberfest-Schausteller protestierten gegen die Absage des Oktoberfests. Für Forderungen nach finanzieller Rettung habe ich sehr großes Verständnis, Forderungen nach Großveranstaltungen oder schlichtes “Ich will wieder Party machen!” übersteigen meine Verständniskapazitäten bei Weitem. Glauben die Menschen ernsthaft, die Bilder aus Brasilien und den USA seien nicht echt?

Nachmittagssnack Eiweißriegel (zweite Hälfte, die erste gab’s gegen Unterzucker vormittags – seit wann habe ich bitteschön regelmäßig Unterzucker? Und so gerne ich esse: Ich werde sehr grantig, wenn ich ohne Appetit essen muss.)

Nach Feierabend war es draußen sonnig und sehr warm, aber noch nicht unangenehm heiß. Dennoch ließen wir die Fenster der Wohnung lieber noch geschlossen, die Kühle fühlte sich noch angenehmer an. Zum Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell die jungen Rote Bete aus frisch geholtem Ernteanteil (kein Salat, den hat vor einer Woche der Hagel zu Matsch zerschossen) mit Ernteanteil-Knoblauch und Manouri zu einem Nudelgericht in Rosa.

Abendunterhaltung: Früher Rückzug ins Bett zum Lesen.

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Beruflich musste ich in den vergangenen beiden Tagen viel Wissenschaftsjournalismus unterschiedlichster Qualität lesen. Zum einen resultierte das in der Befürchtung, dass der Begriff “Künstliche Intelligenz” gerade den Weg von “Digitalisierung” geht: Er bezeichnet oft schlicht “irgendwas mit Computern”. (Und der kleine Algorithmus sitzt vergessen in einer Ecke und weint.) Zum anderen las ich auch richtig Spannendes. Zwei Lektüren gebe ich als Tipps weiter:

1) Heftig aber sehr aufschlussreich: Theresa Locker und Max Hoppenstedt haben im März 2019 für Vice die Ergebnisse ihrer monatelangen Recherche aufgeschrieben:
“Jagd auf ‘Elysium’: Das Ende der größten deutschen Kinderporno-Plattform”.
Eine Rekonstruktion der Ermittlungen, die zur Razzia führten, vom Auffliegen der Vorläufer-Plattform bis zur Urteilsverkündung im Elysium-Prozess. Der Fokus liegt zwar auf der Internet-Technik dahinter, doch Locker und Hoppenstedt schließen auch die menschlichen Aspekte ein.

2) Ähnlich aufwändig war die Recherche zu diesem Vice-Artikel vom November 2019:
“Die Applausfabrik: So funktioniert die Industrie hinter gekauften Likes und Followern”.

Diesmal hat sich Theresa Locker mit Sebastian Meineck daran gemacht, der Technik und den Schöpfern hinter dem Handel mit Likes und Followern auf die Spur zu kommen, von denen ich bis dahin nur durch die Selbstoffenbarung von kommerziellen Influencerinnen gelesen hatte. Superspannend!

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Niedliches kleines britisches Mädchen beim Musizieren.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 8. Juli 2020 – Yoga bei der Selbstwertkalibrierung

Donnerstag, 9. Juli 2020 um 6:09

Extra den Wecker auf Keinsport gestellt – um dann zu üblicher Zeit von RUMPELGETÖSEGEPOLTER aus dem Müllkammerl unter meinem Schlafzimmerfenster geweckt zu werden. Noch ein bisschen gedöst, dann zeitig genug für eine Runde Kräftigung aufgestanden.

Jetzt versuche ich doch, aus Yoga etwas fürs sonstige Leben mitzunehmen: Das Annehmen von Seiten an mir, die ich bislang bekämpft habe. Zum Beispiel dass jedes Ankleiden bei mir eine Kalibrierung des Selbstwertgefühls ist. Die Skala reicht von:
– Rockbund bequem, gar mit Luft = ich bin lebenswert, darf mich freuen, mein Herz darf leicht sein
bis
– Hose schließt nur mit Baucheinziehen, alles zwickt = ich bin Abschaum, den Raum nicht wert, den ich in der Welt einnehme, nur schlechte Gefühle sind angemessen, jeder Freu-Impuls wird niedergedrückt
Dazwischen entsprechende Abstufungen, inklusive paradoxer Mischungen, mit denen ich mir bei dunkelgrauer Grundstimmung einrede, der Rockbund säße nur deshalb bequem, weil sich ein Knopf gelockert hat oder die mich bei bequemem Kleidungssitz wehmütig werden lassen, weil ich an den Selbsthass beim Verschwinden der Bequemlichkeit denke.

Seit vielen Jahren versuche ich diesen Mechanismus niederzukämpfen, weil er beschämend idiotisch ist (und damit auch noch auf den Selbsthass einzahlt), ab jetzt teste ich Wahrnehmen, Annehmen, Durchwinken, Weitermachen. Das gehört halt zu mir.

Sehr viel hochkonzentrierte Arbeit in der Arbeit. Mittags ein Laugenzöpferl und Hüttenkäse mit Joghurt, nachmittags Nüsse und ein Stück Schokolade. Es wurde spät, dennoch hätte ich eigentlich gerne noch weitergearbeitet, aber ich konnte nicht mehr. Immer wieder musste ich mich daran erinnern, dass erst Mittwoch ist.

Auf dem Heimweg Einkäufe im Drogeriemarkt und im Vollcorner, schönes Heimradeln in Sonne und milder Luft.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell gefüllte und mit Käse überbackene Enchiladas (Aubergine und chinesische Keule aus Ernteanteil), dazu gab es ein kleines Glas entspannenden Rosé. Zum Nachtisch Schokolade.

Abendunterhaltung war der erste Teil der arte-Doku “Menschenhandel – Eine kurze Geschichte der Sklaverei”, die gestern quer durch mein Internet empfohlen worden war. Ich gebe die Empfehlung weiter, bereits in diesem Teil lerne ich eine Menge, unter anderem wie stark die Gesellschaftshierarchie einiger afrikanischer Länder bis heute durch den Sklavenhandel im späten Mittelalter geprägt ist – und dass er bis heute existiert.

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“On Hilary Mantel’s birthday, please enjoy her 1988 review of RoboCop.”

1987 bis 1991 war die heute gefeierte Romanautorin Hilary Mantel Filmkritikerin beim Spectator, und ihre Rezensionen waren offensichtlich hinreißend. Zum Beispiel eben die über RoboCop.

“All in all, it provides a stimulating evening for those who can jettison the ‘cultural baggage’; and a pure delight for those of us who have never had any culture at all.”

via @HelenJMacdonald

Bis zu dieser Besprechung hatte mich Robocop kein bisschen interessiert; jetzt schon.

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Noch was Schönes: Auf Twitter hat @GrantTucker eine Werbekampagne ausgegraben, in der Filmgrößen der englischsprachigen Welt mit Fischen posierten, um auf die Gefahren der Überfischung aufmerksam zu machen. Nackt.

die Kaltmamsell