Journal Mittwoch, 19. Juni 2019 – Chinesische Sommernacht
Donnerstag, 20. Juni 2019 um 8:58Mit einseitigem starken Kopfweh aufgewacht und bereits Migräne befürchtet. Doch Ibu half, also keine Migräne.
Unter bedecktem Himmel roch das Draußen auf meinem Weg in die Arbeit frisch und zu einer langen Wanderung einladend.
Auf dem Platz vorm Verkehrsmuseum war das Wahrzeichen Riesenschnecke in einem Zelt verschwunden. Den Grund hatte ich am Vortag in der Süddeutschen gelesen: Das Kunstwerk muss überholt werden.
Die Mauersegler flogen ganz tief. Im Westend blieb ich mehrfach stehen um zuzusehen, wie sie um Dächer und durch die Straßen flitzten, hin und wieder kurz an (die Nester unter?) Regenrinnen tippten.
In der Arbeit setzte mein Endspurt vor vier Wochen Abwesenheit ein, ich versuchte, die Unzahl kleiner Zuständigkeiten einer Assistenz zu verteilen oder während meiner Abwesenheit unnötig zu machen. Aber auf ambulante Querschüsse wegen Unstrukturiertheit oder Unvorhersehbarkeit kann ich natürlich nur reagieren, wenn ich da bin. Den Freitag kann ich noch nutzen, dann wird mir das alles hoffentlich möglichst schnell egal.
Lichtblick dazwischen: Die VG Wort begleicht Nachzahlungen aus den Jahren 2009 bis 2017 (Verlagsanteil) – das ist erkleckliches und unerwartetes Zusatzgeld.
Schon am Vormittag war der Tag entgegen der Vorhersagen sonnig und heiß geworden. Dummerweise begannen nachmittags meine Nebenhöhlen zu brennen, mit sinkendem Herzen (aber ich will doch endlich Sport!) registrierte ich die nächste Erkältung im Anmarsch.
Nach Feierabend besorgte ich noch Obst und Geld, daheim stieg ich mit Herrn Kaltmamsell aufs Rad zu einer Einladung in Giesing: Es wurde sensationell chinesisch gekocht.
Das hier waren lediglich die Vorspeisen, danach kamen noch warme Gerichte dazu – zu den unten abgebildeten zwei weitere.
Wir saßen in einem herrlichen Garten, identifizierten Vogelstimmen, beobachteten den Wandel des Abendlichts, lernten viele neue Geschmäcker kennen (Chrysantemenblätter! frittiertes Gluten!), plauderten über Schule, Tipps für chinesische Restaurant, Good Omens, lauschten dem Rauschen der Stadt und dem Gitarrenspiel des großen Sohns – und freuten uns insgesamt über das Internet, das nicht nur unsere Gastgeber in einem Online-Spiel zusammengebracht hatte,1 sondern auch uns an diesen Tisch.
Im letzten Abendlicht radelten wir den Nockherberg wieder hinunter nach Hause – durch eine Sommernacht mit Mauerkneipen, aus denen Licht strömte und gesellige Menschenmengen drumrum beleuchtete, mit Treffen an der Isar und in den umgebenden Auen, mit Fröhlichkeit auf den Wegen und Straßen vor jeder Bar, vor jedem Restaurant, sonnenbraune Beine in Sandalen, sanfte Nacken über ausgeleierten T-Shirts, über allem der Duft der Lindenblüten, alles Grün der Stadt schien aus Linden zu bestehen – eine Sommernacht, die für Legenden taugte.
Und wenn ich das richtig sehe, bekam das Techniktagebuch in dieser Nacht einen Grimme Online Award. Hier ein Foto der Gründerinnen und von Redaktionsmitgliedern auf der Bühne. (HAMMER!)
§
Ärztin Natalie Grams wurde vom Homöopathiemittelhersteller Hevert abgemahnt, weil sie darauf hinweist, dass Homöopathie keine Wirkung hat, die über die Placebowirkung hinaus geht. Dabei sollte man nicht vergessen: Placebowirkung ist deutlich höher als keine Wirkung und gut nachzuweisen. So funktioniert sie:
“Placebos”.
Auch das ist wichtig: Wenn Placebos das Wohlbefinden bessern, beispielsweise bei einer Erkältung, mag dies an einem oft übersehenen Aspekt liegen: Viele Erkrankungen klingen von selbst ab.
(Nebenbei: Vorbildlich auf dieser Website Gute Pillen, schlechte Pillen: Die Erklärung zu Interessenskonflikten.)
- Mag wirklich kein Magazin eine Geschichte über all die ganz normalen Menschen machen, die sich seit 20 Jahren im Internet bewegen, bevor es 2.0 hieß, und die sich mit anderen Menschen auf der ganzen Welt verbanden, bevor der Begriff “social” dafür geprägt wurde? Unter anderem um endlich mit dem Stereotyp aufzuräumen, dass Internetnutzung irgendwas mit Jugend zu tun hat, aber auch um zu erzählen, was das Internet mal sein konnte und warum wir wirklich glaubten, dass die Welt damit zu einer besseren würde. [↩]