Journal Freitag, 22. August 2025 – Teilzeit-Wienerin im Herzen

Samstag, 23. August 2025 um 8:57

Noch vor Wecker aufgewacht, mit innerer Unruhe und nur mittel erholt.

Mehr urlaubsvorbereitendes Wirbeln, mittlerweise durchaus mit dem nagenden Zweifel, ob eine Reise all die Tage mit Unruhe, Hektik, Organisation und Erschöpfung wert ist.

Der Himmel hatte aufgerissen, auf meinem Marsch in die Arbeit bekam ich in kühler Luft sogar Sonnenschein.

Im Büro von der ersten Minute an viel Handarbeit und Gerenne – darauf war ich aber gefasst gewesen. Dann Ackern am Schreibtisch, Gehirn wie Stubenfliege – ich schloss keinen Job am Stück ab, sondern sprang ständig zwischen allem Möglichen hin und her, dazu passten einige Querschüsse, war auch schon egal. Zumindest schloss ich alles urlaubsfertig ab, es wurden keine neuen Fässer aufgemacht, die mich im Urlaub verfolgen würden (Kopfkino barrel chase).

Mittagscappuccino im Westend – nicht ganz so schnell weggekippt wie ideal, weil er dafür zu heiß war.

Auch zum Mittagessen räumte ich auf:

Letzte Tomaten und Gurke aus Ernteanteil, letzter Apfel aus dem Obstkorb, Rest Joghurt (und eine Hand voll Nüsse als Substanzielles, das zu schnellen neuen Hunger verhindern sollte).

Mehr Abarbeiten und Übergaben, erneute Erkenntnis, dass die Vorbereitungen für eine Woche Urlaub sich nicht groß von denen für drei Wochen unterscheiden; zumindest habe ich eine weitere Stellvertretungs-Infrastruktur geschaffen, die ich auch für meine Oktoberfestflucht ab Ende September nutzen kann.

Da doch noch einiges zu tun war, packte ich um drei recht abrupt und nahm eine U-Bahn zum Hauptbahnhof, wo Herr Kaltmamsell mich mit den Koffern bereits erwartete. Ereignislose Fahrt mit dem Railjet nach Wien Hauptbahnhof, ich übte gleich mal Blödschaun durchs Fenster auf die wechselnde Landschaft, las neben Mastodon-Timeline lediglich das aktuelle SZ-Magazin,1 hörte ein wenig Musik. Möglicherweise setzte hier bereits Loslassen ein!

(Kaputte Klos kann übrigens auch die ÖBB, drei der sechs am nächsten erreichbaren.)

Die eigentliche Beschallung kam von einer größeren Gruppe junger Frauen, die in München bereits feiernd und johlend eingestiegen war – ein entsprechender Gesang wies auf den Anlass Geburtstag mindestens einer der Frauen hin – und in Salzburg Zuwachs bekam: Eine sehr fröhliche und freudige Geräuschkulisse, ich freute mich mit. Ankunft in Wien mit nur wenig Verpätung (Bauarbeiten -> eingleisige Abschnitte).

Unterwegs dachte ich nach über einen Umstand, der mir bei der etwas detaillierteren Planung unserer Woche aufgefallen war: Ich fühle mich Wien sehr nah, weil ich hier einige Leute aus dem Internet kenne, zum Teil schon seit Jahrzehnten. Über sie verfolge ich Wetter, Stadtpolitik, Anekdoten, Gastronomie, Selbstverständnis, Veränderungen. Im Grunde ähnlich wie bei Berlin und meinen berliner Internet-Freund*innen, das sogar deutlich weiter von München entfernt ist. Nur: In Wien bin ich fast nie. Zuletzt reiste ich zu einer Hochzeit im April 2016 her, davor war ich im Abstand von einigen Jahen zweimal ein paar Tage auf Besichtigung da. Das Resultat: Bei aller gefühlten Nähe ist mir die Topografie Wiens unvertraut – im Gegensatz zu der Berlins, wohin ich mindestens einmal im Jahr fahre. Das fand ich lustig und nahm mir vor, bei diesem Besuch sehr viel rumzulaufen und auf Stadtpläne zu schauen.

Was mir erleichtert wird durch die Lage unserer Ferienwohnung: Nachdem das gezielte Buchen einer Wohnung in bestimmten, vorher als sehenswert recherchierten Gegenden Wiens gescheitert war, hatte ich die Lust verloren und irgendwas genommen, Hauptsache verlässlich und professionell vermietet (in den vergangenen Jahren war ich ja durchgehend reingefallen) und irgendwie zentral. So landeten wir in der Nähe des Westbahnhofs, außerhalb des Gürtels (ich beginne, lokale Terminologie zu lernen), in einem Außenbezirk. Meine Wochenplanung hatte gezeigt, dass es zu fast allen erstrebten Zielen ein ganz schönes Stück Weg ist.

In der Dämmerung fanden wir zum Haus mit unserer Ferienwohnung, kamen durch drei Türen mit bis zu achtstelligen Tipp-Codes hinein: Sauber, freundlich, mit allem Versprochenen ausgestattet – nur halt im Erdgeschoß zu einem Innenhof und ohne Außenfenster. Aber insgesamt zufriedenstellend, kein Reingefallen-Gefühl.

Es war schon spät, wir hatten großen Hunger. Also nur schnell entknitternd ausgepackt, dann spazierten wir in milder, trockener Nacht zu einer vorher ausgesuchten Wirtschaft zum Abendessen. Wie schon auf dem Wegstück von U-Bahnhof zur Wohnung war ich sehr angetan: Viele Menschen vor Gastronomie, beides höchst bunt und einwanderisch geprägt wie mein heimisches Bahnhofsviertel, spielende Kinder in Parkanlagen, viele Cafés, offensichtlich bewohnte Gründerzeithäuser. Schön auch der für mich typisch wienerische Blick Seitenstraßen entlang hinunter auf die nächtlich glitzernde Innenstadt.

Frischkäse mit Drumrum und Süßkartoffelfritten für mich, dazu zwei Achtel Gemischter Satz – angenehmes Nachtmahl.

Sehr dekorative Kneipenkatze, die sich ihrer Instagramabilität durchaus bewusst schien.

Auf dem Heimweg holten wir uns Nachtisch in einer riesigen Eisdiele: Meine Kugel Himbeer-Mohn schmeckte hervorragend (die zweite Kugel Karamell-Cheesecake ok).

  1. Oh Gott oh Gott: Tobias Haberl lobt und preist darin die Pfälzer Weinstube in der Münchner Residenz. Hoffentlich glaubt ihm niemand! []
die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 21. August 2025 – Was macht denn eine Kosmetikerin eigentlich?

Freitag, 22. August 2025 um 6:25

Nochmal dazwischen eine Nacht im eigenen Bett, bevor ich aus Logistikgründen vor dem Wien-Urlaub (und dem Wohnunghüten meiner Mutter) wieder bei Herrn Kaltmamsell übernachte. Bei Weckerklingeln hätte ich gerne noch weitergeschlafen.

Vor den Fenstern sah ich die angekündigte Düsternis, für meinen Arbeitsweg benötigte ich einen Schirm.

Sehr emsiger Vormittag am Schreibtisch, Mittagscappuccino mit Kollegin bei Nachbars, dort Austausch von Lesetipps für Urlaubstage.

Vor dem Mittagessen (Apfel, eingeweichtes Muesli mit Joghurt) brauchte ich dringend noch Bewegung: Fußmarsch um den Block, der Schirm in der Hand sorgte als Talisman für ausreichend Regenpause.
Außerdem Absprache mit meiner Mutter zum Wohnunghüten während unseres Wien-Urlaubs.

Mittelanregender und emsiger Arbeitsnachmittag. Ich konnte durch eine schlichte Idee eine heikle Frage klären, das freute mich.

Spannend: Würde es auf meinem Heimweg regnen? Ja, tat es, aber erst ab der Hälfte.

Zu Hause wirbelte ich erstmal in Urlaubsvorbereitungen. Ich wollte unbedingt eine Runde Pilates turnen, das schaffte ich auch. Was sich aus dem frisch geholten Ernteanteil für Salat eignete, verarbeite ich zu einer riesigen Schüssel Salat mit Zitronensaft-Knoblauch-Vinaigrette: Lollo rosso, Tomaten, Gurke. Herr Kaltmamsell machte aus dem restlichen Ernteanteil (Mangold, Zucchini, Aubergine) einem italienischen Picknick Pie: Ein Teil wird unser Reiseproviant, einen Teil hinterlassen wir meiner Mutter im Kühlschrank.

§

Auf Mastodon fragte mich @novemberregen: “Was macht denn eine Kosmetikerin eigentlich?” Dadurch wurde mir bewusst, dass das nur Leute wissen, die schonmal eine solche Gesichtsbehandlung hatten – also sehr wenige. Der Rest kennt wahrscheinlich nur Film- und Fernsehbilder von Frauen in Bademänteln mit Handtuch im Haar auf Liegen, Gurkenscheiben auf den Augen.

Nun weiß ich extrem wenig allgemein über Gesichtsbehandlungen von Kosmetikerinnen, es gibt wohl auch sehr invasive und formverändernde (wer sich gruseln möchte, liest den Guardian-Artikel “Be honest, have you had work? 11 people open up about what they do – or don’t do – to their face”). Aber ich erzähle gerne, wie meine eigene üblicherweise abläuft:

Ich lege mein Oberteil ab und mich auf einen besonders bequemen Sessel (ähnelt einem Fernsehsessel in der Waagrechten). Die Kosmetikerin bindet meine Haare aus dem Gesicht, ich schließe die Augen.

Dann wendet sie Dutzende wohlriechende Flüssigkeiten, Pasten, Cremes an, die mal mit Schwämmchen oder Tüchern, mal mit kreisenden Bürstchen, mal mit Pinseln oder Fingern auf- und abgetragen werden. Eine dieser Pasten muss einige Minuten einwirken, dafür verlässt sie den Raum.

Zwischen all dem Auftragen und Abtragen richtet die Kosmetikerin für ein paar Minuten Dampf auf mein Gesicht, ein weiterer Prozessschritt ist das Ausdrücken von Mitessern, ein weiterer eine ausführliche Gesichtsmassage. Manche Schritte umfassen das Belegen meiner Augenlider mit getränkten Watte-Pads. Gesprochen wird dabei sehr wenig, meine Kosmetikerin kündigt lediglich Schritte an, die mit stärkeren Sinneseindrücken verbunden sind: „Jetzt kommt Dampf.“ „Das wird jetzt kalt.“ „Vorsicht Licht.“ (Die Lampe, die sie fürs Mitesserausdrücken auf mein Gesicht richtet.)

Ich empfinde diese Stunde als ausgesprochen angenehm, lasse sehr los, fühle die verschiedenen Berührungen und Texturen, schaffe es überraschenderweise, weder die Mittel mitzuzählen noch mich zu fragen, wozu sie dienen. Seit über 20 Jahren gönne ich mir das im Schnitt ein- bis zweimal im Jahr.

Dieser Grad des Loslassens ist mir allerdings nur bei einer vertrauten Kosmetikerin möglich, die ich mag. Verhindert haben das schon: Entspannend gemeinte Hintergrundmusik, Gesichtspflegeberatung, unaufmerksame Handhabung von Werkzeug und Mitteln, schmerzhafte Behandlungsschritte (außer dem Mitesserausdrücken – ich erinnere mich an eine Methode, die die damalige Kosmetikerin als neuesten heißen Scheiß ankündigte und bei der sie tiefgekühlte Glaskolben über mein Gesicht rollte, AUA!).

§

Auf diese Ausgabe von 1981/82 brachte mich die Ibáñez-Ausstellung 2025 im Münchner Instituto Cervantes – und ich wollte sie sofort haben. Die Comics “Mortadelo y Filemón” gehörten zum Standardprogramm meiner Kindheits-Spanienurlaube Mitte 1970er bis Mitte 1980er und waren damals wunderbar exotisch und lustig (habe meinen spanischen Vater selten so lachen sehen wie bei dieser Lektüre).

“En Alemania” hat alles, was ich an “Mortadelo y Filemón” liebe: Komik fast ausschließlich auf der Bild-Ebene (nur selten dann meist brachiale Kalauer), und hier eine Vielzahl liebevoller Details in fast jedem Panel, zwei tollpatschige Spione, unerwartete Lösungen für Probleme.

Zur Zeit der Erscheinung waren die meisten spanischen Gastarbeiter bereits nach Spanien zurückgekehrt – und brachten ein tiefes Wissen um regionale Stereotype in Deutschland mit. Die Handlung führt die Protagonisten durch zahlreiche Bundesländer, und in Berlin gibt es neben Türken nur heruntergekommene Greise, in Bayern hängen an allen Häusern Franz-Josef-Strauß-Wahlplakate, die Schwaben sparen sich zu Tode, im Rheinland herrscht der Alkohol, Friesen sind dumm etc. etc. Das ist überraschend kundig durchgespielt – und eine gute Geschichte gibt es auch (die wiederum mit spanischen Stereotypen beginnt).

Was auffällt: Während zu dieser Zeit Spaniern zu Deutschland reflexartig erstmal das Dritte Reich einfiel, gibt es keine Nazi-Witze.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 20. August 2025 – Vorurlaubsendspurtgefühl

Donnerstag, 21. August 2025 um 6:36

Gute Nacht bis eine halbe Stunde vor Weckerklingeln, als sich Angst in meiner Kehle verbiss.

Ich hatte noch Gelegenheit, den Übernachtungsgast zu verabschieden, bevor ich mich angespannt durch kühle Luft auf meinen Arbeitsweg machte.

Geordnete Emsigkeit im Büro, ich bekam endlich eine Angelegenheit weg, deren Papier-Unterlagen bereits Schimmelränder angesetzt hatten.

Die Luft hatte eigentlich die ideale Temperatur für gekipptes Bürofenster – nur dass für den Umbau des S-Bahnhofs Heimeranplatz gerade Maschinen eingesetzt wurde, die mit einem nervigen Quietschrumpeln lärmten, das bis in mein Rückenmark drang: Fenster zu.

Mittagscappuccino im Westend, Temperatur unter bewölktem Himmel sehr angenehm. Wenn es so in der Woche Wien bliebe, wäre es mir sehr recht.

Mittagessen: Bananen, Quark mit Joghurt.

Im Verlauf den Nachmittags wurden die Wolken immer dunkler, irgendwann grollte daraus auch Donner.

Vor Monaten schon gebucht, lang befreut: Der Feierabendtermin für Pediküre und Kosmetik. Die Kosmetikerin hatte gestern um eine Verschiebung um 15 Minuten nach hinten gebeten, so kam ich nicht ganz so pünktlich aus dem Büro wie geplant. Zudem hatte es eine halbe Stunde zuvor begonnen zu regnen – und jetzt schüttete es derart, dass ich eine Station U-Bahn fuhr, um nicht trotz Schirm nach 20 Minuten Fußweg völlig durchnässt anzukommen.

Angenehme Pediküre mit Plaudern über Urlaubspläne, noch angenehmere Gesichtsbehandlung. Und beides dauerte lange genug, dass der Regen aufgehört hatte. Ich ging in schöner, abgekühlter Luft nach Hause und gab unterwegs Herrn Kaltmamsell durch, dass wir das angedachte Abendessen im Schnitzelgarten lieber bleiben ließen.

Daheim hängte ich eine eben durchgelaufene Ladung Wäsche auf (alles getimet auf den Wien-Urlaub), während Herr Kaltmamsell zum Abendessen Spaghetti mit scharfer Tomatensauce kochte. Schmeckten sehr gut, Nachtisch Eiscreme.

Dann doch ein wenig Wien recherchiert und zumindest in Google Maps Einmerker gesetzt. Im Moment bin ich so durch, dass meine Sehnsüchte nicht weit über Bankerlsitzen mit schöner Aussicht hinausgehen. Doch der Appetit kam beim Essen, und so habe ich jetzt für fast jeden Tag dieser Urlaubswoche einen Wunsch, zudem in einem weiteren, ausgesprochen attraktiven Restaurant einen Tisch reserviert. Was Essen betrifft, war mir schon lange klar: Wiener Gastronomie lockt mich nicht nur mit einer eigenen Tradition, die durch Respekt vor den Zutaten geprägt ist, sondern vor allem mit exzellenter Einwandererküche. Jetzt dann doch Vorfreude und Endspurtgefühl.

Neue Lektüre: Ottessa Moshfegh, Eileen – hatte ich schon lang auf meiner Lesewunschliste. Diesmal war ich so schlau, erstmal im Inhaltsverzeichnis zu prüfen, ob der Roman die ganze Datei lang ist: Nein, ist er nicht! Bei 94 Prozent fängt die Leseprobe eines anderen Buchs an, jetzt kann mich das nicht mehr überraschen. Der Roman nahm mich mit in einen kleinen, trostlosen US-amerikanischen Ort 1964 an der Ostküste und im Winter und in das trostlose Leben einer jungen Frau.

§

Rebecca Kelber hat für Krautreporter mit Anne Brorhilker gesprochen, bis vor einem Jahr Deutschlands bekannteste Cum-Ex-Staatsanwältin. Sie schildert, wer den Kampf gegen Finanzkriminalität behindert.
“Interview: Wie Deutschland wirklich Steuerraub bekämpfen könnte”.

Diese CumEx-Geschäfte waren in jeder Hinsicht gigantisch: Man benötigte immens viel Startkapital, um die Geschäfte überhaupt starten zu können, die gehandelten Aktienpakete waren wahnsinnig groß und die erschlichenen Steuererstattungen bewegten sich jeweils im zwei- und dreistelligen Millionenbereich. Weil die Dimensionen so groß waren, mussten diese Trades intern genehmigt werden, und der Genehmigungsprozess geht einmal quer durch die Bank bis zum Vorstand. Wir haben E-Mails innerhalb von Banken gesehen, bei denen 50 Personen im Verteiler waren. Das machte uns klar: hier ging es nicht um zwei, drei aus dem Ruder gelaufene Trader, sondern da war der gesamte Apparat involviert.

Auch in den Organigrammen von Banken hat man diesen Bereich der „Tax Trades“ erkennen können, den Insider „Delta One“ nennen. Das ist ein Segment, in dem Trader Aktien-Deals machen, deren Profit allein aus steuerlichen Effekten herrührt. Ich fand frappierend, wie offen ausgewiesen dieser Bereich war, bei dem Banken in unsere Steuerkassen greifen.

(…)

Wir haben viele Leute aus der Branche vernommen. Wenn diese mir gegenüber saßen, haben immer alle als Erstes gesagt: „Ich habe gedacht, das wäre legal.“ Da habe ich gefragt: „Erklären Sie mir das mal. Wieso sind Sie denn der Meinung, dass man sich eine Steuer erstatten lassen kann, die man zuvor nicht bezahlt hat?“ Und jedes Mal kam: „Das weiß ich auch nicht, aber das sagt unser Rechtsberater.“

Was mich erstmal überraschte: Dank Lobbyregister wissen wir jetzt, wer massiven Einfluss auf die entsprechende Gesetzgebung nimmt.

2024 stammen zehn der 100 finanzstärksten Einträge im Lobbyregister von Banken, Versicherern und der Fondsindustrie. Diese geben fast 40 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit aus. Das ist mehr als Auto- und Chemielobby zusammen.

§

Mad Men bietet Arte ja zu meiner großen Freude auch im US-englischen Original, allerdings nur inklusive nicht wegschaltbarer französischer Untertitel.
Stefan Niggemeier ist dem für Übermedien nachgegangen:
“Lost in Untertitel-Translation”.

tl;dr Ja, nee, ist halt so.

§

Dazu gehört ja nicht viel Zufall: Dass ich in den vergangenen Tagen über Hannover und über Obdachlosikeit gesprochen habe – und die taz jetzt ein Interview veröffentlicht mit Annemarie Streit, die sich auch mit 97 noch ehrenamtlich um Obdachlose in Hannover kümmert:
“‘Mir ist der Respekt wichtig'”.

Das Leben ist ganz anders verlaufen, als das mal geplant war.

taz: War es mit Familie geplant?

Streit: Das muss man sachlich sehen. Im Krieg sind sehr viele Männer gerade der jungen Generation gestorben. Wir haben den Sachen nicht nachgetrauert, wir haben es so hingenommen, wie es eben ist.

Auf keinen Fall will ich diese Haltung als ideal oder vorbildlich bezeichnen – aber ich bewundere sie mit einem gewissen Neid.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 19. August 2025 – Standardarbeitstag in Lieblingssommerwetter

Mittwoch, 20. August 2025 um 6:14

Wieder ein Betriebssystem-Update des heimischen Rechners, nach dem ich sorgfältig iCloud und Siri umschifft habe (dafür, dass ich nicht “Nein”, sondern nur ein manipulatives “Später” wählen kann, möchte ich sehr gerne jemanden beißen).

Eine eigentlich gute Nacht, dennoch fühlte ich mich morgens wieder erschlagen. Vor meinem Aufbruch in die Arbeit konnte ich dem Übernachtungsgast noch einen guten Morgen wünschen.

Die nackten Schultern im Sommerkleid ohne Jacke erforderten gestern bei wieder knapp über zehn Grad trotz Sonnenschein beherztes Marschtempo, damit ich nicht fror.

Im Büro freute ich mich darüber, dass ich als Kanne Kräutertee des Vormittags Lindenblütentee aufbrühen konnte: Ich hatte ihn am Montag im Vollcorner entdeckt, ist in München gar nicht so einfach aufzutreiben.

Arbeitsvormittag mit viel Bewegung, ich kümmerte mich ums Äußere eines Workshops (ab 1. September entfällt wahrscheinlich dieser Teil meines Jobs, dafür gibt es dann wieder einen Dienstleister).

Als ich gerade nicht gebraucht wurde, ging ich auf meinen Mittagscappuccino ins Westend und freute mich an Sonne und Farben.

Zu Mittag gab es später Apfel, Banane, Hüttenkäse, Aprikosen.

Dichter Arbeitsnachmittag, an dessen Ende ich mich wieder ziemlich durch fühlte. Auf dem Heimweg kurze Einkäufe, zu Hause eine längere und anstrengende Einheit Pilates.

Abendessen spontan umgeplant, denn: Mit Blumenkohl habe ich mich ja erst angefreundet, als ich die Zubereitungsform im Ofen kennenlernte, den Geruch von Blumenkohl beim Kochen fand ich schon immer furchtbar. Nun hatte Herr Kaltmamsell mit dem Ernteanteil-Blumenkohl ein neues asiatisches Rezept ausprobiert, für das er erstmal gekocht werden musste. Der Geruch davon füllte die Wohnung, während ich turnte – und ich fand ihn so abstoßend, dass ich mein Pilates fast abgebrochen hätte: Er erinnerte mich an Müll, der seit zwei Monaten nicht rausgebracht worden war. Essen wollte ich das wirklich, wirklich nicht (auch wenn es mir leid tat um das mit viel Liebe zubereitete Gericht). Aber das war ja nicht das einzige Lebensmittel im Haus, ich holte mir statt dessen Brot und Käse, außerdem war noch ein Restchen der köstlichen Auberginen vom Vorabend übrig. Nachtisch Eiscreme und Schokolade.

Am Abend kam unser Übernachtungsgast zurück von einem Konzertbesuch, wir unterhielten uns, bis ich wieder erledigt ins Bett ging.

§

Nachruf auf eine britische IT- und Frauenrechts-Pionierin:
“Ein unmögliches Leben ist zu Ende: Zum Tode von Dame Stephanie Shirley”.

Tatsächlich unterzeichnete Stephanie Shirley ihre Geschäftskorrespondenz als Steve Shirley.

Hier ihr TED Talk von 2015:
“Why do ambitious women have flat heads?”

Unter anderem schildert Shirley, wie Programmieren in den frühen 1960ern tatsächlich aussah (fast keine Computer involviert).

Vielleicht noch eine Kandidatin für ein Bild, das neben den Portraits von Ada Lovelace und Margaret Hamilton in Informatik-Schulzimmern aufgehängt werden könnte?

die Kaltmamsell

Journal Montag, 18. August 2025 – Perfektes Sommerwetter und Besuch

Dienstag, 19. August 2025 um 6:35

Nachts holte mich bereits die unangenehme, anstrengende Arbeitswoche ein, die mir bevorsteht: Alle in der Vorwoche ungelösten Fragen zwickten mich, eine Angstwelle spülte einige zusätzliche der kommenden Wochen hervor, dazu kamen Zweifel an der einen oder anderen Entscheidung, die ich beruflich getroffen hatte. Nach mehrfachem Aufwachen zwischendurch konnte ich schon weit vor Weckerklingeln nicht mehr schlafen.

Zustand bei Aufstehen folgerichtig: gerädert. Vorbereitungswirbeln aller Art, unter anderem kontaktierte ich die Vermieter unserer Ferienwohnung in Wien: Ein paar Tage vor Ankunft möchte ich dann doch wissen, wie der Bezug der Wohnung funktioniert (und sichergehen, dass die Buchung und Bezahlung über FeWo-direkt auch bei ihnen angekommen ist).

Der Morgen wurde nahezu wolkenlos sonnig, allerdings ausgesprochen kühl. Ich ließ dennoch die Jacke daheim, auch bei wenig über 10 Grad reichte ein strammer Marsch gegen Frieren. Weiterhin leichter Muskelkater in den hinteren unteren Oberschenkelmuskeln – die mich eigentlich ein wenig beleidigen, denn was mache ich denn bitte Tag für Tag, wenn nicht gehen, auch extra viel rauf und runter? Und das wollen die Muskeln auf einmal nicht gewohnt sein?

Am Schreibtisch ging es wie erwartet nach meinen drei arbeitsfreien Tagen rund, zu meiner großen Erleichterung ließ sich aber gleich eines der Probleme lösen, das mich nachts wachgehalten hatte.

Emsiger Vormittag, genau zur richtigen Zeit konnte ich mich ohne schlechtes Gewissen auf einen Mittagscappuccino im Westend losreißen. In der Sonne war es jetzt schon wieder heiß.

Ein bisschen sieht man am Unterschenkel die Wanderkrätze vom Samstag.

Gollierstraße mit Sommerfarben.

Zu Mittag gab es Nüsse, Apfel, selbstgebackenes Brot. (Warum das unterm Strich böse Bauchschmerzen ergab, ist mir ein Rätsel.)

Auch der Nachmittag war recht emsig. Zu meiner Erleichterung reagierten die Vermieter in Wien, sogar sehr freundlich: Jetzt bin ich beruhigt, dass wir wirklich eine Unterkunft haben, erst kürzlich berichtete Feinanteil in ihremseinem Blog, wie sie als vierköpfige Familie in London überraschend ohne dastanden.

Im Gespräch mit einer jungen, geplagten Frau kam ich zur Erkenntnis, dass die meisten Hochzeiten heute einfach LARPs sind (“alle gleich!”): Zwei Leute spielen Brautpaar, die Eingeladenen Hochzeitsgesellschaft.

Eher später Feierabend. Auf dem Heimweg durch herrliche Luft mit Wind noch Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner – ich genoss das für mich perfekte Sommerwetter.

Zu Hause gesellte sich bald zu Herrn Kaltmamsell und mir der Übernachtungsbesuch aus Goslar, ab bald wird er aus Hannover anreisen (Anlass diesmal: Söhne werden bereits 30). Es gab viel zu plaudern, Herr Kaltmamsell kochte das Nachtmahl:

Erstmal die köstlichen Zucchini auf Ricotta mit Haselnuss.

Dann Duftauberginen, unter anderem mit dem sensationellen Sechuanpfeffer – eine meiner Lieblingszubereitungen eines meiner Lieblingsgemüse. Dazu natürlich viel Austausch über die jüngste und weiter zurückliegende Vergangenheit, Überlegungen zu dem Menschen im Nußbaumpark und zu den Niederlanden.

Allerdings war ich zum einen komplett erledigt, zum anderen wartete am Dienstag ein weiterer Arbeitstag auf mich: Ich ging wie sonst auch Schlafen.

§

Die Betonfreundin in mir (doch, wirklich!) jubelt: Fotografin Cordula Schulze war in Frankreich unterwegs und hat Fremdenverkehrsarchitektur einer bestimmten Zeit festgehalten.
“La Grande-Motte: futuristische Ferienarchitektur”.

via @frauvogel

Hier mal nicht über die Ästhetik des Verfalls vermittelt, sondern in wertgeschätzter, gut erhaltener Form.

Was ist denn jetzt das Besondere an La Grande-Motte? Schließlich entstanden zu dieser Zeit überall rund ums Mittelmeer Infrastrukturen für Massentourismus – mehr oder weniger originell und grün. Meine Antwort lautet: Weil der Architekt den damals schicken, flüssigen Baustoff Beton nutzte, um Skulpturen zu schaffen. Die Tatsache, dass es viel Kunst im Öffentlichen Raum gibt, lenkt ein bisschen von der Skulpturenhaftigkeit der Gebäude ab – und genau diese macht La Grande-Motte aus meiner Sicht aus.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 17. August 2025 – Dicht genutzter Tag (Laufen, Haushalt, Zeitung, Podcast)

Montag, 18. August 2025 um 6:24

Sehr zerstückelte Nacht, mit viermal Aufwachen (Blasendruck, Lärm vorm Schlafzimmerfenster) fühlt sich Schlaf nicht recht erholsam an. Beim Aufstehen spürte ich die Wanderung des Vortags in der rückseitigen Beinmuskulatur, plante dennoch eine Laufrunde, weil das wahrscheinlich die letzte Gelegenheit für die nächsten zwei Wochen war.

Ein kühler Morgen, das freute mich. Nach Bettwäscheversorgung, Geschirrspülerausräumen, Pflanzengießen setzte ich mich mit meinem Morgenmilchkaffee zum Bloggen auf den Balkon, brauchte aber eine Strickjacke (so gehört sich das um halb acht).

Vormittags radelte ich zum Tierpark Hellabrunn, unter gemischtwolkigen Himmel lief ich nach Pullach.

Das Laufen fühlte sich wunderbar und leicht an, und dass ich beim Start sogar ein wenig fröstelte, war genau richtig. Erst als ich nach meinen gut 100 Minuten stoppte und ein paar Meter zum Bäcker ging, spürte ich meine Bein-Rückseiten deutlich. Vor dem Heimradeln dehnte ich also gründlicher als sonst.

Ungewohnte Wasservögel auf der Floßlände.

Hinterbrühler See.

Heimradeln durch angenehm frische Luft. Zu Hause erstmal Räumen für Übernachtungsbesuch, dann gründliche Selbstreinigung.

Frühstück kurz nach zwei: Apfel, Aprikose, Semmeln mit Tomaten.

Bei wechselnden Temperaturen und mal mit Sonne, mal mit kühlem Wind las ich auf dem Balkon die Wochenend-Süddeutsche. Wieder ein sehr schönes Buch zwei: Ein ausführliches Interview mit Bully Herbig zu seiner Fortsetzung Das Kanu des Manitu (€) – und wie immer, wenn ich ihn sehe oder lese, kommt er als ungeheuer sympathischer und netter Mensch rüber. (Ich bin eine große Freundin des unpopulären Nett, denn für mich steckt das schwer übersetzbare kind drin, von der die Menschheit durchaus mehr braucht.) Außerdem ist das Interview ein Stück deutsche Fernseh- und Kinogeschichte.

Wenn ich Das Kanu des Manitu in München sehen möchte – aber es gibt das einzige dafür angemessene Kino nicht mehr, das Filmtheater Sendlinger Tor. Was mach ich denn dann? (Wir sind uns doch einig, dass es für manche Filme nur ein perfektes Kino gibt?)

Es hatte sich Bügelwäsche angesammelt, die ich auch mit Blick auf den nahenden Wien-Urlaub weghaben wollte – also bügelte ich eine Weile. Das gab mir die Gelegenheit, ein Interview mit der verehrten Maren Kroymann nachzuhören:
“67. Maren Kroymann: ‘Ich bin nicht trashig genug'”.
Sehr bereichernd, unter anderem verhalf sie mir mit klugen Beobachtungen zu einem neuen Blick auf Reality TV, ganz konkret auf das Dschungelcamp. Sehen will ich das zwar immer noch nicht, aber jetzt bin ich nicht mehr der Ansicht, dass solche Formate die Welt zu einer schlechteren machen.

Fürs Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell den Ernteanteil-Chinakohl zu einem asiatischen Pfannengericht mit Sojahack, Chili, Frühlingszwiebel verarbeitet.

Hervorragend – hinter der fruchtigen Note vermutete ich Ingwer, doch es stellte sich heraus, dass sie allein vom Sechuanpfeffer kam: Herr Kaltmamsell hatte einen edlen besorgt, der eine ganz andere Nummer ist als die Billigversion aus dem Asialaden.

§

Bei “Tax the rich!” geht es keineswegs um Leute, die neben dem ererbten Mietshaus in der Münchner Innenstadt auch noch ein Ferienhaus in der italienischen Schweiz besitzen, also nicht um diese Höhe von Reichtum (SIE haben also nichts zu befürchten).

Sondern um den ausbeuterischen, gesellschaftsschädlichen Reichtum von Milliardären. Spanien hat wohl einen Weg gefunden, die Gesellschaft an den Früchten dieser Leute teilhaben zu lassen – und im Gegensatz zu den Warnungen, die auch in Deutschland gegen die Einführung solcher Umverteilung reflexartig ertönen, sind die Milliardäre nicht etwa alle mit ihren absurden Vermögen davongerannt:
“How Spain put up wealth taxes – without chasing away the billionaires”.

As chancellors around Europe cast about for ways to repair the damage to public finances caused by successive global shocks, there is a growing clamour for more effective ways to tax the largest private fortunes.

Spain is one of only three European countries (along with Switzerland and Norway) to still collect wealth taxes, and policymakers are looking to Madrid for lessons in what works – and what doesn’t.

(…)

What is clear is that, two years on, a predicted exodus of the rich, trumpeted in endless alarmist headlines, has not materialised. Forbes counted 26 Spanish billionaires in 2021. This year, it lists 34, with a combined net worth comfortably over $200bn.

Dass diese Abgabe in Spanien “Impuesto de Solidaridad” heißt, also Solidaritätssteuer, finde ich besonders charmant (leider ist bei uns der Name schon vergeben, Mist).

§

Christian Zaschke war Korrespondent der Süddeutschen in London (2011-2017), dann in New York (2017-2024). Neben vielen lesenswerten Artikeln in glaubwürdig unverbissenem Tonfall war eine Folge, dass Zaschke die Bundesrepublik Deutschland zu schätzen lernte: nämlich im Vergleich zu seinen Arbeitsländern zwischen 2011 und 2024. Seit er zur SZ-Parlamentsredaktion in Berlin gehört, fällt er mir immer wieder mit Artikeln auf, die – fast schon mit einer gewissen G’schamigkeit – berichten, was hierzulande so richtig gut läuft. Zum Beispiel auf der Seite Drei der aktuellen Wochenendausgabe über das Berliner Regierungsviertel (€):
“Deutsches Herz”.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 16. August 2025 – Unerwartet trockene Wanderrunde am Starnberger See über Berg

Sonntag, 17. August 2025 um 8:40

Halleluja: Die Gewitter in der Nacht hatten deutliche Kühle gebracht, beim Aufwachen regnete und grummelte es noch – und war zu kühl für Balkonkaffee!

Trotz der Wettervorhersage war ich zum Wandern verabredet – ein bisschen Regenrisiko wog die Alternative einer Wanderung in Brüllhitze in meinen Augen auf.

Als ich mich um halb zehn für diese Verabredung zum Bahnhof aufmachte, schüttete es gerade energisch. Ich schlüpfte also schon für diesen Weg in meine Regenjacke – und nahm die U-Bahn, um nicht schon nass im Zug nach Starnberg zu sitzen. Dorthin nämlich fuhr ich mit einer Freundin, um die Rundwanderung nach Percha, Berg, Leoni, Bismarckturm Assenhausen, über Aufkirchen, Manthal zurück zu machen, mit der ich vor drei Wochen mit Herrn Kaltmamsell wegen Regenfluten gescheitert war.

Starnberg empfing uns mild und trocken, und um es abzukürzen: So blieb das Wetter den ganzen Tag; uns erwischte kein einziger Regentropfen, wir bekamen sogar ein wenig Sonne – wunderbares Wanderwetter, die Schwüle brachte mich aber mehrfach ins Schwitzen.

Ich genoss es sehr, mit der Freundin zu gehen, manchmal einander auf Anblicke hinweisend, aber meist ins Gespräch vertieft – deshalb auch nur wenige Fotos, meine Begleitung fesselte mich mehr.

Die Votivkapelle bei Berg über der Uferstelle, wo sich unser Kini dersoffen hat.

Unten am Erinnerungskreuz für Ludwig II. im See haben kürzlich Segler ihr Boot befestigt, gemeinsame Schnappatmung aller Königstreuen, die Ermittlungen laufen.

Hinter Leoni stiegen wir hoch zum Bismarckturm Assenhausen – ich komme weiterhin nicht über diesen Auswuchs nationalistischen Fantums hinweg. Hier griff ich dann doch zu meinem Mückenspray (wohnt fest in meinem Wanderrucksack), in Waldstücken bekamen die Viecher offensichtlich großen Appetit auf mich.

Freudige Überraschung: Die Kapelle bei Sibichhausen wurde neu gebaut. Im April 2019 hatte sie Herrn Kaltmamsell und mir bei unserer ersten Erwanderung der Runde als Brotzeit-Unterstand gedient, 2022 hatte ein Sturm den nebenstehenden Baum draufgestoßen, die Kapelle war zerstört. Jetzt informierte eine große Metalltafel über eine sofort gestartete Spendenaktion, die den Neubau ermöglichte, im Juni 2024 wurde er gesegnet. Und hat wieder eine Form, die zum Ausruhen und Brotzeiten einlädt.

Pause und Brotzeit machten wir nach knapp drei Stunden Wanderung, ich hatte Äpfel und selbstgebackenes Brot dabei.

In Aufkirchen sahen wir bei Oskar Maria Graf vorbei, tauschten Erinnerungen an seinen wunderbaren Roman Das Leben meiner Mutter aus, der mir viele Einblicke in die Gegend und ihre Entwicklung vom Ende des 19. in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verschafft hatte.

Zurück in Starnberg kehrten wir im Tutzinger Hof ein. Das waren etwa 19 Kilometer in etwa fünfeinhalb Stunden mit einer Pause gewesen, ich fühlte mich angenehm durchbewegt

Auf das Brotzeitbrett hatte ich mich schon sehr gefreut – und wieder stellte sich heraus, dass hier der Obatzte serviert wird, der mir von allen am besten schmeckt (nächstes Mal bestelle ich vielleicht einfach nur eine große Portion davon). Dazu eine Halbe alkoholfreies Weißbier.

Auf den Zug zurück nach München mussten wir ein Viertelstündchen warten, schauten noch ein wenig auf den See (so lange das vom Bahnsteig aus geht, der Starnberger Bahnhof soll weg vom Seeufer verlegt werden, wohin und wie ist allerdings weiterhin offen).

Auch in München war es schwülwarm, wie schon Herr Kaltmamsell den Tag über war ich unschlüssig, wie ich die Wohnung temperieren sollte: Würden offene Fenster sie kühlen oder aufwärmen?

Abends holte ich noch das Dessert nach:

Zwetschgenkuchen mit Sahne. Dazu eine weitere Folge Mad Men, im Bett las ich Mortadelo y Filemón en Alemania, entzückt über die Detailliebe des zeichnerischen Humors.

die Kaltmamsell